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Russland/Provinswechsel-Camp Link zum Tagebch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 3

Staub – Löcher – Gegenwind!

N 50°09'13.8'' E 054°26'17.1''
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    Tag: 27

    Sonnenaufgang:
    05:11 Uhr

    Sonnenuntergang:
    21:34 Uhr

    Luftlinie:
    34.06 Km

    Tageskilometer:
    37.40 Km

    Gesamtkilometer:
    7443.86 Km

    Bodenbeschaffenheit:
    Schotter, Staub

    Temperatur – Tag (Maximum):
    41 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    35 °C

    Breitengrad:
    50°09’13.8“

    Längengrad:
    054°26’17.1“

    Maximale Höhe:
    259 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    09:10 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    8.35 Km/h

Tausende von Krähen krächzen regelrecht um die Wette. Sie sitzen in ihren Nestern oder den Bäumen um uns herum und schreien sich gegenseitige Beschimpfungen zu. Zumindest kommt es mir so vor. Noch bevor es richtig dunkel wird mischen sich die Rufe des nachtaktiven Kauzes dazwischen. Während das heißere Krächzen immer mehr verstummt gewinnen die hellen Rufe der Nachtjäger an Kraft. Ich lausche und lausche, kann wegen der beachtlichen Aktivität in dem schmalen Waldstück kein Auge zumachen. Autos fahren nachts kaum. Warum auch? Die Strecken von Dorf zu Dorf sind zu groß. Es gibt keine Kneipe zu der man fahren könnte und keine Städte. Die Menschen sitzen anscheinend in ihren Dörfern. Meine Gedanken kreisen um unsere Reise, um die Einsamkeit der Steppe, um die unterschiedlichen Welten die wir Menschen leben können, wenn wir wollen. Auch wenn diese Radreise bisher geradezu ungeheuerlich anstrengend ist werden wir dafür entlohnt. Obwohl wir auf dieser Etappe noch nicht lange unterwegs sind kommt es mir so vor als wäre ein Jahr vergangen. Die Erlebnisse und Eindrücke überschlagen sich regelrecht. Und da sollte man meinen in einer eintönigen Steppenlandschaft kann man nichts erleben. Welch ein Trugschluss. Nie hätte ich gedacht, dass dieser Trip ganz unvermittelt einen Expeditionscharakter annimmt. Obwohl wir auf einer von Menschen gebauten Straße unterwegs sind und somit im Kontakt mit Menschen und deren Maschinen sind, fühlen wir uns völlig isoliert. Isoliert in einer anderen, einmaligen, geheimnisvollen und wunderschönen Welt. Einer Natur mit harten aber fairen Gesetzen die wir befolgen müssen. Selbst der Wind, der uns so sehr zusetzt, zwingt uns seine Vorherrschaft auf, die wir anerkennen müssen. Da gibt es kein Verhandeln, kein Feilschen, kein Verstecken und keine Ausreden. Er ist da ob wir wollen oder nicht. Ein Naturelement das zur Steppe gehört wie die Sonne und der Mond. Über dem Land ist die Luft im Sommer wärmer und im Winter kälter als über dem benachbarten Meer. Im Sommer entstehen daher über den Kontinenten Tiefdruckgebiete, und der Wind weht von den kälteren Ozeanen Richtung Kontinent. Im Winter entstehen über den Kontinenten Hochdruckgebiete und die Winde wehen in Richtung der wärmeren Ozeane.

