Zusammentreffen mit Aborigines, Mit dem Schrecken davongekommen
Temperatur - Tag (Maximum):
ca. 26-32 Grad
Broome — 11.06.2001
Müde hebe ich meinen Körper aus dem bequemen Bett, tapse vorsichtig zur Schlafzimmertür und schalte das Licht an. Es ist fünf Uhr am Morgen. Noch ist es stockfinster. Ich öffne die Vorhänge und sehe eine Weile auf das vom Dach plätschernde Regenwasser. Es spiegelt sich im Terrassenlicht, sammelt sich auf den Boden, um dann zu einem kleinen See zu fließen der sich über Nacht vor unserem Haus gebildet hat. „Aufstehen mein Schatz. Wir haben nicht viel Zeit,“ wecke ich Tanja mit einem Kuss. Schnell ziehe ich mich an und laufe über den großzügigen Rasen zur Mannschaftskantine. „Guten Morgen Chris,“ begrüße ich den Gärtner der gerade sein Frühstück zu sich nimmt. Ich zeige ihm schnell wo sich das Futter für die Kamele befindet, denn er wird sich in unserer Abwesenheit wieder um die Kamele kümmern. Um acht Uhr verlassen wir mit unserem Holden die Homestate in Richtung Great Northern Highway. Durch die starken Regenfälle der letzten zwei Tage haben sich die gerade erst ausgetrockneten großen Seenlandschaften auf Anna Plains wieder mit Wasser gefüllt. „Hoffentlich macht uns der nasse Untergrund keine Schwierigkeiten, wenn wir am Wochenende aufbrechen wollen,“ sage ich und deute auf die Buschlandschaft. Tanja schaut verträumt aus dem Fenster. „Freust du dich?“ ,fragt sie. „Ja, ich bin gespannt was uns in Bidjadangara erwartet,“ antworte ich gut gelaunt.
Der Regen ist mittlerweile weniger geworden und als wir den Asphaltstreifen des Great Northern Highway erreichen, spitzen die ersten Sonnenstrahlen hinter den dunklen Wolken vor. Kurz vor neun Uhr zeigt ein Straßenschild nach Westen auf einen Buschtrack. Bidjadangara Aboriginegemeinschaft 10 Kilometer ist darauf zu lesen. „Wir liegen gut in der Zeit,“ meine ich zufrieden, denn um neun Uhr sollen wir in der Schule einen Vortrag über unsere Expedition halten. Kaum sind wir auf den Weg eingebogen kommt uns ein Jeep entgegen. Erst im letzten Moment erkennen wir das es Annette ist die uns wie vereinbart hier treffen wollte, um uns den Weg zu zeigen. „Hallo Tanja! Hallo Denis,“ ruft sie freudig winkend. Neben ihr sitzt Rose, die Aboriginefrau die vor 50 Jahren auf Anna Plains geboren wurde und uns zum Damper und Fisch essen am Strand eingeladen hatte. Auch sie winkt uns vergnügt zu. Wir folgen ihnen bis die ersten Häuser auftauchen. Ich bin überrascht wie gepflegt das 800 Seelendorf aussieht, denn man hat uns erzählt, dass die meisten Aboriginegemeinschaften total heruntergekommen sind. Im Direktorat werden wir freundlich empfangen. Wir tragen uns in eine Besucherliste ein, unterhalten uns kurz mit dem Schulleiter und seiner Frau die uns in perfektem Deutsch anspricht. Im Verlauf des Gespräches erfahren wir warum sie vor vielen Jahren nach Australien ausgewandert ist und jetzt mit ihrem australischen Mann hier lebt.
Auf dem Weg zum Klassenzimmer werden wir von Kindern aller Altergruppen neugierig beobachtet. Eine sympathische, junge Lehrerin zeigt mir den Fernseher und das Videogerät mit dem wir unseren Film zeigen sollen. Es dauert nicht lange bis sich der große Raum mit Kindern füllt. Ganz vorne dürfen die Kleinsten sitzen. „Sie sind erst zwischen drei und vier Jahre alt. „Wenn sie ihre Aufmerksamkeit verlieren werden wir den Raum verlassen,“ sagt die freundliche Lehrerin. „Natürlich, kein Problem,“ antworte ich. Zehn Minuten später ist der Raum mit etwa 60 Kindern gefüllt. Tanja und ich stellen uns vor und erzählen etwas über uns, das Expeditionsleben und Australien. Aufmerksam hören die Kinder zu und ich bin überrascht welches Interesse selbst die Kleinsten zeigen.
