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Mongolei//Ein Jahr und einen Tag-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Glühende Augen

N 48°55'433'' E 103°39'440''
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    Tag: 407

    Sonnenaufgang:
    06:25

    Sonnenuntergang:
    19:44

    Gesamtkilometer:
    2468

    Bodenbeschaffenheit:
    Gras

    Temperatur – Tag (Maximum):
    23 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    18 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 4 °C

    Breitengrad:
    48°55’433“

    Längengrad:
    103°39’440“

    Maximale Höhe:
    1380 m über dem Meer

„Wau! Wau! Wau!“, bellt Mogi in die Dunkelheit. „Was ist denn los?“, frage ich mich aufrichtend und aus dem Schlafsack blickend. Unzählige leuchtende Punkte reflektieren den Strahl meiner Stirnlampe. Eine große Pferdeherde umringt Naraa, Tuya, Tenger, Sharga, Bor und Sar. „Haut ab!“, rufe ich weil Hengste Naraa noch immer besteigen wollen. Die Pferde ignorieren mich weswegen ich aufstehe und laut rufend auf sie zulaufe. Schnell galoppieren die vielen Hufe in die Finsternis. Zufrieden verkrieche ich mich wieder in meinen Schlafsack. Kaum habe ich es mir bequem gemacht schlägt Mogi erneut an. „Was ist denn nun schon wieder?!“ Abermals werden unsere Pferde von einer Pferdeherde umringt. Diesmal eine andere, etwas kleinere Herde. „Jetzt lasst uns doch endlich in Frieden!“, schimpfe ich aus der Schlafhülle stürmend. Eine Stunde später glühen noch immer eine große Anzahl von Augenpaaren in der Dunkelheit. Wüsste ich nicht das Pferde und Rinde dahinter stehen, könnte einem dieses Leuchten Angst einjagen. Für mich jedoch ist das nächtliche Augenglühen ein gewohnter Anblick geworden.

Wegen der ständigen Störung matt, verlasse ich zum x-ten Mal meine warme Schlafhülle, um mich diesmal an die Tiere heranzuschleichen. Weil der Wind günstig steht bemerken mich die Grasfresser nicht. Erst als ich etwa 10 Meter vor den Pferden stehe schalte ich meiner Stirnlampe ein und jage laut brüllend auf die Vierbeiner zu. Die neue Taktik schlägt ein wie eine Bombe. In wilder Stampede rasen die Pferde davon und lassen sich wegen diesen furchtbaren Schrecken, den ich ihnen eingejagt habe, die restliche Nacht nicht mehr blicken.

Am Morgen trockene ich das in der Sonne auftauende Kondenswasser von der Zeltbahn, binde die Pferde von den Pflöcken und koche Wasser. Als Tanja aufwacht befindet sich bereits heißes Wasser für Tee in der Thermoskanne. „Oh man bin ich müde“, gähnt sie den Morgen an. „Kein Wunder, die ständige Anspannung fällt langsam ab. Unsere Körper wissen vom baldigen Ende dieser langen und extremen Reise“, sage ich. „Und? Wie war deine Wachschicht?“ „Übel. Wurde unentwegt von Pferdeherden zum Aufstehen gezwungen. Letztendlich aber habe ich ihnen mit meinem neuen Anschleichtrick derart Angst eingejagt, weswegen sie nicht mehr gekommen sind. Dachten wahrscheinlich ich sei ein grausiges Monster welches nichts lieber tut als Pferde fressen,“ sage ich und erkläre meine Aktion. „Ha, ha, ha, eine gute Idee. Schade, dass dir diese Erleuchtung erst am Ende unserer Reise gekommen ist.“

Nach dem Frühstück, zur Abwechslung heute mal Frischkornbrei und mongolische Kekse, geht Tanja in die Berge, um Bilgee zu erreichen. Ich beginne indes mit dem Packen. Als Tanja wieder im Camp ist stellt sich heraus warum Bilgee gestern Abend nicht mehr gekommen ist. „Sein Schamane hat ihm die Reise verboten. Es war ein undenkbar schlechter Zeitpunkt um aufs Land zu fahren. Auch heute soll er erst ab 12:00 Uhr sein Heim verlassen. Als ich ihm erzählte du seist schon mit dem Abbau des Camps beschäftigt bat er mich unbedingt auf ihn zu warten“, berichtet Tanja. „Ein schlechter Reisetag?“, erwidere ich. „Ja, klang nicht so als wäre das eine Ausrede.“ „Okay, dann warten wir auf ihn. Für einen Aufbruch ist es dann allerdings zu spät. Aber auf einen Tag hin oder her kommt es nicht an“, sage ich und schleppe die bereits gepackten Seesäcke wieder ins Zelt.

