Einsam – Blizzard
N 51°39'155'' E 099°21'977''Tag: 306
Sonnenaufgang:
05:16
Sonnenuntergang:
21:22
Gesamtkilometer:
1361
Bodenbeschaffenheit:
Eis, Schnee
Temperatur – Tag (Maximum):
15°C
Temperatur – Tag (Minimum):
5°C
Temperatur – Nacht:
minus 9°C
Breitengrad:
51°39’155“
Längengrad:
099°21’977“
Maximale Höhe:
1858 m über dem Meer
Seit Tanja fort ist fühle ich mich wie ein Eremit der zwar nicht in einer Höhle lebt aber in einem Tipi wohnt. Wie schon erwähnt werde ich in meinem Zelt nicht von den Tuwa besucht und habe im Gegenzug meinerseits überraschender Weise nicht das geringste Bedürfnis die Bewohner des Tals aufzusuchen. Mir ist dieses Alleinsein also recht. Und trotzdem löst dieser Zustand eine eigenwillige Empfindung in mir aus. Mir ist bewusst, dass ein absolutes Einzelgängertum der menschlichen Natur als soziales, in ständiger Kommunikation begriffenes Wesen widerspricht. Wenn Tanja da ist reden wir sehr viel über unsere Erlebnisse, von den Menschen mit denen wir schon seit einem halben Jahr leben, über die Vergangenheit, die Zukunft und versuchen unter anderem die Frage des Lebenssinn zu klären. Wir philosophieren und analysieren. Es bereitet uns große Freude den Dingen vor allem unserer eigenen Natur auf dem Grund zu gehen. In diesen Tagen ist es aber ruhig in meinem Indianerzelt. Keine Gespräche, kein Radio, kein Fernseher, Zeitungen oder Magazine, einfach nichts beschäftigt oder bedröhnt mein Gehirn. Nur der unaufhörliche Ruf eines Kuckuck dringt durch die Zeltwand. Auch der auf dem Ofen stehende, vor sich hin siedente Teekessel, summt leise vor sich hin. Manchmal trabt eines der Rentier vorbei, um aus dem Loch hinterm Tipi meinen Urin zu saufen. Ich habe mir angewöhnt immer an der gleichen Stelle Wasser zu lassen und somit eine Rentiertränke kreiert. Anfänglich war da nur ein kleiner Busch und etwas graues Gras. Mittlerweile haben die Rentiere mit ihren Hufen eine kleine, etwa 30 Zentimeter tiefe Grube gebuddelt, welche jeden Tag ein Stückchen tiefer und weiter wird. Somit trage ich dazu bei dass die lieben Tierchen genügend Mineralstoffe und Salz bekommen.
Da ich außer meiner häuslichen Arbeit zurzeit wenig zu tun habe wird mir das Alleinsein wahrscheinlich erst richtig bewusst. Ich sitze in meinem Stuhl, blicke aus der Öffnung des Tipis auf die Berge, die mindestens genauso schön sind wie die Filmtrailer der Walt Disney Produktionen und lasse meine Gedanken fließen.
„Ist das Langeweile was ich soeben verspüre?“, kreuzt eine Eingebung mein Gehirn. Einen Augenblick denke ich darüber nach ob die gegenwärtige Empfindung mit Eintönigkeit, Monotonie und Alltäglichkeit zu tun hat. Ob ich wirklich Langeweile verspüre? Ich komme zu dem Schluss dass dem nicht so ist. Dennoch würde ich nach sechs Monaten Leben mit den Tuwa gerne weiterziehen. Bilgees Plan uns frühzeitig zu verlassen und die schlechte Pflege die man im Winter unseren Pferden angedeihen hat lassen kreuzten unsere Pläne und Vorstellungen. Dieses löste die jetzige Situation aus. Und wer weiß? Vielleicht ist es gut so?
Im Verlauf der stillen Tage fällt mein Stimmungsbarometer in den Keller weshalb ich mich lustlos, ja fast ein wenig deprimiert fühle. „Ich werde doch keine Psychose bekommen?“, erschrecke ich. Dann führe ich den Gemütszustand auf mein Eremitendasein zurück. Ich vermisse Tanja. Wie es ihr wohl gerade ergeht? Am Abend gehe ich mit meinem Satellitentelefon online, um zu prüfen ob Heinz mir eine Nachricht geschickt hat. Tatsächlich entdecke ich eine an mich als Mail weitergeleitete SMS von Tanja; „Nacht noch Tsagaan Nuur. Dauert länger als gewünscht. Morgen zurück. Ca 2 Nächte unterwegs. Viel Essen eingekauft. Halte durch! Vermisse + liebe dich.“ Augenblicklich geht es mir besser. Das liegt natürlich nicht nur an der Nachricht bald wieder etwas gescheites zu Essen zu bekommen, sondern hauptsächlich daran, dass es Tanja gut geht und sie den Ritt durch die reißenden Schmelzwasserflüsse, durch Sümpfe, über Berge und die Fahrt mit der heruntergekommen, alten kleinen Holzfähre über den Tsagaan Nuur heile überstanden hat.
