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Mongolei/Tuwa Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Ankunft und Hiobsbotschaft

N 51°39'155'' E 099°21'977''
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    Tag: 284

    Sonnenaufgang:
    05:49

    Sonnenuntergang:
    20:49

    Gesamtkilometer:
    1361

    Bodenbeschaffenheit:
    Eis, Schnee

    Temperatur – Tag (Maximum):
    20°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    12°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 8°C

    Breitengrad:
    51°39’155“

    Längengrad:
    099°21’977“

    Maximale Höhe:
    1858 m über dem Meer

Ich warte noch immer auf Tanja und Bilgee. Eigentlich wollten sie gestern wieder hier sein. Obwohl mir völlig bewusst ist das Zeit in dieser Region der Welt relativ ist und es tausend erklärbare Gründe für Verspätungen gibt, beginnt mein Gedankenapparat zu arbeiten. Gestern versuchten die Tuwa mich aufzuziehen indem sie sagten; „Ich habe Tanja und Bilgee gesehen wie sie in Richtung Renchinlkhumbe geritten sind. Ha, ha, ha“, lachten alle herzhaft und beobachteten mich ob dieser Witz eine Regung in mein Gesicht zeichnet. Die Tuwa machen gerne Scherze auf kosten anderer. Natürlich hat mich ihr Schabernack nicht berührt. Und trotzdem denke ich an den Fluss den Bilgee und ich überquerten. Vor Tagen war er noch zugefroren. Mittlerweile aber dürfte es schwierig sein mit schwer beladenen Packpferden und einem Fohlen darüber zu gelangen. „Was soll schon geschehen?“, hat Tsayaa gestern gefragt. „Nun, euer Verwandte kam bei einem Jagdtrip ganz unerwartet in einer Lawine um und immer wieder fällt ein Reiter vom Pferd. Man weiß nie was das Schicksal einem in der Wildnis offeriert“, antwortete ich nachdenklich.

Um 13:00 Uhr höre ich Hundegebell. Sofort springe ich auf. Sie kommen. „Man bin ich erleichtert dich zu sehen. Ich liebe dich“, sage ich und nehme Tanja in die Arme. Augenblicke später helfe ich beim Abladen der Pferde. Frage ob alles glatt gelaufen ist. „Alles klar. Keine Probleme. War ein guter Trip. Eigentlich wären wir schon gestern dagewesen. Aber da war der reißende Fluss den wir nicht überqueren konnten. Da es wegen großen Grasbuckeln keine Möglichkeit gab unser Zelt zu errichten mussten wir die gesamte Strecke zurück. An einer etwas besseren Stelle schlugen wir unser Lager auf. Weil das Eis nicht mehr richtig getragen hat nutzten wir noch am gleichen Abend die Zeit, um erstmals ohne Packpferde darüber zu reiten. Wir ließen unsere Pferde im Stand so lange treten bis das Eis völlig brach. So konnten wir sehen wie tief das Wasser war. Da es reißend und über einen Meter Tiefe besaß hätten wir Tuya unmöglich durchlaufen lassen können. Den armen Kerl hätte es einfach weggerissen. Bilgee schlug vor am kommenden Morgen Tuya in den Armen haltend über den Fluss zu reiten. Heute Früh war der Pegel aber Gott sei Dank gesunken. Das Wasser reichte den Pferden nur noch bis zum Bauch. Tuya ist mutig seiner Mama gefolgt und kam gut durch“, berichtet Tanja. „Also geht es unserem Fohlen gut?“, frage ich. „Nun ja. Er hat Durchfall. Naraa besitzt nicht genügend Milch. Das Gras ist in diesen Höhenlagen und bei dem Nachtfrost zu schlecht. Sie kann keine Kraft aufbauen. Deswegen beginnt Tuya schon Schnee und Gras zu fressen. Wir denken das ist zu früh für ihn und haben ihn etwa Mehl gekocht in das wir ein paar Löffel Zucker und etwas Olivenöl hineinmischten. Vielleicht hat er den Durchfall deswegen? Ich weiß es nicht. Das Problem ist einfach das er zu wenig Muttermilch bekommt und die Zitzen von Naraa bereits wund gebissen hat.“ „Hm, na hoffentlich bekommen wir das in den Griff?“, sage ich nachdenklich beim Entladen der Pferde helfend.