Während wir auf Bilgee warten klappert ein Kleinlaster vorbei. Boldoo, Bilgees Freund, steigt aus und und bittet uns ebenfalls auf Bilgee zu warten. „Er wird in einer halben Stunde da sein“, ist er überzeugt. Anscheinend hat Bilgee wirkliche Bedenken wir könnten ohne auf ihn zu warten aufbrechen“, meint Tanja. „Sieht so aus. Er wird sich an Mörön erinnern. Dort nahmen wir seine Verspätung nicht wohlwollend hin was letztendlich dazu führte ohne ihn weiterzureiten“, überlege ich.

Wir unterhalten uns noch eine Weile mit Boldoo. „Unglaublich. Ich kann ja mit euch sprechen“, sagt er verwundert. „Aber ja“, antwortet Tanja. „Na letztes Jahr konntet ihr kein Wort und jetzt ist eine Kommunikation möglich. Fantastisch, ihr habt viel gelernt“, lobt er uns lachend. Dann steigt er gut gelaunt in seinen Lastwagen und fährt davon. Kaum ist der Motorenlärm vom Muhen der Kühe verschluckt, erscheint ein Reiter mit seinem kleinen Sohn. Er setzt sich ins Vorzelt. Tanja reicht ihm Süßigkeiten und einen Becher Tee. „Ich hörte ihr wollt eure Pferde verkaufen?“, fragt er. „Ja“, antworte ich und wundere mich wie die Trommeln der Steppe funktionieren. „Ich zahle für die Stute und das Fohlen 400.000 Tugrik. (242,- €) „Unter 450.000 Tugrik (272,- €) werden wir sie nicht verkaufen. Aber wir denken über dein Angebot nach“, entgegne ich worauf er und sein etwa zehnjähriger Junge sich wieder aufs Pferd schwingen und davon galoppieren. „Ob 400.000 Tugrik ein fairer Preis ist?“, frage ich. „Nachdem Shuree die gleiche Summe geboten hat könnte man davon ausgehen“, antwortet Tanja. „Wenn wir unsere Jungs unter dem Marktpreis anbieten werden sie sicherlich gekauft. Vielleicht sollten wir Shuree und ihrem Mann unsere Pferde für einen Gesamtpreis von 1,8 Millionen Tugrik (1090,-€) anbieten. Das wäre 360.000 Tugrik (218,- €) pro Pferd. Dieses Angebot können sie nicht ausschlagen und die kleine Herde bleibt zusammen?“, überlege ich. „Wahrscheinlich hast du Recht. Ich werde ihr eine SMS schreiben. Aber vielleicht kümmert sich Bilgee ja wirklich um den Pferdeverkauf. Er kennt sicherlich viele Menschen in diesem Tal.“

Wenig später erscheint Bilgee mit Tzolaa, der Tochter einer seiner fünf Schwestern. Sie bringen uns zwei Dosen Fisch, zwei Tüten mongolische Kekse, Brot und Wurst. „Weil unsere Lebensmittelvorräte nahezu aufgebraucht sind freuen wir uns sehr. „Was bekommt ihr dafür?“, frage ich. „Nichts“, antworten Beide wie aus einem Mund. Im Verlauf des Gespräches stellt sich heraus, dass sich Bilgee tatsächlich um den Verkauf der Pferde kümmern möchte. „Ihr solltet nicht weiter reiten. Hier ist ein guter Ort um die Expedition zu beenden. 500.000 Tugrik (303,- ) pro Pferd können wir sicherlich bekommen. Es wird nicht all zu lange dauern und wir haben sie verkauft. Wenn wir etwas zu Essen benötigen rufen wir einen meiner Verwandten in Erdenet an. Sie werden es uns umgehend bringen also haben wir auch kein Problem mit dem Nahrungsnachschub falls nötig“, schlägt Bilgee vor. „Wir? Heißt das du bleibst bei uns?“, frage ich. „Aber ja. Ansonsten kann ich euch doch nicht beim Verkauf helfen. Außerdem werde ich euch beim nächtlichen Pferdebeaufsichtigen unterstützen. Ihr seid bestimmt müde und benötigt Rast.“ „Ja, die brauchen wir dringend“, antworte ich mich über sein Angebot sehr freuend. „Ihr wart schnell?“ „19 Tage inklusive der Rastcamps. Reine Reittage benötigten wir allerdings nur zehn“, antworte ich. „Ein Durchschnitt von 40 Reitkilometer am Tag. Mit all dem Gepäck eine super Leistung“, lobt Bilgee. „Ohne Pferdewagen kein Problem. Eigentlich wollten wir uns mehr Zeit lassen aber das Thermometer ist in den vergangenen Nächten bis acht Grad unter Null gefallen. Hatten keine Lust auf einen Wintereinbruch.“ „Kann ich verstehen. Nun, was hältst du davon wenn einer von euch mit Tzolaa in die Stadt fährt, um Lebensmittel einzukaufen?“ „Fährt Tzolaa denn danach wieder hier raus?“, fragt Tanja. „Aber ja.“ „Oh, wunderbar. Dann gehe ich. Denis du kannst ja in der Zwischenzeit wieder das Zelt einrichten“, schlägt sie vor. „Du solltest wegen deinem Fuß einen Arzt aufsuchen. Er sieht wirklich nicht gut aus.“ „Ein Arzt kann mir jetzt auch nicht helfen“, antwortet Tanja Bilgees Vorschlag ignorierend. Wenige Minuten später verlässt Tzolaas kleines Auto unser Lager.