Dann schalte ich den Videorekorder ein und die Augen beginnen zu leuchten. Wir zeigen einen Film über die Durchquerung der Wüste des Todes, Taklamakan genannt. Aufgeregt stupsen sich manche Kinder an der Schulter und deuten auf die Kamele mit zwei Höckern die während der damaligen Wüstendurchquerung unsere Ausrüstung getragen haben. Ich bobachte ihre Gesichter und Regungen und frage mich ob ich den lieb aussehenden Kleinen etwas fürs Leben mitgeben kann. Einen funken Hoffnung, ein Ziel, eine Idee, denn mir ist bewusst das wir Weißen dieser Kultur die Wurzeln entrissen haben und dafür verantwortlich sind das heute viele von ihnen dem Alkohol verfallen sind. Oft leben sie eine Leben ohne Zukunft, ohne Halt und während ich dann zu ihnen spreche verspüre ich einen Kloß im Hals den ich sonst nicht kenne. Ich spreche von der Mutter Erde, davon sie zu berühren, der Natur als unseren Lehrmeister und denke gleichzeitig darüber nach das noch die Großväter und Urgroßväter dieser Kinder mir das wirkliche Urwissen zu den Wurzeln der Menschheit vermitteln hätten können. Ich komme mir seltsam vor, dass ich als Weißer zu einer Rasse spreche die wahrscheinlich die älteste unserer Erde ist und wenn ich ehrlich bin würde ich liebend gerne da sitzen und über das vergessene Wissen der Aborigines hören. Während ich von der Wichtigkeit des Wassers in der Wüste berichte, von der Navigation durch die Endlosigkeit des uralten Kontinentes und von dem Leben unseres Traumes wird mein eigener Wunsch größer und größer einen der alten Gesetzesmänner kennen zu lernen dessen Schüler ich sein darf. Vielleicht wird mein Wunsch erhört und wir treffen auf den nächsten 5000 Kilometern einen Stamm oder eine Gruppe der Menschen vor denen ich so viel Achtung und Respekt in meinem Herzen trage. Wer weiß was die nächsten Monate bringen, wohin sie uns führen, welche Hürden sie uns überwinden lassen und welche Erkenntnisse Tanja und ich daraus tragen können.
Am Ende dieser Stunde verabschieden wir uns von den Kindern mit gemischten Gefühlen zwischen Glückseeligkeit und Traurigkeit. Es sind wie so oft Gefühle die in Worte schwer zu gleiten sind. Wir unterhalten uns noch mit einigen Lehrern die an unserem Reiseleben interessiert sind. Gerne würde ich fragen warum alle Lehrer die ich gesehen habe Weiße sind. Alleine diese Tatsache gibt mir zu denken, doch möchte ich erst mehr über die Situation der Ureinwohner lernen und erfahren, um mir eine Meinung zu bilden.
Gespräche mit Edna, einer Gesetzesfrau der Aborigines über ihre Vergangenheit
Als wir dann, begleitet von einigen Kindern und einer Lehrerin, über den grünen Rasen zu unserem Auto zurücklaufen, kommt uns die liebenswerte Annette entgegen. „Die Frauen sind mit den Vorbereitungen des Essens fertig und warten am Strand auf euch,“ sagt sie lachend. „Oh schön, wir haben uns die ganze Zeit schon darauf gefreut,“ antwortet Tanja fröhlich. Wir steigen in Annettes Jeep. Rose, die Aboriginefrau die wir schon auf Anna Plains kennen gelernt hatten, sitzt schon im Auto. „Schön das ihr kommt. Edna, Myer, Maggie und MT warten schon auf euch,“ sagt sie in ihrer netten Art. Wir fahren durch die Aboriginegemeinschaft und stellen fest, dass zwischen der weißen Lehrersiedlung und dem Dorf ein Zaun gezogen ist. Am Strand treffen wir auf die vier Frauen die um ein kleines Feuer sitzen. Annette parkt ihr Auto hinter einem Busch. „Willkommen Tanja und Denis,“ rufen die Frauen und bieten uns kichernd und ausgelassen einen Platz am Feuer an. Wir schütteln Edna Hopiga, die Frau die als sehr mächtig gilt und das Gesetz