Blizzard
Am Abend nimmt der bald immer währende Wind zu. Die Böen lassen die Tipiplanen erzittern und knattern. Plötzlich beginnt es heftig zu schneien. Ich gehe nach draußen, um die Holzstangen zu prüfen die auf der Plane liegen, um diese zu stabilisieren. Die Schneeflocken peitschen wie Nadelstiche in mein Gesicht. Ich befestige erneut das in den Böen flatternde Solarpanel, welches sich gelockert hat, dann eile ich wieder in den Schutz des Tipis. Mogi, der am Eingang liegt, sieht ängstlich zu mir auf. „Ist alles okay“, beruhige ich ihn. Plötzlich beginnen die Camphunde sich wie verrückt zu gebärden. Sie bellen und heulen als würde ein Bär das Camp nach leichter Beute durchstreifen. Erst denke ich nicht besonders über die Raserei der Hunde nach aber nach einigen Minuten durchfährt mich der erschreckende Gedanke ob nicht doch eines der gefährlichsten Raubtiere unserer Erde die Gunst des Sturmes nutzt, um Beute zu schlagen? Mogi verhält sich nun ebenfalls wie ein Wahnsinniger. Urplötzlich zwängt er sich durch die zugezogene Tipiöffnung, um ins Freie zu springen. Augenblicklich weht der immer stärker werdende Sturm feinste Schneeflocken ins Innere. „Bleib hier!“, brülle ich befehlend, doch Mogi nimmt von mir nicht die geringste Notiz. Sofort stürze ich ihm hinterher. Nicht ohne dabei über die große Thermoskanne zu stolpern. Im Eifer des Gefechts fällt der wichtige Ausrüstungsgegenstand um wodurch sich zwei Liter heißes Wasser über den Boden ergießen und Handschuhe, Lappen und einiges anderes überfluten. „Komm sofort wieder rein!“, brülle ich meinen Hund an der mit dem Schwanz wedelnd und bellend seine Kollegen bei dem schrecklichen Bellkonzert unterstütz. „Rein mit dir oder ich binde dich bei diesem Sauwetter draußen an den Pflock! Dort kannst du dann den Sturm stundenlang anbellen“, schimpfe ich, packe die Leine und zerre ihn wieder in das Innere. Erst jetzt bemerke ich den Saustall welche die Überschwemmung verursacht hat. „Man Mogi, jetzt darfst du schon mit mir im Zelt schlafen und was ist das Resultat? Alles unter Wasser. So ein Scheiß aber auch“, fluche ich, wische das Wasser vom Plastikboden auf und lege nasse Schuhe und Pferdedecken in die Nähe des Ofens, um sie wieder zu trocknen. Gut das ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß, dass bei dieser Aktion das Innere der Thermoskanne zu Bruch gegangen ist, weswegen wir die kommenden Tage kein heißes Wasser mehr speichern können. Hätte ich das in diesem Augenblick realisiert, hätte ich Mogi höchstwahrscheinlich den Kragen umgedreht. Dieser sieht mich jedoch mit seinen großen Augen an die eindeutig verraten wie unangenehm ihm die Situation ist. Wenige Minuten später ändert sich sein Gesichtsausdruck. „Na was siehst du mich denn jetzt so vorwurfsvoll an. Die Scheiße hast du gebaut und nicht ich“, frage ich ihn. „Wer ist über die Thermoskanne gestolpert? Du oder ich?“, scheint er mir mit seinem Winseln verstehen zu geben. „Ich bin nur deswegen darüber gefallen weil du in diesen schlimmen Sturm gesprungen bist und hinter dir das Tipi nicht geschlossen hast“, antworte ich noch immer ärgerlich, worauf er kommentarlos seinen Kopf zwischen seinen Vorderbeine vergräbt.
