Speicherburg Agadir Id Aissa – Auf den Spuren der Berber-Clans
N 29°14'35.5" W 009°11'31.3"Tag: 20.02.2024
Tag: 445
Camp 81
Land: Marokko
Ort: Dorf Amtoudj
Breitengrad N: 29°14’35.5″
Längengrad W: 009°11’31.3″
Gesamtkilometer: 12.020 km
Höhe: 726 Meter
Temperatur Tag max: 22°
Temperatur Nacht: 10 °
Die Landschaft hatte sich in den letzten Tagen hinter einem Schleier aus Sand verborgen, aber heute ist es endlich soweit: Wir machen uns auf den Weg zur Speicherburg Id Aissa, auch bekannt als Agadir Id Aissa. Dieses historische Monument, tief verwurzelt in der Kultur und Geschichte der Berberstämme, stand von Anfang an auf unserer Bucketlist für diese Marokkoreise. Nachdem wir bereits große Teile des Nordens und Südens des Landes erkundet haben, erreichen wir nun endlich diesen besonderen Ort.
„Krrrriiieeeetsch“ öffnet sich die betagte und schwere Holztür zur Speicherburg. Ein von Sonne und Saharawind gegerbtes, faltiges Gesicht taucht auf. Die alten, getrübten Augen des Burgwächters blinzeln uns aufmerksam an. Der Mann gehört zu einem Berberclan und gewährt uns Einlass, nachdem wir ihm den Eintrittspreis bezahlt haben. Wir betreten einen dunklen, recht engen Gang. Es dauert eine Weile, bis sich unsere Augen an die dämmrige Umgebung gewöhnt haben. „Ihr befindet euch hier“, krächzt die Stimme des Mannes, während er mit einem Stock auf eine Informationstafel deutet und uns auf Französisch erklärt, dass die Speicherburg im Gemeinschaftsbesitz seines Clans steht, dessen Mitglieder in den umliegenden Dörfern im Tal leben. „Solche Burgen gibt es auch im Süden Tunesiens und im Westen Libyens. Dort werden sie Ksur genannt und sehen anders aus als bei uns hier in Marokko“, glauben wir, in seinen heiseren Worten zu verstehen.
Kaum haben wir die äußere Befestigungsmauer hinter uns gelassen, fallen uns alte Minzteekannen auf, die vor einer der Speicherkammern aufgestellt sind. „Damit haben wir unseren Grünen Tee ausgeschenkt, den britische Händler im 18. Jahrhundert nach Marokko brachten und der heute unser Nationalgetränk ist“, sagt er mit unverhohlenem Stolz in der Stimme.
„Und hier“, fährt er fort, „haben wir Schwarzpulver für die ersten Schusswaffen gemahlen, die ab dem 16. Jahrhundert von den Europäern eingeführt wurden.“ Ich frage mich, ob seine Erklärung ernst zu nehmen ist, da wir wissen, dass Schwarzpulver typischerweise in speziellen Mühlen außerhalb bewohnter Gebiete hergestellt wurde, weil der Herstellungsprozess extrem gefährlich war. „Wahrscheinlich wurde das Pulver in sicherer Entfernung gemahlen und dann hier in gut belüfteten Lagerräumen aufbewahrt“, sage ich auf Deutsch zu Tanja, dem Burgwächter widersprechend.
Wir tauchen tiefer in die Geschichte der Burg ein und lernen, dass die Berber als Ackerbau treibende Kultur Techniken entwickeln mussten, um ihre mühsam erzeugten Nahrungsmittel vor Raub und Naturgewalten zu schützen. Die dicken, aus robustem Lehm oder Stein gefertigten Kammern regulierten die Temperatur und hielten das Innere trocken. Lüftungsöffnungen sorgten für Durchzug und verhinderten die gefährliche Schimmelbildung.
„Während wir früher als Halbnomaden mit unseren Schaf- und Ziegenherden durch die Bergregionen gezogen sind hat eine von uns ausgewählte Wachmannschaft diese Speicherburg rund um die Uhr geschützt. Sie sorgten dafür das, dass die wichtigen Kammern in denen unsere Ernte und all unsere Wertsachen lagerten auch während der Abwesenheit der Clanmitglieder vor Übergriffen sicher waren“, berichtet er.
Die Speicherburgen waren nicht nur Lagerstätten, sondern auch zentrale Orte für die Entscheidungsfindung innerhalb der Gemeinschaft. Sie spiegeln sowohl die technische Raffinesse als auch die soziale Struktur der Berber wider. Während wir durch die alten Mauern schlendern, entdecken wir Zisternen, die das lebenswichtige Wasser bereitstellten. Diese Zisternen, aus lokalen Materialien wie Stein und Lehm gebaut, wurden regelmäßig gereinigt, um die Wasserqualität zu gewährleisten. Sie dienten nicht nur der Wasserversorgung, sondern auch als soziale Treffpunkte, an denen die Burgbewohner ihre Gemeinschaft pflegten.
Auf unseren früheren Reisen haben wir uns immer wieder zu alten Kulturstätten und historischen Gebäuden hingezogen gefühlt. Es ist für uns eine besondere Freude, durch die ehrwürdigen Mauern vergangener Epochen zu wandeln und in die Geschichte einzutauchen. Während wir durch die Räume dieser Burg gehen, stellen wir uns die Menschen vor, die hier einst lebten – ihre Gespräche, ihr Lachen, ihre Liebe. In unserer Vorstellung erwachen die alten Mauern zum Leben, und wir können fast das Echo ihrer Stimmen hören.
Die kunstvollen Details der Architektur und die geheimnisvollen Schatten der historischen Räume erzählen uns Geschichten von Heldentum und Hingabe, von Innovation und Tradition. Es ist, als würden die Wände die Erinnerungen an längst vergangene Tage bewahren und uns einen tiefen Einblick in das Leben und die Seele der Menschen gewähren, die einst in diesen historischen Stätten lebten.
Durch das Erkunden dieser faszinierenden Orte spüren wir nicht nur den Atem der Geschichte, sondern fühlen uns auch tief mit der Menschheit verbunden. Es ist eine besondere Art der Ehrfurcht und des Staunens, die uns immer wieder dazu veranlasst, die unvergängliche Schönheit und den Reichtum vergangener Zeiten zu erforschen und zu schätzen.
Hier ist der Link zum Video: