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Russland/Llich

Russland

N 45°25'18.8'' E 036°46'15.7''

Nach einer ruhigen und erholsamen Nacht brechen wir auf. Ich bin reichlich nervös. Frage mich ob die Russen uns einfach so in ihr Land lassen? Ob unser Jahresvisum in Ordnung ist oder ob die Zöllner unsere Ausrüstung total durchsuchen? Klar haben wir nichts dabei was wir nicht besitzen oder über die Grenze nehmen dürfen, doch hat man uns in den letzten Jahren viel Horrorstorys über dieses Volk erzählt. Vor allem über die Beamten, die Polizei und andere Staatsdiener die angeblich keine Gelegenheit auslassen, um ihr niedriges Gehalt durch korrupte Handlungen aufzubessern und das auch tun. “Ihr benötigt auf jeden Fall einen Kontakt zur Russischen Mafia, ansonsten verliert ihr eure Ausrüstung schon wenige Kilometer hinter der Grenze”, war eine der Warnungen. Oder “Wenn ihr durch Russland mit dem Fahrrad reist werdet ihr erstochen, zerstückelt und begraben”, war eine der anderen verrückten Aussagen einer Russin die ihrem Land den Rücken zugekehrt hat. Natürlich schlagen wir nicht jede Warnung in den Wind, wollen uns von ihnen aber nicht gleich ins Boxhorn jagen lassen. Auch wenn einige der Empfehlungen von Personen kamen die uns durchaus vertrauenswürdig erschienen ist es am Schluss trotzdem wichtig sie zu selektieren. Tanja und ich sind der Meinung, dass man bei einer gedanklichen positiven Richtung auch Positives ausstrahlt und somit wieder Positives erntet. Die Macht der Gedanken sozusagen. Diese positiven Gedanken sind nichts anderes als positive Energie. Setzt man sich mit negativer Energie auseinander wird man auf Dauer Negatives ernten. Das beginnt mit dem Freundeskreis und endet mit dem Unfeld in dem man lebt oder sich bewegt.

Seit Jahren beschäftigen wir uns mit dieser Gedankenwelt. Am Anfang jeglicher Handlung und Tat entsteht erstmal der Gedanke. Ich würde ihn auch als geistige Energie bezeichnen. Dann wenn der Gedanke sich geformt hat und stark genug ist wird er von uns Menschen formuliert und ausgesprochen. Die geistige Energie verändert somit ihre Form und tritt als Laut in unser Leben. Jeder kann ihn hören und damit etwas anfangen oder nicht. Tatsache ist das der formulierte und ausgesprochene Gedanke an Kraft und Macht zugenommen hat. Ja und jetzt ist es nur noch ein kleiner Schritt diesen in die Tat umzusetzen. Damit hat sich die anfängliche geistige Energie in eine sichtbare Handlung umgesetzt. Was auch immer diese Tat ist, negativ oder positiv, sie hat unmittelbare Auswirkung auf uns und unser Umfeld. Somit besitzt demnach schon der Gedanke ein Potential welches unter keinen Umständen zu unterschätzen ist.

Also liegt es auf der Hand, das ein Mensch mit einem geringfügigen Selbstbewusstsein, der eine für ihn unüberwindbare wirkende Aufgabe auf sich zukommen sieht, eher sagen wird; “Das schaffe ich nicht. Unmöglich, das kann ich nicht schaffen.” Er beeinflusst sich selbst mit negativen Gedanken. Das Resultat ist dann meist auch das er die Aufgabe oder Herausforderung nicht schafft. Anders herum könnte man aber auch sagen; “Ich schaffe das. Ich schaffe das auf jeden Fall.” Die Chancen etwas zu erreichen sind mit der positiven Selbstbeeinflussung mit Sicherheit entschieden höher. Alleine schon deswegen weil ein Mensch der eine positive Ausstrahlung besitzt sich seiner Sache sicher ist. Womit ich zum Beispiel meine das ein souverän auftretender Mensch eher ohne Probleme eine Grenze passiert als jemand der völlig verunsichert um sich blickt und jeden Moment darauf wartet vom Zöllner zerlegt zu werden. Das er dann wirklich zerlegt wird ist durchaus drin. Alles was schwach wirkt wird noch mehr unterdrückt. Alles was davon läuft hat die Chance verfolgt zu werden. Es liegt in der Natur der Sache. Ist ein Gesetz und betrifft nahezu alle Bereiche unseres Lebens und des Lebens der Tierwelt. So motiviere ich mich also und versuche mit Hilfe von Tanja meine negativen Gedanken loszuwerden.

