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Mongolei/Ulan Bator/Roelof-Anudari-Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

Neuntes Resümee – Abenteuerlicher Marsch nach Tsagaan Nuur, Khatgal und Mörön

N 49°01'460'' E 104°02'800''
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    Tag: 440

    Sonnenaufgang:
    07:11

    Sonnenuntergang:
    18:32

    Luftlinie:
    375

    Tageskilometer:
    400

    Gesamtkilometer:
    2925

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Temperatur – Tag (Maximum):
    15 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 12 °C

    Temperatur – Nacht:
    minus 3 °C

    Breitengrad:
    49°01’460“

    Längengrad:
    104°02’800“

    Maximale Höhe:
    1281 m über dem Meer

Am achten Juni verabschiedeten wir uns von den Tuwanomaden mit denen wir ein halbes Jahr zusammenlebten. Nach dem langen Aufenthalt war ich das Marschieren nicht mehr gewohnt und bekam nach wenigen Kilometern bereits offene Blasen und Knieschmerzen. Die Berge um uns herum waren von Rauch eingehüllt. Einer der größten Waldbrände der Mongolei wütete seit Tagen und bedrohte Nomaden und Reisende wie uns. Mogi trieb trotz seines Maulkorbs ein Schaf in einen Fluss und brachte es fertig das arme Tier beinahe zu ertränken. Ab diesem Zeitpunkt musste er wieder an die Leine und abends vor dem Zelt angepflockt werden.

Als wir Tsagaan Nuur erreichten und versuchten bei Ayush unterzukommen versuchte er unsere Lage auszunutzen und verlangte für seine alte Hütte den zehnfachen Preis. Bevor ich ihm an den Kragen ging verließen wir den ungastlichen, gierigen Mann und kamen bei Shagai in der Jurte seiner Schwiegereltern unter.

Während des Wartens auf einen neuen Pferdemann verteidigten wir Naraa, Tuya, Sar, Tenger, Bor und Sharga vor brunftigen Hengsten, malten ihnen große Sonnen auf den Hintern damit es eventuelle Pferdediebe schwerer hatten sie nach einem Diebstahl an den Mann zu bringen.

Odonbaatars Gesicht sprach Bände. „Eine lange Fahrt und zum Abschied zu tief in die Flasche geschaut“, war meine erste Diagnose. Narben und ein verletztes Ohr zeugten von einigen Raufereien. Mit seinen ca. 1,68 Meter und seinem äußerst schlanken Körper war der neue Pferdemann ein relativ kleine Person. Bevor sich Bilgee von uns verabschiedete unterwies er ihn in seine Aufgaben der nächtlichen Wachschichten, dem Versorgen der Pferde usw. Odonbaatar versprach alles zu tun was man von ihm verlangte. Schon in den ersten Tagen unseres Zusammenseins ließ seine Arbeitsmoral zu wünschen übrig. Es dauerte nicht lange und er machte was er wollte, vor allem faulenzen und schlafen. Für den Weg zur nächsten kleinen Ortschaft Ringinlhumbe benötigten wir länger als geplant weil der neue Mann uns im Kreis führte damit er Verwandte besuchen konnte. Es war zum Haare raufen. Als wir bei starkem Regen die Ortschaft erreichten verschwand er die ganze Nacht, so dass wir auch seine Pferdewache übernehmen mussten. Schnell kam der Gedanke auf ohne diesen Taugenichts weiterzuziehen.

Mit Hilfe von Saraa organisierten wir neue Pferdemänner. Den fünfzehnjährigen Bumbayr und seinem 25-jährigen Onkel Khurgaa. Beide brannten regelrecht auf Abenteuer und wollten uns durch das kommende Pferdediebesgebiet geleiten. Welch eine Genugtuung war es dem am nächsten Morgen wieder auftauchenden Odonbaatar mitteilen zu können ihn nicht mehr zu benötigen.

