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Russland/Nischni Ingasch Link zum Tagebuch TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 4

Tag des Wassers

N 56°12'15.8'' E 096°32'34.9''
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    Tag: 22

    Sonnenaufgang:
    04:55 Uhr

    Sonnenuntergang:
    22:21 Uhr

    Luftlinie:
    51.24 Km

    Tageskilometer:
    62.16 Km

    Gesamtkilometer:
    11163.41 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    29 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    24 °C

    Temperatur – Nacht:
    15 °C

    Breitengrad:
    56°12’15.8“

    Längengrad:
    096°32’34.9“

    Maximale Höhe:
    420 m über dem Meer

    Maximale Tiefe:
    268 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    12.38 Uhr

    Ankunftszeit:
    19.30 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    13.18 Km/h

Es wird Zeit die Wohnhütte unserer Gastgeber zu verlassen. Die Strecke die vor uns liegt ist groß. Vor allem wissen wir nicht was auf uns zukommt. Es sind zwar nur knapp 2.000 Kilometer bis zur Grenze der Mongolei aber bald jeden Tag werden wir vor den Bergen, den kommenden schlechten Straßen, den extrem kurzen Sommer und den entsetzlichen Stechmücken gewarnt. “Im August ist das schöne Wetter bereits wieder vorbei. Meist regnet es anhaltend. Nebel und tief liegende Wolken machen das Radfahren nicht gerade zur Freude. Vor allem fällt das Thermometer nachts unter null Grad”, berichtete uns Andrej.

Wegen einigen kleinen Einstellungen an unseren Rädern und dem Packen kommen wir erst um 12:30 Uhr los. Kein Problem, da die Sonne im Sibirischen Sommer zur Zeit erst um 22:20 Uhr untergeht. Wir haben also genug Zeit, um einige Kilometer auf die Tachos zu spulen.

Weil Luba nicht Zuhause ist werfen wir, wie vereinbart, den Hausschlüssel in den Briefkasten. Dann geht es bei strahlendem Sonnenschein durch die nicht besonders attraktive Stadt. “Denis, wir müssen auf die Kinder achten! Sie werfen heute Wasserbomben auf die Autos und Motorradfahrer”, warnt mich Tanja. “Wieso denn das?”, frage ich. “Weiß ich nicht aber ich habe es gesehen und man hat mich davor gewarnt. Genau heute ist der Tag des Wassers” “Hm, also ein Tag der Wasserwerfer”, meine ich und blicke aufmerksam von links nach rechts, um nicht urplötzlich ein unfreiwilliges Bad zu nehmen.

Ohne nass zu werden erreichen wir den Stadtrand. Sofort werden wir wieder von Steigungen empfangen. Unsere Beine und Kreislauf leisten Schwerstarbeit. Das Blut wird durch die Adern gepumpt, um die stark arbeitenden Muskeln zu versorgen. Tanja und ich denken oft darüber nach welchen Ausrüstungsgegenstand wir noch nachhause schicken können, was wir nicht unbedingt gebrauchen und sich im Laufe der Zeit als überflüssiger Ballast erwiesen hat. So denken wir daran anstatt mit drei Radshirts nur mit zwei weiterzufahren. Auch können wir vier Paar Socken auf drei drücken. Ebenfalls ist der Wasserfilter hier nicht unbedingt von Nöten. Es hat sich gezeigt, dass wir im Regelfall immer an brauchbares Trinkwasser herankommen. Im Laufe der Zeit wird man auf so einem Trip bescheidener, vor allem wenn wir unser gesamtes Habe aus eigener Kraft bewegen müssen. Natürlich ist es wichtig daran zu denken, dass es leichter ist im Sommer unterwegs zu sein. Im Herbst und Anfang Winter sieht die Situation wieder völlig anders aus. Da benötigen wir manchmal jedes Teil. Vor allem weil durch das Schwitzen die Kleidung klitschnass wird und diese im feuchten Zelt keine Chance hat zu trocknen. Letzten Spätherbst waren wir also froh für jedes Kleidungsstück. Trotzdem ist der Mittelweg gefragt und wir haben uns entschieden weiter abzuspecken. Das Einzige woran wir eben nicht die Schraube des Gewichtsparens ansetzen können ist die Technik und Ersatzteile für die Räder. Das ist leider auch das Schwerste. Laptop und Satphon wiegen allein schon gut 10 Kilogramm. Eventuell können wir auf der nächsten Etappe daran etwas verändern. Speicherplatz wird immer billiger und manche Geräte sind im Laufe der vergangenen Jahre nicht nur robust sondern auch leichter geworden. Aber wer kann sich schon ständig neue Technik kaufen?

