Wieder bei Ajush
N 51°21'785'' E 099°21'056''Tag: 244-245
Sonnenaufgang:
07:15/07:13
Sonnenuntergang:
19:42/19:43
Luftlinie:
23
Tageskilometer:
30
Gesamtkilometer:
1311
Bodenbeschaffenheit:
Eis, Schnee
Temperatur – Tag (Maximum):
minus 0°C
Temperatur – Tag (Minimum):
minus 2°C
Temperatur – Nacht:
minus 15°C
Breitengrad:
51°21’785“
Längengrad:
099°21’056“
Maximale Höhe:
1554 m über dem Meer
Schon am frühen Morgen sind wir recht geschäftig um alles was noch zu packen ist in Kisten und Kartons zu verstauen. „Wann wird Hohood im Camp sein?“, frage ich Tanja. „Zwischen 10:00 Uhr und 11:00 Uhr.“ „Finde ich echt klasse dass du ohne fremde Hilfe und Übersetzung telefonisch einen Fahrer in die Taiga bestellen kannst. Das Lernen hat sich gelohnt“, lobe ich. „Ich hoffe er kommt auch und er verwechselt nicht den Monat“, antwortet Tanja scherzend. Dann klingelt das Handy. „Ich bin es, Tsaya. Hohood wird sich verspäten. Es gibt wiedereinmal kein Benzin in Tsgaan Nuur. Er musste sich von Freunden und Nachbarn den Treibstoff borgen, um euch holen zu können.“ „Kein Problem. Hauptsache er erreicht heute noch das Lager“, antworte ich. „Die kaputte Zapfsäule war nicht das größte Problem. Auf dem Weg zu euch ist sein Jeep kaputt gegangen. Er hat sich jetzt ein anderes Fahrzeug von einem Bekannten ausgeliehen“, erklärt sie. „Was? Unglaublich! Na ich hoffe dem Auto fallen nicht die Reifen ab wenn es durch die Taiga holpert“, versuche ich zu scherzen. „Es wird kommen. Ach ja. Ultsan sitzt mit im Jeep. Ruf mich bitte an wenn Hohood es bis zu euch geschafft hat.“ „Warum? Sollen wir ihm etwas ausrichten?“, wundere ich mich ihr die Ankunft ihres Mannes mitteilen zu müssen. „Ich habe gerade mit ihm telefoniert. Er ist betrunken. Es kann sein, dass er wieder ins Dorf zurückkehren möchte wenn ihr aufbrecht. Das möchte ich nicht. Ich bin in wenigen Tagen in der Taiga. Bis dahin wäre es mir sehr recht wenn er nicht sein Geld im Dorf versäuft. Also lass ihn bitte nicht wieder in den Jeep steigen. Ja?“ „Mach dir keine Gedanken. Wir haben soviel Gepäck, dass sicherlich nicht mal eine Maus mehr Platz findet. Es wird ihm unmöglich sein uns nach Tsagaan Nuur zu begleiten“, beruhige ich sie.
„Sain bajtsgaana uu“, („Guten Tag“) begrüßt uns Darimaa die Jurte betretend. „Wann fahrt ihr nach Tsagaan Nuur?“, fragt sie freundlich. „Wenn Hohood da ist. Er hat Schwierigkeiten mit seinem Auto und dem Sprit aber er wird bald hier sein“, antwortet Tanja. „Ich habe ein Abschiedsgeschenk für euch“, meint sie lächelnd Tanja und mir je ein aus Horn geschnitztes Rentier überreichend. Völlig überrascht freuen wir uns über diese Aufmerksamkeit. „Hat das Ovogdorj geschnitzt?“, fragt Tanja. „Tijmee“, bejaht sie kopfnickend. „Wenn sie uns ein Geschenk gibt könnte es sein das die Menschen uns tatsächlich etwas lieb gewonnen haben“, überlegt Tanja. „Sieht so aus“, bestätige ich. Wenig später bekommen wir Besuch von Tanjas liebsten Gast, Saintsetseg, die sich ebenfalls nach unseren Reiseplänen erkundigt. Auch Purvee und selbst Tanjas Verehrer Nyam Dalai lassen sich kurz blicken, um uns eine gute Reise zu wünschen. „Wenn alles nach Plan läuft und unser Freund Bilgee rechtzeitig unsere Pferde nach Tsgaan Nuur reitet, kommen wir in drei oder vier Tagen wieder“, erklären wir, worauf sich die Campbewohner erfreut zeigen.
