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Russland/Feld-Camp Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Von heute auf morgen von 10 Grad auf 40 Grad!

N 50°42'08.4'' E 052°01'21.0
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    Tag: 21

    Sonnenaufgang:
    05:19 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:44 Uhr

    Luftlinie:
    73.24 Km

    Tageskilometer:
    80.50 Km

    Gesamtkilometer:
    7233.87 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    42 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    30 °C

    Breitengrad:
    50°42’08.4“

    Längengrad:
    052°01’21.0

    Maximale Höhe:
    50 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    11 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    09.00 Uhr

    Ankunftszeit:
    17.00 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    14.40 Km/h

Nach dem ich unsere bisherigen Erlebnisse festgehalten habe, wir mit einem kasachischen Chip fürs Handy versorgt sind und einheimisches Geld aus dem Automaten gezogen haben, kann unsere Reise durch das Land mit den bisher wunderbaren Menschen weitergehen. Wir holen unsere Räder vom gegenüberliegenden Parkplatz und obwohl wir sie mit einer leichten Plane abdeckten sind sie mit einer feinen Staubsicht überzogen. Schnell ist die Ausrüstung auf den Böcken verladen und um 9:00 Uhr lassen wir die Großstadt Uralsk mit ihren 191.000 Einwohnern hinter uns. Am Ortsausgang sehen wir wieder das typische Kontrollhaus der Verkehrspolizei. “Hoffentlich lassen sie uns diesmal durch ohne viel Fragen zu stellen”, denke ich, denn ich bin gerade warm gefahren und habe keine Lust auf unnötige Stopps. Kaum ist mein Gedanke durch die Gehirnwindungen gesickert als auch schon eine Lautsprecherstimme zu uns herunterdonnert. Wir reagieren nicht darauf und radeln einfach weiter. Noch bevor wir das Häuschen hinter uns lassen können lehnt sich ein Polizist aus dem Fenster und winkt uns mit in befehlsgewohnter Geste nach oben. Wir stoppen und lehnen unsere Räder gegen die Leitplanke. Während Tanja wie gewohnt auf unsere wertvollen Gespanne achtet steige ich die Stufen zur Befehlszentrale hoch. Eine Polizisten und ein Polizist sehen mir mit lachenden Augen entgegen. Der Mann erhebt sich aus seinem Stuhl und schüttelt mir die Hand. “Woher? Wohin?” Ich erkläre. Großes Staunen. Das gewohnte Ritual, welches mittlerweile zu unserer Routine gehört, spult sich ab. “Die Mongolei wollen wir mit Pferden bereisen”, füge ich noch hinzu. Als er nicht versteht ahme ich Reitbewegungen mit meinem Körper nach. Plötzlich reißt der Mann die Augen auf und sieht seine Kollegin etwas verlegen an. Die blickt beschämt zu Boden. “Was? Sie wollen in der Mongolei Frauen vernaschen?”, verstehe ich. “Um Gottes willen  nein. Wir reiten mit den Pferden durch die Mongolei”, berichtige ich nach den passenden russischen Worten ringend. “Ah, Pferde! Ha! Ha! Ha!”, lacht er befreit, schüttelt mir die Hand und wünscht uns eine gute Reise.

