Wahre Freunde sind mehr wert als alles Geld der Welt – Opfer der Flammen – Sattelbau
N 49°42'773'' E 100°11'497''Tag: 364-370
Sonnenaufgang:
05:36/05:44
Sonnenuntergang:
21:14/21:06
Gesamtkilometer:
1722
Bodenbeschaffenheit:
Gras
Temperatur – Tag (Maximum):
25 °C/30 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
14 °C/20 °C
Temperatur – Nacht:
6 °C/10 °C
Breitengrad:
49°42’773“
Längengrad:
100°11’497“
Maximale Höhe:
1492 m über dem Meef
Wie es zu erwarten war hat Bilgee tatsächlich abgesagt. Laut Togtokh ist er aus allen Wolken gefallen als er von seiner Gehaltskürzung hörte. Dabei spielte es auch keine Rolle, dass wir die Kost während des gesamten Trips für ihn und seine Kinder übernommen hätten. Natürlich wusste er nicht von den Geschenken die wir ihm am Ende der Reise sehr gerne überreicht hätten. Alleine das Zelt, in dem er während der Trips schlief und welches er mochte und für seine Jagdausflüge mit Begeisterung genutzt hätte, wäre mehr als das Doppelte seines Lohnes gewesen. Einige der wichtigen und teuren Ausrüstungsgegenstände wie Stirnlampe, Gummi- und Winterstiefel, Töpfe, Eimer, Tassen, Wok, Kanister, Blechboxen usw. hätten wir ihn mit Freuden überreicht. Aus Freundschaft und Dankbarkeit. Nun, die Gier hat wiedereinmal gesiegt. Und es ist gut seine wahre Motivation herausgefunden zu haben.
Bilgee wird indes in die Berge gehen und mit seinen Kindern Wildbeeren pflücken. „Wenn ich daraus Marmelade koche und diese an der Straße verkaufe verdiene ich viel mehr als bei euch“, waren seine für uns ernüchternden Worte. Nachdem wir sechs Monate eng zusammengelebt hatten, durch ein hartes Land bei extremen Wetter geritten sind, geradezu unendlich viel erlebten, dachten wir es hätte sich eine Freundschaft entwickelt die über Geld hinaus reicht. Die Reise mit seinen Kindern wäre ein Geben und Nehmen gewesen. Eine Urlaubsreise die sicherlich ein schöner Abschied hätte sein können. Aber das Geld hat letztendlich entschieden. Wir sind ihm deswegen nicht böse, allenfalls enttäuscht, denn Geld entscheidet nicht nur in der Mongolei sondern auf der gesamten Welt, in allen Lebenslagen und sozialen Schichten. Uns zeigt es wiedereinmal wie wichtig Freunde sind die zu einem halten und helfen aus der Lust des Helfens heraus. Freunde die nicht Geld orientiert denken. Wer solche Freunde hat kann sich glücklich schätzen, denn sie sind mehr wert als alles Geld der Welt. Während unserer Reisen fanden wir, egal welche Hautfarbe und Rasse, schon öfter solche wahren Schätze der Menschheit. Einige davon leben in Deutschland andere in fernen Ländern mit denen wir noch immer in Kontakt stehen. Obwohl wir uns viel Mühe gaben hat sich nach jetzt einem Jahr in der Mongolei solch eine Freundschaft nicht entwickelt. Schade, aber noch sind wir hier und noch kann das Wunder geschehen. Dessen ungeachtet sind wir nicht nur hier um Freunde zu gewinnen. Das wäre oder ist eine wunderbare Nebenerscheinung des Reisens und des Lebens. Hauptsächlich aber sind wir hier, um das Land in allen Bereichen zu erleben, für uns zu erforschen und zu erfahren. Dazu gehört auch die atemberaubende, einmalig schöne Landschaft mit ihren wirklich extremen Witterungsverhältnissen und natürlich seine Bewohner. Der Mix aus allem verschafft uns den Eindruck und den Einblick in ein Land.
