Mit E-Bikes durch die Sahara: Eine Reise zur Stille und Essenz des Seins
N 29°14'35.5" W 009°11'31.3"Tag: 21.02.2024
Tag: 446
Camp 81
Land: Marokko
Ort: Dorf Amtoudj
Breitengrad N: 29°14’35.5″
Längengrad W: 009°11’31.3″
Gesamtkilometer: 12.020 km
Höhe: 726 Meter
Temperatur Tag max: 22°
Temperatur Nacht: 10 °
Heute brechen wir auf, um die umliegende Wüstenregion mit unseren E-Bikes zu erkunden. Unsere Räder sind bepackt, und wir verlassen den Campingplatz, der direkt unterhalb der imposanten Speicherburg Agadir Id Aissa im kleinen Oasendorf Amtoudi liegt.
Warum wir bei diesen Temperaturen mit den E-Bikes statt mit unserem Expeditionsmobil durch das Antiatlasgebirge in der Sahara fahren, mag verwundern. Doch für uns bedeutet das Biken eine Freiheit, die das Reisen in einem Fahrzeug nicht bieten kann. Es macht uns glücklich, uns körperlich zu betätigen, den Wind in den Haaren zu spüren und gleichzeitig unser Herz-Kreislauf-System zu stärken. Die Bewegung tut uns gut, besonders nach den stressigen letzten Monaten, in denen wir viel durchmachen mussten. Meine Mutter war im Krankenhaus, unser geliebter Hund Ajaci ist gestorben, und Tanjas Vater ist ebenfalls verstorben, was sie zweimal nach Deutschland fliegen ließ.
Hinzu kamen einige technische Herausforderungen mit unserem Expeditionsfahrzeug, unserer Terra Love, die mich oft gestresst haben. Dennoch sind wir mit dem Fahrzeug sehr zufrieden, denn Reparaturen gehören bei solch einer Reise einfach dazu. Das Biken hilft uns, diesen Stress abzubauen. Die frische Luft, die Bewegung und der Kontakt mit der Natur tragen dazu bei, den Kopf freizubekommen und unser Wohlbefinden zu verbessern.
An dieser Stelle sei eine Warnung ausgesprochen: Mit E-Bikes in der Wüste unterwegs zu sein, ist trotz der Motorunterstützung – oder vielleicht gerade deswegen – eine ernstzunehmende Herausforderung. Ein gutes und fehlerfreies Energiemanagement ist entscheidend. Wichtige Fragen wie „Wie viele Akkus benötige ich für die geplante Strecke?“, „Gibt es Berge zu überwinden?“, „Wie stark ist der Gegenwind?“ und „Wie ist der Untergrund?“ müssen unbedingt bedacht werden.
Für unsere heutige Tour, die uns etwa 80 Kilometer durch die Wüste führen wird, sind wir jedoch gut vorbereitet. Jeder von uns hat drei 500-Watt-Akkus dabei – genug Energie, um im Notfall die doppelte Strecke zurücklegen zu können. Außerdem haben wir in unserem Anhänger sämtliche Werkzeuge mit, um fast jeden Schaden unterwegs reparieren zu können. Besonders wichtig ist jedoch das Wasser. Heute haben wir etwa 20 Liter dabei, denn ohne Wasser droht in der Hitze ein gefährlicher Kreislaufzusammenbruch.
Warum so viel Vorsicht? Tanja und ich haben bereits mit normalen Fahrrädern die Strecke von Deutschland bis nach Sibirien bewältigt und sind mit E-Bikes von Sibirien durch die Mongolei, China, Vietnam, Kambodscha bis nach Thailand gefahren. Auf dieser rund 70.000 Kilometer langen Tour, die fast zehn Jahre dauerte, haben wir fünf Bücher geschrieben, in denen wir unsere Erfahrungen sowie Ausrüstungstipps festgehalten haben. Hier der Link zu den Büchern:
https://denis-katzer.de/category/shop/buecher
Die Wüste fordert Respekt, und unsere Erfahrungen mahnen uns, immer vorsichtig zu sein. Auf unseren langen Reisen haben wir gelernt, dass es besser ist, etwas mehr mitzunehmen als zu wenig – das hat uns oft vor Schlimmerem bewahrt. Mittlerweile haben wir den schmalen Asphaltstreifen hinter uns gelassen und folgen einem Pfad, der uns tiefer in die Wüste führt. Natürlich hoffen wir, hier keine schwere Panne zu erleiden. Schon ein platter Reifen wäre bei dieser Hitze äußerst unangenehm. Doch wie bereits erwähnt, haben wir die nötigen Ersatzteile und genügend Wasser dabei, um uns im Notfall selbst helfen zu können.