Gerade mal ein paar Kilometer weiter überholt uns eine uralte, klapprige Kiste und bremst vor uns. Wir stoppen, wollen ja nicht unhöflich sein und auch diesen Menschen Rede und Antwort stehen. Die Türen des Vehikels öffnen sich nach vorne und ein älterer Herr steigt aus, um mich mit Fragen zu überhäufen. Ich verstehe, dass er Wolga deutscher ist und von den Russen nach Kasachstan zwangsumgesiedelt wurde. (Nach dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion im 2. Weltkrieg wurden die etwa 400.000 Wolgadeutschen kollektiv der Kollaboration beschuldigt und nach Sibirien und Mittelasien zwangsweise umgesiedelt.) “Bitte warte einen Augenblick!”, sagt der freundliche Herr und geht zu seinem eigenwilligen Auto, um ein etwa zwei Liter großes Einweckglas mit Kirschen anzuschleppen. “Hier bitte. Die müsst ihr mitnehmen. Die schmecken sehr gut”, sagt er und streckt mir das Riesenglas entgegen. Als ich freundlich ablehne steigt seine Frau aus dem eigenwilligen Gefährt, um ihren Mann zu unterstützen. Sie deutet auf meine Kameratasche und möchte das Glas darin verstauen. “Nein, nein danke”, versuche ich standhaft zu bleiben. Dann deuten die Beiden auf meine Kiste. “Du hast doch für das kleine Glas bestimmt ein Plätzchen in deinem Kühlschrank?”, sagen sie. “Nein, oh nein, vielen, vielen Dank aber der ist schon mit unserem Zelt und anderer Ausrüstung voll gestopft”, lehne ich ab. Zum Glück haben die beiden Einsehen mit mir. Der Mann schafft das Glas wieder zu seinem Auto, um nur Sekundenbruchteile später mit einem kleineren Glas Kirschsaft anzukommen. Diesmal kann ich unter keinen Umständen ablehnen und finde dafür mit Schwierigkeiten ein kleines Örtchen im Hänger. Wir verabschieden uns und radeln weiter in Richtung Süden, während das spendable Ehepaar wieder zurück in Richtung Stadt fährt. “Die sind uns tatsächlich gefolgt”, stellt Tanja fest. “Ja, irre freundlich.”

Wir hätten von China nach Deutschland fahren sollen und nicht anders herum!Schon wenig hinter der Stadtgrenze kommt leichter Gegenwind auf. Ich ahne nichts Gutes. Auch wenn der Wind uns mit gerade Mal ca. 10 Stundenkilometer ins Gesicht bläst bremst er uns schmerzhaft ab. Gegen Mittag steigt das Thermometer auf satte 42 Grad in der Sonne. Unglaublich, vor wenigen Tagen stand das Thermometer noch auf 10 Grad in der Sonne und jetzt, ohne jegliche Vorwarnung, ist es um glatte 32 Grad hinaufgeklettert. Wir schwitzen wie die Affen und auf einmal ist das Radfahren tierisch anstrengend. Auf der wie mit dem Lineal gezogenen breiten Straße führen nur sehr selten Erdpisten nach links und rechts in die ewige Weite. Als wir nach 38 Kilometer eine entdecken, verlassen wir das Bitumenband, um uns im spärlichen Schatten eines Busches zu kauern. Hungrig verspeisen wir das in Uralsk gekaufte Weißbrot, Käse, gekochte Eier, Kekse und Datteln und Mandelmus von Rapunzel. Tausende von kleinen lästigen Fliegen haben das Land über Nacht erobert und quälen uns. Sie setzen sich in die Ohren, Nasenlöcher, Augen und schwirren unaufhörlich um den Kopf. “Erinnert mich ans Australische Outback”, meint Tanja beinahe unentwegt mit ihrer Hand vor dem Gesicht wedelnd.

Die Fahrt geht weiter. Mein linkes Knie beginnt zu schmerzen. “Da wird sich doch nicht schon jetzt eine Knieproblematik entwickeln?”, denke ich mit Unbehagen, denn eine leichte Klammer der Angst versucht meine bisher stabile Psyche zu schwächen. Plötzlich taucht ein eigenwilliger, moslemischer Friedhof am Straßenrand auf. Da etwa 47 Prozent des Landes Muslime sind, wundern wir uns nicht über die vielen Halbmonde auf den Gräbern. Nur warum ist der große Friedhof so weit abgelegen von jeglicher Siedlung? Wir schießen ein paar Fotos und folgen dem dunklen Band der Straße durch die Steppe. Ein Hirte treibt seine Schafsherde über den in der Sonne aufgewärmten Teer und winkt uns freundlich zu. Nur langsam, mit knapp 15 KMH pro Stunde arbeiten wir uns der warmen Brise entgegen. Das Land wechselt sein Gesicht nicht. Kilometer um Kilometer bleibt es identisch. Genau das macht das Weiterkommen auch nicht einfacher. Vorbei ist der wunderschöne Radtag den wir hatten als wir Uralsk erreichten. In meinen Gedanken beginne ich schon wieder den Wind zu verfluchen. Letztes Jahr hatten wir von der Halbinsel Krim bis nach Samara bald 2.000 Kilometer unaufhörlichen Seitenwind und Frontwind aus Nordosten. Doch jetzt, jetzt fahren wir wieder nach Süden und müssten diesen Wind eigentlich im Rücken spüren. Aber nein, er hat sich um hundert Prozent gedreht und bläst nun aus Süden oder sogar aus Südosten. Ob das an der Jahreszeit liegt? “Wir hätten von China nach Deutschland fahren sollen und nicht anders herum”, meint Tanja trocken. “Ja, ja stimmt. Scheiß Wind. Der ist anscheinend immer gegen uns”, antworte ich etwas ungehalten, das Gewicht meines Hängers verfluchend.

