Unvermeidlicher Zusammenstoß
N 32°49’54.0’’ E 106°15’16.8’’Datum:
22.02.2016
Tag: 238
Land:
China
Provinz:
Shaanxi
Ort:
Ningqian
Breitengrad N:
32°49’54.0’’
Längengrad E:
106°15’16.8’’
Tageskilometer:
131 km
Gesamtkilometer:
12.421 km
Luftlinie:
79.23 km
Durchschnitts Geschwindigkeit:
20.8 km/h
Maximale Geschwindigkeit:
50.5 km/h
Fahrzeit:
6:16 Std.
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Maximale Höhe:
1.200 m
Gesamthöhenmeter:
21.972 m
Höhenmeter für den Tag:
1.050 m
Sonnenaufgang:
07:32 Uhr
Sonnenuntergang:
18:44 Uhr
Temperatur Tag max:
8°C
Temperatur Tag min:
5°C
Aufbruch:
09:30 Uhr
Ankunftszeit:
18:00 Uhr
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Bei 5 Grad und trüben Wetter geht es weiter. Unser heutiger Zielort ist die Stadt Ningqian. Laut Navigation sind es bis dorthin 119 km. Nach 50 km schickt uns das MapsMe Programm auf meinen Smartphone in südliche Richtung. Ich habe mich gerade über das gute Vorankommen, am heutigen Tag gefreut, als Verkehrsschilder erscheinen auf denen Tracktoren, Fahrräder und Mopeds durchgestrichen sind. „Nicht schon wieder“, stöhne ich. „Was denn?“, fragt Tanja. „So wie es aussieht mündet hier die Bundesstraße in die Autobahn.“ „Das heißt wir müssen umkehren?“ „Ja“, antworte ich laut fluchend, schon wieder auf das Kartenprogramm reingefallen zu sein. 10 km später erreichen wir die Stadt, in der wir die Bundesstraße G108 verloren haben. Obwohl ich mich nach meinem Schnupfen wieder fit fühle ärgere ich mich über den Umweg. „Macht doch nichts Denis. Du sagst doch selbst immer, dass Umwege manchmal unvermeidlich sind“, beruhigt mich Tanja.
Bevor wir weiterfahren, legen wir auf einer Bank, in einem Stadtpark, unsere Mittagsrast ein. Kaum ist die Vesper ausgepackt, versammeln sich die ersten interessierten Menschen um uns. Es dauert nicht lange und wir sind eine skurrile Attraktion. Immer mehr Neugierige werden durch die bereits Dastehenden angezogen. „War ein Fehler hier eine Rast einzulegen“, sage ich, als ein offensichtlich Geistes kranker Mensch in einem Abstand von 30 Zentimeter vor mir stehen bleibt, seinen Oberkörper zu mir herabbeugt, in dieser Stellung verharrt bleibt, so dass man glauben könnte er möchte in meine Schokolade beißen. Ich rutsche ein Stück zurück und esse weiter. Der Mann steht noch immer wie eine Salzsäule da und starrt uns mit bösem Blick an. Dann beginnt er lauthals zu schimpfen und mich anzuschreien, während 100 andere Zuschauer lachen, grinsen und immer öfter unser Rad berühren, um es genauer unter die Lupe zu nehmen. Da sich der Menschenkreis immer enger schließt, wird uns unwohl. Wir unterbrechen unsere Nahrungsaufnahme, packen zusammen und bahnen uns einen Weg durch die Schaulustigen. Auf der anderen Seite des Parks fragen wir nach der Bundesstraße G108. Kaum haben wir angehalten, versammeln sich wieder Neugierige um uns. „Nichts wie weg!“, rufe ich Tanja zu und bevor sich der Kreis um uns erneut schließt treten wir in die Pedale.