“Denis lass uns mal eine kurze Rast einlegen”, schlägt Tanja vor als wir gerade ein Straßencafe passieren. Wir verlassen den löchrigen Asphaltstreifen und biegen über Staub und Schotter zu der einfachen Lokalität ab. Im Inneren gibt es ein Waschbecken, um sich den Staub von Händen und Gesicht zu waschen. Jedoch besitzen nahezu alle Straßencafes kein Fließendwasser und falls es einen Wasserhahn über solch einem Becken geben sollte, kommt nur warme Luft heraus. Ärgerlich ist das dann wenn ich mir die Hände schon vorher eingeseift habe. Diesmal bin ich aber schlauer und drehe erst an dem Hahn. “Dachte ich mir doch”, geht es mir durch den Kopf als sich nur ein verlorener Tropfen bereit macht aus der alten Röhre zu fallen. “Haben sie Wasser zum Händewaschen?”, frage ich eine Dewuschka (Frau) freundlich. Sofort bringt sie mir einen kleinen Topf mit einem Liter der kostbaren Flüssigkeit. Dann bestelle ich Borschtsch (Nationalgericht ? Kohlsuppe mit Fleisch) Weil Tanja Vegetarierin ist, für sie ohne Fleisch. “Ein bisschen Eiweiß kann bei der Anstrengung nicht schaden”, meine ich und freue mich auf eine leckere Suppe der russischen Hausmannskost. “Na was hast du denn für ein Ding in deiner Suppe?”, fragt Tanja belustigt. “Ist anscheinend die Fleischeinlage”; argwöhne ich auf den großen Rinderwirbel sehend, der wie ein Turm einer alten Stadtmauer aus meinem Teller ragt. “Sollte auch Vegetarier werden”, meine ich den ekelhaft aussehenden Halswirbel einer Kuh dem abgemagerten Hund zuwerfend, der anscheinend genau auf diesen Leckerbissen sehnsüchtig wartet.

Bei relativ starkem Wind sitzen wir nun unter kaputten Sonnenschirmen auf der Terrasse der heruntergekommenen Gaststätte. Um uns herum Staub und Schotter. Wenn ein Auto kommt weht es uns eine kräftige Staubeinlage über dass Essen. Gäbe es nicht die ewige Taiga mit ihrer beeindruckenden Natur und die netten Menschen, würde ich mich fragen was wir hier überhaupt tun. “Was macht denn der Mann dort?”, interessiert es Tanja, als ein sehr ärmlich aussehender Sibirier eine großen Sack absetzt und in das Cafe schlurft. Wenig später erscheint er wieder, schultert seinen schweren Sack und begibt sich zur Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite. “Hast du gesehen? Selbst seine Gummistiefel waren überall geflickt”, stelle ich fest. “Ja. Schlimm wie arm die Menschen hier teilweise sind. Mit dem Wirbel in deiner Suppe ist dir doch vorerst bestimmt der Appetit auf Fleisch vergangen?”, fragt Tanja. “Eigentlich schon. Warum?” “Du hast doch die Dose mit Rindfleisch von Anjas Vater geschenkt bekommen. Was hältst du davon wenn wir die dem Mann dort geben?” “Eine gute Idee. Der freut sich bestimmt darüber”, antworte ich und hole die Büchse aus dem Anhänger. Sogleich begibt sich Tanja auf die andere Straßenseite und reicht dem Mann die Nahrung. “Und was hat er gesagt?”, möchte ich wissen als Tanja wieder da ist. “Er hat sich gefreut und mir im Gegenzug ein paar Blätter wilden Beerlauch geschenkt. Sein Sack ist voll davon. Ich glaube er fährt von Straßencafe zu Straßencafe, um den Beerlauch zu verkaufen.” “Ist also ein Kräutersammler”, sage ich und wundere mich auf welche Weise die Menschen hier überleben.

Der Meister meldet sich wieder

Auf der Weiterfahrt wird der Wind immer stärker. Er bläst uns aus dem Osten entgegen. Erklärbar ist seine starke Präsens für mich nur weil es im sibirischen Sommer über dem Land relativ heißt wird. Es entstehen dadurch Tiefdruckgebiete und die Luft aus den kälteren angrenzenden Meeren fließt in Richtung Kontinent ab. Im Winter entstehen über den Kontinenten Hochdruckgebiete und die Winde wehen in Richtung der wärmeren Ozeane. Also wäre es windtechnisch gesehen besser im Winter Richtung Osten zu fahren, jedoch wäre da ein anderes noch größeres Hindernis, die extreme Kälte von minus 40° bis 60° Grad Celsius. “Ob sich jetzt, zu den ewigen Bergen, auch noch der Wind gegen uns richtet?”, frage ich laut. Auf der letzten Etappe unserer Trans-Ost-Expedition sind wir 3.000 Kilometer durch die Steppe Kasachstans geradelt. Die größte Herausforderung war dort der ewige Wind der uns bald unaufhörlich entgegen geblasen ist. Wahrscheinlich ein Phänomen das jeden Radler trifft. Nur war es in Kasachstan kein Spaß mehr. Durch die enorme Kraftanstrengung, die uns der Wind abverlangt hatte, kamen wir viel langsamer als geplant voran und hatten eine große Herausforderung mit unserer Wasserversorgung. Nur mit List und Taktik haben wir die Steppe und vor allem den Wind bezwungen. Eine unserer List war es zum Beispiel den Wind nicht mehr bei seinem Namen zu nennen. Denn immer wenn wir von ihm sprachen ließ er nicht lange auf sich warten, um uns manchmal fast vom Rad zu blasen. Wir nannten ihn deshalb einfach nur den Meister. Das verwirrte ihn, denn er wusste ab diesem Zeitpunkt nicht mehr wie wir zu finden waren. Natürlich machten wir uns einen Spaß daraus. Es war ein Spiel mit dem Naturelement und doch waren wir uns in so manchen Momenten nicht sicher ob der Wind, also der Meister, sich in der Tat verwirren ließ. Wie auch immer. In Sibirien verschwand er völlig. Zuviel Wald bremst den Wind. Jetzt hingegen lässt sich der Meister nicht einmal mehr von der Taiga bremsen. Wir radeln nun die ewigen Hügel rauf und runter und wenn es mal gerade vorangeht bläst uns Ostwind ins Gesicht.

“Wir sollten wieder die alte Taktik anwenden und ihn nicht mehr Wind nennen”, meine ich eher belustigt über meine Idee. “Hast Recht. Es langen schon die ständigen Steigungen”, antwortet Tanja, weswegen wir ab sofort nur noch vom Meister sprechen werden. Zumindest wenn wir draußen sind. Eine Ausnahme machen wir im Zelt und Häusern, denn da sieht er uns ja nicht. “Ob die Taktik auch bei Bergen hilft”, schnauft Tanja ihr Gepäck auf Rädern eine weitere Steigung nach oben strampelnd. “Das wäre schön. Aber die Berge bleiben, ob wir von ihnen sprechen oder nicht. Sie brauchen uns nicht zu finden, denn wir haben sie gefunden”, antworte ich amüsiert.

Die Taiga scheint mit jeden Kilometer einsamer und unbewohnter zu werden. Nur noch wenige Dörfer pflanzen ihre Holzhütten links und rechts des grauen Bandes der Zivilisation. Der Verkehr ist etwas weniger geworden. Manchmal jedoch scheint es so als hätte eine große unbestimmte Hand ein Tor aufgeschoben, um gleich eine ganze Armader der Blechmonster herauszulassen. Nach wie vor ist der Verkehr stärker als wir ihn in diesem abgelegenen Teil der Mutter Erde vermutet hätten. Ab und an kreuzen wir die Transsibirische Eisenbahnlinie. Wir müssen vor heruntergelassenen Schranken darauf warten bis sich ewige lange Güterzüge vorbei geschoben haben. “Was kommt denn da aus dem Boden?”, fragt Tanja als sich nach dem senken der Schranke zwei Eisenplatten aus der Straße erheben, bis sie in einem Winkel von 45 Grad zum stehen kommen. “Sollte ein Autofahrer tatsächlich die Schranke durchbrechen, bleibt er an den Stahlblechen einfach hängen. Der Zug ist somit zu 100% geschützt”, überlege ich. Wir sehen der eisernen Schlange nach, dessen Waggongs mit kräftigen, nach Harz riechenden Baumstämmen, geladen ist. “Hier transportieren sie die schöne Taiga ab”, sage ich und überlege gleichzeitig wie wir unser Engagement unserer Baumpflanzaktion verstärken können, um den Raubbau der weltweiten Rodung wenigstens ein bisschen entgegenzuwirken.

Am späten Nachmittag passieren wir wieder eines der typischen Straßendörfer. Ich habe die Videokamera auf das Lenkerstativ geklickt, um die Menschen und ihre aus Holz errichteten Behausungen zu filmen. Plötzlich kommt ein Mädchen kreischend auf mich zugestürmt, so dass ich vor Schreck fast vom Rad falle. Als ich bemerke, dass sie im Begriff ist, einen zehn Litereimer Wasser durch die Luft zu schwingen, um mich in der Nässe zu ertränken, brülle ich auf “Njet! (Nein) Njet! (Nein) Kamera! Kamera!” Gleichzeitig trete ich kräftig in die Pedale, mache einen Schlenker nach rechts und halte meine linke Hand zum Schutz vor die Videokamera. Die gesamte Szene spielt sich in Bruchteilen von Sekunden ab. Das Mädchen ist von meinem lauten Ausbruch ebenfalls erschrocken und versucht den schweren Eimer in seinem grausamen Schwung abzubremsen, jedoch ist die einmal entwickelte Schwerkraft zu groß. Das Wasser verlässt unvermeidlich den Eimer und schwappt zu meinem großen Glück nur über die Zargesbox des Anhängers. “Puhhh! Glück gehabt”, atme ich auf als die Gefahr hinter uns laut aufkichert. “Ich an deiner Stelle würde die Video jetzt einpacken”, rät Tanja, weil man nie wissen kann hinter welchem Verschlag wieder eine Horde Spaßmacher steht, die ihre Eimer über harmlose, vorbeifahrende Passanten schütten, oder noch schlimmer, so genannte Wasserbomben auf einen werfen.

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