172 km Gebirge – höchste Anforderung an Technik und Körper
N 36°51’42.1’’ E 109°19’39.9’’Datum:
19.11.2015
Tag: 144
Land:
China
Provinz:
Shaanxi
Ort:
Ansai
Breitengrad N:
36°51’42.1’’
Längengrad E:
109°19’39.9’’
Tageskilometer:
128 km
Gesamtkilometer:
10.970 km
Luftlinie:
92.10 km
Durchschnitts Geschwindigkeit:
23.4 km
Maximale Geschwindigkeit:
53.6 km
Fahrzeit:
5:27 Std.
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Maximale Höhe:
1.800 m
Gesamthöhenmeter:
10.821 m
Höhenmeter für den Tag:
1.770 m
Sonnenaufgang:
07:23 Uhr
Sonnenuntergang:
17:32 Uhr
Temperatur Tag max:
12 °C
Temperatur Tag min:
1 °C
Aufbruch:
09:30 Uhr
Ankunftszeit:
19:00 Uhr
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
Mit maximal 12 Grad und wunderbarem Sonnenschein ist es ein perfekter Tag für eine Radreise durch China. Der Winter ist uns nach wie vor auf den Fersen, jedoch hat er es bis jetzt nicht geschafft uns einzuholen. Laut meinem Kartenstudium legt sich uns ab heute der 650 km lange und 172 km breite Qin-Ling-Gebirgszug in den Weg, den wir in seiner gesamten Breite überqueren müssen. Weil es auf dieser Strecke recht einsam ist, und die nächste Unterkunft in frühestens 128 Kilometer kommt, eine große Herausforderung für uns und unsere Technik.
Schon wenige Kilometer nach unserem Aufbruch schraubt sich die schmale Straße gen Himmel. Wegen den zusätzlichen sechs 500 Watt Boschakkus können wir uns den Luxus erlauben im Turbomodus zu fahren. Mit ca. 20 km/h erreichen wir 1800 Meter Höhe. Die Landschaft ist atemberaubend schön. Wie in den vergangenen Tagen sind auf dieser Strecke nur sehr wenig Autos und nahezu keine Lastwägen unterwegs. Ja auch so etwas gibt es in China. Ich genieße das leise Surren des kraftvollen Boschmotors, der unermüdlich die Energie der Akkus auf die Kette überträgt und dafür sorgt, dass mein 150 kg schweres Rad inklusive Anhänger und Ajaci, zuzüglich die 80 kg meines Körpers, auf den Bergrücken bringt. Hatte ich anfänglich noch bedenken, die unaufhörliche Belastung solch einer Reise könnte den Antrieb in die Knie zwingen, freue ich mich jetzt umso mehr über die Zuverlässigkeit des beharrlich arbeitenden Triebwerks. Oben auf dem Berg gleiten wir über ein ca. 50 Meter breites Band dahin. Links und rechts von uns stürzen sich steil abfallende Bergflanken in die Tiefe. Der angenehm kühle Fahrtwind weht mir ins Gesicht. Mit einem Lächeln inhaliere ich die Natur, die vielen kleinen Dörfer und Bauern, von denen manche, vor ihren einfachen Hütten, auf einer hölzernen Bank sitzen, um mit ihren Nachbarn einen Plausch zu halten. Ab und an werfe ich einen Blick nach hinten, um zu sehen ob Tanja noch da ist. Auch ihr Gesichtsausdruck verrät mir wie sie diesen herrlichen Tag genießt.
Die Fahrt auf dem Gebirgsgrad offeriert uns einen unbeschreiblichen Rundblick über das gewaltige Qin-Ling Gebirge, welches eine Vegetationsgrenze zwischen Süd und Nord schafft und gleichzeitig eine Wasserscheide zwischen dem Gelben Fluss und dem Jangtsekiang ist. Ob das Gebirge auch eine Wetterscheide bildet? Ob es auf der anderen Seite wärmer ist? Wir werden sehen. Berichtet hat man uns, dass auf der südlichen Seite des Qin Ling die wärmeren, feuchteren Landstriche beginnen, in denen sich ausgedehnte Waldregionen mit Reisfeldern abwechseln.