Da die gesamte Straße auf einem künstlich aufgeschütteten Damm durch die Steppe führt, wird sie auf beiden Seiten durch tiefe, etwa 15 Meter breite Gräben begrenzt. Das macht die augenblickliche Strecke noch unbequemer, denn sie bilden für uns eine unüberwindbare Barriere. So ist es nicht möglich ab und an im Schatten einer der hinter den Gräben wachsenden Bäume abzukühlen. Unser Wasserverbrauch ist gerade zu erschreckend. Trotz unserer Erfahrung haben wir damit nicht gerechnet. “Wir sollten dort drüben mal fragen ob wir die Flaschen auffüllen dürfen”, schlägt Tanja vor, auf einen der selten auftauchenden Einsiedlerhöfe deutend. Wir nehmen den kleinen Umweg in kauf und verlassen den Teer. Zwei große Hunde kommen uns bellend entgegen als wir auf der Erdpiste dem Hof entgegenholpern. Sicherheitshalber bleiben wir erstmal stehen. Wollen ja nicht gebissen werden. Dann pfeift der Bauer seine Wächter zurück. Langsam treten wir unser Gepäck auf Rädern dem Haus entgegen. “Haben sie für uns etwas Wasser?”, fragen wir. “Ja”, antwortet er kurz aber nicht unfreundlich. Der Bauer klettert auf einen verbeulten und verrosteten Wassertank auf Rädern und schöpft mit einem Blechbecher das kostbare Nass heraus. Wir füllen es in unsere Bestard-Flaschen. Die Hunde umkreisen uns jetzt mit dem Schwanz wedelnd. Ein Truthahn kauert vor ein paar mit Stroh und Erde gedeckten Hütten und gibt gluckernde Geräusche von sich. Das Haupthaus ist mit richtigen Backsteinen errichtet und sieht relativ neu und stabil aus. Gerne würden wir hier für die Nacht unser Zelt aufstellen aber da der Mann und seine Frau nicht gerade kommunikativ sind, vielleicht sind sie uns gegenüber auch schüchtern, fragen wir nicht und fahren weiter.

Erstes Camp neben der StraßeMitten im Nichts taucht eine moslemische Gedenkstätte auf. Ein Weg führt zu ihr. “Lass uns dort mal sehen ob wir uns in die Büsche schlagen können!”, rufe ich. Als wir das in der Sonne blendende Bauwerk erreichen stoppt eines der wenigen Autos. Die Menschen steigen aus, stellen die üblichen Fragen und suchen den Bau auf. Wir warten bis sie wieder verschwunden sind und folgen einem Feldweg der sich im Abstand von ca. 200 Meter parallel zur Hauptstraße zieht. Nach einem ½ Kilometer finden wir eine Stelle hinter Sträuchern und Bäumen die von der Straße aus nicht einsehbar ist. “Das ist unser Campplatz”, entscheide ich. Nach über acht Stunden und 80 Tageskilometer entladen wir hundemüde unsere Räder.