Mittlerweile weht der feine Schnee durch den Rauchabzug des Tipis in mein Reich, um alles zu bestäuben. Durch die Wärme schmilzt das gefrorenen Wasser sofort wodurch es nass wird. Auch, oder ich sollte besser sagen, gerade meine Schlafstelle wird von dem eindringenden Weiß überzogen. Ich bin nun gezwungen den Schlafsack vom Ofen wegzurücken, um ihn am Ende der Schlafstelle auszubreiten. Aber selbst da weht der Schnee hin und taut augenblicklich auf. Unterdessen hämmern die Böen derart heftig gegen das Tipi, dass ich glaube es könnte jeden Moment zusammenbrechen. Der Schnee dringt nun durch jede Ritze ins Innere das jeglicher Spaß, sollte es überhaupt spaßig gewesen sein, ein Ende findet. Nun nervös geworden checke ich mit der Taschenlampe die Zeltbahn auf Risse. In der Tat hat der Sturm die Planen an einigen Stellen verschoben oder verrutscht. Ich erhebe mich und bringe sie wieder in Position. Dabei fällt mein Blick auf einen Teil der sensiblen Elektronik, die auf Bilgees Bett liegt. Sie ist ebenfalls mit einer leichten weißen Schicht überzogen. Sofort trockne ich die Netzteil und Ladegeräte mit einem Geschirrtuch ab und verpacke sie in wasserdichte Taschen. Dann lege ich mich wieder auf meinen Schlafsack und blicke nach oben auf die offene Dachkrone durch die der Sturm mit seinen eisigen, unheimlichen Händen nach mir zu greifen scheint. Manche der Böen treffen mit Windstärke neun bis zehn (75 bis 100 km/h) gegen das ächzende Zelt. Es kann nicht mehr lange dauern bis die Plastikplane, die wir über den Eingang als Lichtfang eingebaut haben, einfach zerfetzt wird. Ernsthaft besorgt leuchte ich nun alle paar Minuten mit meiner Stirnlampe umher, um eventuell entstehende Risse im Frühstadium zu erkennen. Sollte sich der Wind durch ein entstehendes Loch drücken würde sich das Tipi in Sekundenbruchteilen wie ein Ballon aufblasen und vom Wind weggerissen werden.
Es knattert und trommelt ohrenbetäubend laut. Mogi sieht verängstigt aus. „Ist schon gut. Sollte der Laden hier zusammenbrechen oder wegfliegen fliehen wir in unsere Zelt“, beruhige ich ihn. Kaum ist mir der Gedanke unseres Zeltes durch den Kopf gegangen erschrecke ich, springe von meiner Bettstatt auf, eile zur Tür, öffne den Stoff und leuchte mit der Stirnlampe durch das dichte Schneetreiben nach draußen. „Gott sei Dank“, sage ich leise als ich erkenne das unser Stoffhaus bisher dem Sturm trotz. Schnell schließe ich wieder den Türstoff, eigentlich eine unserer Pferdedecken die wir dafür zweckentfremdet haben, und schlüpfe in meinen Schlafsack. Aber selbst an die Außenwand des Tipis gerückt werde ich vom eindringenden Schnee benetzt. Es kann nicht lange dauern und der Schlafsack wird von Nässe durchdrungen sein. Bald verzweifelt blicke ich mich um ob ich irgendetwas finde mit dem ich mich zusätzlich schützen kann. Dann fällt mein Blick auf eine blaue Plastikfolie auf der Tanjas Sachen liegen. Sofort zerre ich sie hervor und bedecke damit die Bettstatt und meinen Schlafsack. „Jetzt werde ich trocken bleiben“, denke ich mir zufrieden und versuche trotz des tosenden Blizzard Schlaf zu finden. Wegen dem Lärm falle ich von einem Kurzschlaf in den anderen. Immer wieder prüfe ich die Zeltwand. Mittlerweile ist im Tipi alles weiß. Selbst Mogi ist mit Schnee bedeckt. Die Zeltbahn und Stangen halten jedoch durch. Das Getöse geht die gesamte Nacht und endet erst am kommenden Vormittag. Am Morgen erfahren ich, dass es in der vergangenen Nacht einige Tipis der Tuwa abgedeckt und kaum jemand der Talbewohner ein Auge zugetan hat.
Tanja erzählt mir später, dass sie und Bilgee am Abend vor dem Blizzard noch Tsagaan Nuur verlassen hatten. „Es dauerte nicht lange bis wir bemerkten dass da etwas Heftiges aufzieht. Bilgee meinte wir brauchen einen vom Wind geschützten Platz für die Nacht. Wir ritten bis 22:00 Uhr nachts und fanden in einem Tal tatsächlich einen geschützten Flecken für unser Zelt. Wir sind gerade eingeschlafen als das Inferno über uns ausbrach. Das Zelt hat derart gewackelt, dass ich glaubte es wird einfach zerrissen. Schnee drang durch die Belüftungsschlitze ins Innere und taute durch unsere Körperwärme sofort. Dummer Weise vergasen wir die Schlitze zu schließen weshalb der Schnee sich seinen Weg ins Innere bahnen konnte. Es war eine schlimme Nacht. Um ca. 1:00 Uhr bin ich mal raus um Naraa eine Decke überzuziehen und Tuyas Mäntelchen, welches verrutscht war, zurechtzurücken. Ich sage dir, man konnte vor lauter Schnee kaum seine eigene Hand vor Augen sehen. Wirklich ein übler Sturm. Am kommenden Morgen war unser Vorzelt voller Schnee und die Ausrüstung darunter begraben. Und das Ende Mai. Stell dir das vor. Ein wirklich hartes Land“, berichtete sie.
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