Zeit der unglücklichen Zufälle ist gekommen
N 22°25’20.6“ E 147°25’19.5“Tag: 219 Etappe Drei / Expeditionstage gesamt 610
Sonnenaufgang:
05:23
Sonnenuntergang:
18:53
Luftlinie:
27,4
Tageskilometer:
36
Gesamtkilometer:
6334 km
Temperatur - Tag (Maximum):
38° Grad, Sonne ca. 58°
Temperatur - Nacht:
21,1° Grad
Breitengrad:
22°25’20.6“
Längengrad:
147°25’19.5“
Mutation-Camp — 21.12.2002
Piep! Piep! Piep, wecken uns um 3:00 Uhr früh die Armbanduhren. Völlig gerädert schlage ich meine Augen auf. „Es regnet immer noch,“ sagt Tanja. „Hm,“ antworte ich wortkarg. „Eigentlich stehen wir ja nur so früh auf, um den heißen Sonnenstrahlen während des Ladens zu umgehen?“ „Stimmt. Während des Regens gibt es keine Sonne also lass uns erst um 4:00 Uhr aufstehen,“ sage ich, stelle meine Uhr und schlafe sofort weiter. Als wenig später die Stunde vorbei ist und es immer noch regnet einigen wir uns erst um 5:00 Uhr aufzustehen.
Um 5:00 Uhr nieselt es noch immer. Trotzdem verlassen wir unser Zelt und brechen unser Lager ab. Der Boden ist durch den nächtlichen Regen aufgeweicht und bleibt an allem kleben. Da wir uns hier in einem Bereich der schwarzen Erde befinden, kämpfen wir mit dem schon beschriebenen Superklebereffekt.
Als wir um 8:10 Uhr aufbrechen brennt uns die Sonne schon seit Stunden aufs Haupt. Alles dampft wie in einem Kochtopf. Die Luft ist Schwül und das Atmen fällt uns nicht leicht. Schon nach wenigen Metern klebt unter unseren Schuhen ein regelrechter Erdberg. Wie auf Stöckelschuhen wackeln wir dahin. Millionen von Fliegen surren um unsere Köpfe. Die Feuchtigkeit scheint ihre Zahl in wenigen Stunden vervielfacht zu haben. Um einen Campplatz zu finden sind wir gestern durch ein Tor auf die andere Seite des Grenzzauns gegangen. Jetzt laufen wir ihm wieder entlang und hoffen darauf ein Gatter zu finden welches uns den Weg zur Hauptstraße freigibt. „Ein lästiges Zeug,“ sage ich. „Du meinst die verdammte, klebrige Erde?“ „Ja. Wirklich anstrengend sich mit den Erdbergen unter den Schuhsohlen fortzubewegen.“ „Wir können nur froh sein bald wieder auf der Straße laufen zu können. Stell dir vor dieser Regen hätte uns im Zentrum des Schwarzen Erde Landes erwischt.“ „Keine gute Vorstellung,“ antworte ich wie ein Wahlross schnaufend.
„AUTO! LASTWAGEN! ROADTRAAAAIIIINNN!“ SIND TANJAS WARNRUFE
Eine halbe Stunde später befinden wir uns wieder auf der Gregory Developmental Road und schreiten mit großen Schritten voran. Wie gestern auch donnern immer wieder Roadtrains an uns vorbei. „Auto! Lastwagen! Roadtraaaaiiiinnn!“ sind Tanjas Warnrufe die von Zeit zu Zeit zur Spitze der Karawane dringen. Immer, wenn ein Lastwagen oder ein Roadtrain kommt, versuche ich auf den Seitenstreifen oder in den Straßengraben auszuweichen. Natürlich rastern meine Augen in Sekundenbruchteilen wie ein Computerprogramm den Raum neben der Straße, um eventuelle Glasscherben, Flaschenhälse und Flaschenböden zu erkennen. Sollte einer unserer Jungs da hineintreten würde das sein Ende bedeuten. Zumindest wäre eine aufgeschnittene Fußsohle eine Verletzung, die bis zu einem Jahr benötigt um zu verheilen.
Jasper und Edgar springen unverändert in panikartiger Flucht nach links und wollen ihre Mates sogar überholen. Da sie jetzt aber in die Büsche laufen ist die Gefahr für uns nicht mehr groß. Allerdings gibt es auch auf der linken Straßenseite ein paar Ausnahmen. In unregelmäßigen Abständen leitet ein dickes Rohr während starkem Regen Wasser von der linken auf die rechte Seite der Straße und anders herum. Die Rohre sorgen dafür das während starker Regenfälle die Straße nicht überschwemmt wird. Manchmal ist der Asphaltstreifen genau an so einer Stelle stark erhöht, so dass der Straßenrand einen zwei bis drei Meter tiefen Graben bildet. Wenn wir mit unserer Karawane an so einem abschüssigen Rand vorbeigehen und genau in diesem Moment ein Roadtrain überholt, würde Jasper vor lauter Aufregung glatt in die Tiefe stürzen. Das Resultat wäre fatal, denn er würde sich dabei höchstwahrscheinlich am Nackenseil erhängen und seine Kumpels mitreißen. Nur der Gedanke daran lässt uns die Haare zu Berge stehen.
