Zwei Millionen Jahre altes Hindernis, Zaun und Spaltenlabyrinth
N 22°57’38,9“ E 144°55’28.9“Tag: 190 Etappe Drei / Expeditionstage gesamt 581
Sonnenaufgang:
05:26
Sonnenuntergang:
18:46
Luftlinie:
13,8
Tageskilometer:
25
Gesamtkilometer:
5884 km
Temperatur - Tag (Maximum):
38° Grad, Sonne ca. 62°
Temperatur - Nacht:
19° Grad
Breitengrad:
22°57’38,9“
Längengrad:
144°55’28.9“
Gefundener Postrack-Camp — 22.11.2002
Kurz nach sechs Uhr beginnt für uns ein neuer Lauftag. Ich führe die Karawane in Richtung Norden, um einen, auf dem alten Postweg gesetzten Koordinatenpunkt, zu erreichen. Ein großes Wasserloch versperrt uns den Weg. Obwohl es für uns einen kleinen Umweg bedeutet, bin ich erleichtert hier im Aramac Creek nun das zweite Mal auf ein natürliches Wasserloch zu treffen. Im Notfall können wir die braune Flüssigkeit mit einem Wasserfilter reinigen und trinken. Wir umgehen das Hindernis und stoßen auf einen Zaun dem wir in Richtung Nordwesten folgen. „Hoffentlich kommt da bald ein Gatter,“ sage ich, denn unser Zielrichtung liegt im Nordosten. Tatsächlich dauert es nicht lange und ein altes Zaungatter öffnet uns den Weg. Der Kompassnadel des GPS folgend, überqueren wir eine riesige von Menschen gerodete Fläche. Tausende von Bäumen liegen herum und zwingen uns sie im Zickzack zu umgehen. Manchmal sind wir allerdings gezwungen den einen oder anderen Baumstamm zu überqueren. Vorsichtig tasten sich die 24 Kamelfüße über die massiven Hindernisse. Wir kommen nur langsam voran, trotzdem fühle ich mich wieder gut, denn es geht Meter für Meter in Richtung Ziel.
ZWEI MILLIONEN JAHRE ALTES WASSER VERSPERRT UNS DEN WEG
Erleichtert lassen wir die Rodung hinter uns und schreiten nun über endloses Weideland. Der Aramac Creek liegt jetzt wieder südlich von uns und scheint somit überwunden zu sein. Wir folgen einem ausgetretenen Rinderpfad und gelangen auf diese Weise durch ein niedergetrampeltes Gatter. „Schau mal da vorne!“ ,rufe ich guten Mutes und mit befreitem Herzen auf eine Rinderherde deutend die im Schatten einer Baumallee vor sich hindöst. Als wir näher kommen springen sie auf und trollen sich davon. Plötzlich treffen wir auf einen etwa zwei Meter breiten Bach der sich von West nach Ost zieht und uns den Weg versperrt.. „Das muss Wasser aus dem unterirdischen Wassersystem sein,“ grüble ich und betrachte mir den langsam fließenden Bach.
Seit Monaten schon laufen wir über das Great Artesian Basin. Es ist eines der größten unterirdischen Grundwasservorkommen der Erde. „Du glaubst das Wasser hier kommt aus dem Erdinneren?“ ,fragt Tanja. „Ganz bestimmt. Unter uns befindet sich ein gigantischer Untergrundozean der sich vor ca. 100 bis 250 Millionen Jahren bildete und sich über eine Fläche von 1.711.000 Quadratkilometer erstreckt.“ „Klingt ganz schön groß.“ „Es ist geradezu gewaltig groß. Zu deinem besseren Verständnis sprechen wir hier von ca. 1.400 Kilometer Länge mal 1.223 Kilometer Breite. Nachdem was ich gelesen habe liegt unter einem Fünftel Australiens eine riesige Süßwasserblase deren Inhalt ungefähr zwei Millionen Jahre alt ist und 8.700 Millionen Megaliter beinhaltet.“ „Megaliter?“ „Habe ich auch nicht gewusst aber in der Broschüre stand, dass ein Megaliter einer Millionen Liter entspricht. Es wurde erklärt, das ein Megaliter die Hälfte eines Schwimmbecken, in dem olympische Wettkämpfe stattfinden, füllt.“ „Kann man sich kaum vorstellen welche Wassermassen da unter uns herumschwappen,“ staunt Tanja. „Wenn man bedenkt, dass das Meer da unten an manchen Stellen 100 Meter und an anderen Orten 3.000 Meter tief ist, fällt die Vorstellung eventuell leichter,“ meine ich nachdenklich. „Komisch das wir in den letzten Monaten nicht schon öfter an so eine Quelle gestoßen sind,“ wundert sich Tanja. „Hm, vielleicht war das unser Glück, denn ich weiß nicht wie wir hier drüber kommen sollen. Manchmal sind diese Bäche bis zu hundert Kilometer lang.“ „Meinst du wir können unsere Jungs nicht einfach rüber führen?“ „Unmöglich, der Boden ist viel zu morastig,“ antworte ich das Ufer untersuchend. „Ich glaube dort drüben versickert er im Gras. Lass es uns dort versuchen,“ füge ich noch hinzu und ziehe die Karawane nach Westen.