Wenig später befinden wir uns bei ca. 18 Grad in der Sonne vor dem Zelt. Tanja erzählt von ihren Erlebnissen der letzten Tage. „Übrigens steht das Wintercamp unter Wasser. Ich musste die Holzbretter als Boden in das Tipi legen da alles im Matsch versank. Der Aufbruch ins Frühjahrscamp war gerade zum richtigen Zeitpunkt. Im Augenblick wäre ein Leben dort sehr schwierig. Am zweiten Tag eurer Abwesenheit tauchte plötzlich eine Gruppe Männer auf. Die meisten in Uniform. Es stellte sich heraus, dass es eine Spezialeinheit war.“ Eine Spezialeinheit?“, frage ich verwundert. „Ja, sie waren auf dem Weg das Lawinenopfer zu bergen“, erklärt Tanja. „Ach ja. Ich erinnere mich. Hadaa und Gamba sendeten 25 Rentiere von hier ins Wintercamp. Sie sprachen von einer Expedition“, sage ich. „Ja, ich traf Gambas Sohn Sansar und Hadaa mit den Tieren. Der Bruder des Verunglückten war nebenbei bemerkt auch da. Er begleitete die Spezialeinheit. Ist ein richtig netter Mensch der mich interessiert ausfragte was ich alleine in der Taiga zu suchen habe. Abends kamen fünf Männer in mein Tipi. Sie wollten alle wissen was eine Deutsche in der Wildnis tut? Ich bewirtete sie mit Tee und Boortsog. Sie waren echt begeistert. Dann fragten sie ob ich ihnen mit Öl aushelfen kann. Sie bräuchten es um ihr Abendessen zuzubereiten. Klar gab ich ihnen eine Flasche davon obwohl wir selbst nicht viel besitzen. Am darauffolgenden Morgen, kurz vor ihrem Aufbruch, schenkte mir der Bruder des Verunglückten dann zwei Tüten mit Keksen, feuchte Tücher fürs Gesicht, eine Limonade und zwei Schokoriegel. Das braucht ihr doch für eure Expedition? fragte ich.“ „Wir haben genug davon“, antwortete er. „War er wegen seinem Bruder recht geknickt?“, möchte ich wissen. „Du siehst einen Mongolen den Kummer nicht an. Ich sagte, dass es mir sehr leid tut das er diesen schweren Weg gehen zu muss. Auch wie beeindruckt wir von seinem Bruder waren. Er antwortete nicht und sah auf den Boden. Es war ein trauriger Augenblick.“

