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Ukraine/Jalta, Krim

Turbulente Vergangenheit der Halbinsel Krim

N 44°29'53.1'' E 034°10'42.9''

“Du hast die Ukraine nicht gesehen, wenn du die Krim nicht besucht hast”, haben uns viele Einheimische vorgeschwärmt. Auch unsere Russischlehrerin Victoria hatte immer wieder von dieser schönen Urlaubshalbinsel träumerisch erzählt. Genau aus diesem Grund sind wir nicht von der Stadt Kherson der Straße quer durch die Ukraine bis nach Russland gefolgt. Das wäre einfach immer nur geradeaus Richtung Osten und laut einiger Aussagen eine gute Strecke. Da wir aber nicht immer geradeaus in Richtung Ziel fahren wollen und weil unser Ziel nicht wirklich unser Ziel ist, sondern das tägliche Erleben und vor allem das Unterwegs sein, ist uns die Entscheidung nicht schwer gefallen einen weiteren Umweg von ca. 500 Kilometern in Kauf zu nehmen.

Wir befinden uns gerade beim Abendessen in dem netten Hotel der Küstenstadt Feodosiia. Uns gegenüber sitzt ein junges ukrainisches Pärchen aus der Stadt Kiew und erzählt von ihrer Verlobungsreise auf der Halbinsel: “Ihr habt die Krim nicht gesehen, wenn ihr Jalta keinen Besuch abstattet”, schwärmen sie. “Dann fahren wir halt nach Jalta”, meint Tanja. “Über das Gebirge?” “Oh nein, nicht über das Gebirge.” “Am besten mit dem Schiff”, schlage ich begeistert vor. “Na mit der Fähre werdet ihr Schwierigkeiten bekommen. Soweit wir wissen ist der Betrieb seit letztem Jahr eingestellt worden. Am besten ihr lasst eure Räder hier und macht einen Kurzausflug mit dem Bus. Das dauert nur fünf Stunden und ist unkompliziert”, empfiehlt Irene. “Okay dann nehmen wir den Bus”, antworten Tanja und ich zugleich.

Schon morgens um sieben Uhr verlässt der Kleinbus die Stadt Feodosiia. Verschlafen blicke ich aus dem Fenster. Steppen- und leichte Hügellandschaft fliegen draußen in ungewohnter Geschwindigkeit vorbei. Es Regnet leicht und starker Wind lässt die Bäume biegen. Für solch einen Blechhaufen auf Rädern ist das keine Herausforderung. Froh darüber dem Gegenwind auf diese Weise zu überlisten sitze ich nachdenklich in meinem bequemen Sitz. Von hier aus ist nichts vom Schwarzen Meer zu sehen welches die autonome Republik und Halbinsel Krim fast vollständig umgibt. Nur etwa 2,5 Millionen Menschen leben auf der sich von West nach Ost (320 Kilometer) und von Nord nach Süd (175 Kilometer) ausstreckenden Halbinsel. (25.993 Quadratkilometer). Der Bus hält nach 65 Kilometern in der Stadt Bilohirsk für einen kurzen Stopp. Drei Männer steigen zufrieden grinsend ein und machen es sich hinter uns auf den freien Plätzen bequem. Kaum haben sie sich in die Sitze niedergelassen packen sie zwei Flaschen Wodka und eine dralle, fette Wurst aus. Der starke Geruch steigt mir sofort bis in die Haarwurzeln. Als sich unser Gefährt wieder in Bewegung setzt stoßen die Drei lachend an und stürzen sich das erste Sto hinter die Binde. Dazu gibt es fingerdicke Wurststücke. Keine Ahnung ob sie zu den 65 Prozent der Russischen- oder zu den 25 Prozent der Ukrainischen- Einwohner zählen. Auf jeden Fall sind es keine der noch wenigen Tartaren die hier mit ein paar Bulgaren und Griechen die Minderheit ausmachen.