Wir folgen jetzt den Windungen des uralten Wassers. Ich frage mich wie warm es wohl ist, denn es soll mit einer Temperatur zwischen 30° Grad und 100 Grad° aus dem Erdinneren sprudeln.
Bereits 1878 entdeckten die frühen Siedler das Phänomen als sie auf der Suche nach Grundwasser mit einer kurzen Bohrung diese Wasserblase angestochen haben und ein großer Wasserstrahl ans Tageslicht schoss. Innerhalb nur 10 Jahren entstanden 524 Bohrstellen die Artesian Wasser nach oben sprudeln ließen. Im Jahre 1915 erweiterte sich die Zahl der fließenden Bohrstellen auf 1.500. Auf diese Weise war die Wasserversorgung für Schafe und Rinder gesichert.
1915, als 1.500 Bohrstellen das Untergrundwasser an die Erdoberfläche beförderten, lag der Wasserverbrauch bei ca. 2.000 Millionen Liter pro Tag. Heute werden 1.500 Millionen Liter täglich aus dem Untergrund gepumpt. Manche Bohrstellen lassen acht Millionen Liter per Tag an die Eroberfläche dringen und sind unter anderem für solche ewig langen Bäche verantwortlich. Man ist sich heute darüber bewusst dieses riesige Wasservorkommen nicht verschwenden zu dürfen und versucht das Abpumpen und das sich natürliche wieder Auffüllen der Wasserblase ins Gleichgewicht zu bringen. Seit einigen Jahrzehnten hat der Wasserdruck stark nachgelassen. Ein drittel aller gebohrten Wasserlöcher sind bereits versiegt. Heute muss an diesen Bohrlöchern das Wasser mit Motoren heraufgepumpt werden.
„Hier kommen wir auch nicht drüber. Der Bach ist unverändert breit,“ stelle ich fest als wir den Punkt erreicht haben an dem ich glaubte ihm im Gras versickern zu sehen. Etwas entmutigt ziehe ich die Tiere weiter, bis ein massiver Zaun uns eine unüberwindbare Grenze aufzeigt. Von zwei unerwarteten Hindernissen in die Enge getrieben stehen wir nun ratlos da und überlegen wie wir hier weiterkommen. Ich bin versucht jetzt doch unsere Karawane über den Wasserlauf zu ziehen. Doch was ist wenn einer von ihnen darin versinkt? Sebastian bringe ich mit Sicherheit drüber. Hardie wird es auch noch schaffen. Jafar wird eventuell schon schwer einsinken. Im Regelfall reagieren die ersten Kamele genau so wie sie nicht reagieren sollten. Wenn hinter ihnen irgend etwas ihren Lauf bremst wollen sie erst recht nach vorne eilen und zerren somit wie die Irren an ihren Nackenseilen. Wenn dann einer von ihnen im Morast ausrutscht und in den sumpfigen Untergrund fällt, kann er sich leicht den Hals brechen. Die weiteren Folgen wären fatal. Schon bei der Durchquerung der Great Sandy Wüste ist unser jetzt leider verstorbener Max bei einer ähnlichen Situation gefallen. (Tagebuchgesamtübersicht vom 04.09.01, Tag 81, Etappe zwei) Wir wollen unter allen Umständen eine Wiederholung solch eines Unfalles vermeiden. Vorsichtig trete ich noch mal auf das weiche Ufer. Kaum nähere ich mich dem Wasser, sinke ich tief ein. Schnell reiße ich meinen im Morast eingesaugten Fuß aus der Umklammerung. „Wir können nicht einmal daran denken eine Überquerung zu riskieren. Lass uns dem Bach in die andere Richtung folgen. Er wird hoffentlich nicht einer der 100 Kilometer langen Wasserläufe sein,“ meine ich, worauf wir wieder in die Richtung gehen aus der wir gekommen sind.
