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/Altinberg-Camp Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Unverhoffte Wassernot!

N 53°18'02.0'' E 064°57'19.5''
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    Tag: 62

    Sonnenaufgang:
    05:41 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:51 Uhr

    Luftlinie:
    42.05 Km

    Tageskilometer:
    49.15 Km

    Gesamtkilometer:
    8589.90 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    40 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    22 °C

    Breitengrad:
    53°18’02.0“

    Längengrad:
    064°57’19.5“

    Maximale Höhe:
    195 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    108 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    08.05 Uhr

    Ankunftszeit:
    17.30 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    10,62 Km/h

Sobald wir unsere Böcke wieder die steile Böschung hinaufgeschoben haben hämmert uns der Meister Böen der Stärke fünf um die Ohren. Bei der großen Kraftanstrengung fällt es mir schwer dem Radfahren etwas Positives abzugewinnen. Trotzdem möchte ich mich nicht unterkriegen lassen und versuche jeglichen aufkommenden negativen Gedanken schon im Keim zu ersticken. An solchen Tagen bedeutet das Unterwegs sein einen hohen mentalen Energieeinsatz. “Nichts hält für ewig auch der Meister kommt und geht. Er kann nicht immer bleiben”, motiviere ich mich. “Ab morgen sollten wir wieder um 5:00 Uhr aufstehen!”, höre ich Tanja rufen. “Sollten wir!”, antworte ich.

Missverständnis

Nach 15 Kilometer entdecken wir ein Cafe am Straßenrand. “24 Stundenservice!”, rufe ich das Hinweisschild laut lesend. Wir lehnen unsere Sumobikes an die bröckelige Rückwand des Hauses. “Ich denke, dass wir die Räder durch die Fenster beobachten können”, sage ich, worauf wir die Raststättenkneipe betreten. “Kuschet jeest?”, ( Gibt es etwas zu Essen? ) stelle ich wie immer in solch einen Moment die erwartungsvolle Frage. “Jeest”, antwortet die Köchin sich freuend schon um 10:00 Uhr morgens ein Geschäft zu machen. Als wir uns die Bäuche mit Lachman ( Nudeleintopf ), frischen Brot und Pfannkuchen, Fruchtsaft und Tee gefüllt haben, frage ich nach der Rechnung. “950,- Tenge”, sagt die Wirtin freundlich. Ich zahle mit einem 1.000 Tengeschein ( 5,41,- ? ). Die Wirtin gibt mir daraufhin einen 1.000,- Tengeschein und 150,- Tenge in Münzen zurück. Ich stecke das Wechselgeld wieder in die Geldbörse als die Frau mich plötzlich erschrocken ansieht und mich mit einem russischen Wortschwall belegt. “Was sagt sie?”, möchte Tanja wissen. “Keine Ahnung. Ich verstehe nur Bahnhof”, antworte ich mich auf die schnellen Wortsalben der Wirtin konzentrierend. Dann kommt mir der Gedanke von ihr eventuelle zuviel Wechselgeld bekommen zu haben und reiche ihr 150,- Tenge. Sie schüttelt den Kopf. “Ist schon in Ordnung”, meint sie ihre Erklärung aufgebend. “Seltsam”, überlege ich laut und weiß nicht was falsch gelaufen ist. “Gib ihr doch die 150,- Tenge”, fordert mich Tanja auf. “Sie möchte das Geld aber nicht nehmen”, antworte ich jetzt völlig verunsichert.

Der Mann der Wirtin und eine Küchenhilfe sehen mich etwas eigenartig an und zucken mit den Schultern. Obwohl wir jetzt gehen könnten bin ich mit dem Ausgang der Situation nicht zufrieden. “Haben sie einen Stift und einen Zettel für mich?”, frage ich nun, um mein mangelndes Russisch mit einer Zeichnung zu ergänzen. Plötzlich durchzuckt ein Gedankenblitz meine müden Gehirnwindungen. Ich sehe in mein Portmonee und entdecke den 1.000,- Tengeschein. Erst jetzt bemerke ich von der Köchin mehr Geld bekommen zu haben als ich ihr ursprünglich gezahlt hatte. Freudig, das Missverständnis geklärt zu wissen, reiche ihr den Geldschein. “Njet, njet”, ( Nein, nein ) antwortet sie ablehnend, um mich erneut wie ein Maschinengewehr mit schnellem Russisch zuzuschütten. “Nimm doch das Geld!”, sagt die Küchenhilfe und ihr Mann bald verzweifelt. Endlich lacht die Wirtin, nimmt die 1.000,- Tenge entgegen, um uns abschließend noch mal ihren Fehler in rasend schneller Sprache zu erklären. Wir lachen die Frau an, tun so als ob wir sie verstehen würden und verlassen das Cafe. Freudig und offensichtlich erleichtert ihre Kundschaft nicht bekocht und noch dazu bezahlt zu haben, folgt sie uns, schnell und unaufhörlich sprechend nach draußen. “Da ßwidanja!”, ( Auf wieder sehen ) verabschieden wir uns. “Da ßwidanja!”, ruft sie lachend.

