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E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Von gähnenden schwarzen Löchern eingesaugt

N 28°16’13.3’’ E 103°34’34.9’’
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    Datum:
    09.04.2016 bis 12.04.2016

    Tag: 286 289

    Land:
    China

    Provinz:
    Sichuan

    Ort:
    Leibo

    Breitengrad N:
    28°16’13.3’’

    Längengrad E:
    103°34’34.9’’

    Tageskilometer:
    89 km

    Gesamtkilometer:
    16.517 km

    Luftlinie:
    50.70 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    17.5 km/h

    Maximale Geschwindigkeit:
    54.2 km/h

    Fahrzeit:
    5:01 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Maximale Höhe:
    1.237 m

    Gesamthöhenmeter:
    30.604 m

    Höhenmeter für den Tag:
    1.576 m

    Sonnenaufgang:
    06:47 Uhr – 06:44 Uhr

    Sonnenuntergang:
    19:27 Uhr – 19:29 Uhr

    Temperatur Tag max:
    22°C

    Temperatur Tag min:
    14°C

    Aufbruch:
    08:10 Uhr

    Ankunftszeit:
    17:00 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Wegen dem Lärm einer Karaokebar im Keller des Gebäudes haben wir die Nacht nicht viel Schlaf bekommen. Trotzdem stehen wir um 6:00 Uhr auf und sitzen um 08:10 Uhr im Sattel. Am Rande des Örtchens gähnt uns wieder dieses große schwarze Loch an, welches uns schon gestern Abend verschlucken wollte. Eine hässliche, graue Abgaswolke wabert aus dem Inneren des über vier Kilometer langen Yingzuiyan Tunnel Nummer 2 nach draußen und verflüchtigt sich in den Bergen. „Wir sollten die Atemschutzmasken anziehen“, schlägt Tanja vor. „Super Idee“, antworte ich und streife mir eine der Masken übers Gesicht, die wir in der smogverseuchten Stadt Xian getragen hatten. Weil die Beleuchtung der in den Fels gebohrten Röhre ausgefallen ist, befestigen wir unsere Warnleuchten am Anhänger und schalten, wie immer wenn es finster wird, die starken Frontlichter an. „Fertig?“, frage ich Tanja. „Fertig“, antwortet sie. Wenige Meter später werden wir auch schon vom Schwarz verschluckt. Mit einer Geschwindigkeit von 25 Km/h rauschen wir über den holprigen, teils zerstörten Asphalt. Der Lichtkegel meiner Radlampe tanzt durch die Röhre, von deren Decke an manchen stellen kaltes Gebirgswasser tropft. Der schmale Seitenstreifen ist partiell völlig zerstört. „Achtung!“, brülle ich, um Tanja vor einem Auffahren zu warnen, als urplötzlich einer der vermaledeiten und äußerst gefährlichen Speedbraker schemenhaft auftaucht. Mit einer Vollbremsung vereitle ich das mein Drahtesel drüber donnert und mich eventuell aus dem Sattel wirft. Mein Warnschrei wird von den Felswänden zurückgeworfen und vom gähnenden Schlund vor und hinter uns verschluckt. Nach dem sinnlosen Hindernis beschleunige ich wieder. Das Surren des Boschmotors und der rollenden Reifen säuselt durch die Finsternis. In der Ferne grummelt es leise. Langsam wird es lauter. Dann beginnt es zu röhren und steigert sich zu einem bösartigen Brüllen. Noch können wir nicht lokalisieren ob uns das böse Tier von hinten oder vorne anfallen wird. Die Stimmung ist unheimlich, ja gespenstisch. Ich blicke in den Rückspiegel. Tanjas Lichtkegel blendet mich. Der Bergdurchbruch führt in einen leichten Linksknick. Dahinter vermute ich den Lastwagen, der mittlerweile klingt wie ein Feuer spuckender Drache. Doch auch hinter dem Knick ist es schwarz. Wegen dem heißen Atem unter der Maske beschlagen die Brillengläser. Mit der rechten Hand hebe ich die Brille etwas an. Mein Rad kommt durch diese Bewegung ins schwanken. Ein Stein, der offensichtlich von der Decke gefallen ist, erscheint. Schnell lasse ich meine Hand wieder auf den Lenker fallen, mache einen Bogen und gerate auf den unbefestigten, vielleicht 50 cm dünnen Seitenstreifen. Ich strauchle, Adrenalin schießt durch die Adern. Ein Gedanke blitzt durchs Gehirn. „Hier nicht vom Rad fallen!“ In letzter Sekunde reiße ich den Lenker herum, streife mit dem Anhänger beinahe den kantigen Fels. „Puhhh. Glück gehabt.