Während ich die Zeit nutze, um das Zelt erneut einzurichten und ein wenig zu schreiben baut Bilgee ein Gestell für unseren Wassersack. Wie immer ist er sehr eifrig und fleißig. Interessanter Weise ist er auch nicht im geringsten beleidigt weil wir ihm in Mörön anstatt 10.000 Tugrik (6,- €) pro Tag nur 5.000 Tugrik (3,- €) plus Nahrung für ihn und seine Kinder angeboten hatten. Dies war der eigentliche Grund warum er nicht gekommen ist. Für unsere Reise war seine Entscheidung sehr wichtig, hat seine Abwesenheit uns gezeigt ohne fremde Hilfe gut zurechtzukommen. Ganz im Gegenteil genossen wir das Alleinsein in vollen Zügen.

Drei Stunden später ist Tanja wieder im Camp. „Man sollte nie hungrig einkaufen“, sagt sie Verpflegung für 180.000 Tugrik (109,- €) ins Zelt tragend. „Als wärst du am Verhungern gewesen“, schüttle ich den Kopf. „War ich auch. Tagein tagaus immer das Gleiche.“ „Da muss ich dir allerdings Recht geben. Hast du auch Bier und Nüsse gekauft?“ „Wie könnte ich das vergessen.“ „Wunderbar. Dann feiern wir heute unsere erfolgreiche Ankunft?“ „Das sollten wir. Nachdem Bilgee meint dieses Tal sei für den Verkauf unserer Pferde optimal werden wir nicht weiterziehen. Das heißt hier ist unser Ankunftscamp“, sagt Tanja. „Vor einem Jahr sind wir von hier aufgebrochen“, erinnert Bilgee. „Genau genommen vor einem Jahr und einem Tag“, antworte ich. „Es war ein sehr ereignisreiches Jahr. Wir haben viel erlebt“, meint Bilgee nachdenklich. Tanja schlichtet indes verschiedene Sorten von mongolischen Keksen, Brot, eingeweckte Gurken, Kaffee, Milch, Bonbons, Schokolade, Fleisch, Nudeln usw. auf eine Folie am Boden. Nur der Anblick der verschiedenen Leckereien lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Hemmungslos essen wir von allem, trinken dazu Bier und naschen Erdnüsse. „Irgendwie eigenartig so plötzlich am Ziel zu sein“, sagt Tanja. „Na plötzlich ist übertrieben“, antworte ich grinsend. „Richtig. Trotzdem dachten wir noch ein oder zwei Tage länger zu benötigen.“ „Wir dürfen den Verkauf der Pferde und die gesamte Organisation die hinter der Expeditionsauflösung steckt nicht vergessen. Erst wenn wir das gut gemeistert haben ist die Reise für mich erfolgreich beendet“, sage ich. „Stimmt, aber wir haben es geschafft. Das kann keiner mehr bestreiten. Wir haben es trotz aller Herausforderungen und hingegen der Aussagen vieler Einheimischer geschafft unsere Pferde gesund und munter zum Zielpunkt zu bringen. Das ist doch großartig.“ „Das ist richtig. Es ist großartig. Einfach fantastisch. Wenn wir jetzt noch ein gutes Zuhause für unsere Pferdefamilie finden bin ich vollends zufrieden.“

Weil heute uns ein wolkenloser Sternenhimmel vergönnt ist legt sich Tanja mit ihrer Isomatte vor das Zelt. „Ich möchte diesen Anblick noch solange wie möglich genießen“, sagt sie.

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