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Russland/Eulen-Camp Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Taktik um dem Wind zu trotzen!

N 50°12'40.6'' E 053°09'09.8''
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    Tag: 25

    Sonnenaufgang:
    05:16 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:39 Uhr

    Luftlinie:
    39.29 Km

    Tageskilometer:
    41.12 Km

    Gesamtkilometer:
    7345.94 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    40 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    32 °C

    Breitengrad:
    50°12’40.6“

    Längengrad:
    053°09’09.8“

    Maximale Höhe:
    117 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    90 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    10:50 Uhr

    Ankunftszeit:
    17:33 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    10.08 Km/h

“Huiii! Huuiiii! Huuiiii!”, heult es auch am heutigen Morgen um die baufällige Gastiniza. Müde lausche ich dem für uns unangenehmen Geräusch. “Ist er also wieder da, der Wind das himmlische Kind”, geht es mir durch den Kopf. Als heftiger Donner durch die seit mindestens 20 Jahren nicht mehr geputzten Fensterscheibe grollt, stellt es mir die Nackenhaare auf. “Das kann doch nicht wahr sein? Sollen wir noch einen Tag in dieser bescheidenen Unterkunft ausharren?” Mit steifen Knochen erhebe ich mich aus der quietschenden Bettstatt und blicke durch die trübe Scheibe nach draußen. Der Anblick ist geradezu abschreckend. Wie auch an den vergangenen Tagen bläst es allen möglichen Unrat über die staubige Straße in nordwestliche Richtung. Gleißende Blitze zucken aus einer tief hängenden Wolkenfront, um irgendwo dort draußen in den endlosen Steppenboden zu schießen. Trotz bester Vorsätze ist meine Motivation im Keller. Gestern dachte ich noch die Kraft zu besitzen die Welt aus den Angeln heben zu können, und jetzt, in diesem Augenblick, fühle ich mich klein wie eine Kirchenmaus. “Wuuum!”, dröhnt es immer wieder durch die milchige Glasscheibe als unterschiedlich geladene Wolkenteile aufeinander treffen und sich krachend entladen. Wie ein geschlagener Ritter lasse ich mich wieder auf die gammelige Matratze nieder, um mich in einen unruhigen Schlaf zu flüchten.