Schon bald müssen wir feststellen entschieden größere Strecken von Dorf zu Dorf zurücklegen zu müssen als man uns in Kustanai noch erklärte. Dummer Weise haben wir auf die Menschen gehört und zu wenig Wasser mitgenommen. “Auf dieser Strecke gibt es viele Cafes und Dörfer. Da braucht ihr euch nicht übermäßig mit Wasservorräten abzuschleppen”, erklärte uns ein Kaukasusdeutscher, der diese Straße mit seinem Auto öfter befährt. “Es ist immer wieder das Gleiche. Ein Autofahrer sieht Entfernungen aus einer anderen Sicht als ein Radfahrer”, meint Tanja. Jetzt, bei sehr starkem Gegenwind, schaffen wir bei aller Anstrengung nur 10 Kilometer in der Stunde. Das verringert die Chance um ein Vielfaches auf eine menschliche Siedlung zu stoßen in der wir das lebensnotwendige Nass bekommen können. Da unser Kartenmaterial noch immer sehr schlecht ist und nur größere Ortschaften aufweist, fühlen wir uns als würden wir uns durch unkatografiertes Land bewegen. Alles was kommt gleicht einer Überraschung. Nur die Straße und ab und an Autos und Lastwägen bleiben eine verlässliche Komponente dieser Reise.

Am frühen Nachmittag sind wir bereits völlig erschöpft und würden uns gerne in die Büsche schlagen, um ein Camp zu errichten, jedoch haben wir nur noch einen Liter pro Person. Nachdem wir nun bald 1.600 Kilometer durch einsames Steppenland hinter uns brachten ist es für uns ärgerlich nun plötzlich doch noch in einen Flüssigkeitsengpass geraten zu sein. “Denis! Halt mal an. Da sind zwei Frauen am Straßenrand!”, ruft Tanja. Im Schatten eines Baumes sitzen zwei Kasachinnen. Wir erfahren, dass sie beim Beerenzupfen waren und nun darauf warten abgeholt zu werden. “Gibt es da vorne ein Cafe oder Magazin in dem wir Wasser kaufen können?”, fragt Tanja. “Oh, das nächste Cafe kommt erst in 70 Kilometer und ein Magazin in 60 Kilometer”, erschrecken sie uns. “Bei diesem Wind schaffen wir das heute nicht mehr. Es muss doch irgendwo ein Dorf geben in dem wir Wasser bekommen?”, frage ich. Die beiden zucken mit den Schultern. “Ich rufe schnell meinen Mann an. Der soll Wasser mitbringen. Wie viel braucht ihr?”, fragt sie. “10 Liter wären gut”, sage ich erleichtert. Jedoch hält unsere Freude nicht lange an weil die Batterie ihres Handys leer ist. Als wir es mit unserem Mobiltelefon versuchen kommt ein alter Lada angebraust. Es ist der Ehemann der jüngeren Frau. “Was macht ihr denn hier draußen ohne Wasser?”, wundert er sich und erklärt uns in nur zwei Kilometer von hier eine Lehmpiste zu finden die zu einem Dorf führt. Wir bedanken uns für die Information und radeln weiter. Als wir die Piste erreichen überlegen wir ob es sich lohnt unsere Böcke durch weichen Sand zu schieben. “Wird anstrengend”, sage ich müde. “Ja, aber wir wissen nicht wann die nächste Ortschaft kommt”, entgegnet Tanja. “Dörfer gibt es immer wieder”, meine ich. “Aber ich denke auch wir sollten lieber auf Nummer sicher gehen.”

Nach weiteren zwei Kilometern erreichen wir tatsächlich ein kleines Dorf. In Siedlungsnähe baden Kinder in Tümpeln und schreien vergnügt. Als sie uns mit den schweren Rädern vorbeiholpern sehen verlassen sie aufgeregt den Teich, springen auf ihre klapprigen Räder und folgen uns mit lautem Gejohle. Klar, wir sind die Sensation des Jahrhunderts. “Gdje nachoditza Magazin?”, ( Wo ist das Geschäft? ) frage ich die Rasselbande. “Tam! Tam!”, ( Dort! Dort! ) rufen sie durcheinander und zeigen auf ein kleines Häuschen am Dorfplatz. Tatsächlich erreichen wir einen kleinen Laden in dem wir Wasser und andere Vorräte kaufen können. Um nicht zu viel Geld für Mineralwasser ausgeben zu müssen gibt uns die freundliche Ladeninhaberin Trinkwasser aus dem Brunnen. Mittlerweile hat sich eine ganze Kinderschar um uns versammelt. Jeder möchte die seltsam gekleideten Ausländern und ihre Sciencefiction-Räder sehen.

Kasachische Teerunde

Wir sind gerade dabei uns zu verabschieden als die Ladeninhaberin uns zum Tee einlädt. Tanja und ich sehen uns an und sind uns einige heute sowieso nicht mehr weit zu kommen. Dankend nehmen wir die Einladung an, worauf die Frau namens Merujert ihren Laden einfach absperrt. Wir dürfen unser Gepäck auf Rädern im Innenhof abstellen und betreten das saubere und überraschend gut möblierte Wohnhaus. Auf dem Teppichboden des Wohnzimmers wird eine Decke ausgebreitet und aufgetischt. Es gibt Tomaten, Gurken, Fladenbrot, Wurst, Marmelade, Schokoladenbonbons und Milchtee den Merujert Schüssel für Schüssel einschenkt. Gerade noch in der misslichen Lage unter Wassernot zu leiden, sitzen wir nur wenig später in einem abgelegenen kasachischen Dorf mit unserer Gastgeberin Merujert, ihrer 14 jährigen Tochter Samal, ihrer Freundin Saule, deren vier Jahre alter Sohn Altinberg, seinem älteren Bruder Sabirjan, dessen Onkels Ejan und Timur, auf dem Fußboden und genießen leckeres Essen und Tee.

Wie das Leben so spielt? Irgendwie kommt es mir in diesem Moment so vor als wäre die ursprüngliche Wasserknappheit von unserem Schicksal oder Mutter Erde so geplant gewesen. Hätten wir genügend davon gehabt wären wir niemals in dieses Dorf gefahren und hätten niemals diese nette Runde erlebt. Ein weiteres Beispiel dafür sich nicht über unvorhergesehene Ereignisse und Zwischenfälle zu beklagen. Meist kommt es anders als man denkt und oft ergibt alles was geschieht einen Sinn. Auch wenn man es in diesem Augenblick nicht verstehen möchte oder kann. Sich darüber aufzuregen ist nicht selten reine Energieverschwendung, denn ändern wird es nichts. Ganz im Gegenteil verliert man eventuell sogar die Chance etwas zu lernen, etwas zu fühlen, eine außergewöhnlich Bekanntschaft oder ein außergewöhnliches Erlebnis zu machen.

Alle zusammen sind wir heiter und ausgelassen. Der junge Altinberg freut sich ganz besonders einen echten, irre cool aussehenden Radfahrhelm auf dem Kopf tragen zu dürfen und rast lachend durchs Wohnzimmer. “Pass nur auf den edlen Helm auf. Mach ihn bloß nicht kaputt!”, warnt ihn seine Mutter Saule unaufhörlich während uns Merujert ständig Tee nachgießt. “Wie kalt wird es hier eigentlich im Winter?”, möchte ich wissen. “Sehr kalt. Minus 40 Grad kann es leicht erreichen. Meist reicht hier der Schnee bis zur Dachrinne. Da können wir nicht viel tun. Es ist eine ruhige Zeit”, erklärt Merujert. Wir erfahren das Merujerts Mann als Lastwagenfahrer arbeitet, einiges über ihren letzten Besuch in der Hauptstadt Astana und dürfen uns mehrere Fotoalben ansehen. “Oh bin ich müde”, flüstere ich zu Tanja. “Am liebsten würde ich heute Nacht hier bleiben. Meinst du ich sollte mal fragen ob wir unser Zelt im Garten aufschlagen dürfen?”, frage ich sie. “Ich weiß nicht. Wenn du meinst”, antwortet sie etwas zweifelnd. Als wir eine Stunde später wieder bei unseren Rädern stehen finde ich den Zeitpunkt passend danach zu fragen ob wir heute Nacht im Zelt bleiben dürfen. “Das kann ich nicht entscheiden. Ich muss meinen Mann fragen. Der kommt aber erst heute Abend von der Arbeit”, antwortet Merujert weswegen wir uns rechtherzlich für die großzügige Gastfreundschaft bedanken und uns verabschieden.

Es dauert eine Weile bis sich unsere müden Muskeln wieder an die Bewegung gewöhnen und bei 40 Grad in der Nachmittagsonne die schweren Räder über den Dorfplatz treten müssen. Wieder auf der Hauptstraße finden wir nur einen Kilometer weiter eine mit Moskitos verseuchte Waldlichtung in der wir unser Zelt aufschlagen. Wir vertilgen ein leckeres Travellunch-Essen und flüchten uns frühzeitig ins Zelt.

Tanja

Frauengeheimnisse!

Nach einiger Zeit verlasse ich die illustere Teerunde, um kurz nach den im Garten abgestellten Fahrrädern zu sehen. Die Nachbarin winkt mir aufgeregt zu und deutet mir mich auf die Bank zwischen den beiden Gärten zu setzen. Eigentlich wollte ich nicht unhöflich sein und unsere Gastgeberin und alle anderen warten lassen. Luda forderte mich allerdings mit solch Nachdruck auf, mich zu ihr zu setzen, dass ich kapituliere. Sie sendet einige Kinder weg und erklärt, sie hätte etwas mit mir zu besprechen.

Als Denis in dem kleinen Laden eingekauft hatte, machte ich meine erste Bekanntschaft mit Luda. Die gewohnten Fragen wurden gestellt und beantwortet. Woher, wohin, wie heißt du? Seid ihr verheiratet und habt ihr Kinder?

Die kräftig gebaute, ca. 45 Jahre alte Frau fragt nun, nachdem ich mich neben ihr auf der Bank nieder gelassen habe, mit ernster Mine: “Bist du gesund?”“Ja klar”, antworte ich. Sie möchte nun auch wissen ob Denis gesund sei und mir wird klar, wo der Hase begraben ist. Sie fragt warum wir keine Kinder hätten. Meine Antwort, dass wir uns freiwillig wegen unseres Lebensstils dazu entschieden haben, glaubt sie mir nicht. Luda beginnt nun in meinem kleinen Deutsch Russisch Übersetzungsbuch zu blättern. Als sie das gesuchte Wort gefunden hat, lächelt sie mich verschwörerisch an und zeigt mir das Wort Geheimnis. Zusätzlich läst sie es leise, fast wie eine gute Speise, auf den Lippen zergehen und beginnt zu erzählen:

“Meine Cousine hat acht Jahre lang vergeblich versucht schwanger zu werden. Sie war sehr unglücklich und hat viel geweint. Ihre Ehe war in Gefahr und sie hatte schon so vieles ausprobiert. Beide waren bei verschiedenen Ärzten, und selbst jemand der sich mit Magie auskannte konnte nicht helfen. Großmutter sagte eines Tages zu meiner Cousine sie solle mit einem Freund schlafen und versuchen von ihm schwanger zu werden.”

Ludas Augen weiteten sich beim Erzählen vor Begeisterung als sie mir strahlend erklärte, dass der erste Versuch ein Volltreffer war. Als der Cousine bemerkte, dass sie schwanger ist, hat sie natürlich alles nötige mit ihrem Mann unternommen. So konnte dieser keinen Verdacht schöpfen. Vier Kinder habe ihre Cousine mittlerweile. Die Ehe funktioniert großartig und der Ehemann ist sehr glücklich. Als Luda von dem Ehemann ihrer Cousine spricht hält sie die Arme als würde sie ein Baby darin wiegen. “Er küsst und herzt seine Kinder unaufhörlich”, meint sie zufrieden lächelnd.

“Wer weiß noch davon?” Frage ich sie. “Nur Großmutter, meine Schwester ich und jetzt du!” Grinst sie mich viel sagend an. “Wenn ihr zurück von eurer Reise in Deutschland seid, kannst du es ja genauso machen!” Offensichtlich hatte Luda dieses Gespräch mit mir vorbereitet, denn bei diesen Worten steckt sie mir einen Zettel mit ihrer Adresse in die Hand und fügt noch triumphierend hinzu: “Schreibe mir bitte, sobald es geklappt hat!”

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