ihres Stammes vertritt, die Hand. Auch Myer, Maggie und MT strecken uns ihre Hände zum Gruß entgegen. Tanja und ich setzen uns zu unseren Gastgebern in den warmen Sand. In den gleißenden Sonnenstrahlen ist von der Glut des Feuers nichts zu erkennen, nur leichter Rauch zeugt davon das der Seelachs direkt auf den Flammen liegt. Rose holt den Damper aus der Glut. Sie bläst den Sand fort und klopft ihn ein wenig ab. Dann schneidet sie das lecker riechende Brot auf, streicht Butter darauf und gibt jeden von uns ein großes Stück. „Nehmt euch von dem Fisch,“ sagt MT lachend. Mit bloßen Händen greife ich in dem auf der Glut liegenden Fisch und nehme mir ein Stück. Alle Frauen beobachten mich als ich mir die Köstlichkeit in den Mund stecke. „Hm lecker,“ sage ich verzückt, denn der frische Seelachs schmeckt in der Tat ausgezeichnet. Zufrieden nicken die Frauen und freuen sich als Tanja ebenso zugreift wie ich. „Edna, magst du ein wenig Honig?“ fragt Mt. „Nein danke ich habe doch Zucker,“ antwortet sie. Mir ist gleich zu beginn aufgefallen das diese Frau etwas besonderes, ja eine außergewöhnliche, hochintelligente Person ist. Schnell komme ich mit ihr in ein Gespräch das ich noch vor kurzem nicht für möglich gehalten hätte. Ich erzähle ihr erst über meine Lebensanschauung. Darüber das ich der Überzeugung bin das unsere Mutter Erde eine lebende Kreatur wie wir alle sind. Das wir unter ihrem Schutz stehen, sie jeden Tag berühren und unseren Traum leben dieses Land zu erfahren, für uns zu erforschen und es zu genießen. Aufmerksam lauscht sie meinen Worten, sieht mir in die Augen und beginnt nach wenigen Augenblicken zu lächeln. Ich freue mich über ihren Gesichtsausdruck und fühle mich mit ihr auf unerklärlicher Weise verbunden. „Weißt du Denis, das ist unser Land, das Land unserer Väter und Großväter. Es war ein freies Land bis die Weißen angefangen haben es mit Zäunen zu trennen und zu zerschneiden. Ich kämpfe dafür es für uns zurück zu gewinnen. Man will hier eine Baumwollfarm errichten. Das würde dem Boden das Grundwasser entziehen und alles auf der Oberfläche vernichten. Das darf und wird nicht geschehen. Wir werden hoffentlich vor Gericht gewinnen. In meiner Jungend habe ich auf den Stations gearbeitet. Ich war nahezu mein gesamtes Leben ein Sklave. Ich musste die harten Arbeiten von Männern verrichten. Ich musste Zäune reparieren, Häuser streichen und Tiere zusammentreiben. Es waren Arbeiten die ich nicht wollte und eine Frau in unserem Stamm nie tun musste, aber ich hatte keine andere Wahl. Meinen Eltern lebten ebenfalls auf der Farm des weißen Mannes. Ich bin froh das wir hier auf Bidjadangara unsere eigenen Gemeinschaft und Rechte haben. „Bist du dem weißen Mann böse für die Dinge die geschehen sind?“ „Man kann die Zeit nicht mehr zurückdrehen und es sind nicht alle gleich.“ „Bist du jetzt Glücklich oder denkst du noch oft an die alten vergangenen Zeiten deiner Eltern und Großeltern?“ „Ich bin glücklich aber manchmal schweifen meine Gedanken in die Vergangenheit.“ „Leben eure alten Bräuche und Gesetze noch so wie früher?“ Aber ja, ich sorge dafür das sie meine Kinder nicht vergessen. Wir haben nichts vergessen,“ antwortet sie in einem offenen und freundlichen Plauderton. Ich könnte noch Stunden da sitzen und mich mit ihr über die alte und neue Zeit unterhalten aber die Sonne ist mittlerweile höher gestiegen und es wird mit jeder Minute wärmer. „Wenn du Lust hast zeige ich euch den Platz an dem unsere Vorfahren gelebt haben,“ bietet Edna mir an. „Ich könnte mir nichts besseres vorstellen,“ antworte ich freudig.
Wasserlöcher der Vorfahren
Wir verlassen die Feuerstelle und laufen einige hundert Meter dem Strand entlang. Rufus freut sich wie immer über die Wellen und spielt mit ihnen fangen. Dann biegen wir links ab und stapfen über die Dünen. Plötzlich bleiben Edna und die anderen Frauen stehen. Hier, hier haben sie gelebt, sagen sie und deuten auf den sandigen Boden. Im ersten Moment fällt mir nichts besonderes auf. Erst als Edna uns auf die tausende von Muscheln aufmerksam macht die überall herumliegen sehe ich den Unterschied. Nur hier auf einer Fläche von mehreren hundert Quadratmetern liegen sie verstreut. „Das sind die Muscheln die unsere Vorfahren hier gegessen und weggeworfen haben,“ sagt sie. Ich untersuche die Muschelschalen und stelle fest, dass viele von ihnen porös und brüchig sind. In Gedanken versunken heben ich einige auf und versuche mir vorzustellen wie es hier früher ausgesehen haben mag. Wieder überkommt mich der Wunsch einen Blick in die Vergangenheit werfen zu dürfen. Gerne würde ich erleben wie es war, wie sich die Menschen hier am Strand versammelt hatten. Gerne würde ich mit ihnen auf die Jagd gehen und für einige Zeit mein Leben mit ihnen teilen. „Wenn du möchtest zeigen wir euch die Wasserlöcher woraus unsere Vorfahren getrunken haben,“ sagt Edna. Ich nicke kräftig mit dem Kopf worauf die Frauen ihren Weg über die Dünen in die flache Ebene fortsetzen.
Rufus verloren?
Edna, die schon über 70 Jahre alt ist, hat keine Probleme über den Stacheldrahtzaun zu klettern. Wir steigen jetzt durch hohes Gras. Plötzlich bleibt sie stehen und scheint sich zu konzentrieren. „Hier irgendwo muss es sein,“ sagt sie leise. „Da vorne, da ist es,“ meint sie Sekunden später und deutet mit dem Finger auf einen Flecken hohes Gras der absolut genauso aussieht wie alles andere hier. „Vorsichtig, ich weiß nicht wie groß es ist,“ warnt sie uns als wir durch das meterhohe, dichte Gestrüpp streifen. Langsam schreite ich voran und halte auf einmal erschrocken inne. Direkt vor mir gähnt ein tiefes dunkles Loch welches perfekt von dem Gras getarnt ist. „Stell dir vor wir wären hier mit unseren Kamelen entlanggelaufen, einer von uns wäre da glatt hineingefallen,“ sage ich zu Tanja die in einem respektvollen Abstand neben mir steht. Noch haben wir das Ausmaß des Loches nicht erkannt, als Rufus wie immer freudig und übermütig durch das hohe Gras hüpft. Er spielt mit dem Hund von Annette. Die beiden tollen wie irre herum. Auf einmal fällt Rufus ein uns einen Besuch abzustatten und er rast wie eine Rakete auf uns zu. „Rufus nein! Stop! Um Gottes Willen neiiiiin!“, rufen wir alle, inklusive der Aboriginefrauen, doch Rufus hört nicht. Ehe wir uns versehen verschwindet er vor unseren Augen in dem tiefen Loch als hätte in jemand weggezaubert. Wie versteinert verharren wir sprachlos und warten auf den Aufprall. Wir lauschen für viele Sekunden doch das Loch muss so tief sein, dass Rufus immer noch nicht aufgeschlagen ist. Mit verkrampften Herzen, sicher unseren treuen Gefährden verloren zu haben, knie ich mich ab, taste mich mit den Händen Zentimeter für Zentimeter durch das hohe Gras, um den Rand des Loches zu erfühlen. Endlich habe ich Einblick in das dunkle Nichts und entdecke zu meiner Erleichterung in etwa zwei Meter Tiefe unseren schwanzwedelnden Rufus. „Mensch Rufus, da hast du aber Glück gehabt mein Freund. Du hast uns ja einen furchtbaren Schrecken eingejagt. Komm spring, spring da raus, rufe ich. Rufus hechtet an die lehmige Wand des Loches und klammert sich mit seinen Forderpfoten in die Erde. Tanja beugt sich vorsichtig nach vorne und bringt es fertig ihn da herauszuzerren. Kaum ist Rufus wieder bei uns entdeckt ihn sein Spielgefährte. Freudig und