Auch wenn es auf der Google Karte in dieser Gegend recht flach aussieht, geht es wieder nach oben. Die Bergflanken, des noch vor wenigen Kilometer breiten Tales, sind nahe an die Straße herangerückt. Sie zwingen diese, sich über die immer häufiger auftretenden Erdfalten zu erheben. Stoisch treten wir in die Pedale, um auch am heutigen Tag über 1.000 Höhenmeter zu bewältigen. Nach einer Passhöhe geht es endlich mal wieder bergab. Da die Fahrbahn breit und der Bitumen nagelneu ist, erlaube ich mir das Rad erst bei 50 km/h einzubremsen. Schon von weitem sehe ich zu meiner Rechten einen großen Parkplatz, auf dem ein paar Fahrzeuge stehen. Ein schwerer Audi rollt langsam auf die Bundesstraße zu. Da ich die Rücksichtslosigkeit im chinesischen Verkehr mittlerweile zu genüge kennengelernt habe, behalte ich das Auto im Blick. Weil es aber Anstalten macht anzuhalten, sehe ich keine Gefahr und lasse meinen Bock weiter rauschen. Plötzlich, völlig unvermittelt, gibt der Fahrer aber Gas und fährt auf unsere Hauptverkehrsader. In meinem Kopf blitzt es nur kurz auf. „Alarm!!!“ Ich reiße erst die Hinterbremse und den Bruchteil einer Sekunde später die Vorderbremse. Keine Chance, der Aufprall ist absolut unabwendbar. In Sekundebruchteilen ist mein Körper voller Adrenalin. „Aaahhh!“, brüllt es aus mir heraus. Der Fahrer könnte noch Vollgas geben, um den sicherlich folgenschweren Unfall zu vermeiden, jedoch, uns trennen nur noch wenige Meter. Ich fühle als würde die Zeit still stehen, als hätte sie eine übergeordnete Macht einfach kurz angehalten. Alles vor, in und um mich herum, geschieht in extremer Zeitlupe. Ich spüre wie Ajacis Anhänger schiebt und zur Seite drückt. Muss nicht nach hinten sehen, um zu wissen, dass der Anhänger nur noch auf einem Rad rollt und im Begriff ist zu kippen. Das würde mich auf jeden Fall umreißen. Bei der immer noch hohen Geschwindigkeit ist ein fataler Sturz die Folge, aus dem Ajaci und ich nicht mit heiler Haut rauskommen. Um das zu vermeiden, lasse ich nur noch Zentimeter vor dem Crash beide Bremsen los und reiße, trotz der Gefahr das Rad flach zu legen, den Lenker nach links. In diesem Moment glaube ich die Stoßstange des Fahrzeuges an meinem rechten Schienbein zu spüren. Es ist nur ein Hauch, die Berührung einer Feder oder vielleicht sogar nur die Einbildung einer Berührung. Urplötzlich rast die Zeit wieder los. Das gesamte Geschehen wirbelt in irrer Geschwindigkeit um mich herum. Der Hänger ist nicht gekippt, ich schlittere nicht über den neuen, groben Asphalt dahin, bin nicht in die schwarze Limousine gehämmert. Das Ausweichkommando hat funktioniert. Ein Wunder ist geschehen, oder wie immer man den unglaublich glücklichen Ausgang des Beinahzusammenstoß beschreiben soll. Das Auto fährt noch immer direkt vor mir. Hat nicht beschleunigt. Die getönten Scheiben der Beifahrertür sind unten. Mit der Urkraft des Überlebenden brülle ich in das Fenster. Ich kenne mich nicht wieder, bin nur noch blankes Adrenalin. Ein Mensch der zu allem bereit, ja vielleicht sogar nicht mehr recht bei Sinnen ist. Würde der Autofahrer anhalten, wäre das eventuell sein Untergang. Er scheint die Größe der Gefahr zu spüren, gibt Gas und verschwindet nun mit rasender Geschwindigkeit. Ich halte an um durchzuschnaufen. Tanja kommt neben mir zum stehen. Sie ist im ersten Augenblick sprachlos. „Unfassbar“, sagt sie dann. „Ich weiß nicht wie du es geschafft hast auf dem Rad zu bleiben. Es war alles in der Luft. Der Hänger, Ajaci und dein Rad. Ich war mir sicher, dass es kracht. Hatte dich bereits auf der Straße schlittern sehen. Es kam mir vor als wäre die Zeit stehen geblieben, obwohl alles so schnell ging. Es war einfach unglaublich und ich bin sehr froh, dass dir nichts geschehen ist. Lass uns einfach dankbar sein. Dankbar für deine außergewöhnlich schnelle Reaktion und für den göttlichen Schutz. Dass wir da ohne Schaden an Mensch, Hund und Material herausgekommen sind, sollten wir feiern. Vor allem müssen wir in Zukunft noch mehr auf die bescheuerten Autofahrer achten. Es gibt hier einfach keine Regeln“…
Als der Bordcomputer 131 km anzeigt erreichen wir das Städtchen Ningqian. Nach dem heutigen Beinahunfall würden wir gerne, den glücklichen Ausgang des Tages, das Fortbestehen unserer Reise und eventuell sogar meines Lebens, feiern. Die einfachen Straßenrestaurants, mit ihren offen stehenden Türen, sind dazu aber völlig ungeeignet, so dass wir uns entscheiden dieses Fest zu verschieben bis wir die richtige Location dafür finden…
Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.
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