Wenige Tage später setzten wir den Ritt mit unseren neuen Jungs fort, um die bis zu 3.000 m hohe Khoridol-Saridag-Bergkette zu überqueren, auf deren anderen Seite sich der wunderschöne Chuvsgul Nuur befand.

Starke Frühjahrsgewitter rollten über die Berge und setzten die Täler unter Wasser. Es grollte und donnerte täglich. In unserem Zelt war es nass und klamm, Bäche schlängelten sich durch das Vorzelt. Die Arbeitsmoral unserer neuen Begleiter zeigte sich schon ab dem ersten Tag mangelhaft. Noch dazu waren sie für das üble Wetter äußerst schlecht ausgerüstet und froren unentwegt. Schnell verging ihnen die Abenteuerlust und zu schnell spürten sie wie schmerzhaft und anstrengend so ein Trip sein konnte. Als die Beiden damit anfingen sich nicht fotografieren zu lassen erreichten wir wieder einmal den kritischen Punkt. Obzwar ich mit Engelszungen auf sie einredete und erklärte wie wichtig Fotos für unsere Dokumentation seien blieben sie hartnäckig. Zweifelsohne kamen wir mit ihnen vom Regen in Traufe.

Die Herausforderungen reihten sich aneinander. Eines Morgens ging Bor durch, schleuderte seine Ladung in die Luft und zerstörte dabei eines unserer wertvollen Solarpanels. „Du hast falsch geladen“, machte mir Khurgaa Vorwürfe.

Der Pfad war matschig und schlängelte sich die Berge hoch. Die Pferdebeine staksten unsicher durch tiefen Morast, über massives Wurzelgeflecht und teils grobes Gestein. Wir ritten am rauschenden Wasser eines im Winter zugefrorenen Flusses entlang. Wie eine gefräßige Schlange wand er sich durch das schmäler werdende Tal. Immer wieder mussten wir seine reißenden Fluten durchqueren. An manchen Stellen erschien die Furt unpassierbar und das Nass reichte bis zu den Schultern der Tiere. „Ob die Pferde durchkommen?“, fragte ich zweifelnd, da ich schon erlebte wie solch starke Strömungen gesamte Pferde mit ihrer Ladung wegrissen und fortspülten.

Wir ritten langsam und bedacht durch das feuchte, morastige, sich dem See neigende Hochtal als es plötzlich geschah. Tanja verschwand abrupt aus meinem Gesichtsfeld weil Naraa unter ihr einfach zusammenbrach und wie ein gefällter Baum auf die Seite fiel. „Oh Gott!“, entfuhr es mir, sah aber wie Tanja schon wieder auf den Beinen stand. „Hast du dich verletzt?“, fragte ich. „Nein aber Naraa versinkt im Morast!“, schrie sie ungehalten. Mit vereinten Kräften versuchten wir das arme Tier zu befreien, jedoch ohne den geringsten Erfolg. Es dauerte lange bis wir sie in einem gemeinsamen Aufbäumen mit schmatzendem Geräusch aus dem tückischen Moorloch befreien konnten.

Mit jedem Reitkilometer kamen wir etwas tiefer und näherten uns der Perle der Mongolei, dem Khuvsgul See. Die alpenähnliche Berglandschaft verwöhnte uns bei herrlichem Sonnenschein mit ihrer außergewöhnlichen Schönheit. Wir durchstreiften lichte Lärchenwälder dessen Böden mit bunten Blütenteppichen und sattem Grün bedeckt waren. Bienen, Bremsen, Fliegen und andere Insekten surrten und brummten durch die warme Luft. Bunte Schmetterlinge tanzten von Blüte zu Blüte. Eine wunderbare Idylle die manchmal aber von lauter, wirklich furchtbarer, beachtlich schlechter mongolischer Rockmusik gestört wurde, welche aus Khurgaas MP4-Player dröhnte. Immer wieder musste ich den jungen Mann auffordern das Ding abzustellen, jedoch dauerte es nie lange bis die schrägen Töne erneut die Umwelt verschandelten.

