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E-Bike-Expedition Teil 1 Sibirien - Online-Tagebuch 2015

Zeit der Obdachlosen, Säufer, Gestrandeten und kriminellen Kreaturen

N 51°17'16.9’’ E 106°32'02.9’’
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    Tag: 26

    Land:
    Russland / Sibirien

    Ort:
    Gusinoosjorsk

    Breitengrad N:
    51°17’16.9’’

    Längengrad E:
    106°32’02.9’’

    Gesamtkilometer:
    8.169

    Temperatur Tag max:
    25 °

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Seit drei Uhr nachts regnet es in strömen. Das Land wird nach der langen Hitzewelle regelrecht ersäuft. Am Morgen sind die Straßen, Plätze und Gehwege unter Wasser. Mit Eimern und allem was sich dazu eignet wird geschöpft. Auf diese Weise machen es einige Menschen möglich, den Plattenbau, in dessen vierten Stock sich unsere Gastiniza befindet, zu betreten ohne durch kniehohe Fluten laufen zu müssen. Erst um 10:00 Uhr zeigt die Natur Gnade, stoppt den massiven Regen und rettet somit viele Bewohner, die im unteren Bereich der Stadt leben, vor dem Absaufen. Wir entscheiden uns heute in dem Schuppen zu pausieren, um auszuruhen, obwohl ausruhen sicherlich die falsche Bezeichnung ist. Wegen unserer Livedokumentationsarbeit und den vielen Erlebnissen, die festgehalten werden wollen, komme ich mit dem Schreiben kaum noch hinterher. Ich nutze den Vormittag um ein paar Kurzaufzeichnungen zu tippen, Bilder in den Laptop zu speisen, sie zu beschriften und zu archivieren. „Lass uns was Essen gehen“, fordert mich Tanja auf eine Pause einzulegen. Gleich neben dem Plattebau kauert sich ein russisches, chinesisches Restaurant an das Gebäude. Wie es so in einfachen Restaurants üblich ist muss man sein Essen an der Theke bestellen. Wir manövrieren uns durch die russische Speisekarte weil wir uns erst wieder an die kyrillischen Schriftzeichen gewöhnen müssen. Vegetarier haben es nicht leicht da hauptsächlich Gerichte mit Fleisch angeboten werden. Nachdem wir glauben zu wissen was wir bestellt haben setzen wir uns an einen der Tische. Aus einem Flachbettbildschirm über uns hämmert russische Popmusik. Eine der vielen Musikshows gibt ihr bestes um uns und die zwei anderen Gäste zu unterhalten. Auf ein paar Tischen wurden Schüsseln und ein Topf gestellt um das durch die Decke tropfende Wasser aufzufangen. So wie es aussieht ist das Dach dieser Räumlichkeit schon seit Jahren undicht. Die Deckenverkleidung quillt an vielen Stellen auf. Manche von den viereckigen, verschmutzen Platten hängen halb herunter und warten auf den richtigen Augenblick den Gästen auf den Kopf oder in die Suppe zu fallen. Der aus Pressspan gebaute Tresen wölbt sich wie Wellblech und versucht krampfhaft seine aufrechte Position zu erhalten. Eine gut beleibte Russin kommt aus der Küche, gefolgt von einem kleinen, dünnen Chinesen, den es aus irgendeinem Grund in dieses von Moskau vergessene Gussinoosjorsk verschlagen hat. „Na hoffentlich schmeckt das Essen besser als dieses Gespann und der Laden aussieht“, sage ich. Wenig später springen wir fast so hungrig wie vorher über die große Pfützen und Erdlöcher zurück zu unserer Unterkunft. „Die sehen mich nie mehr“, meine ich mir meinen Bauch reibend und hoffend das alles drin bleibt.

Das freundliche Personal der Gastiniza lässt mich am Nachmittag gewähren als ich ihr Cafe zur Werkstatt umfunktioniere und unsere Räder repariere. Ich muss an beiden Rädern die Hinterreifen ausbauen, bei Tanja weil das Schutzblech wieder festgeschraubt gehört und bei mir um die Bremsbacken zu erneuern. Dann untersuche ich die Brodcomputer und stelle fest, dass tatsächlich unterschiedliche Reifengrößen einprogrammiert sind. Das Problem der unterschiedlichen Energiezufuhr sollte damit behoben sein. Weil wir in unseren Rückspiegel nur das Gepäck sehen und sich das nur ändern lässt indem sie gedreht werden, müssen die Bremshebel, Schaltung, GPS-Halterung, Kamerahalterung und Glocke abgebaut werden. Dann pumpe ich alle vier Reifen auf 2,5 Bar auf. Mit der kleinen Pumpe ein echter Kraftakt. Um 20:00 Uhr bin ich fertig und freue mich auf einen von Tanja angemachten Salat. Ein Traum im Vergleich zu unserem Mittagessen. Da Tanja morgens und tagsüber mit Ajaci Gassi geht übernehme ich immer die Nachtrunde. Das heißt um 22:00 Uhr in diese hässliche zum größten Teil unbeleuchtete Stadt raus zu müssen. Es ist die Zeit der Obdachlosen, Säufer, Gestrandeten und kriminellen Kreaturen. Mit Hundeabwehrspray bewaffnet laufen Ajaci und ich durch die Straßen und Gassen. In diesen Augenblicken bin ich hoch aufmerksam und achte auf jede Regung und verdächtige Bewegung. Nicht selten werde ich angesprochen. „Was für ein schöner Hund? Wo kommt der denn her? Bist du Amerikaner?“ Manchmal sind es Frauen die zu mir geradezu extrem freundlich sind. Manche von ihnen bieten sich mir unmissverständlich an. Ich lache unschuldig, mache auf nicht verstehen und laufe weiter. Aus manchen Gassen rennen kläffende Hunde auf uns zu. Ajaci bellt, ich bücke mich nach einem Stein. Das genügt meist um die Meute in die Flucht zu schlagen. Inzwischen haben Ajaci und ich sogar großen Spaß daran diese Vierbeiner zu jagen. Wir haben festgestellt, dass ein sicheres Auftreten, sich nach Steinen bücken und gemeinsam auf sie zustürmen ausreicht, um der Meute das Fürchten zu lehren. Manchmal möchte jemand Geld oder etwas zu Essen von mir. Deswegen habe ich bald immer Brot oder Essensreste einstecken die ich dann weitergebe. Ein ganzer Brotleib kostet nur 20 Rubel (ca. 30 Eurocent) und trotzdem gibt es viele hungrige Menschen auf der Straße. Wie auch immer bin ich jedes Mal froh wenn wir ohne unangenehme Zwischenfälle wieder in unserer Gastiniza sind.

In der Nacht können wir kaum ein Auge zumachen. Anscheinend checken zu dieser Zeit Gäste ein und aus. Eine Frau klappert mit ihren Stöckelschuhen mindestens sieben Mal den 50 Meter langen Hotelgang auf und ab dass ich mir sicher bin der Putz fällt aus den Ritzen des armseligen Gebäudes. Auf der Straße herrscht Geschrei als würde jemand ermordet. Vielleicht stimmt das sogar? Polizeisirenen schrillen zwischen das Geschrei, dann ist Ruhe bis es wieder von vorne beginnt. Dazu kommt noch Bauchweh, wie sollte es nachdem Essen beim Russen-, Chinesengespann auch anders sein.

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH www.roda-computer.com Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

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