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Moldawien/Kloster Marta si Maria

Ziegen- und Schafsstallungen des Klosters

N 46°43'59.9'' E 029°27'37.1''

Ich verbringe den gesamten Tag im Zimmer und schreibe über unsere Erlebnisse. Am Abend gehe ich mit Tanja spazieren, um meinen Kopf wieder frei zu bekommen. Wir befinden uns gerade am Ziehbrunnen des Klosters als der Baumeister Atoll im Begriff ist mit seinem Auto wegzufahren. Als er uns entdeckt steigt er in die Eisen, legt den Rückwertsgang ein, hält neben uns und fragt in Zeichensprache ob wir mit wollen. Obwohl wir im Augenblick gerade keine Lust verspüren irgendwohin zu fahren, sagen wir sofort zu. Der Baumeister der Kirche ist ein kaum zu beschreibender freundlicher Mann. Er lacht, schlägt die Fahrertür des klapprigen alten Golfs zu und auf geht’s zu einem für uns unbekannten Ziel. Während ich neben Atoll sitze hat es Tanja sich auf der Rückbank neben einer Nonne bequem gemacht.

Die zusammengeflickte Karosse blättert über den moldawischen Asphaltstreifen in Richtung der Stadt Causen. Vorbei geht es an der Kreuzung, an der das Schild mit der Kilometerangabe nach Bender, der Stadt in Transnistrien, steht. Wir rauschen an dem gelben Hotel vorbei dessen Aussehen mich vor einer Woche noch sehr irritierte. Dann verlassen wir die Stadt, brausen auf einen Bergrücken und halten neben einigen einfachen Stallungen. “Das sind die Schafs- und Ziegenställe des Klosters. Von hier kommen die Milch und der Käse”, verstehen wir.

Bevor wir zu den Ställen laufen lassen wir erstmal unsere Blicke über die eigenwillige Gegend kreisen. In einer von der Sonne verbrannten Hügellandschaft ziehen sich vereinzelnde grüne Baumgruppen dahin. Am Fuße des Hügels kauern ein paar, mit grauem Wellblech, gedeckte Dächer. Vor dieser schönen Kulisse befinden sich die Tiergehege. Ein Hund wacht über die einfache Anlage. Ein Teil der Hütten sind ebenfalls mit Wellblech gedeckt. Ein Schäfer stellt sich mit seinem Hund stolz vor die Kamera, um abgelichtet zu werden. Unter dem einfachen Dach sitzen vier Männer und zwei Frauen nebeneinander vor einer Bretterwand. Durch eine schmale Öffnung in der Wand schiebt ein weiterer Arbeiter eine Ziege. Sofort wir sie von einen der Dasitzenden gepackt und zu einem Kollegen geschoben. Der zieht die Ziege an den Hinterbeinen über eine Schüssel. Sie wird zwischen die Beine genommen und flinke Hände bearbeiten die Zitzen des Euters. Die Milch spritzt in die Schüssel. Kaum ist das Euter leer wird schon die nächste Ziege zwischen die Beine geklemmt. Die sechs Melker arbeiten auf diese Weise im Akkord und sind sehr produktiv. Ich knie in der Mitte der Ziegenherde und fotografiere. Erst werde ich misstrauisch oder scheu beobachtet. Es dauert jedoch nicht lange und die Menschen beginnen zu lachen. Die erste Fragen werden gestellt und Atoll erklärt den Hirten und Arbeitern das wir im Kloster zu Gast sind.

Auf dem Nachhauseweg hält Atoll an einem Magazin. Freudestrahlend bringt er drei Flaschen Bier und drückt jedem von uns eine Eiskrem in die Hand. “Oh, Eiskrem!”, sage ich überrascht, an unser letztes Erlebnis bei Luda denkend. Doch wie soll man in diesem Fall ablehnen? Unmöglich. Atoll wäre bestimmt enttäuscht. Ich packe das Eis auf und beiße hinein. “Hm, lecker. Kannst du ohne Schwierigkeiten essen”, sage ich, um Tanja etwas zu beruhigen. Dann öffnet Atoll zwei Flaschen Bier. Eine ist für Tanja und die Nonne und eine für mich. Da er Auto fährt trinkt er sein Bier später, erklärt er. Dann fahren wir wieder los. Diesmal in eine andere Richtung. “Hier ist die Abkürzung zur ukrainischen Grenze. Ihr braucht nicht über Causen zu fahren. Diese Strecke ist mindestens zehn Kilometer kürzer”, erklärt er.

