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Link zum Tagebuch: TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 1

Serbien empfängt uns mit offenen Armen. Wuuum! Wuuum! Bebt die Trommel

N 46°05'708'' E 019°39'735''
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    Tag: 71

     

    Sonnenaufgang:
    06:40 Uhr

     

    Sonnenuntergang:
    18:20 Uhr

     

    Luftlinie:
    25,99 Km

     

    Tageskilometer:
    61,24 Km

     

    Gesamtkilometer:
    1937,14 Km

     

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

     

    Temperatur – Tag (Maximum):
    28 °C

     

    Temperatur – Tag (Minimum):
    22 °C

     

    Temperatur – Nacht:
    17 °C

     

    Breitengrad:
    46°05’708“

     

    Längengrad:
    019°39’735“

     

    Maximale Höhe:
    130 m über dem Meer

     

    Aufbruchzeit:
    10.55 Uhr

     

    Ankunftszeit:
    16.30 Uhr

    Durchschnittsgeschwindigkeit:
    15,94 Km/h

Weil ich gestern bis um 11:30 Uhr nachts noch an den Kurzaufzeichnungen gearbeitet habe fällt mir das Aufstehen heute nicht leicht. Während Tanja zur Post gefahren ist, um unsere Bilder-CDS nach Hause zu schicken, packe ich meinen Anhänger. Dann kaufen wir mit unserem letzten ungarischen Geld noch ein paar Lebensmittel und folgen einer kleinen Straße zur Ungarisch- Serbischen Grenze.  “Komisch, hier fahren kaum Autos?”, wundere ich mich. “Meinst du der Weg ist richtig?”, fragt Tanja etwas unsicher. “Keine Ahnung. Laut Landkarte sollte es stimmen. Aber normalerweise müssten hier Hinweisschilder zur nahen Grenze stehen”, antworte ich. “Ich mag keine Umwege. Hoffentlich müssen wir nicht umkehren.” “Wer weiß”, sage ich in die Pedale tretend. “Da vorne, das sieht doch aus als würden da ein paar Beamte auf der Straße stehen”, ruft Tanja plötzlich. Tatsächlich kann auch ich den Grenzposten erkennen. Einer der Männer scheint unser Näherkommen durch sein Fernglas zu beobachten. “Und? Wie fühlst du dich?”, fragt Tanja. “Ich weiß nicht. Habe vor jeder Grenze ein ungutes Gefühl im Bauch.”

Als wir unsere Räder an der einsamen Grenze zum stoppen bringen begegnen uns die ungarischen Zöllner sehr freundlich. Im Laufe des kurzen Gespräches erfahren sie woher wir kommen und wohin wir wollen. Bereitwillig und lachend stellen sie sich dann für ein Foto auf. Einige von ihnen lichten uns sogar mit ihrem Handy ab. “Keine Ahnung ob ihr dort nach Serbien reinkommt. Hier ist nur ein Übergang für Ungarn und Serben. Probiert euer Glück”, erklärt ein Beamter und verabschiedet sich. Wenig später bleiben wir vor dem Schlagbaum der Serben stehen. Durch unser lautloses herankommen erschrickt der Zöllner und legt hastig seine Zeitung nieder. Er kommt freundlich dreinschauend aus seinem Häuschen und erklärt uns auf Englisch das dieser Grenzübergang nicht für den internationalen Verkehr zugelassen ist. “Ihr müsst nur nach Kelebija. Das ist nicht weit.” “Was? Kelebija ist 40 Kilometer Umweg für uns”, stöhne ich. “Es tut uns wirklich leid aber hier ist nur ein lokaler Übergang. Wir dürfen sie nicht rüber lassen”, entschuldigt er sich. Eine Beamtin verlässt ebenfalls das Grenzhäuschen, begrüßt uns freundlich und bewundert unsere Räder. Wir unterhalten uns ein wenig und kommen auf den Krieg zu sprechen. “Ach der Krieg. Wir sind froh, dass er vorüber ist. Wir haben alle die Nase voll und sehnen uns nach Frieden”, meint sie. “Wollen sie wenigstens einen Stempel in ihrem Pass?”, fragt der nette Beamte zwischenzeitlich. “Gerne”, freuen wir uns. Wenig später verabschieden wir uns von den Beamten und radeln die 200 Meter zur ungarischen Grenze zurück. “Pässe bitte”, glauben wir unseren Ohren nicht zu trauen. Bereitwillig überreichen wir jetzt unsere Reisepässe. Ungläubig können wir beobachten wie die Beamten unsere Ausweiße mittels Computer überprüfen, sie kopieren und einen Stempel hinein geben. Dann dürfen wir weiterfahren. “Seltsam, nur weil wir für ein paar Minuten im Niemandsland zwischen den beiden Grenze waren mussten sie uns jetzt anscheinend überprüfen und die Pässe stempeln. Sie konnten doch auf die kurze Distanz beobachten, dass wir den anderen Beamten nur einen Besuch abstatteten, um dann gleich wieder umzukehren. Der Bürokratismus ist manchmal nicht zu verstehen”, wundere ich mich kopfschüttelnd. “Wer weiß? Die Beamten müssen sich doch an dieser kaum frequentierten Grenze zu Tode langweilen. Vielleicht wollten sie zur Abwechslung nur ein bisschen Arbeit”, entgegnet Tanja. “Wer weiß”, sage ich nachdenklich.

40 Kilometer später erreichen wir den Grenzübergang bei Kelebija. Busse, Lastwägen und viele Autos verpesten die Luft. Auf der mehrspurigen Straße herrscht reger Verkehr. Viele Menschen liegen kurz vor der Grenze im Gras und vertreiben sich wartend die Zeit. Einige von ihnen stehen am Straßenrand und sehen aufgeregt diskutierend in Richtung Serbische Grenze. Der Fahrer eines Kleintransporters unterhält sich mit ihnen. Dann fährt er zur Grenze zurück. Menschen mit slawischem Einschlag kommen durch ein Loch im Zaun aus dem nahen Gebüsch. “Ob sie hier von Schleusern herübergebracht wurden?”, frage ich. “Kein Ahnung. Aber du hast Recht. Ist eine seltsam anmutende Szene”, antwortet Tanja. Auf dem weiteren Weg kurz vor Serbien stehen hunderte von fabrikneuen Fahrrädern aufgereiht und fertig zur Auslieferung vor einigen Hallen. Autoreparaturwerkstätten und andere Kleinbetriebe bieten ihre Dienstleistung an. Dann erreichen wir den Schlagbaum. Die ernst dreinblickenden Beamten geben uns wieder einen Stempel. Diesmal dürfen wir ohne Zwischenstopp und Umkehr Serbien betreten. “Passt auf eure Ausrüstung auf”, warnt uns ein Ungar der ebenfalls gerade die Grenze überquert hat. “In Ungarn sind eure Räder sicher aber hier auf keinem Fall. Es wird sehr viel gestohlen”, sagt er noch und fährt weiter.

Die Straßen sind urplötzlich schmutzig. Die Autos viel älter und es gibt im Vergleich zu Ungarn entschieden mehr Radfahrer. “Schau mal!”, rufe ich und deute auf einen Bauern der seinen Acker noch mit dem Pferdepflug bestellt. “Serbien muss entschieden ärmer als Ungarn sein”, stelle ich fest. Schon seit der Grenze folgen wir seit langem wieder einem Radweg. Obwohl es mehr holpert und rüttelt, obwohl wir manchmal großen Pfützen, Schmutz und Unrat ausweichen müssen, ist es viel angenehmer und sicherer als auf einer Hauptstraße zu fahren. Innerhalb einer halben Stunde passieren gleich drei Pferdefuhrwerke unseren Weg. Die Menschen staunen als wir an ihnen vorbeifahren. Manche reißen regelrecht ihre Augen auf, weshalb wir das Gefühl haben noch viel exotischer auszusehen als in der Slowakei oder in Ungarn. Ohne Zweifel ist hier die hohe Arbeitslosigkeit von bis zu 50% zu spüren. Der Krieg hat das einst mal wirtschaftlich starke Jugoslawien in die Armut gestürzt. Unsere erste Eindrücke sind erschreckend, ja treffen uns wie ein Hammer. Auf der bisherigen Reise ist dieser Grenzübertritt derjenige der uns am meisten bewusst werden lässt wie unterschiedliche Länder und Kulturen sein können. Als hätten wir eine andere Welt betreten radeln wir die ersten Kilometer überrascht dahin. Trotz des teilweise trostlosen Anblicks von Häusern, den schmutzigen Straßen, den ärmlicher wirkenden Menschen, fühlen wir uns hier wohl. Das für uns neue Land wirkt im ersten Augenblick nicht unangenehm. Ganz im Gegenteil fühlen wir uns so als empfängt uns Serbien mit offenen Armen.

An einer Tankstelle tauschen wir ein paar Euro in Dinar. Der Tankwart wirft einen Blick auf unsere Räder. Er wirkt verblüfft über das was er sieht. Mit wissendem Blick untersucht er hoch interessiert jedes Detail. Ohne Zweifel ist er ein absoluter Kenner und hat viele Fragen zur Technik. “Gute Reise”, wünscht er uns freundlich winkend als wir unsere Roadtrains weiter in Richtung Subotica bewegen. Am Stadtrand müssen wir sehr darauf achten nicht  gegen ein am Radweg parkendes Auto zu stoßen. Wir umgehen Stützwerke mit denen ein paar Häuser gesichert sind und reihen uns in den Verkehr mit ein. “Rechts geht es ins Zentrum!”, ruft Tanja. “Glaubst du Centra heißt Zentrum? Könnte auch ein Ortsname sein”, antworte ich. Unserem Gefühl und dem Schild folgend erreichen wir tatsächlich die Innenstadt von Subotica, eine Stadt die vor dem ersten Weltkrieg noch zu Ungarn gehörte.  “How can I help you?”, fragt uns ein Taxifahrer. “Wissen sie wo man hier übernachten kann?”, will ich wissen. “Ja weiß ich”, antwortet er. “Und wie kommen wir dahin?” “Ich kann sie nur mit dem Taxi dahinführen”, sucht er ein Geschäft aus uns zu schlagen. “Können sie mir nicht wenigstens die Richtung angeben?”, bleibe ich hartnäckig, worauf er mir dann doch eine Kurzerklärung gibt.

