Ural in Sicht!
N 50°08'49.8'' E 055°41'15.4''Tag: 29
Sonnenaufgang:
05:06 Uhr
Sonnenuntergang:
21:30 Uhr
Luftlinie:
37.93 Km
Tageskilometer:
40.16 Km
Gesamtkilometer:
7537.47 Km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Temperatur – Tag (Maximum):
44 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
35 °C
Breitengrad:
50°08’49.8“
Längengrad:
055°41’15.4“
Maximale Höhe:
180 m über dem Meer
Durchschnittsgeschwindigkeit:
13.39 Km/h
Nach einem kurzen Frühstück mit Rapunzelmüsli in einem Getränkepulver von Sanatur angerührt, sitzen wir auf unseren wertvollen und robusten Bikes. Bei leichtem Gegenwind und 44 Grad in der Sonne treffen wir erneut auf eine Umleitung. Diesmal müssen wir mit erheblichem Kraftaufwand unsere Rösser über Erdarbeiten tragen, bevor es auf dem aus Erdöl gewonnen schwarzen Streifen weitergehen kann. Während unserer Trageaktion brausen Kasachen in ihren Vehikeln um uns herum. Eines der wenigen Autos hält an. Die Insassen torkeln betrunken auf uns zu und lallen irgendetwas. Dann steigen sie wieder in ihre Kiste und versuchen eine der Erdanhäufungen im vollen Karacho zu überwinden, um auf die neue Fahrbahn zu gelangen. Als das nicht klappt fahren sie davon aber nur um zu wenden und diesmal im Rückwärtsgang erneut mit vollen Anlauf auf die Böschung zu brechen. Diesmal scheint es zu gelingen. Das Auto rast im beängstigenden Tempo den Geröllhaufen hoch. Oben angelangt wendet es und düst davon. “So mancher Fahrer eines Geländewagens hätte sich das nicht getraut”, stelle ich fest. “Na wenn er so besoffen gewesen wäre wie die vielleicht schon”, erwidert Tanja worauf ich herzhaft lache. Wir überwinden einen lang gezogen Hügel und lassen uns auf der anderen Seite in ein ewiges Tal gleiten. “Siehst du die Höhenzüge da vorne?”, frage ich Tanja. “Ja.” “Das sind die Ausläufer des Uralgebirges. Dort müssen wir drüber.” In etwa 20 Kilometer Entfernung machen wir eine Sonnenreflexion aus. “Könnten Fenster eines größeren Gebäudes sein die sich in der Sonne spiegeln”, überlege ich. “Dann ist es bestimmt der Ort Novoalekseyevka”, vermutet Tanja.
Als wir nach 40 Tageskilometern den Ortsrand erreichen glauben wir Statisten eines Zukunftsfilmes zu sein. “Hier sieht es ja aus wie die Offenbarung des Weltuntergangs”, fröstelt mich der Anblick trotz Hitze. Wir lassen eine verrostete, laut ratternde Betonfabrik rechts liegen, sehen auf der anderen Straßenseite, gleich gegenüber einer ausgedehnten, rauchenden Müllhalte, ein paar Yurten. Es sind Zelte in denen sich der Reisende offensichtlich ausruhen kann. Eine moderne Tankstelle, Staub, verblasste Schilder, unzählige Strommasten, und verfallene Zäune sind die Vorboten der menschlichen Siedlung. Dann rollen wir in den Steppenort. Dem ersten seit 234 Kilometern. Als die wenigen Menschen unsere Räder erblicken bemerken wir an ihren Reaktionen das hier kaum oder noch nie solche Gefährde gesehen wurden. “Das ist ein Magazin!”, ruft Tanja auf eine angenagte Hütte deutend. Sofort ziehen wir die Bremse und lehnen unsere Räder an den Zaun. Tatsächlich gibt es eine kalte Cola. Obwohl Tanja und ich das Zuckerzeug grundsätzlich ablehnen ist es in diesem Augenblick ein kurzfristiger Energiespender. “Gibt es hier eine Gastiniza?”, frage ich die Verkäuferin die mich mit all ihren Fragen überhäuft. “Aber ja”, freu ich mich über die unverhoffte Aussage, denn eine Dusche wäre ein Traum. Ihr Sohn schwingt sich auf sein klappriges Rad und zeigt uns den Weg. Es geht vorbei an baufälligen Häusern aus Stein und Lehm. An Wellblechhütten, über und durch tausende von Löchern in der kaum vorhandenen Straße. Nach einem Kilometer liegen die letzten Behausungen hinter uns. “Das kann doch keine Gastiniza sein?”, frage ich auf die vor uns liegende zerfallene Fabrikhalle deutend. “Doch das ist die Unterkunft”, meint der Junge mit Stolz in der Stimme.