Wieder im Kloster werden wir sofort von Schwester Domnina empfangen. “Ich habe euch schon gesucht. Kommt, euer Essen ist fertig”, sagt sie und führt uns in den Speisesaal. Einige Schwestern und Nonnen setzen sich zu uns an den Tisch. “Erzählst du uns wieder eine Geschichte?”, übersetzt Schwester Domnina. “Gerne”, sage ich und erzähle wie bald jeden Abend ein Erlebnis aus unserem Reiseleben. Diesmal, wie meine mutige Tanja in Pakistan meine Hand rettete. Wie sie unserem Kamelbullen ans Maul sprang und solange an seinen Lippen zerrte bis er meine Hand freigab. Die Nonnen lauschen gebannt, begleiten meine Geschichte mit einem “Ah” oder “Oh”. Sie öffnen ihre Augen wenn es besonders spannend wird oder lachen herzhaft wenn sie Lustiges vernehmen. Sie sind ein sehr dankbares Publikum. Ein Publikum dem es große Freude bereitet unser Abenteuer zu hören. Keine von ihnen unterbricht. Gebannt warten sie darauf was Schwester Domnina zu übersetzen hat. Atoll und Vater Andrew sitzen auch oft mit am Tisch. Auch sie haben Spannendes und Interessantes von ihrem ereignisreichen Leben zu berichten. Nicht selten verabschieden wir uns erst um 23:00 Uhr von einander. Während wir dann ins Bett gehen suchen sie die Kirche auf um zu beten.

Nächtliches Lager am SeeIn meiner Kammer hat es ca. 30 Grad. Ich schnappe mir die Isomatte, Stirnlampe, den Schlafsack, eine Plastikplane und ein Kissen und schleiche mich wie jede Nacht an den Stallungen vorbei. Laute Geräusche dringen aus den Unterkünften der Schweine. “Die schnarchen wie Menschen”, wundere ich mich. Von den Rindern höre ich nur das leise Geklimper der Ketten und das Rumpeln ihrer Mägen. Dann habe ich die Gehege hinter mir, schreite langsam an der heiligen Quelle vorbei, gehe die Treppen hinunter und befinde mich auf dem Weg zum Klostersee. Dort angekommen breite ich die Plastikplane an der Stelle aus wo vorher unser Zelt stand. Dann lege ich die Isomatte darauf und fertig ist mein Nachtlager. Die Temperaturen hier sind angenehm. Ein leichter Wind lässt die Blätter der Eichenbäume rascheln. “Hast du keine Angst ganz alleine am See zu schlafen?”, hatte mich Domnina gefragt. “Nein”, antwortete ich. Doch die ersten Momente im Klosterwald sind jedes Mal gewöhnungsbedürftig. Plötzlich kommen zwei Jugendliche vorbei und setzen sich an den nahen Tisch, um eine Flasche Bier zu trinken. Wenige Augenblicke später entdecken sie mich. Erschrocken springen sie auf und verschwinden. Ich blicke in den mondlosen Himmel. Satteliten ziehen ihre Bahn durch das Firmament. Sterne leuchten hell. Die Milchstraße ist aber nur schemenhaft zu erkennen. Frösche quaken vereinzelnd. Ab und zu springt einer mit einem lauten Plumps ins Wasser. Ob sie von Schlangen gejagt werden? Erst gestern Morgen habe ich eine Schlangenhaut neben meinem Lager entdeckt. Tack! Tack! Tack! Tack! Ertönt es plötzlich. Der Wind trägt das Geräusch bis zum See hinunter. Toak heißt das Brett welches von einer Nonne mit einem Holzhammer bearbeitet wird. Die Toak (Rumänisch) oder auch Bilo (Russisch) ist ein etwa zwei Meter langes Holzbrett. Es wird seit dem dritten Jahrhundert eingesetzt, um den Nonnen und Mönchen den Gottesdienst anzukündigen. Es stammt aus der Zeit in der es noch keine Glocken gab. Hier im Kloster Marta si Maria pflegt man noch diese alte Tradition. Da wir aber im 21. Jahrhundert leben läuten danach trotzdem noch die Glocken. Es ist 23:00 Uhr. Wieder sollen die Nonnen zum Beten gehen. Es ist keine Pflicht zu beten aber jede Nonne weiß, dass das Ausfallen lassen eines Gottesdienstes nicht gut für sie ist. Das hat uns Domnina gestern erklärt. In der Regel finden die Messen von 7:00 bis 10:30 Uhr am Morgen, von 17:00 bis 18:00 Uhr am späten Nachmittag, von 23:00 bis 24:00 und von 24:00 Uhr bis 2:00 Uhr in der Nacht statt. Ich drehe mich auf die Seite und stöhne laut. “Gott sei Dank bin ich kein Mönch”, flüstere ich. Wieder beobachte ich das nächtliche Himmelszelt. Der Wind frischt auf und lässt die großen Äste über mir bedenklich ächzen. Ein Tier mit vier Beinen huscht unweit von mir vorbei. Was war denn das? Im Strahl meiner Stirnlampe kann ich nur noch den Schimmer eines rötlichen Fells erkennen. Die nächtlichen Bewegungen hier draußen bleiben abwechslungsreich und halten mich vom schlafen ab. Es ist 24:00 Uhr. Der Wind lässt die Temperaturen weiter sinken. Geschätzte 21 Grad. Ich packe den Schlafsack aus und lege ihn über meine Hüften. An der heiligen Quelle höre ich Stimmen. Ob es die Nonnen sind die hier draußen Wachdienst haben? Hundegebell von einem Hof durchdringt den Wald. Der Ruf eines Vogels ertönt in regelmäßigen Abständen. Ich versuche herauszufinden wo er sitzt, mach mir Gedanken über die weitere Reise und falle endlich in einen unruhigen Schlaf.

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