„Das Zelt hast du wirklich schön eingerichtet Denis.“ „Stand etwas im Matsch. Deswegen die Rundhölzer im Vorzelt“, erkläre ich. „Bin froh wieder bei dir zu sein“, lächelt sie. „Ich bin auch froh dich unversehrt bei mir zu wissen“, antworte ich bestens gelaunt. „Hier werden wir eine schöne Zeit verbringen. Es wird ein guter Ausklang unserer Überwinterung sein. Trotzdem freue ich mich unbändig wenn wir endlich wieder unterwegs sind. Sechs Monate Tuwa und deren harter Winter reichen mir völlig aus“, sage ich lachend. „Du Denis?“ „Ja?“, antworte ich und warte wegen ihrem Tonfall auf etwas unverhofft Unangenehmes. „Ich muss dir etwas sagen.“ „Nun schieß schon los und spann mich nicht so auf die Folter.“ Sie, geht in die Hocke und verzieht ihr Gesicht so das ein paar Tränen fließen. Ich erschrecke. „Bilgee.“ „Was ist mit Bilgee?“ „Er hat mir gestern offenbart uns in drei Wochen zu verlassen.“ „Puh, ich dachte schon es ist etwas Ernstes“, antworte ich bis mir die Tragweide ihrer Aussage langsam ins Bewusstsein sickert. „Er wird uns verlassen? Ist das dein Ernst?“ „Ja.“ „Unwiderruflich?“ „Unwiderruflich. Er lässt sich von seinem Entschluss nicht abbringen.“ „Wieso das denn?“ „Er hat einen Job angeboten bekommen den er offensichtlich nicht ausschlagen kann. Ich war gestern deswegen völlig fertig und habe lange mit ihm gesprochen. Er sagte wir seien im Oktober wieder in Deutschland und werden ihn vergessen. Dann muss er aber noch immer arbeiten. Er muss seine Kinder versorgen und kann dieses Angebot nicht absagen. Es ist anscheinend eine Anstellung die über einen längeren Zeitraum geht.“ „Und das sagt er uns in dem Moment wo wir uns am Arsch der Welt befinden?“ „So sieht es aus.“ „Ich glaube es nicht. Wie lange weiß er schon davon?“, möchte ich wissen. „Anscheinend schon lange.“ „Hier gibt es keinen Kontakt zur Außenwelt. Kein Mobilfunkontakt. Kein Auto erreicht diesen Ort. Das kann doch nicht wahr sein? Was hat er sich dabei gedacht? Er kann uns doch nicht mitten in der Wildnis mit müden Pferden, einer sehr schwachen Naraa und einem ebenfalls schwachen Fohlen sitzen lassen? Besitzt er denn kein Verantwortungsbewusstsein? Weiß er was das bedeutet?“, frage ich und werde von Minute zu Minute ärgerlicher.

Mittlerweile sind Tsaya und Ultsan da, um uns zu helfen die Zeltbahn um das Tipigerüst zu legen. Sofort spreche ich mit Tsaya und erkläre ihr die neue Situation. Tsaya übersetzt. Ich wiederhole meine Fragen so gelassen wie es nur geht. Die gleichen Antworten. Die Tragweite seines Entschlusses nun vollständig begreifend bin ich sprachlos. „Und warum hat er uns das nicht mitgeteilt als wir zusammen in Tsagaan Nuur waren? Dort hätten wir die Möglichkeit besessen angemessen darauf zu reagieren. Warum hat er es uns nichts gesagt als er noch in Erdenet war? Zu diesem Zeitpunkt hätten wir auf jeden Fall die Chance gehabt uns einen Ersatzmann zu organisieren?“, frage ich. „Nicht auf meine Frage eingehend antwortet Bilgee; „Ich habe eure Pferde von Mörön nach Tsgaan Nuur gebracht und euch geholfen die Pferde und Ausrüstung ins Frühjahrscamp zu bringen. Ich brachte euch auf den Weg.“ „Und nun lässt du uns mitten auf dem Weg sitzen. Alles ist doch auf drei Mann ausgelegt. Alleine die schwere Ausrüstung auf die Pferderücken zu laden ist eine Herausforderung. Wie sollen Tanja und ich das ohne Hilfe schaffen? Wie sollen wir nachts zu zweit auf die Pferde achten? In einem Land wo uns nahezu jeder vor Pferdediebstahl warnt? Wie sollen wir von hier wegkommen? Unsere Pferde sind doch viel zu schwach um alles auf einen Ritt zu tragen“, Reihe ich eine Frage nach der anderen aneinander. „Es gibt viele gute Pferdemänner in Tsagaan Nuur“, sagt Bilgee. „Wir sind aber nicht in Tsagaan Nuur sondern in der Taiga“, entgegne ich sachlich. „Ich werde euch nach Tsagaan Nuur bringen. Von dort nehme ich mir am nächsten Tag einen Bus nach Erdenet.“ „Und wo sollen wir auf die Schnelle einen verlässlichen Mann finden? Einen Mann der nicht über Nacht die Pferde klaut? Oder uns wieder im Stich lässt? Einen Mann der kein Trinker ist? Der Verantwortung tragen kann?“, antworte ich nur um einen kleinen Teil meiner Fragen abzufeuern. In der Zwischenzeit bin ich mir nicht mehr sicher ob Tsaya meine Fragen auch richtig übersetzt. Die Antworten passen einfach nicht. „Ich muss nach Erdenet. Vielleicht kann ich meinen neuen Arbeitgeber davon überzeugen einen Monat länger mit euch unterwegs sein zu dürfen? Wenn ja komme ich zurück“, sagt Bilgee. „Und wir sollen solange in Tsagaan Nuur warten?“ „Ja.“ „Und wer kümmert sich in dieser Zeit um die Pferde? Ich meine einer von uns beiden muss doch mit ihnen in die Berge reiten während der andere sich um die Organisation der weiteren Expedition kümmert. Soll ich Tanja alleine mit sieben Pferden in die Berge lassen? Oder soll sie sich alleine um die Organisation kümmern während ich mich um die Pferde bemühe?“ antworte ich. Jedoch komme ich zu dem Schluss das jede weitere Frage keinen Sinn ergibt. Tanja und ich lassen es im Augenblick gut sein. Ich versuche mich mit der klassischen mongolischen Situation abzufinden. Gekränkt und über alle maßen traurig, von einem Mann zu dem ich freundschaftliche Gefühle hege so unerwartet im Stich gelassen zu werden, helfe ich beim Tipiaufbau. Ich hätte jedem anderen diesen grenzenlosen Egoismus zugetraut aber nicht unserem Bilgee. Auch wenn ein Teil von mir seine Existenzangst versteht bleibt es für mich unbegreiflich was ihn dazu bewegen konnte uns seine Wahrheit erst an einem Ort zu offerieren an dem uns nicht die geringste Chance bleibt angemessen darauf zu reagieren.