“ Nur wenig später wird das Brüllen des bösen Tieres ohrenbetäubend. Tatsächlich kommt es von hinten. Der grausliche Schrei einer überdimensional lauten LKW-Hupe bläst uns fast aus dem Sattel. Dann schmatzen die großen, schwarzen Reifen eines stinkenden Sattelschleppers an uns vorbei. Er verschwindet wenige hundert Meter weiter hinter einem dem nächsten Bogen. Mein Atem beginnt nun stoßweise den Sauerstoff in die Maske zu blasen. Es ist anstrengend mit so einer Atemschutzmaske zu radeln. Tanja muss es ähnlich ergehen, denke ich mir. Verrückt wie lange vier Kilometer sein können. Der Stollen, welchen Menschen in den Berg gebohrt haben, möchte nicht enden. Grelles Scheinwerferlicht blendet uns. Wieder kommt gleich eine ganze Herde der schrecklich übelriechenden Blechdrachen auf uns zugaloppiert. Plötzlich tauchen schemenhaft Gestalten auf. Es sind Straßenarbeiter die unter unmenschlichen Bedingungen den kaputten Seitenstreifen reparieren. Jeder von ihnen versucht sein Leben durch eine der billigen Atemschutzmasken zu verlängern. Lächerlich, weil der Feinstaub nachweislich davon nicht zurückgehalten wird. Dann, als die gemeingefährlichen Lastwägen vorbeigelärmt sind und die armen Bauarbeiter im Rückspiegel von der Dunkelheit gefressen wurden. ist es wieder still. Nur das Summen des endlos arbeitenden Boschmotors und der Reifen ist zu vernehmen. Meine Spucke beginnt bitter zu schmecken. Die Staubpartikel dringen durch die Maske und dem Bandala, welches wir zusätzlich über die Maske gezogen haben. Ich erschrecke, als mein LED-Strahl zwei ärmlich bekleidete Gestalten erfasst. Sie stehen auf dem zerfallenen Seitenstreifen unter dem in den Tunnel eingedrungenes Gebirgswasser dahinsickert. Anscheinen sind es Bauern die hier darauf warten von jemand mitgenommen zu werden. Die Frage warum sie dies in der abgasverseuchten Röhre tun und nicht draußen wird mir wahrscheinlich nie beantwortet werden. Endlich erscheint ein leichtes Schimmern in der Ferne. „Der Ausgang“, geht es mir durchs Gehirn. Ja, tatsächlich wird das Oval langsam größer, immer größer bis es sich zu einem richtigen Licht ausweitet. Die Luft wird langsam besser. Das Atmen fällt leichter. Und dann sind wir draußen. Vor Freude reiße ich die Arme hoch. Zu früh. Wegen des plötzlich auftretenden Gegenlichts übersehe ich den Speedbraker und krache mit vollem Karacho drüber. Meine verkrampften Hände halten den Lenker. In einer Blitzreaktion hebe ich meine Hintern, um den Satte nicht in die Weichteile geschlagen zu bekommen. Die Stoßdämpfer des Bikes nehmen einen Großteil der Wucht. Ajacis ungefedertes Haus auf Räder schleudert in die Höhe, um nur Sekundenbruchteile später wieder auf den Boden zu hämmern. Unser Hund nimmt es gelassen. Gibt keinen Ton von sich, sondern wedelt nur mit dem Schwanz. Wahrscheinlich dachte er es war eine freiwillige Stunteinlage. Wir halten an, reißen uns die Masken vom Kopf, schnaufen frische Luft, schalten die Warnleuchten aus und prüfen ob mein Rad Schaden genommen hat. „Alles gut“, sage ich, worauf wir unsere Fahrt fortsetzen. Kaum sind wir um eine Kehre gebogen erscheint ein erneuter schwarzer Fleck im Fels. Wieder stoppen wir, um uns für das Innere des vor uns liegenden Berges vorzubereiten. So geht es für viele Kilometer dahin. Wenn wir von einer der stinkenden Röhren entlassen werden, empfängt uns eine gewaltige Berglandschaft mit seinen tiefen Schluchten und Spalten. Zu unserer Linken fließt der Jangtsekiang träge in Richtung Pazifischen Ozean. Noch weiß er nichts von den weiteren vielen Staustufen die er bis dahin überwinden muss. Dichte, dunkle Wolken kündigen Regen an. Dann saugt uns wieder eines der vielen schwarzen Löcher in sich ein. Geduldig und stoisch, wie ein Ochse der sein Leben lang im Kreis läuft, um den Mahlstein zu drehen, schalten wir die Warnleuchten an, setzen die Masken auf und nehmen die Herausforderung so gelassen wie möglich hin. Auf diese Art arbeiten wir uns durch den Heijaping Tunnel, den Fengyan Tunnel, den Ma’anshi Tunnel, den Dayandong Tunnel, den Huangmaoba Tunnel und den Bayangping Tunnel um nur die wichtigsten der heutigen Etappe aufgezählt zu haben. Insgesamt sind es 18, teils gefährliche Stollen, die uns an diesem Tag den Weg durchs Gebirge ermöglichen.