Abends hält plötzlich ein russischer Four-Gun (Allradbus) vor unserem Zelt. Wir sind freudig überrascht Roelof begrüßen zu können. Roelof trafen wir vor einem knappen Jahr als wir mit unseren Pferden Erdenet verließen. Er war mit einem Jeep und einem Touristen unterwegs und konnte kaum glauben auf Ausländer zu treffen die sich auf dem Weg zur Taiga befanden, um dort den Winter mit den Tuwa zu verbringen. Weil er uns während des kurzen Gespräches sehr sympathisch erschien hielt Tanja losen SMS- Kontakt. Erst gestern schrieb sie ihn wieder und fragte wo er sich gerade befindet. „Ich bin in Mörön.“ „Oh, unser Camp liegt nur ca. 10 Kilometer vor der Stadt. Wenn du Lust hast würden wir uns über einen Besuch sehr freuen“, lud ihn Tanja ein. Nun sitzt er mit zwei holländischen Touristen und zwei mongolischen hübschen Mädchen namens Munhzul und Nyamargal, die sich selbst Zulaa und Njamka nennen, vor unserem Zelt. Wir unterhalten uns angeregt und berichten grob von den Erlebnissen des vergangenen Jahres.
„Macht euch nicht zu viele Gedanken. Euch hat man ein Pferd gestohlen mir ein Auto“, erzählt er lachend. „Ein Auto? Wie das denn?“, frage ich. „Ich hatte einen lieben, zuverlässigen Fahrer der schon seit einem Jahr für mich arbeitete. Wegen meinem Touristengeschäft benötigte ich einen eigenen Four-Gun. Ich gab meinem Fahrer 7.000 € um einen Gebrauchten zu kaufen. Er beschaffte nicht nur einen sondern zwei. Der Hammer war, er meldete einen der beiden Busse auf seinen Namen an. So erschlich er sich also einen Four-Gun und verließ ohne ein Wort der Verabschiedung meine kleine Firma. Weil ich ihm voll und ganz vertraute gab ich ihm das Geld ohne Quittung. Ich hatte nichts gegen ihn in der Hand. Ein Jahr später rief er mich wieder an und fragte, so als wäre nie etwas vorgefallen, ob ich einen Job für ihn hätte.“ „Was? Ist ja unglaublich.“ „Eigentlich nicht. Das ist die Mongolei. Man betrügt dich, zieht dich über den Tisch und ist nicht nachtragend.“ „Na klar ist er nicht nachtragend. Er war ja der Übeltäter“, wende ich entrüstet ein. „Schon aber hier ist eben alles anders. Mittlerweile kaufe ich keine Autos mehr sondern miete sie. Das ist sicherer. Allerdings kann es geschehen, dass ein Fahrer am Abend vor der Rundreise ohne Begründung absagt. Ist schon mehrfach vorgefallen und bringt mich jedes Mal in große Schwierigkeiten.“ „Und du willst trotzdem weiter hier leben?“, fragt Tanja. „Ich bin mit einer Mongolin verheiratet. Ihre Familie beginnt zwar auch schon uns auszunutzen aber bisher habe ich es noch unter Kontrolle. Ich weiß nicht was die Zukunft bringen wird. Wir werden sehen“, antwortet der Holländer frohen Mutes. „Wie meinst du das mit der Familie?“, frage ich. Ach, viele Ausländer die hier leben ernähren nicht nur ihre Frau und Kinder sondern den gesamten Clan. Früher oder später möchte jeder etwas von dir.
Ein Freund von mir wollte in Ulan Bator holländischen Käse verkaufen.“ „Sicherlich eine Marktlücke“, unterbreche ich an das einseitige Nahrungsangebot des Landes denkend. „Absolut. Nun, mein Freund besaß mehrere Kühe und produzierte tatsächlich fantastischen Käse. Inzwischen sind seine Kühe und sein Geld fort. Er versteckt sich vor der geldgierigen Familie in einer kleinen Mietwohnung in Ulan Bator.“
Opfer der Flammen
An diesem Abend lachen wir viel. Der Besuch ist eine angenehme Abwechslung für uns. Vor allem mal auf Menschen aus dem gleichen Kulturkreis zu treffen die uns verstehen. Im Verlauf der angeregten Unterhaltung stellt sich heraus, dass Njamka, die ab und zu für Roelof arbeitet, von unserem Mogi recht angetan ist. „Wir suchen schon seit Monaten nach einem guten Heim für ihn. Einen Platz an dem es ihm gut geht“, sagt Tanja. „Ich würde ihn sehr gerne nehmen. Meine Mutter besitzt zwar einen Hund, sie möchte aber einen zweiten Wachhund weil sie öfter alleine ist“, erzählt die studierte Sportlehrerin. „Oh prima. Wenn es dir recht ist komme ich euch in den nächsten Tagen besuchen und sehe mir euer Heim an?“ „Ich würde mich sehr über deinen Besuch freuen“, antwortet sie.
