Wir werden wie die Könige behandelt
Tag: 104 Etappe Zwei
Sonnenaufgang:
05:18
Sonnenuntergang:
17:31
Luftlinie:
23,4
Tageskilometer:
31
Temperatur - Tag (Maximum):
36 Grad
Straßenarbeiter-Camp — 27.09.2001
Nach einem bewusstlosen Schlaf stehen wir um drei Uhr auf. Hinter dem Dünenrücken ist der wolkenverhangenen Himmel blutrot gefärbt. Das Buschfeuer ist uns immer noch auf den Fersen und spiegelt sich in einem dramatischen Farbenspiel in den schwarzen Regenwolken. Um vier Uhr löffle ich gerade mein Müsli als sich die Schleusen des Himmels öffnen. Heftiger Platzregen prasselt auf unsere Köpfe. In rasender Geschwindigkeit werfen wir alles was nicht nass werden darf unter die Satteltaschen. Kaum ist die Ausrüstung sicher hört der Spuk auch schon wieder auf. Schlagartig hat sich die Rotfärbung des Himmels vermindert. Der kurze Schauer hat dem Feuer für wenige Augenblicke den Appetit verdorben.
Pünktlich um sieben Uhr marschieren wir weiter. Wir sind guter Laune und das baldige Erreichen unseres Wochenziel verdrängt die täglichen Wehwehchen. Sechs Stunden später treffen wir auf das Straßenarbeiter Camp das sich vor einer weiten Talsenke direkt neben einer spärlich bewachsenen Sanddüne befindet. Wie eine Wagenburg im damaligen Wilden Westen stehen acht Wohnwägen in U-Form auf einen vom Spinifex gesäuberten, sandigen Platz. Mehrere große Tanks befinden sich hinter den Wägen und riesige Spuren im Sand zeugen davon, dass hier ständig schweres Gerät bewegt wird. Da unsere Kamele Angst vor allen haben was sie nicht kennen führe ich sie langsam und angespannt an der Wagenburg vorbei. „Camis udu,“ befehle ich ihnen stehen zu bleiben. „Scheint keiner zu Hause zu sein,“ sage ich. „Sie sind wahrscheinlich alle bei der Arbeit,“ antwortet Tanja. Wir blicken uns in Campnähe nach Kamelfutter um doch leider wächst hier nichts was ihnen schmeckt. Enttäuscht führe ich die Karawane auf die Sanddüne, doch auch da oben gibt es kaum Fressbares. „Wir müssen zurück. Etwa einen Kilometer von hier habe ich gutes Kameltucker gesehen,“ meint Tanja. „Okay,“ antworte ich und führe unsere Jungs wieder in Richtung Westen über das ewige Spinifex. Eine halbe Stunde später lassen wir uns in dornigem Gestrüpp, welches uns kaum Schatten bietet, nieder. Beim Absetzen der Kamele steige ich auf einen spitzen Stein der sich durch die abgelaufenen Schuhsohle presst und verletze mir die überreizte Sehne im Fußspann. Fluchend humple ich durch das stachelige Buschwerk und befehle Max und Edgar wieder aufzustehen. Sie setzen sich wie immer im rechten Winkel zu ihren Kollegen ab und machen uns so das Entladen schwer. Es kostet mich viel Mühe sie wider aufstehen zu lassen denn auch sie sind zu müde, um sich nur noch einen Zentimeter zu bewegen. Ich muss sie regelrecht anbrüllen und mit dem Plastikrohr den Hintern versohlen bis sie sich endlich erheben und in Linie zu ihren Mates absetzen.
„Die Pflanze dort hinten sieht aus wie der Desert Poison Busch,“ (Eine absolut tödlich giftige Pflanze die auch 1080 genannt. 1080 ist das Gift mit dem die Farmer und der Staat gegen die Dingos und wilden Hunde vorgeht.) sage ich schweiß überströmt und völlig am Ende. „Welche Pflanze?“ ,fragt Tanja der es genauso ergeht wie mir. „Die da hinten. Komm ich zeige sie dir.“ Ausgebrannt stehen wir in der glühenden Sonne und untersuchen das Gewächs. Wir lesen die englische Beschreibung des Busches und gehen den kleinsten Anhaltspunkten nach. Nach einer Weile sind wir uns nicht sicher ob es der 1080 Busch ist oder nicht. „Er hat zumindest viel Ähnlichkeit,“ sage ich mich an der Stirn kratzend. „Ja. Was sollen wir jetzt tun?“ „Nun, ein einziger Biss von der Pflanze tötet jedes Kamel. Wir können kein Risiko eingehen. Wir sollten später zum Straßenarbeiter-Camp gehen. Vielleicht können sie den Busch identifizieren. Sie können zumindest dieses Fachenglisch besser lesen,“ schlage ich vor. „Soll ich unsere Jungs anbinden oder meinst du wir können sie grasen lassen?“ „Sicher ist sicher. Ich denke du solltest sie anbinden bis wir genau wissen was das für ein Gewächs ist.“Nachdem die Kamele angebunden sind und ich meinen Freund durch des Teufels größten Erfindung, dem Spinifex geschwungen habe, setzen wir uns in den Quadratmeter großen Schatten nieder. Für vielleicht eine halbe Stunde bewegen wir uns keinen Zentimeter. Wir sind nur noch in der Lage unseren unbändigen Durst zu stillen. In den letzten fünf Tagen haben wir 173 Kilometer zurückgelegt was einen Durchschnitt von 34,6 Kilometer pro Tag ergibt. Ohne Zweifel ist diese Strecke über unsere Grenzen gegangen, doch wir sind froh sie bewältigt zu haben. „Du solltest mal ins Camp laufen und sagen das wir da sind. Vielleicht können wir Wasser für unsere Kamele bekommen,“ schlägt Tanja vor als ich wie in Zeitlupentempo die Koordinaten ins Logbuch eintrage. „Ich glaube ich kann mich keinen Meter mehr bewegen.“ „Ich auch nicht aber unsere Jungs benötigen dringend Wasser.“ „Du hast recht. Ich gehe wenn ich mit der Navigation fertig bin.“ Nachdem ich meine Arbeit beendet habe bin ich immer noch nicht in der Lage mich aufzuraffen. Immer wieder gebe ich mir selbst einen Anstoß aufzustehen doch es reicht nicht aus, um mich aus dem Stuhl zu erheben. Plötzlich hören wir Motorgeräusche. „Da fährt jemand den Track entlang. Ob sie uns suchen?“ frage ich Tanja. Sofort erheben wir uns und blicken zum 50 Meter entfernten Weg den die Straßenbaufirma Youngs Earthmoving erst vor wenigen Tagen durch die Wüste gebaut hat. Enttäuscht sehen wir dem Jeep nach der an uns vorbeibraust. „Er hält an. Ich glaube die suchen uns doch,“ freue ich mich. Da ich wegen meiner schmerzenden Sehne die Schuhe ausgezogen habe bleibe ich im Camp. Tanja hingegen läuft in Richtung Track. Ich höre wie sie jemanden freundlich begrüßt. Minuten später steht Ray Ronchi vor mir. Wir haben Ray letztes Jahr am 80 Mile Beach Caravanpark kennen gelernt. Er war es der uns diese Route durch die Wüste empfohlen hat. Er ist Straßenbauer, hat viele Jahre in Afrika und Pakistan gelebt und kennt sich in der australischen Wüste aus wie in seiner eigenen Westentasche. Ray ist ein ausgesprochen sympathischer, netter und hilfsbereiter Mensch der uns vor einigen Monaten auch angeboten hat das Wasser aus den Fässern am Kidson Track zu benutzen falls wir es benötigen. Im Augenblick leitet er ein Team von Straßenarbeitern, um den alten Track zwischen der Aboriginegemeinschaft Kiwirrkurra, Kunawarritji, Punmu und der Goldmine Telfa die sich ca. 480 Kilometer von der Westküste entfernt befindet auszubauen. Wenn die Wüstenpiste fertig ist wird sie sich zu einer Hauptverkehrsverbindung zwischen Alice Springs und der Westküste entwickeln. Mit unserer Expedition haben wir also Glück die Ursprünglichkeit und Einsamkeit auf dieser Strecke genießen zu können, doch nächstes Jahr kann das schon anders aussehen. „Hallo Denis. Schön dich wieder zu sehen,“ begrüßt mich Ray und streckt mir seine Hand entgegen. Der etwa 60 jährige, von der australischen Sonne braungebrannte Mann, sieht mich lachend an. Wir unterhalten uns kurz über die Geschehnisse der letzten Wochen und nutzen seine Anwesenheit gleich, um ihn zu fragen ob er die Beschreibung der Giftpflanze für uns lesen kann. Wir zeigen Ray den Busch worauf er sofort die mit Plastikfolie geschützten Angaben studiert. „Ich weiß nicht, es könnte der Busch sein. Nein aber die Früchte sind nicht gelbbraun sondern grün. Da steht, dass sie oft zwei Samen enthalten,“ sagt er, reißt eine der beschriebenen Dinger ab und beißt hinein, um sie zu öffnen. „Neiiin!“ ,rufen wir erschrocken aus denn nach dem was wir über die Pflanze wissen braucht man nur daran zu lecken, um kurze Zeit danach tot umzufallen. Ray spuckt die Schale der Fingerkuppen kleinen Frucht wieder aus. „Ich habe ein paar Aborigines im Camp, vielleicht kennen sie dieses Gewächs. Eure Kamele sehen sehr dünn aus. Sie brauchen bestimmt Wasser?“ „Oh ja, sie haben einen riesigen Durst,“ antworte ich. „Ich fahre gleich zum Camp zurück und organisiere Wasser für sie,“ erwidert er und verabschiedet sich lachend von uns. Nur eine halbe Stunde danach zieht ein Toyota Jeep einen Anhänger mit 1500 Liter Wasser über das Spinifexgras. Wir können unseren Augen nicht glauben als Ray mit der lebenswichtigen Flüssigkeit direkt neben unserem Lager anhält. „Das ist Noll. Sein Vater hat eine Station neben Jiggalong,“ stellt Ray einen etwa 45 jährigen großen Mann vor in dessen Adern Aborigineblut fließt. Noll gibt mir seine kräftige, von der harten Arbeit schwielig gewordene Hand und untersucht mit uns sofort die vermeintliche Giftpflanze. „Nein das ist kein 1080 Busch. Eure Kamele können ihn ohne weiteres fressen, meint er beruhigend worauf uns ein Stein vom Herzen fällt. Nachdem dies geklärt ist beginnen wir zu viert unseren tapferen Jungs Eimer für Eimer das Wasser hinzutragen. Sie trinken wie Verdurstende. Insgesamt bringen sie es fertig in kürzester Zeit 500 Liter zu saufen. Das heißt, jeder von ihnen hat mindestens 70 Liter Wasser in sich hineingestürzt. Nachdem Auftanken sehen sie wie aufgeblasene Ballone auf Beinen aus. Ihren Durst gestillt beginnen sie an den saftigen Büschen zu fressen. „Ihr kommt doch mit zum Abendessen. Ihr seid herzlichst eingeladen. Außerdem könnt ihr eine heiße Dusche nehmen,“ lädt uns Ray ein. „Wir können uns nichts Schöneres vorstellen,“ antworten wir überglücklich und unsere vor kurzem noch unrealistischen Träume über Gastfreundschaft und reichhaltigem Essen mitten in der Wüste werden wahr. „Wollt ihr euren Hund nicht mitnehmen? Er wird sich doch sicherlich über saftiges Fleisch und ein paar Knochen freuen?“ Tanja und ich sehen uns an und unser beiden Herzen schlagen noch höher. „Komm Rufus, du hast auch eine Einladung bekommen,“ rufe ich worauf unser lieber Gefährde wie eine Rakete über das Gras fliegt und schwanzwedelnd in den Toyota springt.
Als wir im Straßenarbeiter Camp ankommen ist es bereits stockdunkel. Wir begrüßen die neunköpfige Crew und wechseln ein paar Worte. „Ihr wollt doch bestimmt duschen. Hier ist der Duschcaravan. Lasst euch Zeit. Danach könnt ihr im Küchencaravan nebenan soviel essen wie ihr wollt,“ sagt Ray lachend. Wir lassen uns nicht zweimal auffordern und begeben uns in den sauberen Duschcaravan. Obwohl wir erst vor neun Tagen in Kunawarritji geduscht haben ist es wieder eine ausgesprochene Wohltat. Wir schruppen unsere verschmutzten Körper, die Fuß und Fingernägel und waschen unseren Kopf. Trotz der Anstrengungen des Tages fühlen wir uns mit neuer Energie aufgeladen. Wir verlassen den Duschwagen und steigen in den Küchenwagen. Was sich da vor unseren Augen bietet ist kaum auszuhalten. Hühnercurry, Reis, gekochter Kürbis, Kohl, Kartoffeln, frische Butterbrote und vieles mehr steht auf dem Herd. „Esst soviel ihr könnt,“ sagt die warmherzige Köchin Debbie. „Hier nehmt Platz, lädt uns die Stimme eines wohlbeleibten Arbeiter namens Yogi ein, der in der Ecke der Küche auf einen Schemel sitzt und die Köstlichkeiten von einem Teller in sich hineinlöffelt. Tanja und ich sehen uns übers gesamte Gesicht grinsend an und können es immer noch nicht richtig glauben was uns da wiederfährt. Das Wasser strömt in Sturzbächen in meinem Mund zusammen als ich mir all die Leckereien auf den Teller lade. Dann setzen wir uns auf einen der angebotenen Schemel und essen wie halbverhungerte Kamele. Yogi nutzt die Gelegenheit, um uns all seine Fragen zu stellen. Mit vollem Mund und zwischen den Kaupausen antworte ich ihm ohne ihn anzusehen, denn ich bring es nicht fertig meinen Teller nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Noch zweimal hole ich mir einen Nachschlag bis ich mich über die Nachspeise hermache. Zum Schokoladenkuchen mit Schokoladensoße trinke ich kalten Kakao. Dann schlichte ich mir noch einen Teller mit kalten Pfirsichen in Pfirsichgele hinein bis mir die Vernunft befiehlt aufzuhören.
Rufus nutzt unsere Abwesenheit, um sich vor dem Küchenwagen von der Köchin Debbie verwöhnen zu lassen. Er frisst und frisst solche Mengen, das wir Angst haben ihm wird es einfach zerreißen. Als wir die Küche voll befriedigt verlassen kommt uns Rufus mehr taumelnd als laufend und laut rülpsend entgegen. Die Kugel auf Beinen legt sich dann brummelnd zu unseren Füßen während wir uns mit den Straßenarbeitern unterhalten.
Später fährt uns Ray und sein Sohn Darren zu unserem Camp zurück. In unseren Händen halten wir einen ganzen Eimer voll leckerer Küchenabfälle für unsere Boys. Bevor wir uns dann ins Bett legen füttern wir ihnen Melonen, Apfel, Orangenschalen, Brotreste, Salatreste und vieles mehr. Auch sie kommen auf diese Weise zu ihrer Nachspeise. Jasper nähert sich mit seiner neugierigen Schnauze Tanjas Gesicht. Er riecht an ihrem Haar. Für ihn ist der Geruch von Kopfwaschmittel neu und es sieht so aus als würde er es mögen.
Als wir dann in unserem Zelt liegen kann ich nicht einschlafen. Natürlich habe ich mich so derart überfressen das Rufus und ich versuchen uns gegenseitig mit eigenartigen Geräuschen zu übertrumpfen. Trotzdem bereue ich nicht endlich mal wieder wie ein Fürst gespeist zu haben.