Neben der Schwärze im Berginneren ist der Mahu Lake eine willkommene Abwechslung für unsere Augen und Gemüt. Kleine Boote tuckern über seine spiegelglatte Oberfläche. Reusen sind ausgelegt und eine Staumauer verhindert, dass sich sein Wasser in eine Gebirgsschlucht ergießt. Unterhalb einer steilen Felswand tauchen große Betonbecken auf. Fassungslos sehen wir Angler, die ihre Routen in das künstliche Nass auswerfen. Später erfahren wir, dass der Mahu Lake mittlerweile verseucht ist. Wahrscheinlich ist das der Grund warum Chinesen ihre Angellust an einem Betonbecken befriedigen, auch wenn sie dann für jeden Fisch bezahlen müssen.

Auf der anderen Seite des Tals schlängelt sich die G213 in Richtung Südwesten. „Schau dir das an!“, rufe ich, ziehe die Bremsen und kann es kaum glauben was wir da zu Gesicht bekommen. Ein gewaltiger Erdrutsch hat auf eine Länge von vielleicht hundert Meter die gesamte Bergstraße unter sich begraben. Wenn zu diesem Zeitpunkt was unterwegs war ist es vom Geröll und hausgroßen Gesteinsbrocken erschlagen worden. „Auwei, gut dass wir uns auf dieser Seite des Tals befinden“, sage ich fassungslos auf die Zerstörung blickend. Wissend wieder einmal von Schutzengeln behütet worden zu sein setzen wir unsere heutige spannende Fahrt fort. Wasserfälle stürzen sich von der Bergflanke rechts von uns mit lautem Donnern und Rauschen ins Tal. Uralte Ruinen, deren Wände wie geschmolzenes Eis am Stiel aussehen, und vom Zahn der Zeit nahezu aufgefressen wurden, drücken sich an die Felswand.

Plötzlich legt sich uns eine heftige Straßensperre in den Weg. Langsam rollen wir darauf zu. Ein Mann in Uniform macht uns unmissverständlich klar, dass es hier nicht weiter geht. „Wir müssen nach Leibo“, sage ich. „Bu“, (Nein) antwortet er als wir Anstalten machen weiterzufahren. „Sie müssen zurück. Hier geht es nicht weiter“, verstehen wir und sind entsetzt. „Oh nein. Ich habe keine Lust durch all die Tunnel zurückfahren zu müssen“, sagt Tanja. „Müssen wir nicht. Es kann nicht sein hier nicht weiterzukommen. Die Chinesen fahren doch auch alle durch“, versuche ich unsere Gemüter zu beruhigen. Jedoch bleibt der Uniformierte unnachgiebig. Immer wieder deutet er auf ein Schild auf dem offensichtlich geschrieben steht warum es für uns nicht durchgehen soll. Meine Gehirnwindungen laufen heiß. Ein Zurück gibt es für uns nicht. Selbst wenn wir 100 Kilometer zurückradeln, um auf die andere Seite des Tales zu gelangen, geht es für uns da ebenfalls nicht weiter, weil die dortige Straße unter einer Gerölllawine begraben ist. Der Wachmann deutet immer wieder auf einen Polizeiwagen der 50 Meter von hier entfernt am Straßenrand parkt. „Lass uns die Polizisten fragen“, entscheide ich, worauf wir unsere Bikes zu den Staatsdienern rollen lassen. „Ni hao“, begrüßen sie uns freundlich. Wir erklären nach Leibo zu müssen, weshalb sie uns fragen warum wir dann nicht hinfahren. „Der Herr dort an der Straßensperre lässt uns nicht passieren“, geben wir zu verstehen. „Meiwenti“, (Kein Problem) verstehen wir erleichtert. Einer der Beamten begleitet uns nun zu dem Wachmann an der Schranke und regelt für uns die Durchfahrt. Uns fällt ein Stein vom Herzen. Ohne lange zu warten düsen wir los. Obwohl es steil den Berg hoch geht radelt Tanja als würde sie auf einer Bergetappe der Tour de France den ersten Preis gewinnen wollen. Obzwar ich mich ins Zeug lege, lässt sie mir nicht die geringste Chance sie einzuholen. „Was rast du denn so!“, brülle ich ihr hinterher. Sie hält kurz inne und antwortet; „Man kann nie wissen ob die da unten es sich noch mal anders überlegen!“ An zwei weiteren Tunnels stehen bewaffnete Soldaten. Die linke Röhre scheint nur für Militär oder wichtige Menschen zugänglich zu sei. Der Eingang in den Berg ist mit massiven Stacheldraht und Strom geschützt. Überall weisen die Warnschilder ausdrücklich darauf hin die blanken Stromkabel unter keinen Umständen zu berühren.