aufgebracht kommt nun Annettes Hund auf Rufus zugerast. „Oh Gott! Nein! Stop! Neiiiiiin!,“ Rufen wir alle doch es ist zu spät und er verschwindet wie Rufus in dem Wasserloch. Annette ist ganz aufgebracht. Schnell sehen wir nach wie es ihm geht, aber auch er steht unverletzt allerdings etwas benommen auf dem sandigen Grund der Öffnung und sieht nach oben. Da er größer als Rufus ist dauert es etwas länger ihn da wieder herauszuhieven, doch wenig später stehen wir um die alte Wasserstelle herum und halten uns die Bäuche vor lachen. Am meisten freuen sich die Aboriginefrauen über den lustigen Zwischenfall denn sie reiben sich die Lachtränen von den Augen. Dann untersuche ich die Wasserstelle und stelle fest, dass sie in einen mehreren Meter tiefen Tunnel mündet der schräg nach unten gegraben wurde. Ich fotografiere noch einige Bilder und filme ohne zu bemerken das die Frauen sich wieder auf den Rückweg gemacht haben. Schnell packe ich meine Kameras ein und folge ihnen. Als wir wieder im Auto sitzen und uns auf dem Rückweg zum Dorf befinden erzählt mir Tanja das die Frauen dachten ich wäre in das Loch gekrochen um es auszukundschaften. „Sie haben sich wirklich gewundert und gemeint das du ein sehr mutiger Mann bist.“ „Warum, was ist denn dabei in so ein Loch zu klettern?“ „Sie sagen das es voller Schlangen ist,“ meint Tanja trocken worauf sich mir die Haare aufstellen.
Im Haus der Malerin Annette
Im Dorf angekommen, verabschieden wir uns von Myer, Maggie und MT. Edna und Rose begleiten uns noch zu Annettes Haus. „Wollt ihr noch auf einen Sprung rein kommen? Ihr seid bestimmt durstig?“ ,fragt uns Annette. „Gerne,“ antworten wir. Im Haus herrscht eine angenehme Atmosphäre. Überall hängen schöne Bilder die Tanja und ich bewundernd betrachten. „Wer ist denn der Maler dieser Kunstwerke?“ ,möchte ich wissen. „Äh, ich,“ antwortet Annette. Ich sehe sie verblüfft an worauf sie sagt: „ich male schon seit meiner Kindheit gerne und bin in der glücklichen Lage von meiner Kunst leben zu dürfen. Mein Mann arbeitet hier in der Schule als Lehrer und unterstützt mich wo er nur kann. Ich lebe ein Leben im Paradies. Am Anfang habe ich hier auf der Schule unterrichtet, war aber unglücklich mit dem Schulsystem und hörte damit auf. Jetzt widme ich meine gesamte Zeit wieder der Malerei.“ Wir unterhalten uns über ihr interessantes Leben, der Kunst, den Aborigines, der Politik und könnten noch viele Tage unsere Gedanken austauschen. Als Annette Tanja, die jetzt ebenfalls schon seit einigen Jahren malt, durchs Haus führt, unterhalte ich mich mit Edna und Rose die zum Stamm der Karagarri gehören. „Wieso heißt dieser Ort Bdjadangara? Gibt es da eine Geschichte dazu?“ ,frage ich interessiert. „Aber ja,“ antwortet Edna. „Möchtest du sie mir erzählen?“ „Das ist eine lange Geschichte, aber ich erzähle sie dir gerne,“ sagt sie, holt tief Luft und beginnt mich in eine andere Welt zu führen: Warakurti, mein Groß- Groß- Großvater war ein guter Jäger und lebte an einem Ort namens Lalurrjartiny. Wie so oft ging er auf die Jagd und war erfolgreich. Er tötete mit seinem Speer ein Emu. Durch die Jagd wurde er sehr durstig und fand nicht weit entfernt eine Wasserstelle. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte ging er nach Lalurrjartiny zurück und berichtet dem Stammesführer von der Jagd und der Wasserstelle. „Wie soll ich diesen Ort nennen?“ ,fragte er Jimirti das Stammesoberhaupt. Jimirti überlegte eine Weile und sagte dann: „Wenn du dort einen Bijarta (Aboriginewort für Emu) gefangen hast, nenne ihn einfach Bijartadangara.