20 Minuten später folgen wir dem alten Wasser in Richtung Süden, bis uns ein undurchdringliches Gestrüpp den Weg versperrt und uns zu einer weiteren Richtungsveränderung zwingt. Am Rande des Dickichts entlangschreitend entfernen wir uns immer weiter von unserem eigentlichen Zielort. Auch wenn wir versuchen uns die Laune durch dieses endlose Hindernis nicht verderben zu lassen, ziehen sich dunkle Gemütswolken zusammen. Mittlerweile stolpern wir über trockenes Schilfgras, schreiten durch stacheliges Buschwerke, über natürliche Hecken und Unterhölzer, ohne zu wissen wo dieser halsbrecherische Marsch enden wird.
DIE SPUR
Ich drücke mit meinem rechten Arm gerade einen dichten Strauch zur Seite als mein Blick auf ein paar Jeepspuren trifft. Bei der unerwartete Entdeckung klopft mein Herz schneller. Ich führe unsere Jungs auf die Spur und folge ihr. „Die geht sogar in die richtige Himmelsrichtung!“ ,rufe ich Tanja begeistert zu, die mit Rufus wegen der Enge des Pfades hinter der Karawane läuft. Innigst hoffend, von diesem Track zu einem Übergang oder Furt durch den Bach geleitet zu werden, eile ich voraus. Doch wie soll es anders sein, auf einmal winden sich die Reifenabdrücke in eine enge Kurve und ziehen sich plötzlich in die entgegengesetzte Richtung. So geht das eine Weile vor und zurück, nach Westen und Osten, bis wir dann doch an den Bach gelangen. „Da ist er. Die Reifenspuren führen an dieser Stelle durch. Wenn da ein schwerer Jeep nicht versinkt, dann auch kein Kamel,“ sage ich zu Tanja die gerade nach vorne kommt. „Halte bitte mal die Führungsleine, ich sehe mir mal die andere Seite an,“ füge ich noch hinzu und springe über das Flüsschen welches an dieser Stelle sehr schmal ist. Neugierig folge ich den Reifenabdrücken, bis ich wie vom Donner gerührt erschrocken stehen bleibe. Vor mir befindet sich ein richtiger Fluss. Fassungslos starre ich auf die etwa 20 Meter weite Barriere. Ich blicke nach links und rechts, doch soweit ich sehen kann gibt es kein Ende des Wasserlaufes. „Ob es nur ein großes Wasserloch ist? Wenn nicht gibt es hier kein Vorankommen,“ sage ich zu mir selbst und laufe geknickt zu Tanja zurück. Sie erschrickt nicht schlecht als ich ihr von meiner Entdeckung berichte. Da uns kaum eine andere Möglichkeit bleibt entscheiden wir uns weiter der Reifenspur zu folgen. Irgendwo wird sie ja herauskommen. Wir sind uns sicher, dass hier der Stationmanager oder Besitzer ab und zu entlang fährt, um nach seinen Rindern zu sehen. Wahrscheinlich prüft er auch die Wasserläufe und ob eines seiner Rinder in deren morastigen Ufern stecken geblieben ist.
Damit Rufus sich nicht wieder seine Zehenzwischenräume mit dem Lehm verklebt trage ich ihn über den Bach. Dann ziehe ich unsere Jungs drüber. „Ja, es sieht gut aus! Langsamer! Jafar rutscht! Schneller Istan versinkt! Ja, gut so! Alles klar! Geschafft!“ ,höre ich Tanjas Anweisungen. Angespannt, wohin uns dieser Pfad bringt, laufen wir durch das dichte Gestrüpp. Links von uns befindet sich jetzt das zwei Millionen alte Wasser, welches sich durch die dschungelähnliche Landschaft schlängelt und rechts von uns scheint der breite Fluss sein weites Maul gähnend aufzureißen. Wie auf einer Insel marschieren wir ins Ungewisse. Wir sind bereits seit vier Stunden unterwegs und haben gerade mal fünf Kilometer in Richtung Ziel zurückgelegt. Wenigsten können wir hier nicht verdursten, geht es mir durch den Kopf als sich die Spur plötzlich abrupt nach rechts wendet. „Sie führt uns tatsächlich an dem Fluss vorbei. „Hurra! Es ist ein gigantisches Wasserloch, welches hier endet!“ ,rufe ich, als wir die vermeintlich unüberwindbare Barriere völlig unerwartet hinter uns lassen. Wir atmen erleichtert auf und wenn ich könnte würde ich am liebsten die Fahrzeugspur umarmen.
ZAUN ZEIGT SEINE STACHELDRAHTZÄHNE
Mein GPS zeigt nun eine südöstliche Richtung an. Wir müssen allerdings nach Nordosten. Vorsichtig ziehe ich die Karawane jetzt durch ein ausgetrocknetes Flussbett und als ich auf der anderen Seite die Uferböschung hinaufsteige überlege ich mir wie lange wir uns es erlauben können weiter und weiter in die falsche Himmelsrichtung zu schreiten. „Wenn die Spur uns noch länger nach Südosten führt müssen wir den gesamten Weg zurückgehen und versuchen einen andere Furt durch den Bach zu finden,“ meine ich nachdenklich. Kaum haben wir den trockenen Wasserlauf durchquert streckt uns ein weiterer Grenzzaun seine Stacheldrahtzähne entgegen. „Mein Gott, das ist ja ein verdammtes Labyrinth,“ fluche ich ungehalten. Missmutig untersuche ich den Zaun. „Der sieht hier sehr stabil aus. Vielleicht kann ich ihn in dem ausgetrockneten Flusslauf flachlegen,“ sage ich und gehe zurück. Tatsächlich sind dort die Drähte nicht so sehr gespannt. Mit der Zange meines Leatherman biege ich sie auf. Es dauert nur 15 Minuten bis der Durchgang frei ist. Vorsichtig schreiten die Kamele dann über die am Boden liegenden Drähte. Damit sie sich nicht darin verhängen habe ich einige vertrocknete Äste darüber gelegt.
GEFÄHRLICHE SPALTEN UND RISSE
Wir befinden uns mittlerweile wieder im Zentrum des Aramac Flussbett. Langsam bahnen wir uns einen Weg zum Navigationspunkt 75. Er liegt auf der nördlichen Seite des Flussbettes, genau auf dem alten Posttrack. Konzentriert blicke ich auf den Boden. Große Erdrisse ziehen sich wie bei einer gesplitterten Glasscheibe durch den trockenen Untergrund. Plötzlich werden die Risse zu Spalten und manche von ihnen sind bis zu einem Meter tief. Erschrocken über die neue und durchaus extreme Gefahr, ziehe ich die Karawane über den Boden. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich hier einer unsere Jungs ein Bein bricht. Leicht kann es geschehen das ein Fuß in so eine Erspalte tief einbricht und wie ein Streichholz knickt. Bei den Gedanken rinnt mir noch mehr Schweiß von der Stirn. Die Augen brennen, die Hitze und die Fliegen machen uns zu schaffen. Die Psyche ist wie so oft bis aufs Äußerste gefordert. „Ganz langsam Sebastian. Schön langsam. Denk an deine Mates. Die müssen hier auch drüber,“ rede ich mit unserem Kamelanführer, um ihn zu beruhigen.
Wie eine Riesenschlange winden wir uns durch hohes, von der Sonne zu Stroh vertrocknetem Gras. Unter dem sich in einer heißen Briese biegenden Halmen verstecken sich die tückischen Risse die sich bei einem Regen sofort mit Wasser füllen und den Boden zu einem unüberwindbaren tiefen Sumpf verwandelt.
