Philosophie des Reisens
N 62°27.07.5’’ E 007°39’46.6’’Datum:
19.09.2020
Tag: 048
Land:
Norwegen
Ort:
Trollstigen
Tageskilometer:
185 km
Gesamtkilometer:
3893 km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Fähre
1
Brückenüberquerungen:
7
Tunneldurchfahrten:
1
Sonnenaufgang:
06:59 Uhr
Sonnenuntergang:
19:47 Uhr
Temperatur Tag max:
17°
Temperatur Nacht min:
02°
Aufbruch:
12:00
Ankunftszeit:
18:00
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
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„Schau mal wie golden es von den Bergen herunter schimmert“, sagt Tanja begeistert. „Ein echter Augenschmaus“, antworte ich immer dann aus dem Fenster blickend, wenn die Passstraße es zulässt. Auf der Strecke zur Ortschaft Lom neigt sich der Asphaltstreifen von 1400 Meter auf 380 Meter. Die Bergwelt um uns herum verliert mit jedem Höhenmeter an ihrer Rauheit und Bedrohlichkeit. Die Gletscher und Schneeflächen ziehen sich immer weiter zurück und die Sturmböen, die oben auf der Passhöhe uns fast aus dem Sattel geblasen haben, lassen merklich nach.
Der Herbst taucht die immer lieblicher aussehenden Berge in ein goldenes Licht, das aus einer Märchenwelt entsprungen zu sein scheint. Zartes Gold wechselt in ein noch zarteres Gelb, wird von Lindgrün umrahmt, in dem einige perlweise niedrigwachsende Sträucher sitzen. Die Natur ist atemberaubend und scheint hier alle Trümpfe auszuspielen, um uns in ihren Bann zu schlagen.
Es dämmert bereits, als wir das Örtchen Lom mit seinen 2228 Einwohnern erreichen. Mit seiner lieblichen Ausstrahlung fügt es sich in den endenden herbstlichen Tag.
Weil wir nicht auf Campingplätzen parken, suchen wir einen Stellplatz für die Nacht und werden direkt am Ufer des Flusses Otta fündig. „Zum Ausklang dieses erlebnisreichen Tages bereite ich uns Lachs, Bratkartoffeln, Spiegeleier und wenn du möchtest frischen Salat. Was hältst du davon, mein Schatz?“ „Oh, das klingt zu gut, um wahr zu sein“, freue ich mich. Zischsch! Ertönt es, als ich eine halbe Stunde später eine der mitgebrachten kostbaren fränkischen Bierflaschen öffne. Da ich als Biersommelier die Plörre von dänischem Bier, die in Norwegen überall erhältlich ist und mit 3,- € pro Dose eine der günstigeren Marken ist, kaum ertrage, ist dieser Moment etwas Besonderes. „Hm, lecker“, sage ich einen Schluck nehmend. „Wie lange noch?“ „Gleich fertig. Muss den Fisch noch mal wenden. Du liebst es doch wenn die Haut knusprig ist“, antwortet Tanja lachend. „Ich kann die Camper schon verstehen“, sage ich wenig später. „Es ist schön, den ganzen Tag auf dem Bike zu verbringen, sie wieder in den Rucksack der Terra zu laden, durch eine spektakuläre Landschaft zu cruisen und zur Krönung am Abend in seinem eigenen kleinen Heim zu speisen wie ein König“, sage ich Tanjas Mahl genießend. „Ja hat was. Könnte mich auch an diesen Lebensstil gewöhnen“, antwortet Tanja. „Hoffe, wir werden dabei nicht allzu bequem.“ „Du meinst, dass es uns schwerfallen wird, in Zukunft wieder nur mit dem Rad unterwegs zu sein?“ „Hm, ja. Auf der anderen Seite freue ich mich auch wieder darauf, jeden Tag 100 oder 150 km auf dem Bike unterwegs sein zu dürfen, zu überlegen, wo wir die Akkus laden können, woher wir Trinkwasser bekommen und wo wir unser Zelt aufschlagen werden. Ein Land ausschließlich mit dem Rad zu durchqueren hat etwas Ursprüngliches und birgt viele Abenteuer in sich.