Rentierkarawane
N 51°33'336'' E 099°15'341''Tag: 178-180
Sonnenaufgang:
09:19/09:17
Sonnenuntergang:
17:46/17:49
Gesamtkilometer:
1281
Bodenbeschaffenheit:
Eis, Schnee
Temperatur – Tag (Maximum):
minus 15°C
Temperatur – Tag (Minimum):
minus 20°C
Temperatur – Nacht:
minus 35°C
Breitengrad:
51°33’336“
Längengrad:
099°15’341“
Maximale Höhe:
1981 m über dem Meer
Gestern kam eine Gruppe von Tuwamännern ins Camp, die während des Winters hauptsächlich mit ihren Familien in Tsagaan Nuur leben. Einmal im Winter kommen alle Männer zusammen, um mit ihren Rentieren zu einem abgelegenen Tal zu reiten, wo sich die Hauptherde befindet. Wegen der ständigen Gefahr Rentiere durch Wölfe zu verlieren ist es wichtig den Zustand der Herde zu checken. „Können die Tiere bei der Suche nach Futter nicht über die Grenze nach Russland gelangen? Das wäre doch fatal?“, frage ich. „In diesem Tal gibt es genügend Futter. Außerdem sind die Berge links und rechts so hoch, dass sie wie eine natürlich Barriere wirken. Rentiere würden nicht wie Gämsen darüber gehen. Nein, wir haben keine Angst davor sie durch Abwanderung zu verlieren. Aber Wölfe sind eine große Bedrohung. Wir verlieren jedes Jahr Tiere durch Wolfattacken. Vielleicht bauen wir einen natürlich Zaun. Der wird die Wölfe abhalten ins Tal zu gelangen“, erklärt Shagai. „Einen natürlichen Zaun?“, wundere ich mich. „Ja, wir schlichten am Talausgang Bäume und Geäst auf. Das hält die Rentiere in der Senke und die Wölfe im Regelfall davor ab hinein zu gelangen.“ „Ist es so einfach Wölfe abzuschrecken?“, frage ich. „Nun in dieser Hinsicht sind Wölfe dumm. Wenn sie an eine Barriere gelangen und keinen Grund sehen sie zu durchbrechen, kehren sie um“, höre ich und frage mich ob diese Aussage auf einen Übersetzungsfehler basiert oder ob Wölfe wirklich so leicht von ihrer Beute abzuhalten sind?
„Denis komm schnell! Die Männer sind im Begriff zu gehen!“, ruft Tanja. Ich ziehe meine Schuhe an, schlüpfe in die Daunenjacke, schnappe mir die Kamera und eile ins Freie. Tatsächlich sind die Rentiere bereits beladen und aufbruchbereit. „Tsaya wollte uns doch Bescheid geben wann es losgeht?“, wundere ich mich laut da ich den Aufbruch um Haaresbreite verpasst hätte. „Sie hat es wahrscheinlich vergessen“, meint Tanja als die ersten Tuwa schon das Camp verlassen. Wir hetzen hinterher, um das seltene Schauspiel einer Rentierkarawane miterleben zu können. Eingemummt in ihre Deels, Filzstiefel, Mützen und Handschuhe ziehen die Männer ihre Tiere hinter sich her. Jeder von ihnen hat eines der Rentiere gesattelt und auf die anderen Decken, Felle, Ersatzkleidung, Nahrung, auf einem sogar einen blechernen Ofen und Ofenrohr geladen.
10 bis 14 Tage werden die zwölf Männer in der kältesten Zeit des Jahres unterwegs sein. Nur hundert Meter hinterm Lager steigen die Ersten in die Sättel. Die Geschwindigkeit von dahin laufenden Rentieren ist verblüffend. Wir kommen kaum zum Fotografieren, laufen und hecheln durch den Schnee neben der eigenwillig anzusehenden Gruppe. Die Tuwa lachen und winken uns freundlich zu. Jeder der Männer hat zwischen drei und fünf Tiere dabei die jetzt leichtfüßig über den schmalen Pfad traben. Es geht leicht den Berg hinunter. Auf einem offenen Plateau werden sich alle Reiter zu einer Karawane mit ca. 50 Rentieren versammeln. Nach 40 Minuten erreichen wir die offene Schneefläche. Eine anmutig anzusehende Hochebene, umrahmt von rauem vereistem Gebirge. Nur eine schmale Spur, getreten von 200 Rentierhufen, zieht sich durch den Schnee und verliert sich einige hundert Meter auf der anderen Seite der Lichtung in der Taiga. „Sie sind weg“, pruste ich außer Atem. „Ja, schade. Sind einfach zu schnell“, antwortet Tanja. „Wäre ein tolles Abenteuer diesen Trupp begleiten zu können“, sage ich nachdenklich wieder zu Atem kommend. “Bei minus 30 °C bis minus 45 °C ist es mir lieber du bleibst bei mir in der Jurte.“ „Wahrscheinlich hast du Recht“, antworte ich. Als wir den Rückweg antreten hat sich die Sonne hinter einen der vielen Berge versteckt. Die Schatten werden länger und ihre immer dunkler werdenden Ausläufer greifen nach uns. Leichter Wind kommt auf weshalb die feinen eisigen Kristalle durch die klirrende Kälte wirbeln. Wir ziehen uns in unsere Daunenjacken zurück und stapfen die Anhöhe zum Tuwacamp hoch.
Ein einsamer Reiter führt sein Pferd und Packpferd über den Platz vor unserer Jurte als wir wieder unser Filzhaus erreichen. Der Mann schenkt uns kaum Beachtung, steigt aus dem Sattel und bindet sein Reittier vor Gambas Hütte an. Wir erfahren, dass er trotz des Winters durch die Wälder streift, um nach dem teuren Jadestein zu suchen.
Abends besucht uns Tsaya. „Ich hoffe meinem Ultsan geschieht nichts dort draußen“, sagt sie besorgt. „Er wird bestimmt gesund zurückkommen“, tröste ich sie. „Ja aber es ist gefährlich. Man kann sich bei diesen Temperaturen leicht etwas erfrieren“, meint sie. „Er ist doch erfahren und noch dazu in bester Gesellschaft“, sage ich, um ihre Niedergeschlagenheit zu lindern. „Ach hätte ich nur unseren lieben Hund. Der könnte mich in der Einsamkeit der kommenden Tag trösten“, jammert sie. „Was ist denn mit eurem Hund?“, möchte Tanja wissen. „Wir haben ihn Ultsans Bruder mitgegeben. Ein mongolischer Freund von ihm wollte ihn mit zum Jagen nehmen. Er hat uns hoch und heilig versprochen auf ihn zu achten und ihn unversehrt wiederzubringen. Als sie in Ulan Bator eine Nacht verbrachten ist er angeblich fortgelaufen“, erzählt sie traurig. „Wie so angeblich?“, frage ich. „Ultsan und ich glauben sie haben ihn verkauft. Für einen guten Jagdhund kann man in Ulan Bator bis zu zwei Millionen Tugrik (1.143 €) bekommen.“ „Du meinst der Bruder von Ultsan hat euren Hund tatsächlich verkauft? Das ist ja furchtbar“, sage ich. „Der Bruder ist ein Taugenichts. Hängt immer mit den falschen Leuten herum und hat ein Alkoholproblem“, erklärt sie. „Und warum habt ihr ihm dann den Hund mitgegeben?“, wundere ich mich. „Ach wir dachten, dass er diesmal die Wahrheit spricht. Ist wohl nicht so. Ultsan hat seinem Bruder angedroht sich ohne Hund nicht mehr sehen zu lassen“, meint sie einen tiefen Seufzer von sich zu geben.
„Übrigens soll heute Nacht hier ein russischer Satellit runterkommen“, wechselt sie das Thema. „Was? Wo? Hier in dieser Region?“, frage ich. „Ja. Irgendwo um Tsagaan Nuur herum soll das Ding landen.“ „Na hoffentlich nicht in unserem Camp“, scherzt Tanja.
Am nächsten Tag erfahren wir, dass der Satellit tatsächlich mitten auf der Straße von Tsagaan Nuur einen kleinen Krater geschlagen haben soll.
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