Mittlerweile haben wir schon viele solche gefährlichen Stellen hinter uns gelassen. Manchmal war es zwar knapp aber ich konnte die Kamele immer rechtzeitig vorbeiziehen, bevor der Roadtrain an uns vorüberdonnerte, womit ich auch die Lastzüge meine die uns entgegenkommen. Um die Situation im voraus berechnen zu können habe ich mir eine simple Technik angewöhnt. Sobald ich mit Sebastian den Bereich des Straßenabhangs betrete, zähle ich meine Schritte. Es sind genau 26 ausgreifende Schritte bis auch Jasper an dem Gefahrenpunkt vorbei ist.
ZEIT DER UNGLÜCKLICHEN ZUFÄLLE
Aber da vieles dem Gesetzt der Serie unterliegt ist der Zeitpunkt der unglücklichen Zufälle gekommen. Als ich ca. 30 Meter vor uns wieder einen steilen und etwa 50 Meter langen Brückenübergang entdecke, trifft mich Tanjas Warnruf wie ein Pfeil. „Roadtraaaaiiiinnn!“ ,hämmert es in meinen Ohren. Mir bleibt nicht viel Zeit zum Handeln. Wenn ich weiterlaufe wird uns der Roadtrain genau auf dem Stück mit dem Abhang erwischen. Da der vor uns liegende Wasserübergang sogar mindestens fünf Meter hoch ist und die Straße eher wie eine Brücke aussieht, ist an ein Weitermarschieren nicht zu denken. In der Hoffnung der Roadtrain überholt uns noch vor dem gefährlichen Hindernis verringere ich sofort die Laufgeschwindigkeit. Ich gehe jetzt gerade so langsam, dass die Tiere nicht in die Gefahr laufen sich auf der Straße in einem Knäuel zu stauen. Rrrooaaa höre ich es hinter mir immer lauter brüllen. Meine Kalkulation geht nicht auf. „Jasper weicht nach rechts aus! Oh Gott! Die Kamele stauen siiiich!“ brüllt Tanja aus Leibeskräften. Ich trete einen schnellen Schritt nach rechts, um nach hinten sehen zu können. Das Monstrum mit drei Anhängern ist nur noch hundert Meter hinter uns. Ich höre die Kompressorbremse des Stahlkolosses. Schweiß tritt mir augenblicklich auf die Stirn. Tu was Denis! Tu doch was! ,brüllt es in mir. Ich sehe nach links. Wir befinden uns noch knapp 10 Meter vor dem Brückenübergang an dem es kerzengerade nach unten geht. Direkt neben mir ist die Böschung auch schon unverantwortlich steil. Rrrroooooaaaaa donnert das Erdbeben heran und ich sehe wie Jasper und Edgar in die Asphaltmitte rasen. Ohne noch länger zu überlegen nehmen ich den Weg des geringsten Übels. Nur wenige Meter vor dem vor uns liegenden, gähnenden Abgrund reiße ich Sebastian die steile Böschung hinunter. Er gleitet den steilen Hang wie ein Skifahrer im Pflug nach unten und zerrt den armen Hardie hinter sich her. Hardie rast wie ein Stürmer in die Tiefe und knallt Sebastian in den Hintern. Rufus kann sich mit einem akrobatischen Akt gerade noch halten. Jafar und Istan reißen die Augen auf und bevor sie sich währen können zieht sie das Nackenseil in die Tiefe. Rrrrooooaaaaauuuuu! ,brüllt es über unseren Köpfen auf, als der Roadtrain vorbeidonnert und Jasper und Edgar mit fliegenden Fahnen den steilen Hang hinuntergleiten. Mit zitternden Beinen bleibe ich stehen. Tanja kommt jetzt ebenfalls die Böschung hinunter. „Ich verstehe nicht warum sie sich gerade jetzt auf die Straße gestaut haben? Das war verdammt knapp!“ „Ich bin zu langsam gelaufen. Es war meine Schuld aber ich wollte unter keinen Umständen hier runter. Sind unsere Jungs unverletzt?“ ,frage ich, weil ich aus meiner Sicht nicht alle sehen kann. „So wie es aussieht ging die Talfahrt gut. Wir haben Glück gehabt.“
UNSER ZELT VERFORMT SICH SCHLAGARTIG ZU EINEM EI
Schon nach einer kurzen Verschnaufpause setzen wir unseren gefährlichen Marsch fort. Erst nach 14:00 Uhr finden wir am Rande eines dichten Waldes einen Campplatz. Es ist nicht mehr ungewöhnliches nach 36 Laufkilometern und den Aufregungen des Tages mit unseren Kräften am Ende zu sein. Müde aber immer noch mit einer fantastischen Moral bauen wir unser Lager auf. Tanja und ich verstehen uns trotz der Anstrengungen blendend. Das ist mit Sicherheit ein Grund warum wir diese Gewaltmärsche und die vielen sich ständig verändernden Gefahren gut überstehen.
Am späten Nachmittag ziehen sich nordöstlich von uns böse Wolken zusammen. Diesmal baue ich das Zelt sofort auf. Kaum steht unsere Schutzhülle, springt Rufus hinein und ist nicht mehr herauszubringen. „Du wirst doch nicht vor dem Gewitter Angst haben?“ ,sage ich und sehe ihn fragend an. „Und ob ich Angst habe. Schau doch was da auf uns zukommt. Mich bekommst du da nicht mehr heraus,“ scheint er zu brummeln, worauf ich ihn gewähren lasse.
Wir nutzen das Tageslicht, um unser Camp sturmsicher zu machen. „Sieht gar nicht gut aus,“ raune ich den Himmel studierend. „Meinst du es kommt über uns?“ „Ganz bestimmt. So wie sich die Wolken im Augenblick zusammenbrauen haben sie sich genau diesen Fleck als ihr Ziel ausgesucht. Ich baue besser auch unsere Schutzplane ab. Wenn der Sturm über uns kommt wird er das Ding zerfetzen,“ meine ich und löse die Schnüre von den hohen Bäumen.
Unser Campplatz liegt genau vor einem riesigen gerodeten Landstück. Durch die offene Fläche können wir das jetzt immer schneller herannahende Unwetter gut beobachten. Es donnert und grollt am Horizont. Blitze gleißen durch die schwarzblauen Wolkentürme und scheinen sie wie Schwerthiebe für wenige Augenblicke regelrecht in Stücke zu hacken. Ich hole unsere Filmkamera, um das Schauspiel zu filmen. Es herrscht nahezu Windstille. Direkt hinter unserem Zelt strecken sich riesige Bäume in den dunkler werdenden Himmel. Sorgfältig habe ich darauf geachtet unsere kleine und zerbrechliche Behausung außerhalb des Bereiches von fallenden Ästen aufzustellen, denn immer wieder werden Menschen von umfallenden Bäumen und Ästen in ihrem Zelt erschlagen. „Schau dir das an!“ ,rufe ich auf das Gefecht der Blitze deutend. Nun mit der Fotokamera im Anschlag versuche ich vergeblich einen der Blitze festzuhalten. Plötzlich kommt starker Wind auf. Eine grausame Windböe folgt und fegt erbarmungslos durch den krachenden und ächzenden Wald. Unser Zelt verformt sich schlagartig zu einem Ei. „Es fängt an!“ ,brülle ich. Auf der Rodung erkenne ich wie die Regenwand sich unaufhaltsam in unsere Richtung frisst. Blätter und kleine Äste fetzen durch die Luft. Tanja ist schon im Zelt als ich noch mal die Sturmverspannungen und die Heringe prüfe. Wieder rauscht ein schrecklicher Windstoß über die Lichtung und holt mich fast von den Füßen. „Mein Gott! Das ist ein ausgewachsener Sturm. Wir liegen genau in seinem Zentrum!“ ,schreie ich mich ins Zelt flüchtend. Gerade noch rechtzeitig hechte ich über Rufus, der sich in der Apside so klein wie es nur möglich ist zusammengerollt hat. Kaum ist mein Körper unter der Stoffbehausung drehe ich mich, um den Reißverschluss zuzuziehen. Ein böser Wind presst sich mit all seiner Wucht dagegen und bläst unser Iglu zu einem fetten Ballon auf. Mit aller Kraft kann ich den mit Sand und Schmutz verklebten Reißverschluss zuzerren. Als hätte sich über uns ein Wasserfall geöffnet rauscht es auf uns hernieder. Der Lärm ist furchterregend. Der Sturm reißt an der Zeltbahn das uns regelrecht die Spucke wegbleibt. Wir haben schon einige Stürme in Australien erlebt aber dieser scheint wieder eine Steigerung zu sein. „Hoffentlich hält das Zelt durch!“ rufe ich. „Meinst du es ist gefährdet?“ ,fragt Tanja ernst. „Wenn es noch schlimmer wird auf jeden Fall!“ sage ich und bete dass das Gewitter schnell vorbeizieht. „Ach du Schande. Da dringt Wasser ein!“ stelle ich fest. Durch einen der Lüftungsschlitze in der Außenhaut schießt das Wasser in Strömen in den inneren Bereich des Zeltes. Hastig schließe ich das Moskitonetz des Innenzeltes, um das Wasser draußen zu halten. „Ich muss raus! Ich muss unbedingt den Lüftungsschlitz schließen!“ ,rufe ich. Sofort öffne ich das Innenzelt, um in das winzige Vorzelt zu klettern. Als ich meine Hand am Außenzelt habe, um auch diesen Reißverschluss zu öffnen, schlägt mir etwas mit peitschender Gewalt auf den Finger. „Aua!“ ziehe ich meine Hand schreiend zurück. „Was ist?“ „Es hagelt. Unmöglich da jetzt rauszugehen. Oh Gott lass es bitte wieder aufhören. Biiitte!“ ,rufe ich mich im Zelt zusammenkauernd. Mittlerweile färbt sich das Innenzelt dunkel. Durch den peitschenden Regen dringt immer mehr Wasser in den Lüftungsschlitz. Ängstlich beobachte ich den größer und größer werdenden Fleck.
Auf einmal lässt das schreckliche Getrommel ein wenig nach. In der Erwartung wieder einen Schlag auf die Finger zu bekommen öffne ich vorsichtig den Außenreißverschluss. Verblüfft blicke ich auf eine weiße Landschaft. Soweit das Auge reicht ist alles mit weißen Hagelkörnern überzogen. Es ist ein eigenartiges Bild so etwas hier im sommerlichen Australien zu sehen. Immer noch kübelt es in Bächen vom Himmel. Weil es aber aufgehört hat zu hageln gehe ich trotzdem raus. Der beißende, kalte Wind peitscht den Regen auf meinen nackten Körper. So schnell es geht laufe ich den Meter um die kleine geplagte Behausung und schließe den Lüftungsschlitz. „Scheiße ist das kalt. Oho ist das kalt. Bibber! Bibber ist das kalt. Ohohooo!“ ,rufe ich und stürze mich nach meiner erfolgreichen Mission wieder über den eingerollten und sprachlosen Rufus. Tanja empfängt mich im Inneren mit ihrem Nachthemd. Sofort reibt sie mich damit trocken. Wieder beginnt es auf uns nieder zu hämmern was das Zeug hält. Der Wasserpegel, um uns herum steigt in Sekunden. Der Trommelwirbel ist kaum auszuhalten als auf einmal und so schlagartig wie es angefangen hat alles stoppt. Verdutz blicken wir uns an. „Ob es das war?“ ,frage ich. „Eigenartig,“ meint Tanja. „Also, ich weiß nicht. Mir kommt es so vor als wären wir jetzt genau im Auge dieses Sturms.“ „Aber es ist doch kein Zyklon. Oder?“ fragt Tanja nervös. „Nein, das glaube ich nicht,“ antworte ich als es plötzlich wieder auf uns eintrommelt. Ich sitze da und ehrlich gesagt beginne ich zu beten. Nur fünf Minuten später stoppt der Trommelwirbel wieder. „Ich glaube das war’s,“ sage ich und öffne den Reißverschluss, um mir den Himmel anzusehen. Tatsächlich haben sich die dunklen Wolken nach Südwesten verzogen. Es donnert und rumpelt noch ein wenig, bis auch diese mächtigen Laute mehr und mehr verstummen.
Erleichtert lasse ich mich neben Tanja nieder. „Puhh, was für ein Tag,“ flüstere ich. „Uns wird auf jeden Fall nie langweilig,“ raunt Tanja leise. „Du sagst es. Ich dachte zwar, dass es hier in der Nähe der Zivilisation einfacher wird aber das war wohl wieder einmal ein Trugschluss. Ganz im Gegenteil sind die Straßen mit ihren Roadtrains, den Glasscherben und Menschen gefährlicher als die Wüsten. Findest du nicht auch?“ „Oh ja. Der Zwischenfall mit dem Roadtrain war wirklich knapp. Ehrlich gesagt sind mir da die Wüsten auch angenehmer,“ flüstert sie. „Tanja?“ „Ja?“ „Ich liebe dich. Du bist eine tolle Frau. Ich bin froh dass du mit mir dieses Leben teilst. Es ist zwar anstrengend aber es hat auch seine Höhen. Schön, dass wir diese zusammen erleben können. Ich bin froh dich zu haben.“ „Ich bin auch froh das ich dich habe…“