Früher lebten hier keine Russen, habe ich gelesen. Die Nachfahren der Krimmerier nannten im Altertum die Krim Taurische Chersones. Was sich von ihrem Namen der Tauriner ableitet. Die Griechen von Milet gründeten schon zwischen dem 7. und 5. Jahrhundert v. Chr. viele Städte und Dörfer die dann 438 v. Chr. zum Bosporanischen Reich vereint wurden. “Was denkst du gerade?”, unterbricht Tanja meine Gedanken. “Ach über die verschiedenen Völker die sich hier im Laufe der Geschichte meist durch Kriege abgelöst haben. Ist wie fast überall auf der Erde ein ewiges Kommen und Gehen gewesen. Wenn man so aus dem Fenster auf die Landschaft blick ist es doch kaum zu glauben das diese Stück Erde schon seit ewigen Zeiten umkämpft war.” “Ja, sieht alles so friedlich aus.” “Ist es auch, wenn die Einwohner nicht gerade von einer fremden Macht überrannt werden”, antworte ich wieder in meine Gedanken versinkend. Bereits im Jahr 114 v. Chr. akzeptierte das Königreich, zum Schutz vor den Stämmen der Skythen, die Oberherrschaft durch Mithridates VI. Eupator, König von Pontus. (Landschaft im nordwestlichen Kleinasien an den Südküsten des Pontos Euxinos (dem heutigen Schwarzen Meer). Nach der Niederlage Mithridates VI. gegen die Römer blieb die Krim fast drei Jahrhunderte lang unter der Herrschaft Roms. “Na sdarowie!”, wird mein Ausflug in die Geschichte von den trinkenden Männern hinter uns laut unterbrochen. Seit bald 20 Minuten kippen sie sich einen Wodka nach dem anderen in den Rachen. Sie lachen und kichern immer öfter. Die Megawurst haben sie mittlerweile fast verzehrt. Scheu und so unauffällig wie nur möglich drehe ich mich um als es heftig an der Lehne meines Sitzes wackelt. Einer der Saufkumpels hat sich gerade daran abgestützt, um mal kurz aufzustehen. Ich lasse ihn natürlich kommentarlos gewähren und sehe wieder aus dem Fenster. Die Sonne hat jetzt den Regen vertrieben. Die Landschaft sieht freundlich, ja sogar lieblich aus. Wir befinden uns kurz vor der Stadt Simferopol von der wir das Krimgebirge bis zur Küste von Nord nach Süden überqueren werden.

Die Berglandschaft bewundernd lasse ich meine Gedanken wieder in die Vergangenheit flüchten. 250 nach Chr., also nach der Herrschaft Roms, eroberten die Goten die Halbinsel. Sie waren die ersten einer Reihe aufeinander folgender Invasionen wie durch die Hunnen, Chasaren, byzantinische Griechen, Kiptschaken und Genueser, die innerhalb eines Zeitraumes von fast 1000 Jahren das Zepter dieser Region übernahmen. Dann, im Jahr 1475, wurde die Halbinsel von den Türken überrannt, die sie gemeinsam mit den Tatarenprinzen beherrschten und bis ins Jahr 1777 in ihrem Besitz hielten. “Chöörrck!”, rülpst einer der jetzt grenzenlos Besoffenen hinter uns. “Chöörrck!”, antwortet sein Kumpel im gleichen Dialekt kichernd. “Ob sie vielleicht doch von den wilden Tataren abstammen”, flüstere ich leise über die ständigen unangenehmen Unterbrechungen. “Nein, müssen Russen sein”, urteile ich und denke daran wie diese über die Türken und Tataren siegten und die Krim 1783 ins Russische Reich einverleibten. Im Jahre 1854 begann der Krimkrieg indem Großbritannien, Frankreich, das Osmanische Reich und das Königreich Sardinien Russland gegenüberstanden, um die Machtstellung Russlands im Schwarzen Meer zu beschneiden und die russische Expansion in osmanisches Territorium auf dem Balkan rückgängig zu machen. Zwei Jahre später endete der kriegerische Konflikt mit der Niederlage Russlands. Doch die von Konflikten geplagte Krim kam nicht zur Ruhe und spielte im Bürgerkrieg, der zwischen 1917 und 1920 nach der Russischen Revolution herrschte, eine bedeutende Rolle. “Hi, hi, hi, ha, ha, ha”, lacht es hinter uns. “Chöörrck! Chöörrck”, rülpst es im Chor. Wir erreichen die Stadt Simferopol und bekommen 30 Minuten Pause, um uns die Beine zu vertreten. Dann geht es weiter über das Gebirge zur Südküste. Die drei Saufkumpane sitzen noch immer aufrecht. Die zweite Flasche Wodka wird gerade eben bis auf den letzten Tropfen geleert.