In der Tat fühle ich mich dadurch besser. Beschwingt treten wir unsere Rösser durch Kerch und suchen den Passagierhafen. “Immer geradeaus dann werden sie direkt darauf treffen”, sagt man uns. Nach drei Kilometern sind wir verunsichert. “Ist doch nicht möglich dass der Hafen soweit entfernt von Kerch liegt?”, wundere ich mich. “Doch, doch, folgen sie der Hauptstraße. Noch mindestens sechs Kilometer”, erklärt ein älterer Ukrainer lachend. Dann, nach 14 Kilometer erreichen wir die Fährstation. Es ist 10:30 Uhr. Somit haben wir die Fähre gerade verpasst. Das nächste Schiff verlässt den Hafen um 13:30 Uhr. Während Tanja unsere Fahrzeuge bewacht mache ich mich auf, um den Ticketschalter zu suchen. Nur wenige Menschen stehen um diese Zeit für das nächste Fährschiff an. Ohne Schwierigkeiten bekomme ich zwei Tickets. Unsere Räder werden als Mopeds abgerechnet. Insgesamt zahlen wir 36 Griwna pro Person ( 6,- ?) Während die anstehenden Autofahrer in ihren Autos auf Einlass in das Hafen und Zollgebiet warten setzen wir uns in ein Kaffe und genießen die angenehme Wärme der Sonnenstrahlen. Am Tisch nebenan sitzen vier Männer. Sie trinken Bier und Wodka. “Kommt trink einen mit uns”, lädt uns einer von ihnen ein. “Nein danke, wir müssen noch Radfahren”, lehnen wir freundlich ab. “Ach was. Nur Sto Gramm. Dann fahrt ihr viel besser. Ich trinke selbst kaum aber einer geht immer gut. Macht euch fitt”, empfiehlt und lockt er. Nachdem wir weiter ablehnen erhebt er sich aus seinen Stuhl und schwankt zu uns an den Tisch. “Hast eine sehr hübsche Frau”, schwärmt er lachend. “Stimmt”, pflichte ich ihm ebenfalls lachend bei. “Ich bin die letzten elf Monate zur See gefahren. Auf dem Schwarzen Meer. Versteht ihr? Habe jetzt die Nase voll. Meine Frau wird mich schimpfen wenn ich getrunken habe. Aber was soll’s”, erzählt er noch immer lachend und unternimmt einen letzten Versuch uns auf ein Glas Wodka einzuladen. Es dauert nicht lange und er sucht sich zwei junge Frauen als Opfer. Er unterbreitet ihnen nette Komplimente und raspelt einen Berg Süßholz. Nur wenige Momente später kichern sie über die Witze des Seefahrers.

Endlich ist es soweit. Wir dürfen mit dem Tross der Autos auf das Hafengelände rollen. Eine hübsche Zöllnerin, mit sehr hochhackigen Schuhen und sehr kurzem Rock, winkt uns freundlich durch. In der Schlange stehend müssen wir wie alle Autofahrer unsere Pässe abgeben. Ein Zöllner informiert sich interessiert über unsere Reise. Den Kopf schüttelnd verlässt er uns staunend. Nach 30 Minuten überreicht uns ein höherer Beamter die Reisedokumente. “Ich hoffe es hat ihnen in der Ukraine gefallen”, meint er freundlich. “Sehr. Die Menschen in ihrem Land waren zuvorkommend und gastfreundlich”, antworten wir. “Und? Hatten sie keine Probleme mit unserer Polizei?”, will er wissen. “Nein. Mit unseren Rädern sind wir für jede Radarkontrolle zu langsam. Und etwas anderes war für sie offenbar nicht von Interesse.” “Na dann gute Reise und viel Glück”, wünscht er uns. Wir schieben unsere Räder weiter in Richtung des Hafenbeckens. Dann werden wir wieder gestoppt. Erst müssen die vielen Menschen und Autos das Schiff verlassen welches gerade von Russland hier angelegt hat. Tanja packt zwischenzeitlich ein paar Kekse aus mit denen wir unseren aufkommenden Hunger stillen. “Woher kommt ihr denn?”, fragt ein Ukrainer, der eine viel zu große Hose an hat und eine schlichte Kette aus Holzkügelchen um den Hals trägt. Erstaunt hört er unsere Geschichte. “Und wohin gehst du?”, möchte ich wissen. “Wir fahren nach Russland an den Küstenort Betta”, antwortet er und deutet auf drei weitere Männer die sich unweit von uns angeregt unterhalten. “Verbringt ihr euren Urlaub in Betta?”, möchte ich wissen. “Nein, nein. Dort findet ein Hari-Krischna-Festival statt.” “Hari-Krischna? Ist ja interessant. Wusste gar nicht das es euch auch in Russland gibt.” “Hari-Krischna sind über die ganze Welt verstreut. Wir treffen uns einmal im Jahr. Immer an einem anderen Ort. Diesmal in Betta. Es werden Gläubige aus Amerika, Deutschland, Polen, Ukraine, Bulgarien und anderen Ländern dort sein. Mindestens 4000. Wir beten und tanzen. Hören Musik. Es ist ein friedliches Zusammentreffen. Auch ein paar Spirituelle-Meister werden da sein. Ich selbst bin schon seit zehn Jahren ein Folger Hari-Krischnas und lebe in einem Tempel. Es gibt einige Tempel in der Ukraine. Warum kommt ihr nicht auch dorthin? Ich lade euch dazu ein. Es wird euch bestimmt gefallen. Nach so einem Festival ist man voller positiver Energie”, erzählt er begeistert ohne das ich die Chance habe Zwischenfragen zu stellen.

Plötzlich erscheint ein Schiffoffizier und fordert erstmal die Passagiere die kein Auto besitzen auf an Bord zu kommen. Kaum ist die Schranke geliftet stürmen die Menschen auf die Ladefläche des Kahns. Wir fühlen uns auch als Passagiere ohne Autos und mischen uns mit unseren Rädern unter die Menschenmasse. Dann folgen die Autos und Busse. Es dauert eine weitere Stunde bis alle Formalitäten geregelt sind. Einige Autofahrer werden vom Ukrainischen Zoll gebeten noch mal an Land zu gehen. Irgendetwas stimmt mit den Papieren nicht. Aufregung pur. Endlich legt das Fährschiff ab. Da wir von der Ladefläche nichts vom Meer sehen können klettern wir, wie andere Passagiere auch, eine eiserne Treppe nach oben. Keiner beachtet die Verbotsschilder. Sicherheit wird hier nicht unbedingt groß geschrieben. Tanja und ich stehen nun auf einen schmalen Gang am Bug. Der Wind bläst uns um die Nase. “Bald haben wir es tatsächlich geschafft und sind in Russland”, meint Tanja. “Ja, hat lange gedauert. Wenn man bedenkt das wir schon in Australien, als wir mit unseren Kamelen die Simpsonwüste durchquerten davon sprachen.” “Wann wahr das noch mal?” “Vor fünf Jahren”, sage ich nachdenklich auf den schnell näher kommenden Küstenstreifen blickend.