12:30 Uhr. Motorengeräusche vermischt mit heftigen Hundegebell kündigen unseren Jeep an. Hohood stoppt den hustenden Motor vor Gambas Blockhütte. Die Türen öffnen sich knarzend. Ultsan und ein uns unbekannter Mann torkeln massiv betrunken aus dem Fahrzeug. „Sain bajtsgaana uu“, lallt Zayas Mann bald unverständlich. Dann bricht er zusammen. „Ist das nicht Erkhenbayar?“, fragt Tanja als sie den kleinen Jungen vom Beifahrersitz herunterrutschen sieht. „Wenn die zwei Männer und der Junge wieder nach Tsgaan Nuur wollen bekomme wir unsere Ausrüstung nie in das Auto“, antworte ich auf ihre Frage nicht eingehend. „Na Ultsan wird bestimmt nicht mehr mitfahren. Das hat sich von selbst erledigt“, meint Tanja auf ihn deutend der gerade von zwei Männern an Händen und Füßen in Gambas Blockhaus getragen wird.
„Ist es euch recht wenn ich mich eine Stunde ausruhe?“, fragt Hohood. „Kein Problem antworten wir. Um 13:30 Uhr beginnt Hohood mit der Routine eines Ladeprofis zwei große und vier kleine Aluboxen, die wir auf dem Weg zum Frühjahrscamp der Tuwa unter keinen Umständen auf die Pferde laden können, in seinen kleinen Jeep zu verstauen. Zusätzlich schlichtet er mehrere große, wasserdichte Seesäcke, zwei Rucksäcke, die gesamte Technik und alle Kameras in das Auto. „Pass um Gottes Willen auf die Kameras und Laptops auf!“, mahne ich zur Vorsicht. „Asuudal bisch“, („Kein Problem“) antwortet er durch die Anstrengung schnaufend. Weil er den schmalen Raum hinter der Rücksitzbank bis zum bersten vollgestopft hat drückt sich die Sitzlehne in einem 45 ° Winkel nach vorne. „Wer da sitzen muss ist ein Schlangenmensch oder eine arme Sau“, sage ich zu Tanja. „Oder beides“, antwortet sie lachend. Da ich mich schon mit all meinen Kameras auf dem relativ bequemen Beifahrersitz gesehen habe erschrecke ich als der völlig betrunkene Mann sich darauf hievt und den kleinen Erkhenbayar auf seinen Schoß hebt. „Und wir zwei sollen uns jetzt in den 45 °-Winkel der Rückbank quetschen?“, frage ich verblüfft. „Was heißt da wir zwei? Mogi muss auch noch mit“, erinnert mich Tanja. „Oh nein!“, entfährt es mir. Das wird eine Höllenfahrt. Ist eine echte Unverschämtheit. Da buchen und zahlen wir einen Jeep und egal wie voll das Fahrzeug ist quetschen sich immer irgendwelche Tuwa oder Mongolen mit hinein“; lamentiere ich. „Bitteschön“, lacht Hohood mir mit beiden Armen den Weg in das Innere seines Blechhaufens weisend. Zu unserer Überraschung sind bald alle vorhandenen Stammesmitglieder anwesend, um uns zu verabschieden. Ich drücke dem Schamanen Gamba die Hand und winde meinen Körper zwischen den Rücksitzwinkel. Tanja hebt Mogi hoch und versucht ihn in den kaum vorhandenen Fußraum zu drücken. Nur Mogis Hinterbeine finden darin Platz. Sofort richtet er sich auf und wirft seinen schweren Oberkörper über meine angewinkelten Knie. „Ist doch gar nicht so übel“, bläst er mir hechelnd seinen heißen Atem ins Gesicht. Dann zwängt sich neben mich. Als der Jeep los holpert fühle ich mich wie ein verschnürtes, schwer malträtiertes Tier auf dem Weg zum Viehmarkt.
Das Allradfahrzeug ackert sich in Schrittgeschwindigkeit über die tiefen Gräben, Löcher und Schneefelder. Es geht langsam aber stetig bergab. Der Betrunkene spricht unaufhörlich auf den Fahrer und uns ein. Dann küsst er Mogi auf die Schnauze der diese Liebkosung dankt indem er den Mann übers Gesicht schleckt. „Ein toller Hund“, lallt der Mann. Neidisch auf seine bequeme Sitzposition gucke ich ihn aus meiner Quetschhaltung an.
