Der Aufbruch fällt schwer
N 24°05’30.9“ E 143°04’29.1“Tag: 164 Etappe Drei / Expeditionstage gesamt 555
Sonnenaufgang:
5:44
Sonnenuntergang:
18:38
Luftlinie:
25,4
Tageskilometer:
31
Temperatur - Tag (Maximum):
32° Grad, in der Sonne ca. 52°
Temperatur - Nacht:
13,9° Grad
Breitengrad:
24°05’30.9“
Längengrad:
143°04’29.1“
Mulga Fress-Camp — 27.10.2002
Nach den Rasttagen fällt es uns nicht leicht wieder um drei Uhr in der Nacht aufzustehen. Verschlafen baue ich unsere Campbetten zusammen und trage sie zu der anderen Ausrüstung die unter dem Vordach auf der Veranda liegt. „Guten Morgen,“ begrüße ich Tanja leise, die uns in der Zwischenzeit ein leckeres Müsli mit Äpfeln, Birnen und Orangen bereitet hat. Schweigend sitzen wir da und genießen die köstlichen, frischen Früchte. Im Gedanken versunken sehe ich uns in der Hitze laufen. Es sträubt sich in mir mich wieder den Strapazen aussetzen zu müssen. Die Tage hier haben zwar meinen Körper ausgeruht aber durch die viele Schreibarbeit und die noch nicht verdauten Herausforderungen der letzten Wochen ist meine Psyche nach wie vor angeschlagen. Um auch meinen Geist von den Daueranstrengungen zu erholen, bräuchte ich eine längere Rast. Mir ist bewusst, dass unser Erfolg auch davon abhängt zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidungen zu treffen. Ohne übertreiben zu wollen kann uns jede Fehlentscheidung ins Unglück stürzen. Es ist also leicht möglich durch eine kleine Unaufmerksamkeit unser Leben oder zu mindest die Expedition zu gefährden.
Ich besitze keine Zeit die alarmierenden Gedanken tiefer sinken zu lassen. Kaum ist unser Frühstück beendet laden wir unsere Ausrüstung auf die Ute und fahren sie zu den Sätteln die feinsäuberlich neben dem von uns gebauten Kamelgehege aufgereiht sind.
Noch vor Sonnenaufgang kommt Georg, um uns beim Laden zuzusehen. Routiniert klappt alles reibungslos und um 07:00 Uhr sind wir fertig zum Aufbruch. Wir verabschieden uns von Georg und verlassen Westerton in Richtung Osten. Ein paar Wolken verdecken die Sonne und sorgen somit für angenehme Temperaturen. Schnell wird der Bergzug, an dessen Fuße die Homestead liegt, kleiner. Der Weg windet sich ein paar Mal hin und her, führt über eine leichte Anhöhe und als wir uns dann umdrehen ist Westerton verschwunden. Noch vor einer Woche war diese Station unser langersehntes Ziel. Nun liegt sie hinter uns. Die Stadt Longreach ist an ihre Stelle gerückt und bedeutet für uns eine neue Herausforderung. Vor ungefähr zwei Jahren haben unsere Kamele ihre letzte Stadt gesehen. (Tagebuchgesamtübersicht vom 21.10.00 Tag 163, Etappe Eins) Seitdem sind wir über 4000 Kilometer durch Wildnis, Wüsten und Busch gelaufen. Wie sie wohl auf Roadtrains, Autos und Zivilisationslärm reagieren werden? Ob wir einen sicheren Weg um die Residenz der Menschen finden? Viele Fragen durchkreuzen unser Gehirn, doch bevor wir Longreach erreichen, müssen wir noch ca. 200 Kilometer zurücklegen.