Ööööhhhäää! ,brüllt Sebastian als er in eine Erkerbe stolpert. Sein schwerer Kopf fällt wie ein Schlachtbeil nach unten und zischt nur knapp an meiner Schulter vorbei. Er strauchelt, kann sich jedoch wieder fangen. Auch die anderen Lastentiere stolpern zusehend mehr und mehr in das Spaltenmeer des nach Wasser brüllenden Erdreich. Die langanhaltende Dürre hat hier den Untergrund in Millionen von Teilen zerrissen. Selbst Tanja und ich müssen darauf achten nicht in eine der unzähligen Fugen zu brechen. „Lauft besser nach Leebrook. Da geht ihr nicht verloren,“ hat der Mann uns mit der Halsgrause gesagt. Gestern wollte ich nicht daran denken 50 Kilometer Umweg zu gehen und jetzt quälen wir uns über ein Minenfeld von Rinnen, Höhlungen, Runzel und Falten. Wie lange wird das gut gehen? Ängstlich nehme ich mein GPS aus der Brusttasche. Nur noch 1 ½ Kilometer bis zum Navigationspunkt. Da er auf der anderen Seite des Aramac liegt bin ich mir sicher dort wieder normalen Untergrund zu haben. Das schaffen wir. Wir werden es schaffen, rede ich mir selbst Mut zu.
DER BESTE ZAUN SEIT 6000 LAUFKILOMETERN
Wir schreiten durch einen Gidyeawald. Ein totes Schaf verwest in der Sonne. Der sich auflösende Körper liegt unter einem riesigen Wollballen. „Es kann nicht mehr weit sein. Dann haben wir diese Spaltenhölle hinter uns!“ ,rufe ich nach hinten, um Tanja ebenfalls Mut zuzusprechen. Noch 500 Meter zeigt mir das GPS. Ööööhhhäää! ,brüllt Sebastian wieder auf als er zum wiederholten Mal strauchelt und sein Kopf meine Schulter streift. Durch die Bäume kann ich offenes Land entdecken. Land, welches außerhalb dieses Flussbetts liegt. Erleichterung durchströmt mich für einen Moment. Doch kaum verspüre ich diese angenehme Gefühlswallung greift eine erbarmungslose, eiserne Faust nach mir. Würgt mich am Hals, worauf mir die Augen aus den Höhlen treten. Noch mal und noch mal muss ich hinsehen, um zu begreifen kurz vor unserer Befreiung einem bösen, massivem Zaun gegenüberzustehen. „Das darf doch nicht wahr sein?“ ,schimpfe ich. Ohne nur einen Moment zu stoppen führe ich unsere Kamele an dem Hindernis entlang. Massiver Holzpfosten, fünf starke Drähte und zwei Stacheldrähte ziehen sich durch die Wildnis. Da alle Drähte durch Bohrungen der Holzpfosten führen ist nicht einmal im Traum daran zu denken diese Hürde umzulegen. Ich müsste mindesten vier Pfosten aus dem betonharten Untergrund graben. Nach meiner Schätzung würde das bei 60° Grad in der Sonne zwei bis drei Stunden dauern. Ohne Zweifel ist dies der beste und stabilste Zaun der sich uns in den letzten 6000 Laufkilometern in den Weg stellt.
Völlig erledigt marschieren wir nun wieder in die falsche Himmelsrichtung weiter. Nur nicht aufgeben. Durchhalten. Einfach durchhalten. Irgendwann ist auch dieser Zaun zu ende. Irgendwo gibt es vielleicht sogar ein Tor. Wir werden es schaffen, geht es mir durch den Kopf. Das Meer von Erdlücken und Furchen, von dichtem Gebüsch, Dornensträuchern und hohem Gras zwingt mich die Kamele dicht am Zaun entlang zuführen.
Chchchchrrrrrckck! chchchrrrrrckck, zerreißt plötzlich ein unangenehmes Geräusch die Stille der Mittagshitze. „Nach rechts! Um Gottes Willen! Geh nach rechts!“ hämmert Tanjas Warnruf in meinen Ohren, weshalb ich augenblicklich Sebastian in einem rechten Winkel vom Zaun in das Dickgicht zerre. „Was ist denn geschehen?“ ,frage ich Minuten später als wir alle schwer schnaufend im Gebüsch zu stehen kommen. „Die Satteltaschen. Der Stacheldraht hat mindestens zwei Satteltaschen zerfetzt.“ „Was? Sind es die Taschen mit den Wassersäcken?“ ,verlässt die Frage hastig meine Lippen. „Ich glaube nicht,“ antwortet Tanja. Erleichtert stelle ich nach einer kurzen Schadensüberprüfung fest das kein Wasser ausläuft. „Du wirst heute Abend viel Näharbeiten haben,“ sage ich zu Tanja als ich wieder nach vorne komme und die Tiere weiterlaufen lasse. „Ich weiß, aber immer noch besser als kein Wasser mehr zu besitzen,“ antwortet sie leise.