“ (Dangara oder Danga ist das Aboriginewort für Ort oder Platz). Seitdem nennen wir diesen Ort Bidjadangara (Schreibweise des weißen Mannes). Es war lange bevor der weiße Mann hier war. Später kamen sie und haben uns aller Jagdgründe beraubt. Jimirti, unser Führer, der erste Cousin meiner Großmutter, den ich selber immer Großvater nannte, suchte einen der Weißen namens Mr. Knight auf. Er sprach mit ihm und bat ihn um Hilfe. „Ihr nehmt uns alle Jagdgründe weg, zieht Zäune in unser Land und wir haben nichts mehr zu essen. Wir brauchen etwas zu essen ansonsten müssen wir verhungern,“ sagte er zu Mr. Knight. Mr. Knight versprach ihm und unseren Leuten zu helfen. Er trat eine Reise nach England an und sprach mit Königin Victoria. „Gebe ihnen Tabak, Mehl und Tee wenn du wieder dort bist,“ befahl ihm die Königin.“ Ich sehe Edna in die Augen und spüre für einen Moment die Traurigkeit in ihr, doch Augenblicke später lacht sie wieder und der Hauch der Vergangenheit ist verflogen. Edna berichtet mir noch wie ihr Volk andere vertriebene Stämme aus anderen Teilen Australiens aufnahmen mit denen sie heute noch in Frieden zusammenleben. Gerne würde ich hier einige Wochen verbringen und mehr von einer Zeit hören die zu den Wurzeln der Menschheit zählt. Gerne würde ich die Geschichten einer Gesetzesfrau des Karagarri Stammes für die Nachwelt festhalten, denn ich bin der absoluten Überzeugung das wir alle daraus lernen können. Doch im Augenblick haben wir andere Pläne. Wer weiß, vielleicht ist es mir ja einmal bestimmt für längere Zeit mit einem Stamm zu leben der seine Verbindung zur alten Welt bis heute bewahrt hat. Vielleicht darf ich das erleben und meine, unsere Erfahrungen mit vielen anderen Menschen auf dieser Erde teilen.
Um 14 Uhr ist es wirklich Zeit sich von den liebenswerten Menschen zu verabschieden. Wir schütteln uns die Hände und umarmen uns. Ich fühle mich auf sonderbare Weise berührt als mich Edna und Rose an sich drücken. „Ich hoffe ihr findet mehr Stammesmitglieder in der Wüste die euch über unsere Herkunft und unser Leben erzählen,“ sagt Edna zum Schluss und schenkt uns ihr sanftes Lächeln. „Wenn ihr mal wieder in Perth seid dann freuen Jean und ich uns euch auf einer Bootstour auf dem Swan River einladen zu dürfen,“ sagt Annette und wünscht uns viel Glück während unserer Expedition. Wir winken ihnen noch eine Weile zu bis unser alter Holden hinter einer Biegung verschwindet.
Mit dem Schrecken davongekommen
Wieder auf dem Great Northern Highway fahren wir Richtung Broome. Gedanken versunken sitze ich hinterm Steuer und lasse Ednas Geschichten und Erzählungen Revue passieren. Die Landschaft gleitet vorbei und der raue Asphaltstreifen zieht sich wie ein Lineal durch das grüne Buschland. Plötzlich werde ich von einem gewaltigen Schlag aus meinen Gedanken gerissen. Schwarze Fetzen fliegen an mir vorbei, treffen mich am Ohr und rechten Arm den ich gemütlich auf den Türrahmen liegen habe. „Scheiße, Scheiße!“ ,fluche ich. „Oh Gott was ist los?“ ,ruft Tanja mit Entsetzen in der Stimme. Mir verreißt es im selben Augenblick das Lenkrad und unser Auto bricht ruckartig nach rechts aus. Instinktiv steuere ich dagegen und vermeide es auf die Bremse zu treten. Vergleichbar mit einem Flugzeug welches eine Bauchlandung hinlegt, schliddern wir mit schrecklich kreischenden Geräuschen über das schwarze Teerband. Äußerst konzentriert versuche ich den Holden in der Spur zu halten. Rauch und Funken scheinen aus dem Motorraum nach oben zu schießen. Als wären wir von einem gewaltigen Profil getroffen kränkelt das alte Fahrzeug mit nach rechts vorne geneigter Schnauze dahin, bis wir am linken Straßenrand endlich zum stehen kommen. Stumm stütze ich erst mal für einige Augenblicke meinen Kopf auf das Lenkrad, um den Schreck zu verdauen. „Wir hatten wirklich Glück das wir uns nicht überschlugen, ein Fahrzeug entgegenkam oder versuchten gerade eins zu überholen,“ sind meine ersten Worte. Uns hat es den rechten Vorderreifen zerrissen,“ sage ich dann und steige mit zitternden Knien aus, um den Schaden zu betrachten. „Oh weh, sie dir das an,“ rufe ich entsetzt, denn von einem Reifen ist absolut nichts mehr zu erkennen. Der Spoiler hat sich in seine Einzelteile zerlegt und liegt mit den Reifenfetzen auf dem Great Northern Highway verstreut so weit ich nur sehen kann. „Sieht ja schrecklich aus. Meinst du das Auto wird jemals wieder fahren?