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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 1

Viel Glück gehabt

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    Tag: 07

    Sonnenaufgang:
    06:58

    Sonnenuntergang:
    17:22

    Luftlinie:
    04,62

    Tageskilometer:
    5,50

Clackline-Camp — 18.05.2000

Wie schon in den letzten Tagen stehen wir um 7 Uhr mit den ersten Sonnenstrahlen auf und beginnen mit den bereits beschriebenen Arbeiten. Die Anstrengungen der letzten Tage stecken in unseren Knochen und jeder von uns leidet bereits unter den verschiedensten Schmerzen.Gleich nach dem Frühstück untersuche ich Jo‘s Knöchel. Er ist nicht weiter geschwollen und ihre Schmerzen sind nicht schlimmer geworden. Die Symptome weisen auf eine leichte Zerrung hin und lassen uns zuversichtlich den Tag beginnen. Um ca. 14 Uhr sind Sebastian, Goola Badoola, Hardie und Jafar beladen. Während Tanja Sebastian hält arbeiten Jo und ich gerade an dem Sattel von Istan. Er ist bisher unser ruhigstes Kamel und wirkt unter jeder Lebensbedingung sehr zuverlässig auf uns. Istan muss den Sattel mit den ausladenden Stahlkörben tragen. In dem einen Korb befindet sich die etwa 50 Kilo schwere Küchenbox und ein 10 Liter Wassersack und in dem anderen Korb liegen die Schuhe, Werkzeug- und eine weitere 30 Kilo schwere Lebensmitteltasche. Um die schwere Küchenbox im Korb zu befestigen, muss ich sie mit einem Spannriemen festschnallen. Ich liege gerade unter dem Stahlkorb als Istan urplötzlich und völlig unverhofft aufspringt. Mir bleibt nicht einmal mehr die Zeit für eine Reaktion und ich bin froh, dass mich der schwerbeladene Stahlrahmen nicht verletzt. Jo, die sich gerade über den Sattel gebeugt hat, um mir den Riemen zu reichen, wird regelrecht weggeschleudert und diesmal gegen das andere Bein getreten. Ich kann nicht sehen ob sie strauchelt, denn kaum ist Istan in die Höhe geschossen, um wilde Bocksprünge zu veranstalten, hat sie ihn schon an der Nasenleine, um ihn zu beruhigen. Wie ein Olympiasprinter rase ich um Istan herum, um ihr zu helfen. “Easy, easy!” ruft Tanja um die Kamele, die natürlich alle aufgesprungen sind, zu beruhigen. Sofort versuchen wir sie wieder absetzen zu lassen, doch Istan gebärdet sich wie ein Verrückter. Endlich gelingt es Jo Istan zum Absetzen zu bewegen. Erst jetzt bemerken wir beide, dass ein Metallhaken an Istans Sattel das Rückenpolster von Jafars Sattel total aufgeschlitzt hat. “Bevor all das Stroh herausfällt müssen wir das Polster nähen,” meint Jo ruhig und gelassen wie immer. Sie übergibt mir die Nasenleine des aus unersichtlichen Gründen extrem nervösen Istans, sucht Nadel und Faden und beginnt sofort mit der Reparatur. Damit der wild schnaubende Istan ihr nicht in den Kopf oder Nacken beißt halte ich ihn konzentriert, denn er ist immer noch mit all den Verbindungsseilen an Jafar gebunden. Das was in den nächsten Bruchteilen von Sekunden geschieht kann man mit Worten nur schwerlich beschreiben, trotzdem versuche ich die Situation so zu schildern wie ich sie erlebe.

Auf einmal reißt Istan sein großes Maul auf, zeigt seine langen, spitzen und furchteinflößenden Zähne, brüllt schrecklich und mein Unterarm verschwindet in seinem Rachen. Istan beißt zu! Doch bevor er mir mit seinem Biss den Arm in zwei Teile trennt, schaffe ich es ihn mit einer gewaltigen und aus meiner Sicht unbeschreiblichen Reaktion aus seinem Rachen zu reißen. Noch in der Bewegung bohren sich die Zähne in mein Fleisch, doch bevor sie mir richtig zusetzen können ist mein Arm in Sicherheit. In einem gewaltigen Ausstoß von Adrenalin schlage ich ihn nahezu im gleichen Augenblick auf sein Maul. Jo dreht sich um und sieht mich an. Ich bin über mich selbst erschrocken. “Entschuldige Jo, ich musste ihn schlagen. Es war ein Reflex,” sage ich. “Das hast du gut gemacht. Ich hätte genauso reagiert. Er muss lernen keinen von uns zu beißen. Ich hoffe er hat die Lektion verstanden.” antwortet sie. Wieder kehrt mir Jo den Rücken und setzt ihre Näharbeiten fort. Doch kaum setzt sie den ersten Stich beißt Istan wieder zu. Diesmal versucht er meinen linken Arm zu erwischen. Immer noch unter hoher Anspannung stehend reiße ich ihn fort und Istans Maul bekommt nur meinen Hemdsärmel zu fassen. “Was ist denn los mit ihm?” frage ich mich verwundert und fühle eine gnadenlose, ja fast ohnmächtige Wut in mir aufsteigen. “Ich denke wir sollten ihn besser von Jafar lösen,” Meint Jo, worauf ich ihr nur recht geben kann. Als Jo ihn dann wegführt und an einen Baum bindet sieht sie im Augenwinkel eine Reiterin auf einem Pferd den Heritagetrail entlangtraben. Sofort läuft sie zu der Fremden und erklärt ihr das wir hier Kamele haben. “Alles klar,” sagt sie und führt ihr Pferd in die entgegengesetzte Richtung. Jetzt wissen wir warum Istan so verrückt reagierte. Er wollte mich nicht aus Bosheit beißen, sondern dachte wahrscheinlich, das ihn ein Monster in Pferdeform fressen wollte.

Nachdem Jo den Sattel von Jafar genäht hat beladen wir wieder Istan. Er ist zwar immer noch sehr nervös doch geht es diesmal gut. Tanja, Jo und ich sind schon vor dem Weitermarsch völlig fertig. Ohne Frage sind wir in der Lage alles wieder abzuladen und hier zu bleiben, doch möchte ich wenigstens aus psychologischen Gründen ein paar Kilometer hinter uns bringen. Bevor es dann weitergeht nehmen wir eine heiße Fertigsuppe und einen Müsliriegel zu uns.

Um 15 Uhr brechen wir dann erschöpft auf. Die Kamele laufen heute besser als gestern, sind aber immer noch viel zu schnell. Jo muss nach wie vor alle Kraft aufbringen um Sebastian zu bremsen. 45 Minuten später geht es für etwa 30 Meter steil bergab durch ein ausgetrocknetes Bachbett. Beim Aufstieg setzt sich Sebastian einfach ab und schlägt sich dabei an einem spitzen Stein die Hornhaut am Knie auf. Es blutet fürchterlich doch scheint er davon keine Notiz zu nehmen. “Die Kamele sind müde,” sagt Jo, worauf wir eine viertel Stunde danach einen Lagerplatz in der Nähe des Ortes Clackline finden. Wir führen die Kamele in einem Kreis und entladen sie mit letzter Kraft. Kaum liegt die ganze Ausrüstung verstreut am Boden bemerken wir das wir viel zu nahe am Heritagetrail sind. Da morgen am Freitag mein Interviewtag ist und wir am Samstag einen weiteren Rasttag eingeplant haben an dem uns Freunde besuchen können, wollen wir nicht von vorbeifahrenden Autos entdeckt werden. Müde schleppen Jo und ich die gesamte Ausrüstung plus Sättel etwa 50 Meter weiter in den Wald hinein auf eine wunderschöne, an einem Bach gelegene Lichtung, während Tanja die Kamele hütet. Als die Sonne untergeht wärmen wir uns am Lagerfeuer und gehen alle zusammen früh schlafen.

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