Der Fahrer setzt zu einem riskanten Überholmanöver an, bremst jedoch in letzter Sekunde und versteckt seinen Blechhaufen mit wertvoller Ladung wieder hinter den stinkenden Abgasen eines langsam dahin kriechenden Lastwagens. “Puh, das war aber knapp”, atme ich erleichtert aus. “Schau mal da ist schon wieder eine Moschee. Ob die Einwohner hier Moslems sind?”, interessiert es Tanja. “Soweit ich gelesen habe gibt es hier noch eine tatarische Minderheit. Die Tataren sind Moslems. Sie herrschten hier ja über viele Jahrhunderte.” “Klingt ja spannend.” “Ja, sehr spannend. Vor allem wenn man bedenkt das die Tataren etwas mit Dschingis Khan zu tun haben.” “Wie meinst du das?” “Nachdem was ich weiß ist das Wort Tataren ein Sammelbegriff für die Völker türkischer Abstammung, die im 13. Jahrhundert von den Mongolen angeführt in Teile Asiens und Europas einfielen. Die Tataren kamen höchstwahrscheinlich aus Ostzentralasien oder Zentralsibirien. Nach den Eroberungen Dschingis Khans Anfang des 13. Jahrhunderts vermischten sich allmählich die mongolischen und die türkischen Völker und wurden von den Europäern zusammenfassend als Tataren bezeichnet.” “Und wo sind sie jetzt alle hin?” “Gute Frage. Noch im Jahre 1921 wurde die Krim als autonome Republik für die Krimtataren innerhalb der Sowjetrepublik etabliert. Im Jahr 1941 drangen dann deutsche Truppen in die Krim ein. Nach dem Fall der Hafenstadt Sewastopols im Juli 1942 besetzten die Deutschen die Republik ganz und hielten sie bis in den Frühling des Jahres 1944. Nach dem Krieg wurde die Krim 1945 von einer autonomen Republik zu einem Verwaltungsgebiet degradiert, angeblich wegen weit verbreiteter Zusammenarbeit der Krimtataren mit dem Feind. Die Krimtataren wurden dann durch den sowjetischen Führer Jossif Wissarionowitsch Stalin als Nation offiziell abgeschafft und massenweise nach Zentralasien zwangsdeportiert. Im Jahr 1954 wurde die Krim eine Region der Ukrainischen Sowjetischen Sozialistischen Republik.” “Puh, was für eine Geschichte”, sagt Tanja laut ausatmend. “Ja eine sehr turbulente und auch blutige Geschichte und vor allem ist sie nicht zu Ende denn kurz nach der Auflösung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) im Jahr 1991 entstanden hinsichtlich des Besitzes der Krim Spannungen zwischen Russland und der Ukraine. Offiziell gehörte die Krim durch eine Übergabe von 1954 zur Ukraine. Das focht Russland nun an. Dann wurden 1994 zum ersten Mal in der Geschichte Präsidentschaftswahlen für die Krim abgehalten. Fünf der sechs Präsidentschaftskandidaten sprachen sich öffentlich für eine Wiedervereinigung der Krim mit Russland aus. Zu dieser Zeit ging es hier hoch her und die beiden Länder standen aus meiner Sicht kurz vor einem Konflikt, denn keiner wollte nachgeben. Erst im Juni 1997 schlossen Russland und die Ukraine einen Freundschaftsvertrag, in dem beide Länder die bestehenden Grenzen akzeptieren. Somit erkennt Moskau auch die Zugehörigkeit der Krim und des Schwarzmeerhafens Sewastopol zur Ukraine an.” “Nachdem was du mir gerade erzählt hast kann man sich gut vorstellen, dass die Geschichte dieser Halbinsel noch lange nicht zu Ende ist”, sinniert Tanja leise.

Hinter uns ist es mittlerweile ruhig geworden. Der Lehnenrüttler ist vom Wodka geplättet und liegt über beide Sitzbänke flach ausgestreckt da. Seine zwei Kumpels haben ebenfalls die Augen geschlossen und ihren Kopf an das vibrierende Fenster gelehnt. Nur ab und an rülpst es leise nach vorne. Die anderen Fahrgäste scheinen solche Mitfahrer gewöhnt zu sein denn keiner hat bisher nur die geringste Notiz davon genommen.

Es ist 12:00 Uhr Mittag als wir sicher den Busbahnhof von Jalta erreichen. Wir fragen den Fahrer in welcher Richtung die Uferpromenade liegt und laufen los. Überall gibt es Hotels. Auch von großen Werbeplakaten strahlen die Luxushäuser verheißungsvoll und locken die vielen Touristen. Die Stadt zieht sich über die umliegenden Berghügel und wirkt in der Tat freundlich und einladend. Tausende von Menschen wimmeln wie die Ameisen geschäftig die Gehwege rauf und runter. Verkaufsbuden und Geschäfte bieten alles was einem Russischen- oder Ukrainischen Urlauber gefallen könnte. Nach einer halben Stunde sehen wir das Blau des Meeres durch ein paar Häuser und Hotels spitzen. Zielstrebig marschieren wir drauf los und finden ein einfaches Restaurant direkt am Wasser. Verschwitzt lassen wir uns in die Plastikstühle sinken und bestellen etwas zum Essen. “Na der Blick hier ist aber nicht gerade viel versprechend”, meine ich, nachdem wir auf verrostete Frachter, die wie gestrandete Wale am Trockendeck direkt unterhalb der Gasstätte liegen, blicken. Nach dem Essen setzen wir unseren Marsch fort. Hübsche alte Häuser die eher an eine Mittelmeerregion erinnern säumen hier die schmale Straße. Einheimische bieten bald auf jeden Schritt und Tritt Zimmer zum nächtigen an. 40- US$ ist das Günstigste was wir hören. Gott sein Dank ist die Hauptsaison zu Ende und wir finden, mittlerweile als erfahrene Quartiersucher, ein wunderschönes Apartment mit direktem Meerblick. Zufrieden mit uns und der bisherigen Reise setzen wir uns auf den kleinen Balkon. Wir genießen den Sonnenuntergang, das Rauschen der Wellen und den Blick über das Schwarze Meer.

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