Die Landschaft ist nach wie vor sehr trocken. Wir sehen kaum Rinder. Die meisten Farmer haben sie schon vor Monaten evakuiert und in Sicherheit gebracht. Es dauert nicht lange, bis wir wieder auf die Winton Jundah Road treffen, die hier Tonkoro Ban Ban Road genannt wird. Alle paar Kilometer versperrt uns eines der von uns gefürchteten Rindergitter (in englisch Grid genannt) den Weg. (Tagebuchgesamtübersicht vom 23.06.00 Tag 43, Etappe Eins) Zum Glück gibt es neben jedem Grid ein Tor durch welches wir unsere Kamele führen können. Insgesamt müssen wir heute fünf dieser Hindernisse umgehen.
„Da vorne ist ein Damm. Vielleicht finden wir dort etwas Grünzeug für unsere Kamele!“ ,rufe ich. Wir verlassen die Tonkoro Ban Ban Road in Richtung Damm. Als wir den Erdwall erreichen gebe ich Tanja die Führungsleine, um ihn genauer inspizieren zu können. Ein junger Stier sitzt neben dem Wasser und versucht zu fliehen. Er hat Schwierigkeiten sich zu erheben. Anscheinend war er mehrere Stunden im Schlamm gesessen, bis ihn der Farmer herauszog. Durch das Sitzen im Wasser sind seine Gelenke steif geworden, was ihm die Flucht unmöglich macht. Ich habe einen ähnlichen Fall schon mal auf Huckitta Station gesehen, wo ein junger Stier in die Tränke gefallen ist. Auch er saß für mehrere Stunden im Wasser, bis ihn Dean herausziehen konnte. „Es wird ein paar Stunden dauern. Dann werden seine Gelenke wieder durchblutet und er kann laufen,“ erklärte Dean.
Als ich mich dem Stier nähere versucht er ohne Erfolg auf seine Beine zu kommen. Um ihn nicht weiter zu verängstigen schlage ich einen großen Bogen um ihn und schreite das Ufer des Damms ab. Ich entdecke ein mit ausgedorrter Haut überzogenes Rinderskelett. Es liegt zur Hälfte im Wasser. Nur wenig weiter bläht sich der fette Körper eines Wildschweins in der Sonne. Entweder ist es ebenfalls hier stecken geblieben oder von einem Schweinejäger erschossen worden. Wegen der beiden toten Tiere entscheide ich mich unsere Kamele hier nicht zu tränken. Enttäuscht laufe ich zu Tanja zurück. Auf der Suche nach ein paar grünen Bäumen und etwas Schatten ziehen wir müde unsere Karawane weiter. Nur wenige Kilometer hinter dem Damm entdecken wir unsere geliebten Gidyeabäume, die uns in den letzten Wochen schon oft aus der Patsche geholfen haben.
Im Schatten der Bäume beziehen wir unser Camp. Dadurch, das unsere Boys die letzte Woche viel Heu gefressen haben, freuen sie sich über die Abwechslung und hauen ihre Zähne in die Gidyeas. Känguruherden besiedeln die Gegend und beobachten uns. Rufus ist völlig aus dem Häuschen und befindet sich im siebten Jagdhimmel. Wie hypnotisiert starrt er unentwegt auf seine vermeintliche Beute die in nur 50 Meter Entfernung friedlich hin und herhüpft. Wäre er nicht an der Kette, würde er wie eine nicht aufzuhaltende Rakete losschießen. Willy Willys ziehen in regelmäßigen Abständen vorbei. Feiner Staub erhebt sich in den Himmel und legt sich über uns und die Ausrüstung. Die untergehende Sonne dringt durch die trübe Wand. Das zu dieser Tageszeit immer noch grelle Licht des glühenden Sterns wird angenehm gedämpft. Sich reflektierende Strahlen blitzen verhalten durch das Geäst der Gidyeas. Vögel hüpfen in Scharen über den Boden und suchen nach Nahrung. Wir genießen die eigenwillige Stimmung, bis sich das Tageslicht mit der Dunkelheit vereint, dann machen wir uns für die Nacht fertig.