Unsere Körper fühlen sich an als hätte sie jemand mit Bambusstöcken malträtiert. Tausende von kleinen Mücken freuen sich über die Anwesenheit von Warmblütlern. Bremsen, Ameisen und Stechmücken gesellen sich zu dem lästigen Pack und machen es uns nicht leicht eine freudige Campstimmung aufkommen zu lassen. Ich hoffe nicht dass unsere Camps, der Gegenwind, die Hitze und die Eintönigkeit der Steppe uns auf den nächsten 2.000 Kilometern durch Kasachstan begleiten. “Wie wollen wir das aushalten?”, geht es mir durch den Kopf. Nachdem wir unser Zelt auf den buckligen Boden gestellt haben sitzen wir erstmal schweigend da. Dann packe ich den Laptop aus, um die Erlebnisse des Tages und Bilder einzuspeisen. Eigentlich besitze ich für diese Aktion kein bisschen Energie mehr aber wenn ich es heute nicht mache habe ich morgen doppelt soviel Arbeit damit. Die Erfahrung hat mich gelehrt, durchhängen gilt nicht. Durchhängen und auf morgen verschieben hat unangenehme Folgen. Und wenn es doch geschieht, dann muss ich darauf achten es am kommenden Tag nicht wieder zu verschieben. Und wenn das geschieht kann man eigentlich gleich einpacken, denn aufholen ist energetisch gesehen kaum drin. Also fordert die Dokumentation schon einen frühzeitigen Tribut des Durchhaltens. “Ich muss was essen”, unterbricht Tanja meine Gedanken. “Verdammt gute Idee”, antworte ich und klappe den Lappy zu, um meine Zähne in Brot, Käse und Kekse zu graben. Der Durst ist geradezu abnormal groß. Obwohl wir schon seit einer Stunde im Camp sitzen, verlangen unsere Körper noch immer Wasser. “Ob uns das Wasser morgen ausreicht?”, frage ich etwas Bange. “Wie weit ist es bis zur nächsten Siedlung?”, möchte Tanja gähnend vor Müdigkeit wissen. “Ca. 70 Kilometer.” “Sollte schon langen. Gut das wir bei dem Bauern unsere Flaschen gefüllt haben.” “Wie viel Wasser haben wir heute in uns geschüttet?” “Weiß nicht genau. Also lass mal nachrechnen. Jeder von uns hat seine drei Liter aus dem Source-Trinksystem verbraucht. Und jetzt noch mal ca. 1 ½ Liter. Na ich denke, wir sollten bei den jetzigen Bedingungen fünf Liter pro Person und Tag kalkulieren”, schlussfolgert Tanja auf ihre Beine blickend die sich mit leichten Hitzefriemel überziehen. “Man du blödes Vieh”, unterbricht sie die eingetretene Denkpause. “Ist mir das dumme Fluggetier doch glatt ins Ohr geflogen.” “Echt?” “Ja, echt. Es summt da drin rum.” “Na es wird schon wieder herauskommen”, beruhige ich sie etwas belustigt. “Man schau mal meine Arme und Beine an. Ein Tag Sonne und ic#h habe sie mir gleich verbrannt. Trotz Sonnencreme.” “Du hättest sie von Anfang an einreiben sollen.” “Hätte ich”, antworte ich und fühle wie mir die Hitze meiner versenkten Gliedmaßen in den Kopf steigt. Ohne Zweifel fühle ich mich in diesem Augenblick unwohl. Und ohne Zweifel hätte ich nicht damit gerechnet, dass wir gleich in den ersten Tagen leiden müssen. Hat doch alles so easy und locker begonnen. “Meine Arme sind auch verbrannt. Da schau her”, unterbricht Tanja meine Gedanken.

“Laut Landkarte gibt es Strecken von 200 bis 300 Kilometer ohne größere Ansiedelungen, die wir durchqueren müssen. Wenn der Wind so bleibt schaffen wir auf Dauer nicht mehr als vielleicht 50 Kilometer am Tag. Keine Ahnung wie wir soviel Wasser mitschleppen sollen?”, denke ich laut. “Ich auch nicht.” “In der australischen Wüste war das einfacher. Da haben wir das Wasser auf die Kamele geladen”, erinnere ich mich. “Ja, hätte nicht gedacht, dass wir hier in Kasachstan gleich ein Wasserproblem bekommen. Ohne Essen geht es ja für eine Weile aber ohne Wasser geht gar nichts.” “Stimmt”, meine ich und weiß im Augenblick nicht wie wir diese aufgekommene Herausforderung lösen sollen.

Um ca. 21:00 Uhr krabbeln wir in unsere Stoffbehausung und legen uns auf die Isomatten. “Der Boden ist ja buckelschief. Bei dir ist es bestimmt besser”, meint Tanja. “Nö, bei mir ist er genauso schief.” “Bei mir ist es bestimmt schlimmer.” “Nein, ich glaube bei mir ist es schlimmer”, entgegne ich fest überzeugt. Trotz der Achterbahn unter uns fallen unsere erschöpften Körper bald in einen Tiefschlaf.

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