Verzweifelt! Mutter Erde meldet sich!
N 50°15'39.1'' E 052°36'22.9''Tag: 23-24
Sonnenaufgang:
05:18 – 05:18 Uhr
Sonnenuntergang:
21:40 – 21:41 Uhr
Gesamtkilometer:
7304.82 Km
Temperatur – Tag (Maximum):
42 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
33 °C
Breitengrad:
50°15’39.1“
Längengrad:
052°36’22.9“
“Huiii! Huuiiii! Huuiiii!”, heult es um unsere alte Gastiniza. Mit großem Respekt und Erfurcht vor dem Wind schlage ich die Augen auf. Mein Blick fällt auf eine Spinnwebe am offenen Fenster. Sie flattert im Wind. “Mein lieber Gott. Warum schickst du uns diesen Wind? Wie sollen wir diese endlose einsame Steppe durchqueren?”, denke ich und schlafe wieder ein. In meinem Traum organisiere ich einen Lastwagen der als Windschatten vor uns herfährt. “Keine schlechte Idee. Ich muss mich unbedingt daran erinnern wenn ich wieder wach bin”, versuche ich mich im Traum zu ermahnen. Dann lade ich Räder und Ausrüstung auf einen Pferdewagen. Das ist erlaubt. Das können wir machen. Wir durchqueren die Steppe noch immer mit landesüblichen Verkehrsmitteln. Nur woher nehmen wir ein Pferd und Pferdewagen? Ob wir die Räder gar auf einen Lastwagen laden sollten? Aber das ist ja keine Radreise mehr. “Huiii! Huuiiii! Huuiiii!”, werde ich von dem bedrohlichen Geräusch geweckt. Müde und mit schmerzenden Gliedern erhebe ich mich und blicke durch das total verdreckte Fenster auf die verlassene Ortsstraße. Sturmartige Böen blasen Plastiktüten nach Nordwesten. Das kann nicht wahr sein! Der Wind hat wieder zu unseren Ungunsten gedreht. Ab hier müssen wir nämlich nicht weiter in Richtung Süden radeln sondern in Richtung Osten. Jetzt kommt der Wind also aus Südosten und steht somit gegen uns. Ich könnte mir die Haare raufen. Verzweifelt lege ich mich wieder auf die durchgelegene Matratze. Mein Blick fällt auf Tanja die neben mir in einem anderen Bett schläft. Ihr gleichmäßiger Atem lullt mich wieder ein. Wieder knüpft mein Traum da an wo ich ihn vorher beendet hatte. Wieder bin ich selbst im Traum verzweifelt. “Ja glaubst du, du kannst dich gegen die Natur auflehnen? Du hast doch während deiner Reisen und Expeditionen gelernt das dies keinen Sinn ergibt”, höre ich die Stimme, die ich wie immer in solchen Fällen Mutter Erde zu schreibe. Seit der Australiendurchquerung habe ich immer wieder einmal mit Mutter Erde kommuniziert. Erst dachte ich nicht richtig im Kopf zu sein, doch nach einiger Zeit wurde mit klar, dass diese Gespräche einen ganz realen Hintergrund hatten. Immer wenn es mir besonders schlecht geht oder ich große Probleme wälze kommt diese Stimme. Immer außer in Deutschland. Seltsam. Vielleicht sind meine Herausforderungen in Deutschland anderer Natur. Vielleicht habe ich in meiner Heimat nicht den Zugang zu ihr, zu Mutter Erde. Wer weiß? Aber warum erscheint mir die Stimme jetzt im Traum? Warum nicht wie sonst am Tag? Egal, Hauptsache sie ist da. Oder bilde ich mir das jetzt nur ein? Ist es gar nicht Mutter Erde? Ist ja nur ein Traum! “Ja du hast Recht. Es ist ein Traum aber ein Traum an den du dich nach dem Erwachen erinnern wirst. “Gut, dann sprechen wir jetzt im Traum miteinander. Dann kannst du mir bestimmt auch verraten wie wir die Herausforderung dieses Dauergegenwindes lösen sollen? Das kann doch kein Mensch schaffen! Ist doch unmöglich eine wüstenähnliche Steppe bei 40 oder vielleicht noch mehr Grad mit unserer Ausrüstung zu durchradeln!”, frage ich fast ein wenig verzweifelt. “Ich verstehe dich nicht. Du weißt doch, dass du mit dem Kopf nicht durch die Wand kommst. Du weißt doch, dass du nicht über Zeit und Raum bestimmst. Du kannst dir aber die Zeit zu nutze machen”, antwortet die Traumstimme. “Und wie?” “Ja glaubst du denn, dass die Bergsteiger, die den Mount Everest besteigen immer dann los können wenn sie möchten? Sie müssen doch auch auf das geeignete Wetter warten. Und wenn sie ungeduldig sind und nicht die Gesetze der Natur beachten, bezahlen sie eventuell sogar mit ihren Leben.” “Hm, das ist simpel. Wir sollen also darauf warten bis sich der Wind legt?” “Zum Beispiel. Das ist zumindest eine Möglichkeit. Lass es fließen. Lasse dir Zeit. Lebe den Augenblick. Das ist es was wir euch in der Wüste gelehrt haben. Oder nicht? Hast du das vergessen?”, höre ich es noch als ich meine Augen aufschlage und die Traumstimme sich mit dem heulen des Windes vermischt. “Wow! Das ist es. Wir warten ein wenig. Ich muss unbedingt mit Tanja darüber sprechen.
Später sitzen Tanja und ich an unserem Tisch in unserem Zimmer und beratschlagen die Situation. Ich habe ihr im Detail meinen Traum erzählt. Gemeinsam lassen wir unsere Gehirnwindungen auf Hochtouren laufen und suchen nach Lösungen. “Hol doch mal die Karte”, bittet mich sie dann. In der relativ ungenauen Landkarte können wir nichts bemerken was uns weiterhilft. Dann schalte ich den Laptop ein und sehe mir das Karteprogramm darin ganz genau an. Im größtmöglichen Maßstab folgen wir der eingezeichneten Straße nach Osten. Und siehe da, es tauchen ca. alle 50 Kilometer kleine Dörfer auf. “Wo es Dörfer gibt, gibt es auch Wasser”, sage ich. “Genau. Wir sind in der Lage für zwei Tage Wasser zu transportieren. Das heißt, wir erreichen in jedem Fall immer ein Dorf wo wir unsere Wasservorräte auffüllen können”, schlussfolgert Tanja. “Ja, so machen wir es. Das könnten wir schaffen”, sage ich worauf wir die kommende Route der nächsten 350 Kilometer genau planen.