Wintereinbruch
N 48°57'770'' E 103°04'201''Tag: 44
Sonnenaufgang:
06:30
Sonnenuntergang:
19:41
Luftlinie:
16
Tageskilometer:
20
Gesamtkilometer:
524
Bodenbeschaffenheit:
Wiese
Temperatur – Tag (Maximum):
12 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
4 °C
Temperatur – Nacht:
minus 8
Breitengrad:
48°57’770“
Längengrad:
103°04’201“
Maximale Höhe:
1547 m über dem Meer
Aufbruchzeit:
11:30
Ankunftszeit:
16:21
Die Nacht ist schrecklich kalt. Ein Blick aufs Thermometer verrät minus 11 Grad. Und das am siebten September. Wenn die Grade weiterhin so extrem nach unten purzeln dann gnade uns Gott. Das ist die erste Nacht in der an Schreiben nicht zu denken ist. Der Laptop ist derart kalt dass ich beim Tippen kein Gefühl mehr in den Fingern habe. Im Innenzelt bilden sich überall Reif und Frostblumen. Meine Finger sind aufgesprungen. Die tiefen Risse schmerzen beachtlich. Hätte nicht gedacht zu so einem frühen Stadium der Expedition in Grenzbereiche der Belastbarkeit zu kommen. Vielleicht bin ich aber auch noch nicht richtig an das Leben hier draußen gewöhnt und frage mich ob mein System von der Zivilisation noch zu verweichlicht ist? Hat sich mein Gedankengut noch nicht an die Welt hier draußen angepasst? Nach unserer Erfahrung dauert es manchmal Monate bis Körper und Psyche fremde Umstände ohne zu Murren annehmen. Bis Körper und Geist nicht mehr aufbegehren. Letztendlich ist es immer „state of mind“. Womit ich meine, dass jede Situation nur so schlimm ist wie viel Gewichtung wir ihr beimessen. Nun, wie auch immer. Im Augenblick rebelliert in mir alles. Ich höre mit dem Schreiben auf, packe den Laptop weg und krieche tief in meinen Schlafsack. Meine Füße umklammern ein kleine Wärmflasche die Tanja vor zwei Stunden mit heißem Wasser gefüllt hat. Schnell nehmen sie normale Temperaturen an. Dann wärme ich meine Hände und meine eiskalte Nasenspitze daran. „So eine Wärmflasche ist eine der besten Erfindungen die der Mensch gemacht hat“, denke ich mir und kann heute seit dem Kälteeinbruch vor ein paar Tagen das erste Mal relativ schnell Schlaf finden.
Am Morgen sind unsere Männer schon vor acht Uhr wach. Bilgee hat schon Feuer gemacht und Wasser gekocht. Wir freuen uns über seinen Aktivismus den er unaufgefordert an den Tag legt. Bei Ulzii ist das immer etwas anderes. Im Regelfall müssen wir ihm jeden Handgriff sagen. Heute jedoch können wir uns nicht beklagen und freuen uns über den Fleiß unserer Begleiter. Bevor wir aufbrechen bekommen wir Besuch. Nomaden der Umgebung finden sich im Camp ein. „Woher kommen sie? (Tahanaas irsen be?)Ist die Standardfrage. Wir kommen aus Deutschland“, („Be germanaas irsen“) antworten wir freundlich. Bilgee und Ulzii unterhalten sich und lachen mit den Hirten. Dann sind wir aufbruchbereit. Auch wenn wir gewisse Vorstellungen über den Zeitpunkt unseres Aufbruchs im Kopf haben werden diese regelmäßig durch unvorhersehbare Geschehnisse wie Campbesuche, gerissene Halfter, widerspenstige Wagenpferde und vielen anderen Ereignissen über den Haufe geworfen. Das liegt anscheinend an dem völlig anderen Rhythmus des Landes. Die westlichen Zeitvorstellungen funktionieren hier in keiner Weise. Mit Sicherheit eine weitere große Lernaufgabe dieses Land mit seinen fremden Gesetzen zu verstehen und akzeptieren zu lernen.
Unweit hinter dem Camp passieren wir große, von Menschen angelegt, Steinkreise. Zeugen jahrtausender alter Kulturen. „Sind alte Gräber“, erklärt Bilgee. Wir reiten an einer Felsflanke vorbei und durchqueren einen kleinen Fluss. Eine Furt macht das Hindernis für unseren Pferdetross passierbar. Nomaden sitzen am Ufer schäkern, lachen lauthals und winken uns fröhlich zu. Sie haben eine Flasche Wodka geköpft, um sie in kurzer Zeit zu leeren.