Laut Luftlinie sind es nur noch 4 Kilometer bis zu unserem heutigen Tagesziel, dem Städtchen Leibo, doch dann windet sich die Straße ca. 15 Kilometer in brutalen Serpentinen nach oben. „Müssen wir da rauf?“, fragt Tanja ihren Kopf in den Nacken legend. „Ich denke schon“, antworte ich. Nach einer kurzen Verschnaufpause legen wir den ersten Gang ein und treten unsere Schlachtrösser in die Höhe. Ich denke wieder an den Ochsen, der den Mahlstein dreht, und lasse unentwegt meine Beine kreisen. Von 400 Höhenmetern müssen wir uns auf 1.250 Höhenmeter hocharbeiten. Das Gewicht und die erbarmungslose Steigung saugen unsere Akkus leer. In 800 Meter Höhe finde ich die erste gerade Stelle auf der wir anhalten können, um die Stromsammler zu tauschen. Dann geht es weiter. Die regenschweren, dunklen Wolken hängen in den sich vor uns auftürmenden Bergspitzen. Die ersten Häuser des Bergortes tauchen auf. Menschen sehen uns be- und entgeistert an. Manche rufen uns zu. Ob wir uns doch auf einer Tour de France Etappe befinden? Meine Oberschenkelmuskeln pumpen das Blut durch die Adern und schmerzen. Vor allem weil wir heute schon 85 anstrengende Kilometer hinter uns gebracht haben. Die engen Straßen des Ortes sind stark befahren. Es wird gehupt, geklingelt und geschrien. Noch immer geht es steil bergauf. Hier scheint es, außer den Fundamenten der Häuser, keine geraden Flächen zu geben. An einem Geschäft fragen wir nach dem Hotel. „Nali“, sagt der Mann und deutet noch weiter nach oben. 10 Minuten danach parken wir vor dem modernen Kasten. Hengsheng Holiday Inn Hotel steht auf dem großen Schild geschrieben. Wie so oft will man im ersten Moment nichts davon wissen, dass unsere Räder ins Innere des edel aussehenden Schuppens sollen. Während ich draußen auf unser Hab und Gut achte und die immer größer werdende Menschenmenge unterhalte, lässt Tanja ihren Charme spielen. Es dauert nur Minuten als sie mit hoch erhobenen Daumen nach draußen kommt. „Die Empfangsdame zweifelt noch aber ich denke wir sollten unsere Bikes einfach reinfahren“, sagt sie. „Okay“, antworte ich ein kurzes Stoßgebet in den Himmel schickend, darum bittend, dass diese Taktik auch hier gut funktioniert. Kaum stehen wir mit unseren schmutzigen Roadtrains in der Halle, entsteht ein riesiges Geschrei. „Nicht überbewerten“, ist Tanja neuer Standardspruch. Eine Frau brüllt uns regelrecht an und deutet dabei unentwegt auf Ajaci. Tanja zeigt ihr sein Referenzbuch, in dem sie von einigen Hotels der gesamten bisherigen Reise lobende Worte über ihn hat eintragen lassen. „Schau“, sagt Tanja. „hier steht, dass er ganz, ganz lieb ist. Er beißt nicht, bellt nicht, scheißt nicht ins Zimmer und frisst keine Bettlaken oder sonstiges Mobiliar. Du kannst ihn auch streicheln“, fordert sie die alte Beißzange auf, nimmt ihre Hand und lässt sie durch sein Fell streichen. Ein Chinese, der Englischlehrer an der hiesigen Hochschule, stellt sich uns vor. „Mein Name ist Richard. Darf ich ihnen helfen?“, fragt er und übernimmt die weitere Übersetzung. Nach dem üblichen Hin und Her wird Ajaci akzeptiert und unsere Rösser und Anhänger bekommen nun tatsächlich einen sicheren Platz angeboten. „Nicht überbewerten“, wiederhole ich Tanjas Worte schmunzelnd…

Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.

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