Wenn wir uns gegen dieses Naturelement auflehnen haben wir verloren, können Zuhause bleiben, in unserem Haus hocken, hinter vermeintlich sicheren Mauern und nicht mal spüren ob es Wind gibt, was er bedeutet, wie wichtig er für unser Leben ist, wie wichtig er für die Menschheit und deren Überleben ist. Ich denke dabei nur an den Passat, der vorherrschende Wind der niederen Breiten. Auf der nördlichen Erdhalbkugel wird die Luft, die von Norden her Richtung Äquator strömt, von der durch die Erdrotation bewirkten Corioliskraft abgelenkt, so dass der Wind aus Nordosten weht, er wird als Nordost-Passat bezeichnet. Auf der südlichen Erdhalbkugel erfährt die von Süden nach Norden strömende Luft eine entsprechende Ablenkung und wird zum Südost-Passat. Das alles geschieht natürlich nicht rein zufällig sondern gehört zum Zyklus, zum System unseres Planenten Mutter Erde. Winde bringen Regen wie zum Beispiel die Monsune im Indischen Ozean und im Chinesischen Meer, sie bringen Trockenheiten, treiben Segelschiffe, Windkraftwerke an usw. Ich liege auf meiner Isomatte, lausche den Rufen der Kauze, sehe durch das Moskitonetz die Sterne am Himmel und denke darüber nach wie wichtig so ein Wind ist. Klar, in unserer speziellen Situation ist er nicht angenehm. Aber wer weiß? Hat er vielleicht auch einen Sinn für unsere kleinen Wesenheiten Tanja und Denis? Lässt er uns langsamer vorankommen als geplant weil wir einfach nicht schneller reisen sollen? Weil wir uns daran erinnern sollen wie wichtig das Nahrungsmittel Nummer eins, nämlich Wasser, für uns Menschen ist? Wie wichtig es ist unseren Planeten sauber zu halten, damit wir und unsere Kinder auch morgen noch einen kräftigen Schluck klares, sauberes und kühles Quellwasser trinken dürfen? Ist das der Grund warum wir hier in der kasachischen Steppe gezwungen sind jeden Tag taktisch vorzugehen, um diesen Trip ohne Schaden zu überstehen? Warum wir unsere Route genau planen müssen, uns keinen Fehler erlauben dürfen mit den Vorräten? Wer weiß das schon? Auch wenn es nicht so ist lässt der Wind Tanja und mich wieder bewusst werden, lässt uns nachdenken und die vermeintliche Zivilisation des Überflusses überdenken. Genau genommen sollten wir uns bei diesem Naturelement bedanken, denn es fordert uns auf nachzudenken, öffnet uns die Türen zu anderen, vielleicht schlafenden Gehirnwindungen. Ich denke und denke und komme zu dem Schluss, dass es das Beste wäre alle Naturelemente zu akzeptieren, sei es Regen, Sonne, Wind, Kälte, völlig egal. Nicht dagegen auflehnen, sondern mit ihnen in Harmonie und Verständnis leben. Sie als ein Teil meiner selbst zu betrachten und glücklich darüber zu sein sie spüren zu dürfen. Denn spüren heißt leben und leben heißt lernen und sich weiter entwickeln. “Ja das ist es”, blitzt es mir durch die Gehirnwindungen und als ein Kauz in diesem Augenblick seinen hellen Schrei in den nächtlichen Himmel ruft muss ich schmunzeln.

Tanja

Gegenwind

Der Gegenwind hat in der göttlichen Ordnung seine Berechtigung und ist ein großer Lehrermeister. Es geht hier nicht darum schnellstens von A nach B oder sogar ans Ziel zu gelangen. Sondern auch darum, was er mit uns macht. Ich lerne hier aufs Neue Gelassenheit und im Rhythmus von Mutter Erde unterwegs zu sein. Wir stoppen und campen an Plätzen die wir sonst nicht wählen würden. Situationen zu akzeptieren die ich nicht ändern kann und trotzdem den Spaß, die Freude und die Neugierde zu behalten, eröffnet mir eine wundervolle neue Sichtweise. Mit offenen Augen die Geschenke des Universums zu sehen und trotz Anstrengung und Gegenwind im Fluss zu sein mit dem Großen und Ganzen und der Weltenseele und somit an dem Platz richtig zu sein, wo ich gerade bin.

Denis

Das Ende der befestigten Straße

Nach dem Aufbruch müssen wir die Räder aus unserem Versteck durch das hohe Gras schieben. Um über die frisch gebaggerten Erdhaufen am Straßenrand zu gelangen, müssen wir die Hänger abkuppeln und jedes Rad gemeinsam nach oben wuchten. Oben angelangt verbinden wir die Anhänger wieder mit dem Intercontinental. Dann geht es weiter. Diesmal jedoch nicht auf der mit flüssigem Teer besprühten Straße, sondern auf deren geschotterten Rand. Nur wenige hundert Meter kommen wir voran als uns Straßenarbeiter freundlich stoppen. Über Nacht hat sich offensichtlich herumgesprochen woher wir kommen und wohin wir gehen. Trotzdem müssen wir alles wiederholen. “Kommt lasst euch zu einem Tee einladen”, meint ein Mann mit chinesischen Gesichtzügen. “Danke, wir haben schon gefrühstückt und wollen weiter”, lehnen wir ebenfalls lachend ab. “Dann nimm die Kekse und Bonbons”, sagt er, greift in seine Hosentasche, um mir die Gaben in die Lenkertasche zu legen. “Schaut euch diese wundervolle Maschine an. Sie kommt von Deutschland. Macht fantastische Straßen. Da seht, da steht Vögele”, sagt er auf ein blechernes Monstrum deutend. Wir verabschieden uns wieder, nur um weniger Meter danach erneut für ein Gruppenfoto weiterer Arbeiter anzuhalten. Dann sind wir gezwungen die Piste der großen Lastwägen und Baumaschinen zu nutzen. Die Teerstraße findet hier ein abruptes Ende. Riesige Staubfontänen werden von den großen Reifen der Transporter aufgewirbelt. Da der Wind im Augenblick aber aus südöstlicher Richtung bläst und wir nach Osten fahren, müssen wir den Straßenschmutz nicht schlucken. Glück gehabt. “He! He! Heeeee!”, ruft eine aufgeregte Stimme hinter uns. Wir halten an. Ein junger Mann sprintet bei 41 Grad in der Sonne über die Piste. Als er uns erreicht ist er derart außer Atem das er nicht in der Lage ist nur ein Wort hervorzubringen. Er klammert sich mit hochrotem Kopf an meinen Lenker und schwankt bedenklich. “Lass dir Zeit. Wir fahren nicht davon”, beruhige ich den nach Luft ringenden Mann. “Woher kommt ihr? Wohin geht ihr? Danke, dass ihr angehalten habt. Vielen Dank. Ich spreche Englisch. Wollte mit euch unbedingt ein paar Worte austauschen. Habe kaum die Gelegenheit mein Englisch zu nutzen. Verlerne es schon wieder”, plaudert er darauf los als sich sein Puls wieder in Richtung Normalität bewegt. Wir erfahren, dass wir noch mindestens 35 Kilometer unbefestigten Grund vor uns haben. Dann verlässt er uns mit freudigen Lachen und winkt uns hinterher.

Unerwartet rollen einige Gewitterwolken (Cumulonibuswolken) heran die dann auch noch ihre Pforten über uns öffnen. “Ja! Ja! Jaaaaaa!”, jauchze ich vor Freude über die angenehme Abkühlung. Wir denken nicht einmal daran unsere Regenjacken auszupacken, denn das ist unsere erste Dusche seit sieben Tagen. “Wasser! Wasseeeer!”, rufen wir und strampeln energiegeladen über den holprigen Untergrund. Wegen der unerwarteten Dusche staubt es auch nicht mehr wenn sich die schwer beladenen Lastwägen an uns vorbeischieben. Auch hat der Gegenwind urplötzlich aufgehört. Klar, der Unterschied zwischen kalter und warmer Luftschicht ist für kurze Zeit unterbrochen, womit es keine Druckunterschiede mehr gibt. “So lässt es sich radeln”, freut sich Tanja. Zehn Minuten danach blitzt die Sonne hinter den Gewitterwolken vor und es dauert nur Minuten bis der Wind wieder einsetzt. “Lass uns mal kurz anhalten und die schreckliche Straße fotografisch festhalten!”, schlägt Tanja vor. Kaum stehen wir neben unseren Böcken, um eine flüssige Rapunzelschokolade zu schlürfen als ein Lastwagen anhält. Der Fahrer erzählt während der Sowjetunionszeiten in Deutschland stationiert gewesen zu sein. Dann klettert er aus seinem rostigen Führerhaus, greift durch die Plane auf die Ladefläche und zaubert eine pralle Wassermelone heraus. “Hier bitte, für euch”, lächelt er. Ich nehme die Köstlichkeit entgegen. “Tausend Dank. Die kommt gerade richtig. Wir werden sie sofort verspeisen”, sage ich. “Na dann guten Appetit”, wünscht er uns, lässt die Dieselmaschine an und die schweren Reifen arbeiten sich durch die geradezu gigantischen Schlaglöcher. “Unglaublich wie so eine Melone schmecken kann”, jauchze ich. “Hmmmm, echt lecker. Erinnert mich an unsere Taklamakan-Expedition. Da gab es doch auch so fantastische Melonen”, schwärmt Tanja. “Ja stimmt, muss an der Sonne liegen. Die sind richtig süß”, entgegne ich mehr schlürfend und schmatzend vor Gaumenlust. Wir schaffen es die halbe Frucht in uns zu schaufeln bis wir fast platzen, dann packen wir den Rest ein und quetschen ihn für das Abendessen in meine Box.

Bei jetzt wieder 40 Grad in der Sonne lenken wir unsere Rösser um die gähnend tiefen Schlaglöcher herum. Lastwagen- und auch so mancher Autofahrer haben Mühe ihre Vehikel heile durch und über den Lochstreifen zu lenken. Es krächzt, quietscht und kracht unangenehm wenn sich Blech, Stahl, Achsen und Ladung verwinden. Weitere 30 Minuten danach ist der Backofen wieder perfekt. Staubfontänen wirbeln über den knacktrockenen Untergrund. Wir lenken unsere Aluminiumrösser in eine weitere Umleitung. Müssen sie wieder wie die Ochsen durch tiefen, feinsten Staub drücken und auf einmal taucht vor uns wieder eine der seltenen Steppenraststätte auf die in keiner Karte verzeichnet ist und uns wie ein Geschenk Gottes vorkommt. Zugmaschinen stehen vor großen Benzin oder Öltanks, um hunderte Liter Treibstoff in sich hineinzuziehen. Einiges an Diesel sickert beim Tanken in den Steppenboden. Angerostete Wellblechhütten stehen vereinzelt herum. Bauwägen die als Wohnstatt für Straßenarbeiter dienen. Rampen auf denen Lastwägen repariert werden können. Alte kaputte Reifen. Strommasten und Kabel verschandeln die sonst unberührte Natur. “Gibt es hier ein Magazin?”, frage ich zwei Frauen die meine Erscheinung bestaunen als wäre ich ein Heiliger der gerade aus der Wüste gekommen ist. “Ja, dort hinten. Der Lehmbau. Das ist ein Magazin. Dort könnt ihr auch etwas essen”, erklären sie unaufhörlich kichernd. Da das Haus hinter einer mindestens 100 Meter breiten Staubpiste liegt meint Tanja ich soll erstmal alleine in Erfahrung bringen ob es dort auch wirklich etwas Essbares gibt. Ich schiebe also mein Rad durch den feinen Staub bis es darin versinkt. Trotz großer Kraftanstrengung komme ich keinen Millimeter mehr weiter. Tanja stellt ihren Bock auf den Ständer und eilt mir zu Hilfe. Gemeinsam schieben wir nun den kleinen Roadtrain zur besagten Hütte. “Gibt es bei ihnen etwas zu Essen?”, frage ich die unfreundlich dreinschauende Frau. Ihre kleine Tochter geleitet mich um das Lehmhaus. Eine Tür wird aufgesperrt. Ein Arbeiter und ich betreten die Stube. Auf den zwei Tischen liegen Essensreste herum. Es riecht unangenehm. “Darf ich mal sehen was es gibt?”, bitte ich, worauf die Unfreundliche mir eine Schüssel voller undefinierbares Fleisch-Geschnetzel vor die Nase hält. Schon der Anblick erregt Übelkeit. “Und sonst gibt es nichts?”, wundere ich mich. “Njet” (Nein) höre ich. Dann kaufe ich zwei Schokoriegel, ein Weißbrot und vier Flaschen Wasser. Wir schütten die Beute in unsere Sourcesäcke, essen die Riegel und schieben mein Rad wieder durch den Staub. Schnell lassen wir den eigenwilligen, unschönen Ort hinter uns, um uns weiter gegen den Wind durch die großen Löcher und Mulden der Piste zu arbeiten.

Nach 10 Stunden Schwerstarbeit erblicken wir vor uns eine in der Sonne glänzende, schneeweiße Steigung. “Sieht nicht gut aus”, stellt Tanja schnaufend fest. “Sieht übel aus”, bestätige ich. Ein schwerer Hummer (Amerikanischer Superjeep) schießt auf uns zu. Der junge Mann mit dunkler Sonnebrille würdigt uns keines Blickes und jagt seinen mehrere hundert PS und etwa 250.000 ? teures Luxusjeep an uns vorbei. Nur Bruchteile danach folgt ihm ein 500er Mercedes. Als dass edle Auto durch ¼ Meter tiefe Schlaglöcher schießt, kracht das Bodenblech, schabt der Spoiler und schlägt der Auspuff. “Eindeutig Mafia”, bestimme ich. Wir arbeiten uns weiter über den jetzt wie Mehl aussehenden Untergrund. Die Hitze nimmt uns fast den Atem. Der Wind steht ungünstig und die Autos lassen uns den Mehlstaub schlucken bis wir husten. Ein Motorradfahrer in Sonnenbrille, Jeans und Cowboystiefel gekleidet knattert auf uns zu. Er hält an. Nach seiner üblichen Frage zähle ich wie immer höflich die Länder auf durch die wir bisher gekommen sind. Er unterbricht mich rüde, deutet auf die Bestard-Flaschen am Fahrrad. “Wada”, (Wasser) erkläre ich. Da Wasser auf Russisch so ähnlich klingt wie Wodka möchte er die Flasche. “Es tut mir leid. Wir sind nur mit Muskelkraft unterwegs. Wir brauchen jeden Schluck Wasser den wir haben”, erkläre ich. Der etwa 35 Jahre alte Mann ist angetrunken und sieht mich verblüfft an. Sein Lächeln verschwindet augenblicklich. Er ist es anscheinend gewohnt das zu bekommen was er wünscht. “Lass ihn trinken Denis. Du weißt doch wie schnell die Stimmung umschlagen kann”, schlägt Tanja vor. “Gut”, sage ich widerwillig aber nach außen hin lächelnd, ziehe eine Flasche aus der Halterung, öffne sie und reiche sie dem Motorradfahrer. Er nimmt einen kräftigen Schluck und als seine Geschmacksnerven Wasser analisieren spuckt er angewidert das Ganze in einer großen Fontäne in den heißen, feinen Mehlstaub. “Er dachte wirklich dass es Wodka ist”, flüstere ich. “Gib mir dein Rad dann bekommst du das Motorrad”, unterbricht der Mann wieder. “Danke für das Angebot aber ich möchte lieber Radfahren”, lehne ich lachend und so freundlich wie möglich ab. “Was kostet dein Rad?” “Keine Ahnung. Gehört der Firma.” “Ah, Firma.” “Ja. Abgesehen davon müssen wir weiter. Es ist sehr heiß und der Weg ist weit”, unterbreche ich jetzt seine weiteren Gedanken, um die immer unangenehmer werdende Situation im Keim zu ersticken. Schnell strecke ich meine Hand nach vorne, drücke die Seine, sage: “Da ßwidanja.” (Auf wieder sehen) Mit diesem schnellen Wechsel der Situation hat er offensichtlich nicht gerechnet. “Da ßwidanja”, erwidert er und bevor ihm weitere Fragen über die Lippen gehen treten wir in die Pedale und sind verschwunden. Er bleibt noch einige Zeit stehen, sieht uns hinterher, scheint zu überlegen und entscheidet zum Glück das es keinen Sinn ergibt uns nachzufahren.