„Oh nein!“, rufe ich plötzlich, als ich auf dem Wüstenboden große Dornen entdecke, die unsere Reifen durchlöchern könnten. „Vorsicht, Dornen!“, warne ich Tanja über das Kommunikationssystem das in unseren Fahrradhelmen verbaut ist, da sie sich zu diesem Zeitpunkt ein paar hundert Meter vor mir befindet. Wir bleiben sofort stehen und untersuchen die Reifen sorgfältig auf Dornen. Diese Dornen dienen den Pflanzen als Schutzmechanismus vor Fressfeinden. Bei vielen Akazienarten sind die Dornen lang und spitz, was sie effektiv gegen Tiere schützt, die an den Blättern oder Zweigen knabbern möchten. Für uns hingegen sind sie ein echter Albtraum, denn ich habe absolut keine Lust, einen oder mehrere Platten flicken zu müssen – wie es uns einst bei unserer Expedition durch die Wüste Gobi in der Mongolei erging. Dort hatten sogenannte Dreizackdornen unsere Reifen innerhalb weniger Minuten derart durchstochen, dass wir etwa 30 bis 40 Platten hatten und die Reifen letztlich zerstört wurden. „Sind deine Reifen okay?“, frage ich. „Sieht gut aus“, antwortet Tanja. Erleichtert setzen wir unsere Wüstentour fort, jedoch mit erhöhter Aufmerksamkeit, denn wir wissen, dass diese Gefahr noch nicht vorbei ist.
Seit mehreren Stunden sind wir nun schon mit unseren E-Bikes am Rand der endlosen Weiten der Sahara unterwegs. Genau dort, wo die Wüste beginnt, erhebt sich der Antiatlas, ein beeindruckendes Gebirge, das Teil des größeren Atlasgebirges ist. Diese atemberaubende Landschaft fasziniert uns mit ihren rauen, zerklüfteten Formen und trockenen Tälern. Der Antiatlas erstreckt sich von der Atlantikküste im Westen bis zur algerischen Grenze im Osten und erreicht mit dem Jebel Siroua, seinem höchsten Punkt, beeindruckende 3.304 Meter. Ein Blick auf die Geschichte dieses Gebirges zeigt, dass der Antiatlas zu den ältesten Gebirgen Marokkos gehört. Vor etwa 300 Millionen Jahren entstanden, weist er aufgrund seines hohen Alters eine enorme geologische Vielfalt auf. Hier finden sich vulkanische Basalte, präkambrische Granite und sogar sedimentäre Schichten, die Geschichten aus der Karbonzeit erzählen. Die schroffen Felswände und tiefen Schluchten, die durch Millionen Jahre der Erosion geformt wurden, verleihen dieser Landschaft ihren einzigartigen Charakter.
Das Klima in dieser Region ist überwiegend trocken und wüstenartig. Auf den ersten Blick mag die Umgebung karg erscheinen, doch sie besitzt eine raue, faszinierende Schönheit. Trotz der harten Bedingungen findet sich hier eine erstaunliche Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten, die sich perfekt an das harsche Klima angepasst haben. Akazien, Palmen und Wüstensträucher prägen die Flora, während die Fauna Schlangen, Eidechsen, Wüstenfüchse und eine Vielzahl von Vogelarten umfasst. Es ist beeindruckend zu sehen, wie das Leben selbst in den extremsten Umgebungen gedeiht. Für Abenteurer ist der Antiatlas ein wahres Paradies. Die unberührte Natur lädt zu ausgedehnten Wanderungen, Trekking-Touren und, wie in unserem Fall, zu E-Bike-Touren ein, bei denen wir atemberaubende Ausblicke auf die Wüstenlandschaft genießen können.
Nach einigen Stunden abseits des Weges sind wir schließlich wieder auf den schmalen Asphaltstreifen zurückgekehrt, den wir zuvor verlassen hatten. Erstaunlicherweise haben die Reifen unserer Bikes das von spitzen Akaziendornen durchzogene Gelände ohne sichtbare Schäden überstanden. Bisher haben wir zumindest keinen Luftverlust an den Reifen festgestellt.
„Dort drüben sind Kamele!“ rufe ich begeistert. „Oh ja“, antwortet Tanja freudig, woraufhin wir den Asphalt erneut verlassen, um uns den Tieren so nahe wie möglich zu nähern. Da Tanja und ich während unserer großen Reise in den letzten 33 Jahren fast 12.000 Kilometer mit Kamelen zurückgelegt haben, schlägt unser Herz immer höher, wenn wir diese wunderbaren Tiere sehen, mit denen wir so viele Jahre unseres Lebens verbracht haben.
