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Mongolei/Bilgee Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Wie erstarrt

N 48°53'479'' E 103°35'527''
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    Tag: 39

    Sonnenaufgang:
    06:21 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:49 Uhr

    Luftlinie:
    6

    Tageskilometer:
    9

    Gesamtkilometer:
    461

    Bodenbeschaffenheit:
    Wiese

    Temperatur – Tag (Maximum):
    24 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    24 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 5 °C

    Breitengrad:
    48°53’479“

    Längengrad:
    103°35’527“

    Maximale Höhe:
    1442 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    15:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    17:00 Uhr

Bevor wir aufbrechen möchte Bilgee noch mal jagen gehen. Obwohl es noch gerissene Halfter und Hoppeln zu reparieren gibt wollen wir ihm den Wunsch nicht verwehren. „Darf ich auch mit?“, bittet Ulzii. „Ich sehe keinen Grund dich hier zu halten. Für dich haben wir im Augenblick keine Aufgaben“, sage ich. Tovuu, der mit dem Auto gekommen ist, um die Jurte abzubauen, hat zu diesem Ausflug motiviert. Obwohl wir wissen, dass er Bilgee gerne zum Trinken verleitet, hoffen wir, dass die Ausflugsgemeinschaft wie versprochen um 18:00 Uhr zurück ist. Tanja und ich sind beschäftigt für morgen alles fertig zu machen. Vor allem auch die Texte und ausgesuchten Bilder in den Satellitenhimmel zu senden damit sie in unserer Webseite und facebook erscheinen.

Es ist 20:00 Uhr und schon dunkel als die Scheinwerfer des Autos die Dunkelheit teilen. Die Türen springen auf, Gelächter ertönt und unsere Männer steigen aus. „Sorry, sorry“, entschuldigt sich der angetrunkene Bilgee während Tovuu erst gar nicht aus dem Auto steigt weil er dazu nicht in der Lage ist. Ulziis Gesicht ist schmerzverzerrt. „Was ist denn los?“, „Ich habe Kopfweh. Ich denke ich bin krank.“ „Seine Augen glänzen fiebrig“, befindet Tanja. „Na hoffentlich fällt er uns nicht aus bevor der Trip überhaupt beginnt“, antworte ich nachdenklich. Ulzii legt sich wie er ist in sein Zelt. Die Füße stecken noch in den Schuhen und sind im Freien. Wir machen uns gerade zum Schlafen fertig und ziehen zum Schutz gegen die Kälte mehrere Wollunterhemden und Unterhosen über. „Denke wir sollten was unternehmen.“ „Meinst du wegen Ulzii?“, fragt Tanja. „Ja. Wenn er da so liegen bleibt kann er sich glatt was abfrieren.“ „Gehst du oder soll ich gehen?“ „Ach bitte mach du es. Ich bin wegen der Schreibarbeit völlig ausgelaugt“, antworte ich. „Okay“, meint Tanja das Zelt verlassend. Sie bringt Ulzii einen Schlafsack, veranlasst ihn sich auszuziehen, gibt ihm eine Kopfwehtablette und sagt ihm dass wir für ihn die heutige Nachtschicht übernehmen. „Danke Tanja“, höre ich ihn erleichtert aufseufzen.

Bilgee, der schwer torkelnden Tovuu und drei andere Männer die gerade mit einem Kleinlaster gekommen sind haben es sich um den eisernen Ofen der Jurte bequem gemacht und Kochen irgendwelche Innereien. In der Nähe des heißen Jurtenofens, der jetzt im freien steht, und wegen dem Wodkakonsum, spüren sie die bisher kälteste Nacht des Herbstes nicht. Sie lachen ausgelassen, machen Scherze und verspeisen mit großem Appetit ihr fettes Essen. Um 23:00 Uhr schaffen sie es trotz ihres Zustandes noch die abgebaute Jurte auf den Kleinlaster zu laden.

Um 1:30 Uhr in der Früh kommt Tanja bibbernd ins Zelt. „Denis aufstehen. Dein Wachdienst beginnt. Ist nicht mehr auszuhalten dort draußen. Es ist extrem kalt, bin völlig durchfroren. Wie machen wir das wenn der Winter kommt? Möchte gar nicht darüber nachdenken“, weckt sie mich. Trotz einer dicken Wollunterhose, und einer Thermohose, zwei Wollunterhemden, zwei Fliesjacken und einem Windstopper beginne ich nach ca. 1 ½ Stunden ebenfalls zu frieren. Der Wind, die Feuchtigkeit des Baches und die sternenklare Nacht lassen die minus fünf Grad wie minus 15 oder 20 Grad erscheinen. Zumindest kommt es mir so vor. Um 3:00 Uhr breche auch ich meine Schicht ab und gehe ins Zelt. Ich entscheide mich Bilgee nicht zu wecken und ihm seinen Rausch ausschlafen zu lassen. Abgesehen davon kann ich mir nicht vorstellen dass bei diesen Temperaturen Pferdediebe unterwegs sind. „Wir müssen uns für die Zukunft etwas andres einfallen lassen. Das ist definitiv unmenschlich“, geht es mir durch den Kopf.

Am heutigen Tag des Aufbruchs stehen wir früh auf. Es ist warm. Wer hätte das nach der Nacht gedacht. Ulzii geht es zum Glück wieder gut und von Bilgees Rausch ist nichts mehr zu spüren. Weil wir uns hier wieder richtig eingenistet haben dauert es lange bis wir das Camp abgebaut und im Pferdewagen verstaut haben. Noch dazu kommt jetzt Bilgees persönliches Gut wie ein Gewehr, Kleidung und vieles andere Kleinzeug welches ebenfalls auf die Reise mit soll und irgendwie, irgendwo verpackt werden muss.

Nach der langen Pause macht Sharga große Schwierigkeiten. Er möchte unter keinen Umständen vor den Wagen gespannt werden. Mit vereinten Kräften versuchen wir ihn zwischen die Deichseln zu bringen. Da er beißt und tritt kein ungefährliches Unterfangen. Dann reißt das alte Trageband welches zwischen den beiden Deichseln befestigt ist und über das Tragegestell des Zugpferdes gespannt wird. Bilgee sieht das gelassen und ersetzt dieses aus Faser und Gummi bestehende Band mit Seilen. Gut das ich über 100 Meter Seil gekauft habe. Mit großer Mühe und Geduld bringen wir es dann doch fertig Sharga vor den Wagen zu bekommen. Dann wird Bor beladen, die anderen Tiere gesattelt und Satteltaschen verschnürt.

Um 15:00 kommen wir endlich los. „Schau mal die Jurte dort drüben. Die arbeiten auch mit Solarpanel!“, rufe ich Tanja zu. „Solltest du fotografieren!“, antwortet sie weil wir uns für nachhaltige Energie einsetzen. Kaum bin ich vom Pferd gestiegen sehe ich in einiger Entfernung wie Ulzii sich mit seinem Pferd unaufhörlich um die eigene Achse dreht. Er führt Tenger mit sich der anscheinend im Begriff ist durchzugehen. „Sieht nicht gut aus“, meine ich noch als Ulzii Tenger plötzlich loslässt und das Pferd mit Bilgees Gepäck wie der geölte Blitz über die Steppe davon galoppiert. Ulzii bleibt wie versteinert auf seinem Pferd sitzen und macht nicht die geringsten Anstalten den Ausreißer zu verfolgen. Fassungslos über seine Untätigkeit schwinge ich mich in den Sattel um die Verfolgung aufzunehmen. Schon nach wenigen hundert Metern hat mein Pferd es geschafft sein Zaumzeug auszuspucken. Nun ohne Steuer in den Händen versuche ich erstmal Sar mit dem Halfter zu zügeln. Dann steige ich wieder aus dem Sattel und kürze notdürftig das zu große Zaumzeug. Da wir es aus Deutschland mitgebracht haben passt es nicht für die kleinen mongolischen Pferde. Wegen der Verzögerung fluchend nehme ich jetzt wieder die Verfolgung auf. Tenger ist nur noch als kleiner Punkt in der Ferne zu erkennen. Ich durchreite gerade einen sumpfigen Bach als Bilgee hinter mir erscheint. „Nimm die Satteltaschen und gehe zum Pferdewagen zurück, ich versuche ihn wieder einzufangen“, erklärt er und gibt mir seine Satteltaschen um schneller reiten zu können. Dann stürmt er davon. Weil wegen den beiden Satteltaschen auf Sars Rücken kein Platz mehr ist bin ich gezwungen zu Fuß zu gehen. Bis ich den Pferdewagen, Tanja und Ulzii erreiche ist Bilgee schon wieder da und zwar mit Tenger. „Er ist es nicht gewohnt Ladung zu tragen und hat gescheut“, erklärt Bilgee. Ulzii verliert über den Vorfall keinen einzigen Ton. Als wäre nichts geschehen reiten wir weiter. Große Gewitterwolken folgen uns und bedrohen den kleinen Pferdezug. Tanja und ich ziehen uns sicherheitshalber mal die Ponchos über. Ein Motorradfahrer stoppt uns als wir die Asphaltstraße erreichen. „Er ist Polizist und möchte eure Papiere sehen“, übersetzt Ulzii. „Hat der nichts anderes zu tun als sein bisschen Macht auszuspielen“, sage ich leise zu Tanja. „Wer weiß ob er überhaupt Polizist ist. Hat ja nicht mal ne Uniform an“, mein Tanja. „Die Papier sind in dem Pferdewagen dort vorne verstaut“, sage ich dem Mann. Da er jetzt damit rechnet länger als es ihm beliebt warten zu müssen sagt er: „Fahrt weiter. Ich wünsche euch einen guten Tag.“ Dann lässt er sein Moped wieder an und knattert davon. Wir folgen eine Weile den asphaltierten Untergrund bis wir die Passhöhe erreicht haben. Ein Minibuskonvoi überholt uns und hält am Straßenrand. Es sind Touristen die unseren Pferdezug ablichten. Schweigend stehen sie vor ihren Bussen und lassen ihre Kameras surren. „Hallo!“, rufen wir. Sie antworten winkend, steigen wieder in ihre Autos und fahren davon. Auf einem weiteren Höhenrücken verlässt Bilgee um 17:00 Uhr die Straße um sich nach einem Camp umzusehen. Die erste Priorität ist gutes Gras für die Tiere. Hinter einer Jurte finden wir einen geeigneten und wunderschönen Platz. Wir errichten die Zelte so dass wir aus den Eingängen nachts die Pferde beobachten können. Zur Erleichterung aller Beteiligten war Tanjas Vorschlag ab sofort die Nachtwachen aus dem Zelt zu halten. Das heißt wir laufen nicht mehr draußen herum sondern beobachten und wachen über unsere Tiere aus unseren Stoffbehausungen. Sollten wir die Pferde während der Schicht von Ulzii oder Bilgee verlieren ist somit ihr Anspruch auf ihr Gehalt erloschen. Das war die Bedingung von Beginn an. Wir hoffen, diese Übereinkunft ist genug Grund für die Beiden ihre Wachschichten ernst zu nehmen und nicht einfach im Zelt einzuschlafen.

Wir freuen uns über Kommentare!

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