„Ist das dort vorne ein Radfahrer?“, rufe ich meinen Augen nicht richtig trauen wollend. „Könnte sein“, antwortet Tanja. Jeden Meter weiter entpuppt sich die anfänglich unscharfe Silhouette zu einem Langstreckenradler, dessen Bike schwer beladen ist. „Ni hao!“, grüßen wir bestens gelaunt als wir ihn mit beachtlicher Geschwindigkeit überholen. „Ni hao!“, japst es uns entgegen. Wir wissen was es bedeutet während eines steilen Anstiegs stoppen zu müssen und fahren deswegen erstmal weiter. „Es muss dem armen Kerl total frustriert haben als wir mit unseren Monsterrädern und Anhänger so arglos an ihm vorbeigedüst sind!“, rufe ich Tanja lachend zu. „Eigentlich gemein!“, antwortet sie. „Absolut gemein. Ich denke wir sollten oben auf ihn warten und ein paar Worte mit ihm wechseln.“
Es dauert zehn Minuten bis unser Kollege laut schnaufend neben uns hält. Er stellt sein Fahrrad auf den Ständer, schüttelt uns die Hand und sagt in gutem Englisch, „My name is De.“ „De?“, frage ich. „Ja, ist eine Abkürzung. Mein wirklicher Name ist für euch Europäer zu schwer auszusprechen“, erklärt er noch immer heftig schnaufend. „So wie ihr den Berg raufgedonnert seid müsst ihr verdammt fit sein“, meint De. „Ha, ha, ja wir sind fit. Haben die ganze Strecke von Deutschland bis hierher mit dem Rad zurückgelegt.“ „Von Deutschland bis hierher? Na da wundert mit nichts mehr.“ Ich zwinkere ihn freundlich zu und deute auf den Boschmotor. „Was ist das denn?“, will De wissen. „Ein kleiner Motor, der uns hilft unsere Rösser mit Anhänger so schnell in solche Höhen zu bringen.“, erkläre ich. „Jetzt verstehe ich. Hatte schon an mir gezweifelt“, lacht er. Im Verlauf des Gespräches erfahren wir, dass De aus Peking kommt und wie wir auf dem Weg zur südlich gelegenen Provinz Sichuan unterwegs ist. Wir unterhalten uns noch eine Weile, dann setzen wir unsere Reise mit gegenseitigen Glückwünschen fort.
Ab und an lasse ich mein System für ein paar hundert Meter ins Tal rauschen. Lege mich in die Kurven und muss mir Mühe geben nicht dem Rausch der Geschwindigkeit zu verfallen. Die Federung fängt die groben Unebenheiten im Asphalt problemlos ab, absorbiert genauso wie bei einem Motorrad jede Bodenwelle. Es ist ein Traum mit solch einem robusten Hightechgerät, was unser Bike sicherlich ist, die Passstraße hinunter zu hämmern. Es hält exakt, trotz der schweren Ladung, die Spur und beginnt nicht zu schlingern. Was auch eine Gefahr in sich birgt, da ich dadurch die sich ständig steigende Geschwindigkeit nicht wahrnehme. „Nicht so schnell!“, warnt mich Tanjas Ruf. Um die Geschwindigkeit unter Kontrolle zu halten muss ich in die Eisen steigen, besser gesagt an den Bremshebeln ziehen. Schwerstarbeit für unsere Magurabremsen. Unter solchen harten Bedingungen garantieren uns die Scheibenbremsen die nötige Sicherheit das Gewicht von 220 Kg, inklusive meines Körpers, in kurzer Zeit von 50 km/h auf 10 km/h zuverlässig abzubremsen. In manchen Abschnitten der Passstrecke sogar über 10 oder 20 Minuten hinweg. Dabei glühen die Bremsscheiben nicht aus und die Bremsleistung bleibt zu hundert Prozent erhalten. Trotzdem legen wir während längeren Talfahrten kurze Pausen ein, um dem Bremssystem die Chance zu geben ein wenig abzukühlen.