Wir erfahren das Roelof vor kurzem für Njamkas Mutter eine neue Hütte gebaut und eingerichtet hat weil diese vor wenigen Monaten völlig abbrannte. „Wow, eine großmütig Tat“, sage ich. „Ich wollte von Roelof immer einen Laptop. Lag ihm damit schon lange in den Ohren. Endlich war er bereit mir einen zu kaufen als ich von Mutters Unglück hörte. Ich benötige keinen Laptop mehr. Ich brauche eine Haus für meine Mama. Sie ist obdachlos, weinte ich weswegen uns Roelof spontan ein neues Heim errichtete und uns damit vor dem völligen Ruin rettete“, erzählt die junge Frau Roelof anstrahlend. „Hat nur eine Woche gedauert“, wirft Roelof ein. „Nur eine Woche?“, fragt Tanja. „Ja. Ich bin gelernter Zimmermann und Schreiner. Die Mädels haben kräftig geholfen. Es ist eine ca. 20 Quadratmeter kleine Hütte aber ich denke die Familie kommt damit durch den Winter.“ „Sicherlich“, meint Njamka. „Du musst alles abarbeiten“, scherzt der Holländer lachend. „Ich arbeite sehr gerne für dich und werde nie vergessen was du für meine Familie getan hast,“ sagt sie mit solch Dankbarkeit in der Stimme das mir das Herz weich wird.
„Was hat denn das Haus gekostet?“, interessiert es mich. „Mit der Einrichtung ca. 5 Millionen Tugrik (3.030 €). Aber es ist noch nicht fertig. Bevor der Winter kommt müssen wir noch einiges daran verbessern“, meint Roelof. „Also muss Njamka mindestens ein Jahr für dich arbeiten?“ „Na so eng sehen wir das nicht“, lacht er antwortend. „Was war denn die Brandursache? Habt ihr das herausgefunden?“ „Ja, es war eine elektrische Heizplatte. Vermutlich ein Kurzschluss im Kabel. Meine Mutter war nicht Zuhause als es geschah. Sie kaufte auf dem Markt ein. Als sie zurückkam stand unser Haus in Flammen. Wir konnten nichts retten. Auch die Instrumente meiner Mutter wie Gitarre, Pferdekopfgeige Ziehahrmonika sind ein Opfer der Flammen geworden. Also ehrlich, ohne Roelof hätten wir nicht gewusst wie es weitergehen soll. Selbst eine Gitarre hat er gekauft so das Badamsuren wieder Musizieren kann. Das ist wirklich wichtig für sie“, erzählt Njamka.
„Was arbeitest du denn für Roelof?“, frage ich. „In ein paar Tagen gehen wir auf eine dreiwöchige Rundreise. Es sind Kunden aus Holland von mir. Sie haben drei Kinder zwischen zehn und dreizehn Jahren die ebenfalls mitkommen. Um etwas mehr Freiheit zu besitzen und auch mal ein Kloster besichtigen zu können wird Njamka im Camp bleiben und die Kleinen beaufsichtigen. Sie kann sehr gut mit Kindern umgehen. Ich bin froh sie für diese Aufgabe zu haben“, erklärt Roelof weil Njamka nicht so gut Englisch spricht.