Als sich dann die Sonne hinter finsteren Wolken versteckt sinkt die Temperatur augenblicklich um 15 Grad auf Null Grad ab. Durch den eiskalten Wind fühlt es sich noch viel kälter an. „Schau dir das an!“, ruft Tanja auf die vereinzelnden Schneeflocken deutend die vom Himmel schweben. Wir zügeln unsere Pferde und ziehen zwei wärmende Fliesjacken über. Dann geht unsere Reise durch das extreme Land weiter. Wieder erreichen wir die geteerte Straße der wir folgen, um einen 1.700 Meter hohen Pass zu queren. Da wir kein starkes Yak besitzen, um den Pferdewagen über die Barriere zu ziehen, nutzen wir die Straße. Unsere Wagenpferde Bor und Sharga müssen sich auch auf den glatten Untergrund anstrengen um ihre Last dort hinaufzubringen. „Hua ist das kalt“, fröstelt Tanja in ihrem Parka eingemummt. „Hüjten, hüjten, hüjten, hüjten“, („Kalt, kalt, kalt, kalt“) wiederhole ich ganz schnell hintereinander so das Ulzii wegen meiner anscheinend witzigen mongolischen Aussprachen sich vor Lachen kaum halten kann.
Um 16:20 finden wir in einem Hochtal einen schönen Campplatz. Es gibt genügend saftiges Gras für die Pferde, einen kleinen Bach und Feuerholz. Kaum haben wir abgesattelt und die Pferde gehoppelt holen Bilgee und Ulzii Holz aus dem nahen Wald. Tanja entfacht schon mal ein kleines Feuer und ich baue unser Zelt auf und räume alles was wir zum Schlafen benötigen rein. Um uns vor dem kalten Untergrund zu schützen lege ich heute zum ersten Mal eine Filzmatte aus die ich in Erdenet erstanden habe und wegen den bereits niedrigen Temperaturen packe ich die Sommerschlafsäcke weg und breite unsere Winterschlafsäcke aus. Da man in ihnen bei bis zu minus 39 Grad überleben kann sollten wir ab sofort nicht mehr frieren. Unsere Männer haben ebenfalls Isomatten, Filzmatte und drei Pferdedecken von uns. Laut ihrer Aussage ist es ihnen nachts nicht kalt.
Kaum ist Bilgee vom Feuerholzholen zurück bereitet er Boortsog (Teigbällchen) zu. Ihm macht diese Arbeit nichts aus. Ganz im Gegenteil freut er sich sehr wenn uns seine Kreationen schmecken und das tun sie ohne jegliche Übertreibung. „Oh weh!“, ruft Tanja als der Topf mit Bortsog von der Feuerstelle rutscht und umkippt. „Na da freut sich Mogi“, lacht Bilgee ohne sich über den Zwischenfall zu ärgern. Kurz bevor die Sonne untergeht zeigt das Thermometer 0° Grad. Mit kalten Fingern essen wir die heißen, mit Marmelade bestrichenen Bortsog. Dann fliehen wir vor den rasch fallenden Temperaturen ins Zelt. Da ich heute den besten Wachdienst zwischen 22:00 Uhr und 24:00 Uhr habe nutze ich die Zeit um diese Zeilen zu schreiben. Durch die Stille um mich herum vernehme ich ein neues, ungewohntes Geräusch. Aufmerksam lausche ich um es zu analysieren. „Schnee, zweifellos fällt Schnee auf unsere Zeltbahn. Ich werfe einen Blick nach draußen. Innerhalb weniger Minuten ist die Landschaft weiß gepudert. Sofort ziehe ich meinen kopf wieder ins Innere unserer Behausung. Da jetzt meine Füße in dem Expeditionsdaunenschlafsack stecken sind sie trotz der minus 8 Grad richtig warm. Meine kalten Finger, die über die Tastatur fliegen, wärme ich immer wieder an der kleinen Wärmflasche auf der mich ein lustiger Elefant anlächelt. Obwohl dieses Ding für Kleinkinder gedacht ist macht es mir mit Sicherheit genauso viel Freude. Tanja liegt neben mir und schläft bereits. Ihre Schicht beginnt heute um 24:00 Uhr. Ihre Idee die Pferde vom Zelt aus zu beobachten macht es bei diesen Temperaturen möglich den Wachdienst aufrecht zu erhalten. Ich hoffe wir können auch in Zukunft auf diese Art unsere Tiere vor Diebstahl schützen. Um zwei Uhr nachts zwingen mich Baukrämpfe in die winterliche Nacht. Wieder leide ich unter Kräftezehrenden Durchfälle. „Irgendetwas in unserer Nahrung verträgt mein Magen nicht. Nur was kann das sein?“, überlege ich schlotternd vor Kälte wieder zum Zelt stapfend.
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