Schon 20 Minuten später liegt die Straße von Kertsch, die das Asowsche und das Schwarze Meer miteinander verbindet, hinter uns. Kaum ist die Laderampe der Fähre herunter gelassen erblicken wir die ersten Russischen Beamten in grüner Uniform. Als gäbe es einen Preis für den ersten Passagier der die Grenze überrennt stürmen die Menschen von Bord. Wir folgen ihnen und schieben unsere Räder einfach mal hinterher. Die Menschen verschwinden allesamt in einem Gebäude. Da wir mit unseren Bikes da nicht hineinpassen biegen wir ab und landen als erste an der Autokontrolle. Die Beamten reißen regelrecht die Augen auf als sie uns erblicken. Es dauert ein paar Sekunden bis sie erkennen was da auf sie zurollt dann beginnt der erste Mann in Grün zu lächeln. Wir sind erleichtert auch hier auf Menschen zu treffen und keine bösen Männer wie wir sie aus den amerikanischen Filmen kennen. “Wo wollen sie denn hin?”, fragt der Grenzposten. “Wir kommen aus Deutschland und wollen nach Burma”, antworten wir wahrheitsgemäß. “Was? Kann nicht sein!”, sagt er fast ehrfürchtig und erzählt es sofort seinen Kollegen. Allgemeines Gelächter. “Stellen sie ihre Räder da ab und geben sie meinen Kollegen bitte die Pässe”, werden wir aufgefordert. “Bitte nehmen sie doch mal den Helm ab”, sagt die Stimme aus dem Kontrollhäuschen zu Tanja. Tanja nimmt den Helm und die Brille ab, stellt sich mit hängenden Armen und hochgezogener Schulter freundlich grinsend vor dem Mann hin. Gelächter dringt aus dem Häuschen. Dann bekommt Tanja ihren gestempelten Pass wieder. Auch mein Pass wird innerhalb weniger Minuten geprüft und gestempelt. Mit dem Visum ist also alles in Ordnung freue ich mich. “Machen sie doch bitte mal ihre Kiste auf?”, sagt ein Beamter freundlich. Ich öffne die Anhängerbox und zeige ihm eine darin befindliche Banane, Wasser, die Thermoskanne, den Laptop und das andere darin befindliche Zeug. “Alles klar. Sie können sie wieder zumachen”, meint er. Dann geht er zu seinem Kollegen, dem Zöllner und berichtet ihm von dem unspektakulären Inhalt der Kiste. Dieser lächelt uns ebenfalls freundlich an und winkt uns kommentarlos durch. Die gesamte Prozedur dauert etwa nur fünf Minuten. Wir schütteln den Beamten zum Abschied die Hände. “Gute und sichere Reise”, wünschen sie uns alle als wir die ersten Schritte auf Russischen Boden setzen. Ich bin fast ein wenig sprachlos. Hatte man uns doch Schwierigkeiten ohne Ende prophezeit und jetzt… Die schnellste und unkomplizierte Grenzüberquerung unserer gesamten bisherigen Radreise. Wow! Als die Beamten hinter einer Häuserfront verschwinden strecke ich meinen rechten Arm in die Luft und rufe vor Freude; “Ja! Ja! Ja! Wir sind in Russland! Hurraaaa!” Tanja jubelt ebenso lauthals.

Auf einmal befinden wir uns nach knapp 5.000 Kilometern im größten Land unserer Erde. Ein Staat welcher mit 17.075.200 Quadratkilometern und 143 Millionen Einwohnern, davon mehr als 100 verschiedene Nationalitäten und Sprachen, Osteuropa und Asien vereint und mehr als ein Neuntel der Landfläche der Erde umfasst. Unglaublich wie lange es dauern wird diese unvorstellbaren Distanzen zu durchradeln. Allein vom Hauptkamm des Kaukasus im Süden bis zu den arktischen Inseln im Nordpolarmeer erstreckt sich das Land über rund 4.000 Kilometer, und vom Finnischen Meerbusen im Westen bis zur Ratmanowinsel im Beringmeer im Osten dehnt es sich über fast 10.000 Kilometer aus. 10.000 Kilometer! Atemberaubend wenn ich mir vorstelle wie lange wir für die 5.000 Kilometer benötigten? Ohne Zweifel werden wir uns hier bei unserer Reisegeschwindigkeit länger aufhalten müssen als vielleicht geplant.