“Hast du auch Bauchschmerzen?”, frage ich wenig später Tanja leise die ebenfalls in den Himmel starrt. “Ja, ein wenig.” “Ob es das Wasser war?” “Ich weiß nicht. Vielleicht hätten wir den Salat doch nicht essen sollen.” “Ja, war zweifellos der Salat. Die haben die Tomaten bestimmt nicht gewaschen und die Gurken waren ungeschält”, brummle ich. “Was sollen wir jetzt tun?”, möchte Tanja wissen. “Woher soll ich das wissen”, antworte ich nicht gerade bestens gelaunt. Tanja steht auf und beginnt ihre Ausrüstung und unsere Reiseküche zu packen. Plötzlich hat sich das Gewitter verzogen. “Vielleicht sollten wir aufbrechen”, schlägt Tanja vor. “Hm, vielleicht”, entgegne ich wortkarg und verlasse erneut mein Bett. Nachdem wir unsere gesamte Habe in den Ortliebtaschen verstaut haben suche ich Igol, die Betreuerin des Ladens hier, um zu zahlen. Da heute Montag ist herrscht im ersten Stock unerwartetes reges Treiben. Die Gastiniza besteht nur aus drei Zimmern, während all die anderen Türen in einfache Büroräume führen. Aigol geleitet mich in eines der Büros. “Wie viel möchten sie bezahlen?”, wundert mich die Frage einer Frau die wie die Chefin aussieht. Aigol, die gerade neben mir steht, hebt ein dünnes Schreibheft hoch, versteckt ihr Gesicht dahinter und tuschelt der Frau etwas zu. Dann nimmt sie das Heftchen und schreibt den Preis von 1.500 Tenge (ca. 8,- ?) pro Person und Nacht darauf. Da mir eine der Frauen beim einchecken einen Preis von 1.000 Tenge genannt hatte ignoriere ich Aigols Gekritzel und sage: “Ich zahle 1.000 Tenge pro Nacht und Person.” “Ist in Ordnung”, höre ich verblüfft und weiß somit, dass mich die nette Aigol doch glatt betrogen hätte. Sie lächelt als wäre nichts gewesen. Ich zahle, bekomme meine Quittung und wir schleppen unseren Besitz in den Hinterhof. Dann hole ich die Räder aus dem Schuppen in dem mehrere Tonnen Zement lagern. Während wir sie dann laden versammeln sich etwa 10 Männer um uns. Neugierig beobachten sie jede unserer Handbewegungen. Alles wird kommentiert. Man fragt uns was die Räder kosten, worauf wir immer wieder antworten: “Gehören der Firma. Nicht uns. Wir wissen den Preis nicht.” “Ah der Firma”, tuscheln sie verständnisvoll nickend. Um noch weniger Rollwiderstand auf den Asphalt zu bringen pumpe ich die Reifen auf 5 Bar Druck auf. Eine interessierte Hand greift den Schwalbe-Reifen meines Rades. “Ho, ho, der ist aber hart wie Stein. Hast du das gesehen? So wie ein Autoreifen!” ,wundert sich einer der Beobachter. Wir klicken die Ortliebsatteltaschen an die Räder. “Man, was für ein System!”, deutet ein anderer sich wundernd auf meine Handbewegungen und stupst seinen Nachbarn am Arm. “Ob das ein Kühlschrank ist?” “Na klar ist das ein Kühlschrank. Bei der Hitze brauchen sie einen Kühlschrank”, meint einer in grünem Tarnanzug Gekleideter. “Das ist kein Kühlschrank, das ist eine Box in der wir unser Zelt und Matratzen aufbewahren”, berichtige ich meine Beine mit Sonnenkreme einreibend. “Was sie sich da für Zeugs auf den Körper schmieren?”, hören wir. Dann streifen wir die Radhandschuhe über, setzen unsere Helme und Sonnenbrillen auf. “Ich komme mir wie ein Astronaut vor der sich gerade für einen Flug ins All fertig macht”, sage ich leise. “Ja, für die Männer hier mag es bald so aussehen”, antwortet Tanja verhalten lachend. Als ich das GPS, den Funktacho und Kabeltacho an den Lenker in die Halterungen klicke, erheben sich die Stimmen zu einer regen Fachsimpelei. Uns ist es in diesem Augenblick nicht angenehm die moderne Radtechnik zu präsentieren, jedoch haben wir keine andere Chance. “Komm tausch dein Rad gegen mein Motorrad”, schlägt einer in Arbeitskleidung vor. Allgemeines Gelächter erschallt als ich verhalten ablehne. “Was macht ihr denn da! “Dawei! Dawei!”, (Weiter! Weiter!) fordert die tiefe Stimme des Chefs plötzlich die Männer auf wieder ihre Arbeit aufzunehmen. “Eine gute und sichere Fahrt!”, wünschen uns die Männer und schütteln mir nacheinander die Hand. Um 10.50 Uhr rollen wir unsere Hightech-Roadtrains aus dem Hof in die gleißende Sonne. Auf der breiten Straße des Ortes bläst uns sofort der Wind ins Gesicht. Wir schwingen uns in die Sättel, um ihm zu trotzen. Unsere Bauchschmerzen haben sich Gott sei Dank wieder gelegt. Wer weiß, vielleicht war es nur eine Abwehrreaktion unserer Körper, um nicht wieder auf die Aluminiumrösser zu müssen?

Das erste Hinweisschild an der Straße zeigt 322 Kilometer bis zur Stadt Aktöbe. “Das bedeutet für uns wahrscheinlich 322 Kilometer Steppe”, sage ich fast ehrfürchtig. Am Himmel ist kaum eine Wolke auszumachen und es geht häufig leicht bergauf. Gegen Mittag steigen die Temperaturen in der Sonne auf ca. 44 Grad. Da wir nicht im Schatten radeln können sind im Augenblick die Sonnentemperaturen für uns maßgebend. Der Wind hat sich noch weiter gesteigert. Immer wieder packe ich das kleine Anemometer (Windmesser) aus der mir die exakten Windgeschwindigkeiten anzeigt. “Hat sich erneut gesteigert”, sage ich verblüfft. “Wie stark?”, möchte Tanja wissen. Im Augenblick wehen uns Böen zwischen 15 und 27 KMH um die Ohren. Also zwischen 3 und 5 Windstärken”, erkläre ich. Weil wir heute aber 22 Liter Wasser mitführen hat der Gegenwind, bis auf die enorme Kraftanstrengung, erstmal an Schrecken verloren. Mit den Wasservorräten können wir zwei Tage durchradeln ohne uns erneut versorgen zu müssen. Das bedeutet, dass wir jederzeit ein Camp aufschlagen können ohne Angst haben zu müssen auf der Strecke zu verdursten. Außerdem haben wir in unserem Kartenprogramm festgestellt, das in der Regel alle 50 Kilometer, manchmal 80 Kilometer ein Dorf kommen müsste.

Der Verkehr hat rapide abgenommen. Wir zählen ca. 10 Autos in der Stunde. Keines von ihnen hält mehr an, um uns nach dem üblichen Woher und Wohin zu fragen. “Ist schon seltsam oder?”, meine ich. “Hm, vielleicht möchte keiner der Fahrer riskieren auf der einsamen Strecke stehen zu bleiben?” “Du meinst das könnte ein Grund sein?” “Wer weiß? Es gibt hier keinen Handyempfang und einen Abschleppdienst der ein liegen gebliebenes Fahrzeug hier rausholt auch nicht”, überlegt Tanja.

Nach knapp sieben Stunden und gerade mal 41 Tageskilometern finden wir einen Campplatz hinter einem schmalen Waldstreifen, der sich in Fragmenten noch immer links und rechts der Straße entlang zieht. “Dort können wir uns verstecken!”, rufe ich. Als kein Auto in Sicht ist schieben wir so schnell es unserer Kräfte noch zulassen unsere Böcke durch hohes Gras und wild wachsende Kräuter. Es sticht und reibt unangenehm an den verschwitzten Waden. Stechmücken werden aufgescheucht und fallen sofort über uns her. An Filmen oder Fotografieren ist in diesem Augenblick nicht zu denken. Nachdem wir hinter den ersten Bäumen zu stehen kommen greife ich sofort in die Lenkertasche und hole unser Jaico-Anti-Mücken-Spray  raus, um dem Alptraum ein Ende zu bereiten. “Schau mal da rüber”, flüstere ich leise als mein Blick rein zufällig in das Dickgicht fällt. “Was denn?” “Da, sieh doch, da sitzt eine Eule”, sage ich auf den großen Vogel deutend, der uns abwartend und zugleich neugierig beobachtet. Dann geht es weiter. In einem hüfthohen Gras und Blumenbeet finden wir schwer atmend unseren Ort für die Nacht. Wir freuen uns wieder ungesehen einen Platz gefunden zu haben und bauen das Zelt auf, legen die Isomatten rein und schlichten die Radtaschen ins Vorzelt. Dann trinken wir erstmal jeder einen Liter Wasser der uns sofort wieder durch die Poren verlässt. Das Thermometer zeigt jetzt um 18:00 Uhr noch immer 34 Grad im Schatten. “Schau mal meine Beine an. Die sind plötzlich aufgeschwollen und voller Pusteln”, sagt Tanja. “Oweh, sieht ja nicht gut aus. Ist bestimmt das Resultat deines Heuschnupfens und Allergie gegen Gräser”, diagnostiziere ich. “Hm, wahrscheinlich. Juckt auf jeden Fall unangenehm. Ich sollte in Zukunft lange Socken anziehen bevor wir uns in die Büsche schlagen.” “Ist bestimmt eine gute Idee. Mir brennen meine Beine auch und ich habe Gott sei Dank keine Allergie”, sage ich und während Tanja sich notdürftig mit einem Waschlappen vom Straßenstaub und den Gräsern reinigt spiele ich die Bilder in den Computer und schreibe die Kurzaufzeichnungen unserer Erlebnisse nieder.

Außer einem in der ferne vorbeirauschenden Automotor hören wir in diesem Camp nur Vögel. Es Zwitschert geradezu geräuschvoll. Insekten, Libellen und Mücken fliegen in großer Zahl herum. Ideale Nahrungsgründe für die hiesige Vogelwelt. Mir kommt es so vor als würden wir mitten im Zentrum eins Vogelschutzgebietes sitzen. Um etwa 22:00 Uhr machen mir Moskitoschwärme das Schreiben meiner Aufzeichnungen fast unmöglich. Als dann auch noch eine Zecke meine Beine hoch grabbelt flüchte ich mich in unser Zelt. Tanja schläft schon tief während ich noch einige Zeit dem aufgeregten Gezwitscher lausche. Auf einmal verstummen die vielen Krähen mit ihrem lauten Gekrächze und werden von den Rufen der nachtaktiven Jägern, der Kauze und Eulen, abgelöst.

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