Sattelbau
Weil Bilgee jetzt tatsächlich nicht mehr kommt werden wir nicht wie geplant mit unserem Pferdewagen weiterreisen sondern die 400 Kilometer bis Erdenet mit Packpferden unterwegs sein. Da aber unsere Pferde von den Sätteln Druckstellen bekamen sind wir gezwungen die Reise umzuorganisieren und vier Sättel auszutauschen. Eine zeitaufwendige, arbeitsintensive Sache.
Tanja kommt abends von Mörön zurück und hat ein mongolisches, aus Holz gefertigtes, Sattelgestell mitgebracht. Skeptisch betrachte ich mir das Ding. Auch unser Nachbar Ilchelaugsuren verkauft uns sein altes Sattelgestell. Weil er seine Tiere seit einigen Jahren mit den Moped zusammentreibt braucht er es nicht mehr und überlässt uns das vergammelte Teil für 20.000 Tugrik. (12,-€). Njamka und ihre Mutter Badamsuren lassen auf dem Markt von Mörön eine Anfrage nach einem russischen Sattel durchsagen. Russische Sättel sind etwas bequemer als mongolische Holzsättel. Ihr Gestell besteht aus zwei Holzplatten die an zwei Eisenbügeln geschraubt sind. Darauf ruht ein Sitzkissen. Solch ein Sattel kommt aus längst vergessener Zeit, ist in der Mongolei aber bis heute das Non plus Ultra. Obwohl es kaum möglich ist in der Region um Mörön gebrauchte russische Sättel zu ergattern wird die Durchsage auf dem Markt gehört.
Njamka, ihre Schwester Zulaa und Mutter Badamsuren tauchen bei uns im Camp unverhofft mit einem Minibus auf. Sie bringen einen alten Hirten mit der uns seinen russischen Sattel verkaufen möchte. Wir nutzen die Zeit, um Mogi und Badamsuren miteinander bekannt zu machen. Ohne Frage ist das Treffen Liebe auf dem ersten Blick. Badamsuren nimmt ein Keks in den Mund, wirft sich auf den Boden und streckt ihr Gesicht unserem Hund hin. Mogi kann nicht glauben was ihm da geboten wird und reißt den Keks ungestüm aus ihren Lippen. Zur allgemeinen Begeisterung wiederholt die Frau das Spiel einige Mal. „Er mag mich“, sagt sie triumphierend. Ich möchte ihre Freude nicht trüben, daher verkneife ich mir zu sagen; Mogi mag alle Menschen die ihm zu Fressen geben, vor allem wenn es Kekse sind.
Die kommenden Tage bin ich damit beschäftigt die Sattelgestelle mit neuen Riemen zu bestücken. Auch diese gibt es nicht mit Schließe, Schnalle und Löchern fertig zu kaufen, sondern müssen einzeln angefertigt werden. Um die Löcher in die Bänder zu bekommen erhitze ich einen Nagel auf unseren Kocher, packe diesen mit der Zange und brenne sie somit hinein. Die Hände bohren, schleifen und binden was das Zeug hält. Um die Holzgestelle auch ergonomisch an die Pferderücken anzupassen müssen sie mit der Holzfeile in Form gebracht werden. Die Rücken von Sar, Tenger und Bor dienen als Vorlage. Immer wenn es von Nöten ist setze ich die Feile erneut an, um nachzuarbeiten. Es ist eine anstrengende aber befriedigende Arbeit.
Parallel dazu versuchen wir unseren Pferdewagen an den Mann zu bringen. Bisher ohne Erfolg. Saraa meint die Menschen besitzen nach dem Naadam kein Geld mehr. „Einer gibt es aus dem Anderen springt es in die Tasche. Geld ist immer vorhanden. Es fließt von links nach rechts. Wenn jemand solch einen Wagen braucht wird er sich schon finden lassen“, antworte ich zuversichtlich. Unser Nachbar Ilchelaugsuren bietet anstatt der gewollten 650.000 Tugrik (394,- €) 200.000 bis 250.000 Tugrik.(121,- € bis 152,- €) Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“, meint Tanja und möchte den Wagen wenige Tage später für den Spottpreis abgeben. Leider hat es sich Ilchelaugsuren nach mongolischer Art nun anders überlegt und möchte ihn nicht mehr kaufen.
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