Der Wind ist jetzt so stark, dass wir nur noch im ersten oder zweiten Gang mit etwa sechs Stundenkilometer vorankommen. Außerdem geht es wieder leicht bergauf. Durch die Hitze flimmert der Boden. Mein rechtes Knie schmerzt immer stärker. “Ich sollte den Sattel verstellen”, geht es mir durch den Kopf. Jedoch bin ich zu müde das Werkzeug herauszuholen, das Rad in der Bruthitze in den Staub zu stellen und am Sattel herumzuschrauben. Ich trete weiter. Stoisch, wie ein Ochse der sein Leben im Kreis geht und den Mühlstein dreht. Weiter, weiter, immer weiter gegen den Wind, der ja eigentlich mein Freund sein sollte. Der Wind, der große Lehrmeister, der Türöffner zu anderen Gedankenströmen. Meine Oberschenkel sind Müde, sind aufgeblasen wie Brückenpfeiler. Sie arbeiten zuverlässig, wie Maschinen die aus Titanium gebaut wurden. “Unglaublich was ein Mensch leisten kann wenn er nur will”, geht es mir durch den Kopf. “Möchte ich überhaupt noch?” Macht das Sinn?” Selbstzweifel, Staub, Sonne, Trockenheit und die auf uns zukommende Steigung macht mich mürbe.

Der Gipfel des weißen Berges

Plötzlich stehen wir am Fuße der weißen Steigung. Zwei Bahnen führen kerzengerade nach oben. Die Rechte ist steiler aber kürzer. “Wir sollten die Kürzere nehmen. Ich denke die Linke hat diesen schrecklichen, tiefen und feinen Staub in dem wir gnadenlos versinken”, meint Tanja. “Ich weiß nicht”, antworte ich und blicke konzentriert auf die beiden Wege. Ich versuche meine Gefühle zu befragen aber nach den Anstrengungen der letzten 11 Stunden fühle ich nur Taubheit, Hunger, Durst und Müdigkeit in mir. ”Welchen sollen wir nehmen?”, unterbricht Tanja meine lahmen Gedanken. “Den Linken”, entscheide ich spontan, da ich nicht glaube das schwere Rad den steileren Weg aus eignere Muskelkraft hinaufschieben zu können. Wir lassen unsere Bikes nach links rollen bis wir absteigen müssen. Dann schieben wir. Jeder für sich in seiner eigenen Gedankenwelt. Meine Poren arbeiten auf Hochtouren, um den Körper bei dieser Affenhitze auf Betriebstemperaturen zu kühlen. Ich stoppe, trinke aus dem Sourcerucksack das noch immer relativ kühle Wasser, dann schiebe ich weiter. Tanja bleibt zurück. Ich kann nicht warten, muss meinen eigenen Rhythmus gehen. “Wenn ich es bis oben schaffe werde ich ihr entgegen gehen und helfen.” Meine Arme werden lahm, die Schultern beginnen zu schmerzen, der Nacken jagt beängstigende Signale ins Gehirn, dann knackt es in der Zentrale, der Schmerz hört auf, alles ist taub. Energien werden frei gesetzt. Wut kommt hoch die sich in Kraft wandelt. Ich schiebe wie ein Berserker, blicke zurück und sehe Tanja immer kleiner werden. Ein Kleinlaster fährt an uns im ersten Gang vorüber. Alles geht in dem feinen, weißen Staub unter. Ich sehe Gesichter an der Scheibe kleben, nehme ihren unbewegten Ausdruck war. “Auch die Insassen solch einer Kiste müssen auf der Piste offensichtlich leiden.” Dann drücke ich weiter. Der Staub wird feiner, mein Bock droht mit dem Stillstand. “Aahhh!”, brülle ich und presse ihn mit allen mir zu Verfügung stehenden Kräften durch, schiebe die 130 Kilogramm Meter für Meter nach oben, dem vermeintlichen Ziel entgegen. Tanja wird kleiner, meine Schuhe und Waden sind mit dem Mehlstaub überzogen. Arme, Kleidung, einfach alles ist gepudert. Ich blicke nach unten, sehe meine Spuren, die Abdrücke des Anhängers und des Rades. Dann hebe ich meinen Kopf, blicke nach oben. Es ist noch weit, will der Tatsache nicht ins Auge blicken und starre wieder auf den Vorderreifen. Der Atem rasselt, das Herz schlägt zuverlässig. “Fantastisch in einem gesunden Körper leben zu dürfen.” Ich halte an, packe die Leica aus, um die Szene festzuhalten. Richte sie auf Tanja, zoome sie heran und drücke ab. Staub legt sich auf das teure Gerät. Ich schwenke die Kamera auf einen Bagger der hundert Meter über mir Dreck und Staub in die Atmosphäre schleudert. Dann werde ich waagemutig, gehe Tanja entgegen. “Wie läuft’s?”, frage ich. “Ich schaffe es!”, stöhnt sie anscheinend von der gleichen Willenskraft befallen die auch mich erwischt hat. Ich drücke noch ein paar Mal auf den Auslöser. Die Leica funktioniert noch. Dann eile ich nach oben zu meinem Rad und verstaue die Kamera in die Ortliebtasche. Jetzt schiebe ich weiter dem Gipfel entgegen. Einen Gipfel der eher mit einem Hügel zu vergleichen ist, aber für mich ist er der Gipfel des Weißen Berges. Nach vielleicht 20 Minuten habe ich es geschafft, habe den weißen Berg bezwungen. Für Augenblicke stehe ich da und sehe in die weite Ebene, blicke in die Richtung aus der wir gekommen sind. Eine endlose Steppe tut sich auf, ein Land das unendlich und beeindruckend wirkt. Nicht lange genieße ich den fantastischen, schwer erkämpften Blick, dann eile ich nach unten um Tanja zu helfen. “Es geht schon”, lehnt sie erstmal ab. Ich packe die Filmkamera aus die in einer Ortliebtasche an ihrem Sattel hängt und filme ein paar Schnitte, dann schieben wir die restlichen Meter gemeinsam ihren ebenfalls schweren Bock nach oben.