“ „Das stimmt, aber auch wir erleben auf dieser Reise viel. Man darf und kann das eine mit dem anderen nicht vergleichen. Es sind zwei völlig unterschiedliche Reisekonzepte. Beide sind interessant und in beiden stecken ungeahnte Herausforderungen“, überlegt Tanja. „Auf jeden Fall ist die Kombination Offroadwohnmobil und Fahrrad oder E-Bike eine fantastische Kombination. Man kann nahezu jeden Ort erreichen, den wir erreichen wollen. Der einzige Nachteil ist die ungeheure Technik, die in solch einem Fahrzeug steckt. Da darf in abgelegenen Regionen nichts kaputt gehen.“ „Denke, das sollte kein Problem sein. Du kennst dich mittlerweile ganz gut aus und wenn wirklich mal etwas defekt sein sollte, finden wir eine Werkstatt. Es gibt überall auf der Welt gute Mechaniker und bisher konnten wir jedes Problem, das sich uns in den Weg gestellt hat, lösen.“ „Meine liebe Tanja. Immer zuversichtlich. Das gefällt mir an dir. Du hast völlig recht. Mit einer positiven Gedankenausrichtung wird das Leben leichter. In einer guten Vorbereitung liegt der Erfolg einer Expedition oder Reise und wenn etwas schiefläuft, gehört es einfach dazu. Vielleicht ist dann genau, dass das Salz in der Suppe?“ „Wenn Du dich erinnerst, sind wir durch unvorhergesehene Vorkommnisse immer bereichert worden.“ „Stimmt, wir haben außergewöhnliche Menschen kennengelernt, die wir sonst nie kennengelernt hätten, manchmal durften wir tief in eine Kultur oder Lebensraum eintauchen, den wir auf der Durchreise nie erlebt hätten“, überlege ich einen weiter Schluck von meinem Hopfensaft nehmend. „Meinst du Mai Chau in Vietnam, wo du dir beim Sturz vom Rad das Schultereckgelenk gebrochen hast?“ „Unter anderem. Das war zwar auch eine schmerzhafte Zeit, in der wir anfänglich nicht wussten, wie es weitergehen wird, aber später war der dreimonatige Aufenthalt dort in dem Reisterrassental eine absolute Lebensbereicherung“, sinniere ich an die Zeit zurückdenkend. „Ja oder wie uns die Kamele im australischen Outback davongelaufen sind“, wirft Tanja ein. „Oder wie kurz vorm sibirischen Winter der Rahmen meines Bikes gebrochen ist und uns der Lkw-Fahrer Sergej gerettet hat“, setze ich einen drauf. „Ha, ha, ha,“ lachen wir ausgelassen und erzählen uns bis spät in die Nacht Geschichten, die wir erlebt haben, analysieren sie und kommen zu dem Schluss, dass wir bisher ein wirklich erfülltes Leben leben durften.
Nach einem Schreibtag auf dem Parkplatz neben dem Fluss Otta, kaufen wir vor unserem Aufbruch in der örtlichen Bäckerei ein leckeres, frisches Körnerbrot. „Für die kommenden Tage“, sagt Tanja, einen Teil davon in unser Gefrierfach legend. Dann geht es weiter Richtung Norden, in das Land mit seinen scheinbar endlosen Naturschätzen. Kaum liegt das sympathische Örtchen Lom hinter uns, rollen die Geländereifen unserer Terra über eine atemberaubend schöne Gebirgsstraße. Wir passieren reißende Flüsse, dessen schäumende Wasser sich durch Talsenken und Felsverengungen pressen und in weißer Gischt über Katarakte stürzen. Gebirgsseen, die so klar sind, dass wir während der Fahrt bis zum Grund schauen können, breiten sich in dem einen oder anderen Tal aus. An manchen Stellen leckt das Lebenselixier Wasser am schwarzen Asphaltstreifen, der unmittelbar an seinem Ufern vorbeizieht. Am heutigen, völlig windstillen Tag, kräuselt sich nicht die kleinste Welle auf der Oberfläche der Seen, sodass sie daliegen wie feinpolierte Spiegel, die jeden Sonnenstrahl reflektieren. In einer Talsenke stürzen sich gleich mehrere von laschem Grün gesäumte Wasserfälle in die Tiefe. Laubwälder überziehen in dieser Region ungezählte Bergrücken mit goldener Herbstfärbung, die unter dem stahlblauen Himmel noch intensiver wirken und sich teils wie ein kontrastreicher Scherenschnitt vom Land absetzen. Als hätte eine überdimensional große Macht den Bergen eine Tonsur geschnitten, erheben sie ihre Schnee bedeckten Häupter in das strahlende Firmament.