Durch das ständige Stolpern in die Erschlitze, Lücken und Furchen sind viele der Kamelfußnagelbetten gebrochen und stehen in die Höhe. Wir wundern uns warum sie nicht jammern. Anscheinend sind sie dort entschieden weniger empfindlich als wir Menschen. Am Nachmittag lassen wir uns völlig erschöpft im Schatten eines Baumes nieder. Schnell baue ich das Satellitentelefon auf und gebe zu den vereinbarten Zeiten ein paar Interviews zu ABC Radiostationen. „Wie kommt ihr da wieder raus Denis?“ „Kann ich jetzt noch nicht sagen.“ „Sieht so aus als wäre das eine eurer schlimmsten Situationen auf der gesamten Expedition?“ „Nein, wir hatten schon Schlimmeres. Ich glaube es klingt gefährlicher als es ist. Wir sind zuversichtlich einen Ausweg zu finden. Es wäre das erste Mal wenn uns keine Lösung einfällt.“ „Was macht ihr wenn euch keine Lösung einfällt?“ „Wir werden einen Hilferuf nach draußen senden aber wie gesagt, wir sind uns sicher dieses Labyrinth unbeschadet verlassen zu können,“ schließe ich das Interview. „Sie ist ja ganz schön auf der Dramaschiene herumgeritten,“ meint Tanja müde. „Hm,“ antworte ich wortkarg, das Telefon in den Koffer packend.
„Ich geh mal den Zaun entlang. Vielleicht finde ich ja ein Gatter,“ sage ich zu Tanja und schlurfe davon. Nur zweihundert Meter weiter treffe ich auf die Zaunecke. Von hier führt das massive Drahtgeflecht nach Norden. Würden wir ihm jetzt weiter folgen, würden wir uns noch weiter vom Zielpunkt entfernen. Grübelnd bleibe ich an der Zaunecke stehen. Ich untersuche die Drahtverbindungen, wackle daran und überlege ob ich an dem hiesigen Stützpfosten die Drähte aufbiegen kann. Langsam versuche ich mich an den starken Drahtschlingen und schaffe es den erste Verbindung zu lösen. Durch diesen Erfolg beflügelt mache ich mich an den nächsten Draht, bis ich alle Sieben von dem Pfosten gebogen habe. Dann eile ich zu Tanja zurück. „Ich habe es geschafft uns einen Durchgang in die Freiheit zu biegen.“ „Was? Wie denn das?“ ,fragt sie befreit auflachend. „Da vorne kommt eine Zaunecke. Die Drähte sind dort um den Stützpfosten gewickelt. Nun, kurz gesagt, ich konnte sie aufbiegen.“ „Super,“ ruft sie und springt mit neuer Energie auf die Beine.
Ohne weiteren Schwierigkeiten verlassen wir das Zaun und Spaltenlabyrinth des Kanallandes und schreiten über eine weite, offene Grasebene. Wieder überqueren wir einen Pfad. Nach meinem GPS zu schließen ist es der alte Postweg. „Gratuliere,“ sagt Tanja als wir auf dem Weg zur Freiheit schreiten.
Nur kurz nach unserem Erfolg beziehen wir ein Lager. Beim Abladen stellen wir fest das Hardies Sitzhöcker nicht mehr an seinem Oberschenkel geschliffen hat. Auch Istans Wunde wird durch die tägliche Cremebehandlung wieder besser und Jafars Mulgaholzwunde scheint tatsächlich überm Berg zu sein. Müde, absolut erschöpft aber glücklich diese Herausforderung gut überstanden zu haben, lassen wir uns kurz vor Sonnenuntergang auf die Campbetten nieder. Es dauert nur Minuten bis wir in einen tiefen Schlaf fallen.