Als wir beide mit unseren Roadtrains oben sind genießen wir noch mal den Blick in die Ferne. Wir lehnen die Bikes an ein großes Schild das die Provinzgrenze zwischen Atöbe und Uralsk anzeigt. Dann sehen wir uns an und müssen lachen. Wir lachen über unseren Erfolg. Wir lachen diesen weißen Berg bezwungen zu haben. Wir lachen darüber in 12 Stunden über 60 Kilometer Schotter, tiefe Schlaglöcher, Hitze, Wind und Regen überwunden zu haben. Ab hier oben in nur 175 Meter Höhe setzt sich wieder ein wunderbarer Teerstreifen in Richtung Osten fort. Wir sind gerade im Begriff auf unsere Räder zu steigen als ein teurer Jeep neben uns hält. Die Männer sind gut gekleidet und verblüfft das wir es durch die Steppe bis hierher geschafft haben. Einer von ihnen lacht, steigt aus und reicht uns acht Halbliterflaschen. “Das beste Wasser”, sagt er. Wir bedanken uns und haben somit wieder unsere Tanks voll.

“Schau doch! Siehst du die Bäume? Das ist unser Camp für die Nacht”, sage ich auf eine kleine Baumgruppe in nur 100 Meter Entfernung deutend. Gut gelaunt schieben wir unsere Räder durch das grüne, hohe Grass, um wie jeden Tag Schutz hinter dem Grünstreifen zu suchen. Vögel empfangen uns wie gewohnt mit lautem Gesang. Da wir genügend Wasser besitzen bekommt jeder von uns einen halben Liter, um den Körper mit einem Waschlappen grob vom Staub, Schweiß und Schmutz zu befreien.

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