Völlig unerwartet verdoppelt sich der Wasserverbrauch
Tag: 96 Etappe Zwei
Sonnenaufgang:
05:33
Sonnenuntergang:
17:35
Luftlinie:
20,3
Tageskilometer:
26
Temperatur - Tag (Maximum):
37 Grad
Gibson-Desert-Camp — 19.09.2001
Es ist eine schwülwarme Nacht die uns das Einschlafen nicht leicht macht. Bei 25 Grad wälze ich mich hin und her und schwitze in unserem kleinen Stoffhaus. Kein Lüftchen weht. Eine dunkle Wolkenschicht liegt über dem Land wie eine warme Wolldecke. Meinen Schlafsack habe ich an das Fußende verband und versuche jede Berührung mit ihm zu vermeiden. Durstig öffne ich den Reißverschluss und nehme ein paar Schlucke Wasser aus dem Wassersack den ich vorsorglich vors Zelt gelegt habe. Ich werfe einen besorgten Blick in den wolkenverhangenen schwarzen Himmel. Es wird doch keinen Regen geben? Schnell schließe ich wieder den Reißverschluss denn die Moskitos beginnen mich schon nach wenigen Augenblicken zu piesacken. Müde lege ich mich auf die Isomatte. Ob ab heute der Sommer beginnt? Kann das so schlagartig geschehen? Schon seit Monaten haben wir eine riesige Angst vor dem bevorstehenden Sommer. Obwohl ich versucht habe mir nicht schon Gedanken und Sorgen vor einer kommenden Hitze zu machen die noch nicht einmal da ist, ist die Angst geblieben. Tanja und ich mussten während unserer Pakistandurchquerung vor vielen Jahren bis zu 53 Grad Hitze ertragen. Damals ist der Asphalt unter den Kamelfüßen geschmolzen und ich dachte jede Sekunde sterben zu müssen. Ich habe mir persönlich geschworen so einen Alptraum nie mehr mitzumachen und dann hat es uns auf der Etappe Eins dieser Expedition wieder erwischt. Zwar mussten wir keine 53 Grad ertragen aber 46 genügten uns. Vor allem feuchte, tropisch hohe Temperaturen hauen den Menschen regelrecht um. Als ich Carl fragte wie heiß es in der Wüste wird meinte er: „50 Grad sind hier keine Seltenheit. Es ist aber eine trockene Hitze die nicht so schlimm ist.“ „Gott bewahre uns vor solchen unmenschlichen Temperaturen selbst wenn sie trocken sind,“ habe ich geantwortet. Die Angst ob wir es psychisch und physisch schaffen werden wird jeden Tag größer. Meine ganze Philosophie kann mir diese Bedenken nicht nehmen. Um 22 Uhr 30 fällt die Temperatur von 25 auf angenehme 15 Grad wodurch die Nacht und unser Schlaf gerettet ist.
Weil die Sonne jetzt schon um 5 Uhr 33 aufgeht entscheiden wir uns eine halbe Stunde früher aufzustehen. Um 3 Uhr 30 piepen unsere Uhren. Es fällt uns natürlich nicht leicht so bald unsere Behausung zu verlassen aber es ist die einzige Möglichkeit nicht schon nach dem Beladen völlig am Ende zu sein. Nach unseren Erfahrungen wird es während des Sommers im Outback schon gleich mit den ersten Sonnenstrahlen unerträglich warm. Auch wollen wir unser Camp am besten zwischen 13 und 14 Uhr erreichen, weil die Nachmittagssonne die unangenehmste ist.
Kurz bevor wir unseren Lagerplatz auf dem Dünenrücken verlassen sucht uns Joseph ein junger Aborigine auf, um sich von uns zu verabschieden. „Richte allen noch mal liebe Grüße von uns aus,“ sage ich, schüttle ihm die Hand und führe die Karawane nach einem neuntägigen Aufenthalt bei Kunawarritji neuen Abenteuern entgegen. Wir kommen gut voran. Gegen 11 Uhr verschwindet ein Großteil der Wolken worauf die Luft schlagartig trockener wird. Die Sonne glüht am Himmel und das Thermometer steigt das erste Mal auf dieser Etappe auf 37 Grad. So schlagartig und unerwartet die Hitze zuschlägt so schlagartig steigt unser Wasserverbrauch. Schon nach drei Stunden sind unsere zwei Liter fassenden Trinkbeutel auf den letzten Tropfen ausgetrunken. Alle 15 bis 20 Minuten sind wir bei der Anstrengung des Laufens gezwungen Flüssigkeit in unseren Körper zu bekommen. Kaum haben wir unseren brennenden Durst gelöscht tritt das Wasser aus den Poren und kühlt den Körper. Die Erleichterung tritt augenblicklich ein. Nicht ohne Grund muss ich mir jetzt die Frage stellen ob wir genügend Wasser bis zur ca. 250 Kilometer entfernten Jupiter Well (Well bedeutet Bohrloch oder Brunnen) mit uns führen. Da unser Wasserverbrauch bisher bei rund 15, in Ausnahmefällen 20 Liter war, haben wir für die Strecke 200 Liter kalkuliert und auf die Kamele geladen. Jetzt aber benötigen wir 25 Liter am Tag was bedeutet das wir uns wieder beeilen müssen und nichts Unvorhergesehenes dazwischen kommen darf. Sollte uns Carl am Wochenende wirklich für ein Barbecue besuchen werde ich ihn über den Funkkontakt zu Jo und Tom mitteilen lassen 40 oder 50 Liter Wasser zu bringen. Sollte er nicht kommen werden wir es auch so bewältigen. Ich ärgere mich nicht mehr Wasser einkalkuliert zu haben aber unsere Kamele laufen an ihrem Limit und ich wollte sie nicht überladen. Wir benötigen dringend die zwei neuen Afghanpacksättel von Jo und Tom. Carl möchte sie uns bald nachbringen. Allerdings muss er erst von hier nach Perth fahren, um sie mit seinem neuen Lastwagen abzuholen. Der Terminplan wann er nun nach Perth fahren wird stand bei unserer Abreise von Kunawarritji noch nicht fest. Wichtig ist für uns, dass er uns noch vor der Aboriginegemeinschaft Kiwirrkurra erwischt. Wie ich schon beschrieben habe soll der Weg danach unter Wasser stehen. Wir wären also gezwungen dort auf ihn zu warten.
Jeffery James verspeist alles was sich im Busch bewegt
Die Karawane befindet sich in der Zwischenzeit auf dem Jenkins Track und wir laufen weiter bis zum nächsten kurzen Trinkstopp. Das Land um uns ist zu großen Teilen verbrannt und bietet kaum Fressbares für unsere Kamele oder nur einen Zentimeter Schatten. Mittlerweile habe ich herausgefunden wer das Land hier verbrennt und warum das geschieht. Erst vor kurzem habe ich die Normalität dieser Täter in Zweifel gestellt und jetzt muss ich diese Ansicht revidieren. Carl hat mir erklärt, dass die Aborigines das Land anstecken, um große Echsen oder besser gesagt Warane zu jagen. Wenn sie eine der vielen Echsenspuren im Sand sehen brennen sie einen Teil des Landes ab. Dann suchen sie nach den Erdlöchern der Warane um sie aus ihrem Bau herauszuholen. Echsen sind für Aborigines eine willkommene Abwechslung auf der heutigen Speisekarte die sehr oft vom Supermarkt bestimmt wird. Jeffery James hat mir erzählt, dass er alles isst was sich im Busch bewegt. „Gab es denn Aborigines die Menschen aßen?, habe ich ihn neugierig gefragt“ „Aber ja, die Stämme in der Pilbara Region westlich von hier waren Kannibalen,“ antwortet er mit ernstem Gesichtsausdruck. Gerne hätte ich darüber noch mehr erfahren aber aus irgend einem Grund sind wir auf ein anderes Thema gekommen. Heute gehören nach wie vor Emus, Kängurus, Buschtruthähne, Bangaras (Warane) und Witchetty grups zur alten traditionellen Nahrung aber auch Dingos, Katzen, Hasen und Kamele stehen seit der Einführung dieser Tiere auf den Australischen Kontinent auf dem Speisezettel vieler Aborigines die hier draußen wohnen. Die Jagd ist immer noch ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Natürlich wird heute nicht mehr mit dem Speer getötet sondern mit dem Gewehr. Die Bangaras (Warane oder Echse auf Australisch) allerdings werden nach wie vor aus ihren Höhlen gebrannt und deswegen sieht es hier so schwarz und trostlos aus. Laut Carls Aussage erholt sich das Land immer wieder von diesen Feuern welches für die Vegetation sogar wichtig ist. Die Aborigines nennen das ihr Land kultivieren. Ich frage mich trotzdem ob diese Art der Kultivierung nicht etwas zu viel des Guten ist und ob die Urbevölkerung vor 100 Jahren damit nicht etwas sorgfältiger umging? Wie es auch immer sein mag für uns bedeutet dieses Abbrennen eine nicht unübersehbare Gefahr. Wenn ich daran denke friedlich in unserem Zelt zu schlafen und urplötzlich von einer nicht einkalkulierten Feuerfront überrascht zu werden weil ein Aborigine auf der Heimfahrt gerade Lust dazu verspürt sein Land zu kultivieren und ein Streichholz aus seinem Auto wirft wird mir schlecht. Nur der Gedanke daran lässt mir die Haare zu Berge stehen. Aber auch die Futtersuche für unsere Boys ist plötzlich nicht mehr so einfach wie noch vor wenigen Wochen. Mittlerweile sind wir gezwungen so lange zu laufen bis wir einen Fleck finden der nicht von den gefräßigen Flammen vernichtet wurde.
Starker Wind kommt auf und bläst uns seinen heißen Atem ins Gesicht. Willy Willys (kleine Wirbelstürme) fegen durch das verbrannte Land und saugen die schwarze Asche in sich auf. Wie böse Flaschengeister donnern sie manchmal unweit von uns vorbei bis sie sich in der Weite verlieren. Sie erinnern uns an die schreckliche Zeit von Zyklon Sam der am Ende der letzten Etappe unser Überleben gefährdete.
Um 13 Uhr 30 finden wir mitten im verbrannten Land eine grüne Insel die das Feuer aus nicht nachvollziehbaren Gründen verschont hat. Ich führe die Karawane über das stachlige Spinifex und lasse sie absetzen. Beim Entladen bemerken wir, dass die alten in Kunawarritji ausgeheilten Druckstellen von Hardie, Jafar und Jasper wieder akut geworden sind. „Das kann doch nicht wahr sein. Jetzt habe ich die Sättel so oft bearbeitet. Sie sind mittlerweile an den dementsprechenden Stellen weichgeklopft und trotzdem drücken sie. Ich bin am Ende mit meines Lateins. Ich weiß nicht mehr was ich tun soll,“ fluche ich verzweifelt. Nachdem Campaufbau schlage ich mit dem Hammer wieder auf die Strohstellen ein, um sie noch weicher zu machen bin mir aber mittlerweile nicht sicher ob das hilft.