In einer Nebenstraße finden wir dann das Hotel. “60 Euro”, höre ich erschrocken. “Gibt es hier nichts Günstigeres?”  “Ja nur ein paar Meter weiter werden Privatzimmer vermietet”, gibt mir die Frau hinterm Dresen einen Tipp. Auch da erschrecken wir wegen des hohen Preises von 40 Euro. “Wir sind die Besitzer. Wir können es für sie auch billiger machen. Bleiben sie für 30 Euro?”, bietet uns die nette Vermieterin und ihr Ehemann an. “25 Euro ist unser Budget. Wenn sie uns ihr Zimmer dafür vermieten können bleiben wir gerne”, verhandle ich.  Die Beiden sehen sich an und nicken sofort mit dem Kopf. “Kommen sie herein”, bitten sie uns in ihr Haus. Es dauert nicht lange und unsere Räder sind im Hinterhof sicher verstaut und unsere Ausrüstung befindet sich im neu und geschmackvoll eingerichteten Zimmer. Der Hausherr beschreibt uns später noch den Weg zu einem einheimischen Restaurant. Hungrig machen wir uns auf, um es zu suchen. In einem Hinterhof nehmen wir im Freien Platz.

Wuuum! Wuuum! Bebt die Trommel.

Der Spätsommer ist urplötzlich zurückgekehrt und es ist trotz der abendlichen Stunden angenehm warm. Wir speisen vorzüglich. Die Deutsch sprechende Köchin freut sich für uns etwas Leckeres zu kochen. Ein Hauptgericht kostet hier 3 bis 4 Euro und ein Bier 50 Cent. Die Preise sind hier anscheinend wieder so wie in der Slowakei. Tanja und ich fühlen uns in dem serbischen Restaurant richtig wohl. Der Kellner ist absolut zuvorkommend und gibt sich viel Mühe. Wir schlagen uns die hungrigen Bäuche voll und genießen den Luxus der lauen Nacht als plötzlich tiefes Trommeln und heller melodischer Mädchengesang die Nacht verzaubert.  “Woher kommt dieser herrliche Gesang?”, wollen wir wissen. Die Besitzerin des Restaurants nimmt Tanja an der Hand und führt sie in eine Sporthalle die sich unmittelbar neben der Gaststätte befindet. Wir staunen nicht schlecht als dort etwa 30 bis 40 junge Mädchen und Jungs im Rhythmus zu tiefen Trommelschlägen und einer Ziehharmonika wild tanzen und singen. Der Gesang ist derart faszinierend das wir wie gebannt verharren und der Volkloregruppe lange Zeit zusehen. “Ist entschieden besser als ein  Lifekonzert”, flüstere ich Tanja ins Ohr. Sie nickt sichtlich berührt, greift meine Hand und ich glaube die eine oder andere Freudenträne in ihren Augen zu entdecken. “Wuuum! wuuum! wuuum!” bebt die Vibration der tiefen Trommel durch unsere Körper. Die perfekten Laute der Harmonika vereinen sich mit dem Gesang zu einer Symbiose der Klänge. Der Trommler bearbeitet die gespannte Haut im fremden Rhythmus. Er ist der Lehrer und seine volltönende Stimme gibt den Tänzern knappe Anweisungen was sie verbessern müssen oder gut machen. Er scheint es zu schaffen die jungen Menschen regelrecht in Rage zu bringen. Ihre Beine schlagen im korrekten Takt den Holzboden der Halle und wirbeln in berauschender Geschwindigkeit durch die Luft. Die Tänzer greifen sich in Vierergruppen an den Bauchgürteln und drehen sich im Kreis herum. Einen warmen Luftsog verursachend rasen sie dicht an uns vorbei. “Trainieren, Volkstanz von Mazedonien”, erklärt uns die Restaurantbesitzerin. Lange bleiben wir fasziniert und bewegt von der fantastischen Vorführung in der Halle bis wir uns wieder ins Restaurant begeben. Auf Grund des beeindruckenden Erlebnisses entscheiden wir uns hier in dieser Stadt einen Tag zu verbringen, um morgen vielleicht noch mal dem wunderschönen Tanz beizuwohnen.

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