Wie gewaschen

“Wuuummm!”, kracht es über unserem kleinen Zelt. Man könnte meinen der Boden spaltet sich unter uns und verschluckt uns mit Haut und Haaren. Grelle Blitze lassen das Zeltinnere kurz erhellen, dann grollt wieder mächtiger Donner. Das Unwetter zieht direkt über uns hinweg. Schwarze Wolken entleeren ihre Wassermassen und verursachen einen Trommelwirbel auf der Zeltbahn. Ich liege mit wachen Augen da und lausche den Geräuschen der Naturgewalten. Kaum ist eine Gewitterfront abgezogen folgt die nächste. Nahezu die gesamte Nacht entlädt sich ein Gewitter nach dem anderen über der Steppe. Trotzdem schlafen wir den Schlaf eines erschöpften Radfahrers. Plötzlich kracht ein Gegenstand auf unser Zelt. “Was war das?” schreckt Tanja hoch. “Ich weiß nicht”, flüstere ich ebenfalls sitzend. “Ein Ast kann es nicht gewesen sein. Die Büsche hinter denen wir unser Zelt errichtet haben sind zu klein”, erkläre ich und überlege weiter. “Aber was war es dann?”, raunt Tanja. Für kurze Augenblicke ist uns etwas unheimlich zumute. “Betrunkene Menschen können uns in der dunklen Unwetternacht kaum entdeckt haben und große Tiere wie Bären gibt es erst in Ostsibirien”, flüstere ich. Leise öffne ich den Reißverschluss unserer Behausung und blicke in die Finsternis. Außer dem Wind, der sich in den Büschen fängt, ist nichts zu hören. Ich schließe die Zeltbahn und lege mich hin. “Vielleicht war es ein Vogel der dagegen geflogen ist”, beruhige ich uns, worauf wir wieder ins Land der träume reisen.

Als wir nach 10 Stunden Schlaf unser Zelt verlassen treten wir in eine rein gewaschene Steppe. Die Gewitter sind verzogen, die Luft ist frisch und die Sicht ist umwerfend. Ein Meer von Kumuluswolken betupft den blauen Himmel. Starker Nordwind bläst uns am heutigen Tag in die Seite und lässt uns nur langsam vorankommen. Mit großer Kraftanstrengung arbeiten wir uns Kilometer für Kilometer durch eine jetzt leicht hügelige, traumhaft schöne Landschaft. Die sich nur wenig windende Straße führt uns an vereinzelnde, in der Sonne blitzenden Seen vorbei. Pferde grasen vor einem sanften Hügel im saftigen Grün. Schilder weisen in die Richtung eines sich am Horizont versteckenden Dorfes. Wir überqueren eine Brücke als im selben Moment eine Eisenbahn unter uns vorbeirauscht. “Sieht aus wie im Märchenland”, meint Tanja die heute unter Heuschnupfen leidet und nicht viel Energie besitzt.

Nach 25 Kilometer entdecken wir ein einsames, heruntergekommenes Motel am Straßenrand. “Ich frag mal was ein Zimmer kostet”, sage ich. “2.000,- Tenge, (11,- Euro) meint die Wirtin. Ich begutachte die Bleibe und schrecke beim Anblick der schmutzigen, zerfallenen, sehr kleinen Zimmer mit ihren absolut kaputten Matratzen, regelrecht zurück. “Da können wir nicht bleiben”, entscheide ich. “Kuschet jeßt?”, (Gibt es etwas zu Essen?) möchte ich wissen. “Jeßt”, (gibt es) ist die Antwort. Wir dürfen unsere Rösser in die Garage schieben und stillen unseren großen Hunger mit einer Lachmansuppe (Nudelsuppe). Weil es keine Kekse gibt holen wir welche aus meinem Anhänger und spülen sie mit Milchtee hinunter.

Eine Stunde später steigen wir wieder in den Sattel und arbeiten uns gegen den Seitenwind in Richtung Osten. “Bitte! Nur ein Foto!”, ruft ein Mann der sein Auto extra angehalten hat, um uns zu fotografieren. Wir stellen uns in Pose. Die Menschen sind glücklich und lachen. Eine Frau offeriert uns Bortseks. (Kleine krapfenähnliche geformte Hefeteigkugeln die in Fett ausgebacken wurden) “Die schmecken umwerfend gut”, loben wir. “Das freut mich. Nehmt doch bitte die ganze Tüte. Wir haben noch mehr im Auto. Ihr könnt sie später essen”, schlägt die Frau vor. Ihr Mann köpft in der Zwischenzeit eine megagroße Wassermelone und reicht uns saftig tropfende Stücke davon. Dann schießt Tanja ein paar Fotos von unseren Gastgebern der Steppe, worauf die Begeisterung bald grenzenlos ist. Wir verabschieden uns mit großem Hallo, so als würden wir uns schon lange kennen. Kaum ein paar Kilometer weiter werden wir von Polizisten angehalten. “Macht bitte ein Foto von uns!”, ruft einer von ihnen. Wir halten an, drücken auf den Auslöser der Kamera und dürfen weiterradeln.

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