Trotz der unbequemen Fahrt genießen wir die traumhaft schöne Landschaft. Die starke Frühjahrssonne hat schon viel vom Schnee weggetaut. Um so tiefer wir gelangen, desto größer werden die braunen Flächen, desto mehr grobe Steine und Felsen gibt das Eis frei. „Ich glaube die Mongolei ist eines der schönsten Länder welches ich in den letzten 20 Jahren bereist habe“, schwärmt Tanja ihren Blick auf die majestätischen Berge heftend. Dann, 1 ½ Stunden später, fahren wir über das dicke Eis des Tsagaan Nuur und erreichen den Ort.
„Wieder in der Zivilisation“, meine ich auf die vielen kleinen Blockhäuser deutend. Obwohl Tsgaan Nuur sicherlich eines der abgelegensten Dörfer unserer Erde ist fühlen wir uns nach über drei Monaten in der Wildnis so als würden wir in eine große Stadt fahren. Vor dem Blockhaus von Ayush, Tseden-ish und Tsendmaa kommt der Jeep mit lautem Quietschen zum stehen. Sofort eilt uns Tsendmaa entgegen und hilft uns dabei die Ausrüstung in die andere Hälfte des Blockhauses zu tragen. Wir verabschieden uns von Hohood, seinem betrunkenen Freund und Erkhenbayar. Dann beziehen wir für die nächsten Tage unser Behelfsheim. Beißender Essiggeruch schlägt uns entgegen. „Offensichtlich hat Tsendmaa hier den Boden mit Essigwasser gewischt“, vermute ich. „Kommt mit rüber. Ich bereite euch etwas zu Essen“, lädt uns die Adoptivtochter von Ayush ein. Wir lassen alles stehen und liegen und betreten die Baishin (Blockhaus) des alten Ehepaares. Während Tseden-ish auf dem Bett liegt und schläft, spielt Ayush mit seinem Nachbarn Schach. „Sain bajtsgaana uu“, begrüßen wir die in ihr Spiel Vertieften. Ayush hebt kaum den Kopf, um den Gruß zu erwidern. Augenblicklich vermittelt er uns wieder das Gefühl als wären wir nur lästige Schmeißfliegen. Die Erinnerung an die sieben Wochen, die wir mit ihm hier gelebt haben, rückt die Zeit in der Taiga mit einem einzigen Handstreich in weite Ferne. „Ich hoffe es dauert nicht lange, um alles was wir fürs Leben im Frühjahrscamp der Tuwa benötigen, zu besorgen“, sage ich zu Tanja. Während Tsendmaa Tee aufbrüht starre ich den Fernseher, der auf der mit typischen, mongolischen, bunten Ornamenten bemalten Anrichte steht. Ein moderne Rockband brüllt ihr grässliches Lied in eine tobende Menge. Die Künstler sind am gesamten Körper tätowiert, wie Teufelsanbeter schwarz geschminkt und verschiedene Körperteile mit irgendwelchen schrecklichen Zeug gepierct. Obwohl wir uns in einem einsamen abgelegenen Dorf in einer urigen Blockhütte befinden ist die plärrende Flimmerkiste ein Schock und eine schwere Beleidigung für unsere Augen und Ohren. „Oh ich sehne mich schon jetzt wieder in unsere Jurte zurück“, sagt Tanja. „Wie friedlich es in der Taiga doch ist“, gebe ich ihr Recht.