Wieder zurück auf dem schmalen Wüstensträßchen, machen wir uns auf den Weg zu unserem Expeditionsmobil, als wir erneut Kamele entdecken. Sofort halten wir an, um ein paar Fotos zu schießen. Doch plötzlich erfasst eine starke Windböe unsere wertvollen E-Bikes und wirft sie beide um. „So ein Mist“, schimpfe ich, denn wenn ein voll beladenes E-Bike auf die Straße knallt, kann schnell etwas kaputtgehen. Sorgfältig prüfe ich den Lenker, die darauf befestigte GoPro und die Außenspiegel. „Alles okay?“, fragt Tanja besorgt mit gerunzelter Stirn. „Ich denke schon. Nichts passiert“, antworte ich erleichtert. Nach dem kurzen Schreck richten wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf die Kamele. In Marokko handelt es sich hauptsächlich um Dromedare, die durch ihren charakteristischen einzigen Höcker leicht zu erkennen sind. Diese Tiere sind hervorragend an das Leben in trockenen Wüstengebieten angepasst. Alle Kamele, die man in der marokkanischen Wüste frei herumlaufen sieht, sind domestiziert und gehören Nomaden, Hirten oder Bauern. Die letzten wirklich wilden Kamele, die in großen Herden umherziehen und keinen Besitzer haben, leben heute in Australien. Ihre Population wird auf etwa eine Million Tiere geschätzt.
Traditionell werden die marokkanischen Kamele als Lasttiere genutzt und sind in der Wüste nach wie vor unverzichtbare Transportmittel. Heutzutage haben sie jedoch auch touristische Bedeutung gewonnen. Besonders in Regionen wie Erg Chebbi und Erg Chigaga erfreuen sich Kameltouren durch die beeindruckenden Sanddünen großer Beliebtheit bei Besuchern. Auch wir werden diese faszinierenden Orte in den kommenden Wochen erkunden. Für die Einheimischen sind Kamele jedoch nicht nur Lasttiere, sondern auch wichtige Nahrungsquellen. Sie liefern Milch und Fleisch, die in den Wüstenregionen essenziell sind. Für die Berber und andere nomadische Stämme sind Kamele bis heute lebenswichtig. Sie symbolisieren Reichtum und Status und sind ein integraler Bestandteil der nomadischen Kultur. Außerdem spielen sie eine wichtige Rolle in verschiedenen kulturellen und religiösen Festen. Wie eingangs erwähnt, sind diese faszinierenden Tiere hervorragend an das Leben in extrem trockenen und heißen Umgebungen angepasst. Sie können lange Strecken ohne Wasser zurücklegen und fressen eine Vielzahl von Wüstenpflanzen, die für andere Tiere oft ungenießbar sind. Doch trotz ihrer beeindruckenden Anpassungsfähigkeit sind Kamele nicht vor modernen Herausforderungen wie dem Klimawandel und der Überweidung geschützt, die ihre Lebensräume und Nahrungsquellen beeinträchtigen können.
Kurz bevor wir wieder bei unserer Terra Love ankommen, winken uns drei kleine Jungs zu, die zum hier lebenden Berberstamm gehören. Sie holen ihr Trink- und Brauchwasser, wie schon vor Hunderten von Jahren, aus einem Brunnen, der bereits vor Generationen gegraben wurde. Diese einfache, aber bewährte Methode der Wasserversorgung zeigt, wie tief verwurzelt und beständig die Traditionen der Berber auch in der modernen Zeit noch sind.
Am Ende des Tages fühlen wir uns erfüllt und glücklich, denn der Tag in der Wüste war wie ein Tanz mit der Stille. In der unendlichen Weite, wo die Sonne glüht und der Sand sanft unter den Rädern knirscht, offenbart sich die Essenz des Seins. Für Tanja und mich liegt das Wunder in der Stille und die Schönheit im Einfachen. Über viele Jahre hinweg haben wir in den Wüsten dieser Welt gelebt und stets das Gefühl gehabt, das Echo des Universums zu hören. Jeder Windhauch trägt die Weisheit der Jahrhunderte, und jede Sanddüne erzählt von den Geheimnissen des Lebens.
In dieser unberührten Landschaft erkennen wir, dass wahres Glück nicht in der Fülle, sondern im Einklang mit der Natur zu finden ist. Die Wüste zeigt uns, dass die größte Erfüllung darin liegt, die Welt in ihrer Schlichtheit zu begreifen, mit dem Herzen zu sehen und im gegenwärtigen Moment zu verweilen. Hier wird uns bewusst, dass das Wesentliche oft im Verborgenen liegt und dass in der Stille des Seins die tiefste Verbundenheit zu allem entsteht.
Hier ist der link zum Video: