Wieder in der Zivilisation
N 49°01'138'' E 104°00'125''Tag: 417
Sonnenaufgang:
06:39
Sonnenuntergang:
19:19
Luftlinie:
31,63
Tageskilometer:
41
Gesamtkilometer:
2510
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Temperatur – Tag (Maximum):
21 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
15 °C
Temperatur – Nacht:
minus 3 °C
Breitengrad:
49°01’138“
Längengrad:
104°00’125“
Maximale Höhe:
1312 m über dem Meer
Aufbruchzeit:
21:15
Ankunftszeit:
22:00
Am Morgen kommt Bor wieder ins Camp galoppiert. Umgehend gesellt er sich zu Naraa, Tuya und Tenger, um mit ihnen zu Grasen. „Ihm gefällt es bei uns“, lacht Tanja.
Wir sind gerade am Zusammenpacken als Ilhauchauu auftaucht. Obwohl er sich um drei Tage verspätet verliert keiner ein Wort darüber. Ohne langes Vorgespräch packt er ein Bündel Geld aus und beginnt zu zählen. „600.000 Tugrik“, (364,- €) sagt er und reicht mir die Scheine. „Das ist nicht die vereinbarte Summe“, sage ich. „Mehr besitze ich nicht.“ Tanja und ich sehen uns an. „Meinst du wirklich wir können Tenger an Ilhauchauu verkaufen? Bilgee würde ihn doch so gerne haben.“ „Tanja, Bilgee hat kein Geld. Er kann sich Tenger zurzeit nicht leisten. Abgesehen davon sicherten wir Ilhauchauu das Pferd zu und besiegelten unser Geschäft mit Handschlag.“ „Aber er hat sich um drei Tage verspätet?“ „Sein Bruder ist gestorben. Das ist Grund genug für eine Verspätung.“ „Das stimmt. Habe trotzdem ein Problem damit Bilgee sein ehemaliges Reitpferd vorzuenthalten.“ Ich sehe Bilgee fragend an. Er weicht meinen Blicken aus da er vor dem Hirten nicht sprechen kann. Ilhauchauu bekommt unser Zögern mit und zieht weitere 20.000 Tugrik (12,- €) aus einer anderen Tasche. Die restlichen 10.000 Tugrik (6,- €) habe ich für Benzin ausgegeben“, sagt er mir erneut das Geldbündel entgegenstreckend. „Ist das für dich okay?“, frage ich Bilgee auf Englisch. „Okay“, antwortet er. Tanja kullern ein paar Tränen die Wangen herunter. „Ich werde Tenger nicht schlachten lassen“, versucht sie Ilhauchauu zu beruhigen. „Wissen wir“, sage ich beschwichtigend worauf er das Geld auf den Kochtopf legt in dem wir gerade Wasser erhitzen. „Nein!“, ruft Tanja. „Warum nicht?“, fragt Ilhauchauu. „Weil du das Geld auf dem Kocher abfackelst“, antwortet sie worauf es Ilhauchauu erschrocken zurücknimmt. „Ich bringe Tenger wirklich nicht um. Wenn ihr auf eurer Radtour von der Mongolei nach China wieder hier seid könnt ihr euch davon überzeugen“, erklärt er, um endlich unser Einverständnis zu bekommen. Wie sollen wir ihm vermitteln, dass es im Augenblick um einen Gewissenskonflikt geht Tenger nicht an Bilgee sondern an ihn abzugeben? „Du entscheidest Denis“, sagt Tanja. „Gut dann ist der Deal gemacht. Ich habe Ilhauchauu die Hand darauf gegeben. Es wäre ihm gegenüber äußerst unfair Tenger nicht zu verkaufen“, beschließe ich und nehme das Geld entgegen. Ilhauchauu, der nicht damit gerechnet hat wie schwer es auf einmal ist Tenger zu erwerben, ist sichtlich erleichtert und lacht befreit auf.
Nachdem sich Ilhauchauu verabschiedet hat bringen Tanja und Bilgee Naraa und Tuya zu einem Hirten der unweit von unserem Lager über 100 Pferde besitzt. Noch am gleichen Tag wird Naraa vor einem Hengst bestiegen. Bilgee möchte nächstes Jahr von ihr ein weiteres Fohlen. Naraa und Tuya werden dem Winter über bei dieser Familie bleiben. „Dort geht es ihnen gut“, ist er überzeugt.
Nachmittags läuft Bilgee auf den nahen Berg, um mit seinem Cousin zu telefonieren der uns heute mit seinem Jeep abholen soll. Während dieser Zeit besucht uns ein Reiter der sich vor unser Zelt setzt. Nachdem ich ihm die übliche Geschichte des Woher und Wohin berichte bleibt er weiterhin im Camp, um uns beim Packen zu beobachten. Nach einer Weile laufe ich zu Bor und Tenger deren Seile, an denen sie angepflockt sind, sich verwickelt haben. Der Hirte erhebt sich und folgt mir. Als ich bei den Pferden bin verstehe ich. Es ist ein Verwandter von Ilhauchauu der nicht gekommen ist um uns zu beobachten sondern um Tenger und Bor abzuholen. Ich binde die Tiere von den Pflöcken und reiche ihm die Führungsseile. Kaum hat er Bor und Tenger am Nacken seines Pferde gebunden galoppiert er davon.
„Er hat 1 ½ Stunden gewartet bist du ihm endlich die Pferde gegeben hast?“, wundert sich Tanja. „So wie es aussieht, ja. Anscheinend ein sehr höflicher Mensch der nicht einfach die Pferde nimmt sondern darauf gewartet hat bis wir mit unserer Arbeit fertig sind.“ „Unglaublich.“ „In der Tat. Mann kann noch so lange in diesem Land bleiben und wird immer wieder überrascht.“
Um 19:30 ist die Sonne schon geraume Zeit untergegangen und von Bilgees Cousin ist noch nichts zu sehen. „Er wird bald da sein. Sollten wir nicht das Zelt abbauen?“, fragt Tanja. „Wir bauen erst ab wenn er wirklich kommt. Wer weiß? Vielleicht hat er es sich anders überlegt. Dann sitzen wir hier bei dieser Kälte und frieren uns den Hintern ab“, antworte ich.
21:00 Uhr. Zwei Scheinwerfer fressen sich durch die Dunkelheit und halten auf uns zu. „Das ist er!“ sagt Bilgee erleichtert. Bilgees Cousin Erdene Ochir und seine Frau Urtnast begrüßen uns verhalten. Sofort baue ich das Zelt ab während die Anderen unsere Habe in den Jeep schlichten. 15 Minuten später verlassen wir das Ein Jahr und einen Tag Camp in Richtung Erdenet. „Morgen früh werden sich die Jurtenbewohner auf der anderen Seite des Baches wundern wohin unser Zelt so plötzlich verschwunden ist“, sage ich. Mogi, der sich zwischen meinen Beinen auf die Hinterfüße stellt, blickt hechelnd aus dem Fenster. Etwa drei Kilometer holpert der Jeep durch die dunkle Steppe bis wir den Asphaltstreifen erreichen. Dann geht es wie auf Schienen in Richtung Erdenet. Während Tanja und ich schweigen unterhält sich Bilgee mit Erdene Ochir und Urtnast die bald unentwegt spricht. „Auf wiedersehen Steppe“, flüstere ich mit einem wehmütigen Gefühl in der Brust. Nach 35 Kilometern tauchen die ersten Lichter auf. Eine Tankstelle, ein kleiner Supermarkt, ein unscheinbares Hotel. Straßenbeleuchtung, Autos, Lastwägen, Menschen, Müll, Schlaglöcher, einfache Häuser. „Wir sind in der Zivilisation“, sage ich. „Und wie fühlt sich das für dich an?“, fragt Tanja. „Nicht gut. Ich vermisse jetzt schon die Ruhe, das säuseln des Windes, die Steppenblumen, die vielen Tierherden und das Geräusch wenn unsere Pferde das Gras vom Grund rupfen.“ „Und die Kälte?“ „Oh, die vermisse ich nicht. Ich freue mich auf warme Nächte in denen meinen Nasenspitze sich nicht wie ein Eiszapfen anfühlt“, lache ich.
Um 22:00 Uhr verlässt der Jeep die Asphaltstraße und holpert über eine löchrige Staubpiste. Vor einem demolierten Bretterzaun halten wir an. Erdene Ochir steigt aus und öffnet ein wackeliges Holztor. Wir fahren in einen der üblichen, von einem Bretterzaun eingefassten Hof, in dessen Mitte ein einfach aussehendes altes Holzhaus errichtet ist. „Wir sind da“, sagt Bilgee. Umgehend werden wir in die Hütte gebeten. Ein großer Flachbettbildschirm, eine dem mongolischen Zeitgeist entsprechende Sitzecke und andere Einrichtungsgegenstände schmücken das Wohnzimmer. Die mit fortschrittlichen Backofen, Mikrowelle und vielen weiteren technischen Geräte ausgestattete Küche ist zur Wohnstube geöffnete. Auch wenn das Haus nicht mit deutschem Standard zu vergleichen ist haut es mich fast um. Mit solch einem Luxus habe ich nicht gerechnet. Erdene Ochir ist Vorarbeiter in der großen Kupfermine derentwegen die Stadt Erdenet 1978 erst gegründet wurde. Allen Anschein nach verdient er nicht schlecht. „Wollt ihr euch die Hände waschen?“, fragt Erdene Ochir auf das Becken deutend. „Gerne“, antworten wir. Urtnast füllt einen Eimer Wasser in den Behälter der sich hinter dem Waschbecken befindet. Obwohl es den einen oder anderen Luxus in diesem Heim gibt muss das Wasser noch von einem Pumphaus, ein paar hundert Meter entfernt von hier, herbeigeschafft werden.