„Ich habe erst heute Abend mit euch gerechnet. Bitte entschuldigt wenn ihr auf das Essen noch etwas warten müsst“, sagt Tsendmaa gutmütig lächelnd. „Oh, wir haben nicht erwartet so liebevoll aufgenommen zu werden. Mach dir mit dem Essen bitte keine Mühe“, antwortet Tanja. „Hi, hi, hi. Das ist doch keine Mühe“, entgegnet sie. „Was hast du denn mit deiner Backe gemacht? Sie ist ja ganz geschwollen?“, fragt Tanja. „Oh, ich habe seit Wochen schreckliche Zahnschmerzen“, antwortet Tsendmaa, öffnet ihren Mund und zeigt uns einen abgebrochenen, schwarzen Zahn. „Oh je, sieht ja schlimm aus. Warum gehst du nicht zum Zahnarzt?“, frage ich. „Zahnarzt? Na hier im Dorf gibt es keinen Zahnarzt. Der nächste ist in Mörön. Das ist mir zu weit, zu teuer und umständlich. Ich nehme Schmerzmittel. Das hilft.“ „Du musst aber zum Arzt. Die Schmerzmittel werden sich nach einiger Zeit auf deine Leber schlagen und wenn du Pech hast entzündet sich dein Kiefer noch mehr“, gebe ich zu Bedenken. „Irgendwann gehe ich schon“, antwortet sie resignierend.
Später holen Tanja und Tsendmaa Wasser vom See. Im Vergleich zur Taiga ist diese Art der Wasserbeschaffung echter Luxus. Freilich wäre heißes Wasser aus der Leitung eine Wonne aber hier müssen wir uns noch mit der Wasserbeschaffung durch Muskelkraft und dem Erwärmen auf dem mit Holzfeuer beheizten Ofen begnügen.
Als wir es uns dann in unserer sehr bescheiden eingerichteten Blockhütte bequem machen, feiern wir die erfolgreiche Überwinterung mit ein paar Gläsern Bier, welches wir in einem der kleinen Lebensmittelläden kauften. „Wir haben es definitiv geschafft“, sagt Tanja mich anstrahlend. „Ja. Und ich kann mich gut daran erinnern wie Mongolen und auch Deutsche behaupteten ein Westeuropäer hält solch ein hartes Klima nicht aus.“, entgegne ich. „Ich empfand es gar nicht so schlimm. Ganz im Gegenteil hat es mir bisher sehr gut gefallen. Wenn ich ehrlich bin waren die letzten acht Monate in der Mongolei sogar mit die schönsten meines bisherigen Lebens. Auch hätte ich es selbst nicht für möglich gehalten wie gut mir die Kälte bekommt und wie sehr mir die Tuwa ans Herz gewachsen sind“, sagt Tanja. „Ja, es war wirklich eine wunderbare Zeit. Und das Schönste ist, unsere Reise ist noch lange nicht zu Ende. Noch dürfen wir mit den Tuwa ins Frühjahrscamp ziehen und wenn alles gut geht liegen noch weitere 1.500 Reitkilometer vor uns“, entgegne ich. „Ein beruhigender Gedanke“, meint Tanja einen tiefen Schluck aus ihren Becher nehmend.
Plötzlich piept Tanjas Handy. „Bilgee?“, frage ich. „Ja.“ „Was hat er denn geschrieben?“, interessiert es mich, da er erst vor einer Stunde ankündigte noch heute Nacht den Ort zu erreichen. „Ich werde es heute nicht mehr bis nach Tsagaan Nuur schaffen. Die Pferde sind zu müde aber wohlauf. Wir sehen uns morgen Nachmittag. Bilgee und sechs,“ liest Tanja die SMS vor. „Bilgee und sechs hat er seine SMS unterzeichnet?“ „Ja.“ „Ha, ha, ha, ist ein humorvoller Mann, unser Bilgee“, lache ich, da er die letzten 4 ½ Monate alle seine Kurznachrichten grundsätzlich mit Bilgee und zwei signiert hat und im Moment nicht mehr in Erdenet mit seinen zwei Söhnen lebt, sonder mit sechs Pferden unterwegs ist.
„Eine weise Entscheidung nicht die halbe Nacht durchreiten zu wollen. Auf ein paar Tage hin oder her kommt es schließlich nicht an. Wenn er uns morgen wirklich erreicht hat er die Strecke von Mörön bis hierher in nur sechs Tagen zurückgelegt. Wir selbst waren 13 Tage unterwegs. Tulgaa benötigte 18 Tage als er unsere Pferde Anfang November zurückritt. Nachdem uns Saraa berichtete, dass mindestens ein Pferd sehr schwach ist wären sechs Tage eine außerordentliche Leistung“, überlege ich. „Ach ich freue mich so sehr auf unsere Pferde. Ich halte es kaum noch aus. Hoffentlich haben sie den Winter gut überstanden und man hat ihnen gut zu fressen gegeben?“, antwortet Tanja.
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