“ ,fragt Tanja sich an die Stirn fassend. „Keine Ahnung. Ich weiß nicht ob die Achse, Lenkung oder der Motor etwas abbekommen haben. Wir sind ja über viele hundert Meter auf der Felge und dem Motorblock gerutscht.“ Während ich den Ersatzreifen heraushole sammelt Tanja die auf der Straße verstreuten Teile unseres Holden zusammen. Mehr als verzweifelt untersuche ich die Felge und den Motor als ein Fahrzeug anhält. Ein älteres Paar steigt aus und fragt uns nach unserem Befinden. „Oh… das sieht ja entsetzlich aus. So was habe ich wirklich noch nie in meinem Leben gesehen,“ meint die Frau und hält sich die Hand vor dem Mund. Während die beiden staunend vor unserem Auto stehen kommt Tanja mit den Teilen zurück und stellt sich vor. „Ich bin Pat Edwards und das ist mein Lebensgefährte Lloyd Fenner. Benötigt ihr vielleicht Hilfe?“ ,fragt die freundliche Dame. „Kann ich noch nicht beurteilen,“ antworte ich und versuche den alten Wagenheber unter den Holden zu schieben. Leider liegt durch den fehlenden Reifen das Auto zu tief auf der Straße so das unser Wagenheber nicht darunter passt. Letztendlich nutze ich den Wagenheber von Pat und Loyd und wenig später ist der Reifen ausgetauscht. Dann untersuche ich noch den Motor und die Lenkung und stelle nach einer kurzen Testfahrt fest, dass wir offensichtlich mit dem Schrecken davongekommen sind. Wir verabschieden uns von den beiden netten und hilfsbereiten Menschen und setzen unsere Fahrt nach Broome fort.
Broome
Am späten Nachmittag erreichen wir die Touristenstadt Broome. Erschöpft parken wir unseren jetzt mitgenommen aussehenden Holden am Cable Beach. Wir kommen gerade rechtzeitig um den spektakulären Sonnenuntergang genießen zu können. Auf einer saftig grünen, sehr gut gepflegten Rasenfläche liegen Menschen aus allen Herren Länder um das Naturschauspiel zu beobachten. Der Ort befindet sich auf einer vom Meeresspiegel erhobenen Küstenfelsformation und gibt den Blick auf den ewigen, leichtgeschwungen und zweifellos traumhaft schönen Sandstrand der Nordwestküste Australien frei. Die Sonne gibt sich alle Mühe ihren Ruf gerecht zu werden und verzaubert den abendlichen Himmel in ein Inferno der Farben. Menschentrauben stehen da und fangen die Bilderbuchatmosphäre mit ihren Kameras ein. Unser Blick fällt auf eine riesige Kamelkarawane die im späten Licht so aussieht als stünde sie in Flammen. Touristen reiten auf den Rücken der Tiere und erfahren auf diese Weise ein besonderes Erlebnis. Nachdem die Sonne untergegangen ist setzen wir uns in eines der Restaurants. Es ist ein seltsames Gefühl nach den knapp zwei Monaten im Busch und der Abgeschiedenheit wieder von so vielen Menschen umgeben zu sein. Wie so oft stellen wir fest, dass unser selbst gekochtes Essen viel besser schmeckt und obwohl wir hier im Urlaub sind fühlen wir uns durch die hohen Preise wie beraubt.
Nach dem Essen fahren wir zu Rowena und Peter die uns vor wenigen Tagen auf Anna Plains besuchten und als Filmproduzenten Interesse haben eine Fernsehserie über unsere Expedition zu produzieren. Wir werden freundlich empfangen, bekommen ein eigenes Zimmer und unterhalten uns noch bis zum späten Abend über unsere Pläne.