“Ich schau mir den Laden mal an”, sage ich zu Tanja die zwischenzeitlich wie immer auf die Räder aufpasst. Eine Frau führt mich über eine gefährlich, steile Stahltreppe in den ersten Stock und zeigt mir ein Zimmer. Es ist unaufgeräumt und die Betten sind nicht gemacht. Sie schließt die Tür und öffnet eine andere. Das gleiche Bild. Beim dritten Versuch ist sie erfolgreich. “Was kostet das Zimmer?” “3.000 Tenge.” (ca. 17?). “3.000 Tenge?”, fährt es mir wegen des hohen Preises verblüfft über die Lippen. “3.000 Tenge.” “Wo ist denn die Dusche?” “Es gibt keine Dusche.” “Aha, keine Dusche.” “Nein, keine Dusche. Aber ein Waschbecken. Da können sie sich waschen.” “Hm. Und wo ist die Toilette?” “Die Toilette ist draußen auf dem Hof.” “Draußen?” “Ja, draußen”, antwortet sie völlig emotionslos und ohne die geringste Gesichtsregung. Ich steige wieder die gefährliche Treppe nach unten und berichte Tanja. “Wir sind beide sehr müde und in Anbetracht das gleich hinter dem Ort der erste Höhenzug beginnt, es über 40 Grad hat und unsere Kraftreserven gegen Null gehen, sollten wir bleiben”, schlägt sie vor. “Wenn du meinst”, resigniere ich.
Wir dürfen unsere Räder in eine zerfallene Lagerhalle bringen, in der außer Müll auch Unmengen Vögel nisten. Wir ketten sie an eine alte Baumaschine, ziehen zum Schutz gegen den vielen Vogelkot eine Plane drüber und sperren die Zargesbox ab. Man kann ja nie wissen. Dann verriegelt der Inhaber des edlen Hauses das große, verrostete Stahltor mit einem Megaschloss. Kaum sind unsere Rösser versorgt sitzen wir in dem Restaurant der bescheidenen Bleibe. Das einzige was wir uns hinter die Kiemen hauen dürfen sind Makkaroni dazu wässriges Ketschup, mit Rindfleisch gefüllte Teigtaschen und altes zum Haus passendes Brot und warmes Bier.
Soviel Wasser das man darin sogar baden kann“Wollen sie schwimmen?”, fragt uns später der Besitzer. “Schwimmen?” “Ja. Gleich hinterm Haus ist ein Fluss. Dort können sie sich erfrischen und waschen, wenn sie wollen”, erklärt er. “Gute Idee”, sagen wir, eilen in die etwa 32 Grad warme Kammer und packen unsere Sachen. “Mann, das ist aber weit”, stöhne ich als wir schon geraume Zeit auf einer staubigen Piste laufen. Wir passieren einen christlichen und dann einen moslemischen Friedhof, lassen die hässlichen zerfallenen Fabrikhallen hinter uns und stolpern durch trockenes Gras. Da wir seit neun Tagen keine Dusche mehr gesehen haben geben wir nicht auf undlaufen so lange bis wir endlich einen Grünstreifen ausmachen. “Dort wird der Fluss sein”, vermute ich. “Bis wir den erreicht haben sind wir wieder völlig durchgeschwitzt”, meint Tanja. “Noch schlimmer finde ich dass wir nach dem Schwimmen und Rückmarsch wieder verschwitzt sind”, entgegne ich. “Ja. Das heißt wir können dann gleich wieder zum Fluss laufen.” “Ha! Ha! Ha! Immer hin und her nur um sauber zu bleiben”, scherze ich. Die Ironie unserer Situation wird uns auf einmal derart bewusst, dass wir uns die Bäuche halten vor lauter Lachen. “Ich glaube wenn uns jetzt jemand beobachten würde könnte er denken die beiden Radfahrer sind völlig verrückt geworden.” “Stimmt. Aah, ha, ha, ha!”, prustet Tanja und krümmt sich in ihrem Lachanfall. Wir steigen eine Böschung hinunter und erreichen tatsächlich einen Fluss. Alte Feuerstellen, zerbrochene Glasflaschen, Chipstüten und andere Müll zeugen davon, dass die Menschen der Siedlung sich hier vergnügen. “Geh du zuerst”, schlägt Tanja vor. “Nein geh du. Ich passe in der Zwischenzeit auf unsere Wertsachen auf”, gebe ich ihr den Vorrang. Weil wir uns hier in einem zum größten Teil von Moslems bewohnten Land befinden schreitet Tanja in Hose und Hemd bekleidet in das kalte Wasser. Kaum ist sie bis zu den Hüften drin kommt eine Gruppe junger Männer die sofort den kleinen Strand in Besitz nehmen. Wie gesagt befinden wir uns in einem zum Großteil von Moslems bewohnten Land und eine badende Frau aus dem Westen ist für die ausgehungerten Männer eine Sensation. Noch ehe die Männer ihre Stielaugen ausfahren machen wir uns weg und laufen wieder schwitzend am Ufer entlang, um einen anderen Zugang zum Fluss zu finden. Hohes Schilfgras und steil abfallende Uferböschungen machen es unmöglich an das verheißungsvolle Nass zu gelangen. “Ist doch einfach nicht zu fassen. Ich kann ja verstehen das man bei einer Wüstendurchquerung nicht duschen, geschweige denn baden kann, aber auf einen Radtrip?”, sinniere ich laut. Wir biegen Äste zur Seite, folgen einem gewundenen Pfad bis wir dann doch noch einen Strand entdecken der menschenleer ist. Weil wir unsere Pässe und Kameras diesmal im Blick haben wagen wir es uns beide auf einmal in die wirklich kühlen Fluten zu stürzen. Wir prusten, lachen, rufen, scherzen, seifen unsere Körper ein, tauchen unter und springen wie die Kinder auf und ab. “Ja! Ja! Jaaaa! Wasser ist da! Wasser im Überfluss hurraaaaa!”, rufen wir, spritzen, seifen uns noch mal ein, waschen gleichzeitig unsere Unterwäsche und fühlen wie unsere ausgedörrten Körper mit neuer Energie durchflutet werden. Erst in solch einem Moment spürt man wie kostbar so ein Bad ist, wie wertvoll Wasser ist, wie fantastisch es ist soviel davon zu haben, um sogar da drin baden zu dürfen. Für viele Menschen auf dieser Welt, vor allem in Afrika, ist so ein Bad nicht machbar. Wüstenbewohner zum Beispiel haben diese Gelegenheit ganz selten in ihrem Leben. Und wir, wir flippen schon aus vor Freude wenn wir unsere Körper nach schlappen neun Tagen mal ins Wasser halten dürfen.
Am Abend, nach einem sehr bescheidenen Mahl, ziehen wir uns in das Zimmer zurück. Bei 30 Grad trifft mich fast der Hitzschlag. Ich untersuche die Fenster. Keines davon ist zu öffnen. Da das Zimmer nach Süden ausgerichtet ist sind die Wände heiß wie ein Backofen. Sie haben die Sonnenenergie gespeichert und geben sie jetzt großzügig ab. “Das halte ich nicht aus. Da mache ich kein Auge zu”, lamentiere ich. Ich spreche mit der Inhaberin des Ladens und erkläre ihr die Situation. Sie zeigt Verständnis und führt mich in einen fensterlosen, dunklen und großen Raum der sich im Rückteil des Gebäudes befindet. “Das ist unser Kinosaal”, sagt sie stolz, zeigt auf einen Fernseher und meint, dass ich auf dem Boden meine Isomatte legen darf. Ich setze ihren Vorschlag in die Realität um während sie mir noch einen Ventilator in das Hotelkino stellt. Tanja begnügt sich mit der fensterlosen Schwitzkammer. Hitze macht ihr nichts aus. Ich glaube sie könnte sogar in einer Sauna schlafen.