Auf der einsamen Straße bläst uns starker Wind entgegen. Dunst und tief liegende Wolken ziehen sich über das Stückchen Erde welches wir gerade erkunden. Wieder bewegen wir uns auf einen sehr schmalen Landstreifen. Nur ein paar Meter links von uns befindet sich wieder das Asowsche Meer und direkt rechtes neben uns frisst sich eine riesige Bucht des Schwarzen Meeres in das Land. Wellenrauschen auf beiden Seiten vermischt sich mit dem Heulen des Windes. “Hier könnten wir nicht mal im Notfall unser Zelt aufschlagen!”, rufe ich, da es dafür kaum einen trockenen Platz gibt. Die kerzengerade, gut ausgebaute Straße endet irgendwo am Horizont. Obwohl wir uns in diesem Moment reichlich einsam und verlassen fühlen empfinden wir die eigen artige Stimmung bald berauschend schön. Es ist schon spät und wir benötigen unbedingt einen Platz für die Nacht. Durch die Anstrengung völlig verschwitzt beginnen wir etwas zu frieren. Dadurch, dass es erst Mitte November ist und wir uns nach wie vor auf dem 45. Breitengrad befinden brauchen wir uns vor der großen Russischen Kälte noch nicht zu fürchten. Hier im europäischen Teil Russlands, westlich vom Ural, ist es zu dieser Jahreszeit meist noch angenehm warm. Anders sieht es östlich vom Ural aus. Dort erstreckt sich Sibirien bis zum Pazifischen Ozean. In wenigen Wochen kann es dort schon bitter kalt werden. Wir müssen uns langsam überlegen wo wir unser Ziel für diese Etappe festsetzen wollen. Den Ural werden wir nicht erreichen, das steht schon mal wegen der noch großen Distanz fest. Aber vielleicht schaffen wir es noch bis Saratow. Von dort sind es nur noch ca. 700 Kilometer Luftlinie bis zum Ural. Oder vielleicht sogar Samara. Von dort sind es nur noch 450 Kilometer Luftlinie bis zu dem Gebirgszug der die Grenze zwischen den Kontinenten Europa und Asien markiert. Aber was sollen wir uns jetzt schon den Kopf damit zerbrechen? Letztendlich hängt es vom Wetter, dem Glück und unserer Konstitution ab wie weit wir kommen werden.

45 Minuten drehen sich nun schon unsere Tretkurbeln gegen den Wind. “Da vorne sieht es nach einem Dorf aus!”, ruft Tanja. “Ja, ich glaube auch ein paar Häuser zu erkennen!” “Vielleicht gibt es dort eine Übernachtungsmöglichkeit?” “Wäre schön”, antworte ich schnaufend. Endlich windet sich die gerade Straße in ihre erste Kurve. An einer Bushaltestelle entdecken wir die ersten Menschen. “Gibt es hier eine Herberge?”, frage ich. ”Ja im Ort gibt es eine Gastiniza”, vernehmen wir erleichtert und erfreut zu gleich. Wir lassen uns den Weg erklären und holpern auf schlechten Straßen in den Ort. Ein kleiner Junge führt uns zu der besagten Gastiniza. Ich folge einer angenagten Mauerfront in den offenen Hof. Von der Zeit gezeichnete Häuser bilden die Begrenzung des Platzes. Verrostetes Metall und anderer Müll liegt herum. Ein paar Männer arbeiten an einer Veranda. Einer von ihnen teilt mit einer Motorsäge Holzbalken in zwei Hälften. “Was wollen sie?”, fragt mich ein kräftiger Mann mit Glatze freundlich. “Äh, ich wollte wissen ob es hier irgendwo eine Übernachtungsmöglichkeit für uns gibt. Wir sind mit den Rädern da und sehr müde.” “Nein, tut mir leid. Bei uns gibt es nichts mehr.” “Nichts mehr? Sind sie ausgebucht?” “Ja.” “Oh, was machen wir denn da?”, frage ich etwas verzweifelt. Der Mann versucht mir zu erklären wo ich in diesem Dorf noch fragen kann. Ich verstehe ihn aber nicht. Jetzt scheint er etwas verzweifelt zu wirken. “Gib mir den Autoschlüssel”, befiehlt er einem der jungen Arbeiter der ebenfalls wie ein weiterer von ihnen eine Glatze trägt. Offensichtlich will er mich zu dem Ort führen, denke ich erleichtert als er mitten im Gehen stehen bleibt, sich umdreht und fragt wie lange wir bleiben wollen. “Eine Nacht. Morgen Früh wollen wir weiter”, sage ich. “In Ordnung. Du kannst bleiben”, höre ich plötzlich und wundere mich. Anscheinend hat er plötzlich entschieden doch ein Zimmer frei zu haben. Nicht weiter nachfragend und wieder erleichtert sehe ich mir in dem heruntergekommenen Haus ein sauberes Zimmer an in dem sich vier frisch bezogene Betten befinden. “Was kostet es?” “400 Rubel. (12,- ?) Normalna?” (Normal) “Normalna”, antworte ich und bin zufrieden mit diesem Preis offensichtlich nicht über den Tisch gezogen zu werden. “Die Dusche ist dort drüben. Leider nur kaltes Wasser. Kochen dürft ihr in der Küche”, erklärt der Mann der sich als Sergei vorgestellt hat. Dann zupft er mich am Ärmel. Ich folge ihm zu einer sehr heruntergekommenen Hütte. Er öffnet die Tür und schaltet das Licht ein. Ich kann es kaum glauben. Auf einmal stehen wir mitten in einer gemütlichen Sauna. Im kleinen Ofen in der Ecke flackert ein kräftiges Feuer. “Wenn ihr wollt könnt ihr euch in der Banja (Sauna) waschen und aufwärmen”, meint  Sergei. “Fantastisch”, antworte ich denn ich hätte nicht gedacht schon am ersten Tag in Russland mit einer der bekannten Banjas konfrontiert zu werden. “Hast du einen sicheren Platz für unsere Räder?”, will ich wissen. “Klar”, antwortet Sergei als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Wieder folge ich unserem Russischen Gastgeber über den Hof zu einer Garage. Ein riesiger Hund sitzt davor. Als er uns kommen hört springt er auf, fletscht die Zähne und zerrt laut bellend wie ein Wahnsinniger an seiner eisernen Kette. “Einen verdammt guten Sobaka (Hund) hast du da”, lobe ich. “Ja. Du darfst unter keinen Umständen allein zu deinen Rädern. Wenn ihr später etwas benötigt sagt uns bescheid. Er würde euch in der Luft zerreißen”, warnt er.

Wir verstauen unsere Bikes in der staubigen Garage. Ein großer, stark malträtierter Boxsack hängt von der Decke und erklärt warum sich die Jungs hier bald alle den Kopf kahl geschoren haben. “Seid ihr Boxer?”, frage ich später. “Da, da”, antworten sie grinsend. Dann verstauen wir unsere Ausrüstung im Zimmer. “Ich geh mal in die Sauna”, sage ich zu Tanja. “Klar, genieße sie. Lass dir ruhig Zeit.”

In dem Vorraum ist es angenehm warm. Ich hänge mein bescheidenes kleines Handtuch an den Haken und setze mich in der Banja auf die stark benutzte, halb durchgesessene Holzbank. Nach solch einem langen Tag, dem kalten Gegenwind und der schlechten Aussicht auf eine Unterkunft genieße ich jetzt die Wärme die meinen Körper durchdringt. Auf dem Ofen stehen ein paar Blecheimer mit heißem Wasser. Ich nehme mir einen davon und wasche den Schmutz der Straße vom Leib. Dann verlasse ich die Hütte wieder. Es ist bereits dunkel. Der Wachhund bemerkt mich und zerrt gefährlich hart an seiner Kette. Hoffentlich ist sie nicht so kaputt wie das Meiste hier, denke ich mir. Tanja hat in der Gemeinschaftsküche mittlerweile Nudeln gekocht und einen leckeren Salat zubereitet. Heißhungrig mache ich mich darüber her. Wir genießen den Abend in der Gastiniza da wir ungestört bleiben und uns keiner der Anwesenden mit unendlichen Fragen löchert. “Ob solche Gastinizas in Russland üblich sind?”, fragt Tanja. “Wer weiß.” “Also mir gefällt der Laden hier. Ich koche gerne für uns. Da weiß man wenigsten was auf den Teller kommt und wir können uns sicher sein nicht wieder halb vergiftet zu werden.” “Stimmt. Gefällt mir auch hier. Sehr einfach aber irgendwie hochinteressant. Auf diese Weise leben wir mitten unter den Einheimischen.” “Sag mal. Einige der Menschen hier haben bald Ähnlichkeiten mit den Mongolen. Ob sie von Asien kommen?” “Ist schon möglich. Ich habe gelesen dass 18 Prozent der Gesamtbevölkerung Nichtrussen sind und die größte Minderheit mit 3,8 Prozent die Tataren ausmachen. Die nächst größere Bevölkerungsgruppe sind mit 3 Prozent die Ukrainer. Dann leben hier Weißrussen, Tschuwaschen, Baschkiren, Mordwinen und Deutsche, um nur einige der mindestens100 verschieden Rassen und Stämme zu nennen.”

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