Bei 1200 m angekommen, arbeiten wir uns wieder nach oben. An manchen Stellen müssen wir wegen der enormen Steigung in den dritten Gang runter schalten. Klack, klack, klack, springt das Schaltgetriebe der Rohloff in den richtigen Gang. Fantastisch wie verlässlich diese Schaltung arbeitet, denn es ist nicht selbstverständlich, dass eine Schaltung unter solch einer enormen Last seine Zuverlässigkeit und Präzision behält. Sicherlich könnte man an dieser Stelle meinen; „Aha, jetzt muss er eine Lobeshymne an seine Sponsoren schreiben“, jedoch weit gefehlt. Bis jetzt bin ich einfach begeistert mit welch fantastischer Qualität uns unsere Partnerfirmen ausgerüstet haben. Das ist einfach weltklasse und zum Großteil mit dafür verantwortlich, welch Freude es uns bereitet, auf diese Art, Mutter Erde für uns erforschen und entdecken zu dürfen.
Das Auf und Ab meiner Oberschenkel und mein gleichmäßiges Atmen versetzen mich in eine Art Trancezustand. In bequemer Haltung sitzen wir auf unseren Riese und Müller E-Bikes und lassen unsere Blicke über die Gebirgslandschaft gleiten, dessen höchster Berg Taibai Shan seinen Gipfel 3767 m in den blauen Himmel streckt. „Stopp!“, ruft Tanja hinter mir. „Mein Akku ist leer!“ Weil wir im Turbomodus fahren verblasen wir ca. alle 25 km einen unserer Akkus. Da jeder von uns sechs davon im Gepäck hat, besitzen wir trotz des Gebirges eine Reichweite von mindestens 150 km. Mit unserem Joker, der Aufladung durch die GoalZero-Batterie, sogar 165 km. Also mehr als wir im Winter bei Tageslicht radeln können und mehr als unsere Kräfte zulassen. Ein fantastisches Gefühl nicht mehr von der Angst verfolgt zu sein irgendwo in der Gebirgspampa ohne Steckdose liegen zu bleiben. Mit dieser Reichweite schaffen wir es sicherlich immer bis zur nächsten Ladestation. Und wenn die Temperaturen angenehmer werden, sind wir nun in der Lage irgendwo unser Zelt aufzuschlagen, um dann, am darauffolgenden Tag einen Stromanschluss zu finden. Das heißt, wir sind jetzt noch freier und unabhängiger als vorher und können unbeschwert die atemberaubende Gebirgsfahrt erleben.
Die Bauern, die hier oben schon seit ewigen Zeiten Ackerbau betreiben, haben ganze Bergspitzen abgetragen, um dann auf dem geschaffenen Plateau ihre Felder anzulegen. Manche der so gestutzten Berge sehen wie Ufolandeplätze aus. Wir ziehen die Bremsen, halten an, schießen ein paar Fotos und fahren weiter. Immer wieder führt unser Weg durch Dörfer. Manche der Bewohner sind Imker, deren Bienenvölker direkt neben der Gebirgsstraße in kleinen Holzkästen leben, und in großer Zahl umherschwirren. Manche der Gebirgsbewohner leben in den Felsenhöhlen die uns seit 1000 Kilometer begleiten. Dann erreichen wir einen Parkplatz. In chinesischer Schrift beschriebene Schilder weisen auf einen traumhaften Ausblick hin. Wir stellen unsere Räder ab und laufen mit Ajaci zu einem aus Holz errichteten Papillon. Der Anblick versetzt uns ins Staunen, lässt uns den Mund offen stehen. Unglaublich was dieses Land zu bieten hat. Die gewaltigen Schluchten, die sich vor uns auftun, die der Qin-Ling-Gebirgszug uns an dieser Stelle offeriert, erinnern mich an den Grand Canyon im US-Bundesstaat Arizona. Staunend stehen wir da und inhalieren die unbeschreibliche Schönheit, die Vielfältigkeit, die Unterschiedlichkeit, die Rauheit und die Kraft unserer Mutter Erde.