Wenig später sitzen wir an einem Tisch, unterhalten uns über die Reise, während verrückte Werbespots über den riesigen Flachbettbildschirm jagen. „Habt ihr Hunger?“, fragt Urtnast. Da wir unseren Hunger im Camp stillten verneinen wir. Eigentlich sind wir von den Ereignissen des Tages, der Fahrt und von dem was in der zweitgrößten Stadt der Mongolei bereits auf uns eingeprasselt ist hundemüde. Am liebsten würde ich mich sofort hinlegen, hätte ich gerne geantwortet. Indes bedanke ich mich bei den Beiden fürs Abholen. Nachdem ich auch frage wie hoch die Benzinkosten sind schüttelt Erdene Ochir nur den Kopf. „Es war uns eine Ehre“, antwortet er indes. Wir bedanken uns herzlich. „Habt ihr Durst auf Bier?“, fragt Bilgee. „Klar“, antworten Tanja und ich. Ich gebe Bilgee 10.000 Tugrik (6,- €) worauf er und sein Cousin zu einem Laden fahren, um fünf Liter Bier zu kaufen. Nach den ersten Gläsern wird die Stimmung lockerer. Erdene Ochir möchte viel über unsere Lebensreise wissen während Urtnast einen großen Stapel furchtbar schlechter Bilder anschleppt und uns mit viel Freude und Enthusiasmus berichtet wann, wo, wer gefeiert hat. „Das ist mein Mann während des Tsagaan Sar. Das ist er mit seinen Untergebenen in der Kupfermine. Hier war er mit Freunden in Thailand. Da siehst du, wie er auf dem Elefanten reitet? Dort in der Mitte, da ist er mit einem seinen Chefs während einer Betriebsfeier.“ Urtnast ist ungeheuerlich stolz auf ihren Mann. Eine Stunde später haben wir uns lächelnd durch die Bilder des scheinbar ständig feiernden Ehemannes und seiner Familie gekämpft.
„8.000 Menschen arbeiten zurzeit in der Mine. Das Kupferlager wurde übrigens in den 50er Jahren von tschechische und russische Geologen entdeckt. Weißt du was Erdenet heißt?“, fragt Erdene Ochir unvermittelt. „Äh, nein“, antworte ich und versuche die vielen Informationen in meinem trüben Gehirn zu ordnen. „Wertvoller Schatz.“ „Dann bist du für deine Eltern also ein Schatz?“, frage ich worauf wir alle lachen. „Ich für meine Eltern und die Mine für die Bürger“, sagt er nach einigen Minuten.
Um 1:00 Uhr dürfen wir das kleine Buddhazimmer unserer Gastgeber beziehen. Urtnast erklärt uns was die Bilder und Gegenstände auf dem Buddhaaltar bedeuten und wünscht uns eine geruhsame Nacht. Nach über einem Jahr schlafen wir wieder das erste Mal in einem beheizten Raum. Da ich Tanja auf dem schmalen Bett ruhen lasse mache ich es mir auf der Iosmatte bequem. „Schön mal keine kalte Nasenspitze zu haben“, sage ich mich wohlig rekelnd.
Durch das winzige Fenster des Zimmers dringt Hundegebell. Es ist das schlimmste Hundegebell welches wir je in unserem Reiseleben gehört haben, fast mit einem nie endenden Feuerwerk zu vergleichen. „Wie soll man denn bei diesem irren Lärm schlafen?“, frage ich. „Zieh einfach den Schlafsack über die Ohren.“ „Viel zu warm.“ „Ich bin so müde, da machen mir die Kläffer nichts aus.“ „Du hast es gut. Man könnte meinen jeder der 75.000 Einwohner besitzt einen Hund.“ „Hm.“ „Schläfst du wohl schon?“ „Hm.“ „Unglaublich.“
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