Die Stimmung des restlichen Tages ist getrübt. Ich habe keine Lust mehr mit dem Mann zu reden. Bin einfach zu verletzt und weiß das dies nichts bringt außer die Situation noch schwieriger werden zu lassen. So wie es aussieht dreht sich das Personalkarussel erneut. In diesem Land gibt es einfach keine Konstante. Ständig ist alles anders. Im Land der Nomaden, im Land der Unbeständigkeit wird unaufhörlich auch der beste Plan über den Haufen geworfen.

Abends im Tipi meint Bilgee plötzlich das die Futtergründe hier in einer Woche abgegrast sind und wir mit dem großen Zelt weiterziehen müssen. Auch das noch. Selbst wenn die Tuwa ebenfalls nicht gerade verlässlich sind bedeuten sie für uns in diesem Moment den einzigen Rückhalt. Hätten wir gesunde, kräftige Pferde könnten wir überall hinziehen. Aber in dieser Situation müssen wir an einem Ort bleiben bis sich unsere Tiere erholt haben. Die Tuwa werden ihr Tal erst dann verlassen wenn der Schmelzwasserbach versiegt. Das dürfte nach Aussage von Ultsan spätestens in sechs Wochen, also ab dem 20 Juni sein. Bis dahin, so hoffen wir, sind die Pferde fit und wir wieder mobil. „Wir werden keine anderen Futtergründe aufsuchen. Das ist viel zu riskant. Was ist wenn die Pferde in drei Wochen nicht stark genug für eine Reise nach Tsagaan Nuur sind und du gehen musst? Dann sitzen wir alleine in der Wildnis. Auch das wäre kein Problem nur das in spätestens drei Wochen unsere Nahrungsmittelvorräte zu ende sind. Wie soll es dann weitergehen? Ich habe kein Gewehr um uns eine Gazelle zu schießen. Nein wir bleiben. Ich glaube hier gibt es genügend Futter für viele Monate“, sage ich worauf Bilgee schweigt.

Diese Nacht können Tanja und ich kaum schlafen. Unabhängig voneinander wälzen wir beide unser Problem. Probleme die es vor wenigen Stunden nicht gab. Als Mogi anschlägt verlässt Tanja das Zelt, um nach dem Rechten zu sehen. „Es waren die Pferde der Tuwa. Sind alles Hengste die Naraa bedrängen. Ich scheuchte sie davon“, erklärt Tanja als sie die Schlafkabine der Zeltes wieder betritt.

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