Es ist schon dunkel, als wir nach 10 Stunden, 128 Kilometer und 1780 erglommenen Höhenmeter, das im Tal gelegene Städtchen Ansai erreichen. Erschöpft aber glücklich stehen wir vor dem Hotel, welches wir schon vorher gebucht hatten. Während ich beginne die Räder abzuladen, geht Tanja zur Rezeption, um uns anzumelden. Es dauert nicht lange als sie stöhnend zurückkommt. „Was ist denn?“, frage ich mit ungutem Gefühl, weil wir in den letzten Monaten schon öfter Schwierigkeiten beim Einchecken in eine Unterkunft hatten. „Stoppe erstmal das Entladen und schau dir die Treppe an.“ „Treppe?“, frage ich. „Ja, da ist eine sehr steile, lange Treppe die zur Rezeption führt. Weiß nicht ob wir es nach so einem anstrengenden Tag noch schaffen wollen alles raufzuschleppen?“ „Okay, ich check`s aus“, antworte ich und stapfe los. In der Tat erstreckt sich direkt hinter dem Eingang die von Tanja beschrieben Treppe in die Höhe. Ihr Anblick ist abschreckend und könnte sicherlich auch einen normalen Reisenden davor abhalten seine Koffer dort raufschleppen zu müssen, geschweige denn einen Radfahrer, der gerade 128 Kilometer Gebirge hinter sich gebracht hat, und jetzt ca. 300 kg nach oben tragen muss. „Wir haben schon ganz andere Sachen geschafft“, motiviere ich Tanja, weswegen wir mit vereinten Kräften die Satteltaschen, Fahrräder und Anhänger nach oben hieven. Als wir alles in der Lobby haben sind wir bis auf die Haut durchgeschwitzt. Zum Glück gibt uns die Dame an der Rezeption ein Zimmer im gleichen Stock direkt hinter dem Empfang. Da wir nur eine Nacht bleiben, ist es uns auch egal, dass das Zimmer kein Fenster hat, nach Rauch stinkt und völlig verwahrlost ist. Wie immer stecke ich umgehend die ersten leeren Akkus in meine Vierersteckerleiste. „Geht nicht“, sage ich erschrocken. „Was geht nicht?“ „Na die Akkus lassen sich nicht laden“, antworte ich und versuche es an einer anderen Steckdose. Auch dort lassen sich unsere Batterien nicht laden. „Woran kann das liegen?“, wundert sich Tanja. „Ich vermute da kommt zu wenig Leistung aus der Dose.“ Auf der bisherigen Reise hatte ich das Problem schon mal. Vor allem in kleinen Straßenrestaurants, aber in einem Hotel? Nervös laufe ich hin und her und überlege wie ich das Problem lösen kann. Selbst wenn ich nur einen Kraftspeicher anschließe bleibt die Ladeanzeige tot. „Oh man“, stöhne ich, reibe mir den Schweiß von der Stirn und starre auf die Stromsammler als plötzlich die grünen Ladelichter eines Akkumulators zu blinken beginnen. „Da tut sich was!“, rufe ich entzückt als nacheinander alle vier Akkus zum Leben erweckt werden. „Komisch. Woran das wohl liegt?“, fragt Tanja. „Keine Ahnung, Hauptsache es funktioniert jetzt“, antworte ich zufrieden…
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