Etwa 50 Kilometer vor Khatgal, einem der berüchtigsten Pferdediebeortschaften der Mongolei, bekamen Khurgaa und Bumbayr es mit der Angst zu tun ihre Reittiere könnten gestohlen werden. Ohne die geringsten Skrupel zu zeigen forderten sie ihr Geld und ließen uns im Stich. Eine Woche waren wir mit ihnen durch menschleere Landschaften unterwegs und genau in der Gegend, in der wir sie als Schutz vor den Dieben dringend benötigten, machten sie sich aus dem Staub.

Tanja und ich entwickelten ab diesem unvergesslichen Tag ein neues Wachsystem. Wir pflockten Mogi vor dem Zelteingang an und im täglichen Wechsel legte sich entweder Tanja oder ich unter das Vordach. Sollten sich tatsächlich Diebe anschleichen würde Mogi anschlagen und Tanja oder ich sofort parat sein, um unsere Pferde zu schützen. Ab dem Zeitpunkt des Alleinseins hatte sich die Qualität unserer Expeditionsreise verändert. Sie intensivierte sich, verhalf uns zur völligen Selbstständigkeit und Freiheit. Der Abgang der beiden Jungs stellte sich im Nachhinein als ein wahrer Segen heraus.

Wir genossen den weiteren Ritt am Khuvsgul Nuur und fanden schon am nächsten Tag, am dicht bewaldeten Ufer des Sees, ein wahres Märchencamp.

Als wir die Ortschaft erreichten tobte über uns das reinste Inferno. In nur wenigen Minuten öffneten sich die Himmelsschleußen und überschwemmten das Land. Das Nass peitschte uns ins Gesicht und nahm uns jegliche Sicht. Optimales Wetter, um nicht von Pferdedieben gesichtet zu werden. Doch wir sollten uns gewaltig täuschen.

Etwa 10 km hinter Khatgal schlugen wir unser Lager am Fuße einer 50 Meter hohen Felswand auf. Da uns das Massiv den Rücken deckte und vor uns ein Bach lag war ich überzeugt einen strategisch guten Platz für die Nacht gewählt zu haben.

Um 22.00 Uhr begaben wir uns ins Zelt. Tanja machte es sich soweit möglich im Vorzelt bequem. Ich lag in der Schlafkabine, deren Stofftür ich offen ließ, um im Notfall schnell herausspringen zu können. Meine Waffen, das große Messer, Pfeffergas und Leuchtspurabschussstift, legte ich neben mich. Die Steine, die ich gesammelt hatte, häuften sich rechts neben dem Eingang.

Es war 4:00 Uhr am Morgen. Mogi bellte wie so oft. Tanja fuhr auf, griff zur Stirnlampe und blickte nach draußen. „Ich glaube es nicht. Da kommen zwei Reiter“, sagte sie in einem Ton der meinen Adrenalinpegel in die Höhe schießen ließ. Innerhalb eines Sekundenbruchteils sprang ich mit Pfeffergas und Leuchtstift bewaffnet aus meiner Schlafkabine neben Tanja und leuchtete ebenfalls in die angehende Dämmerung. Tanjas Lichtstrahl traf einen der Reiter direkt ins Gesicht. Er hielt seine Hand davor. Beide Männer ritten in einem Abstand von etwa drei Metern direkt an uns vorbei. Sie sagten keinen Ton. Nur wenige Minuten danach wendeten sie ihre Pferde und passierten erneut unser Lager. Uns war klar, die Männer observierten die Lage wie ihre Chancen standen unsere Pferde zu stehlen.

„Wau! Wau! Wau!“, bellte Mogi Augenblicke später erneut. Diesmal trieben die zwei Halunken eine Pferdeherde in unsere Richtung. Augenblicke später hasteten wir abermals mit unseren Waffen vors Zelt. Tanja stellte sich instinktiv zwischen die angebundenen Pferde, während ich mich sprungbereit neben Mogi kniete der ungehalten bellte.

Lautes Wiehern, aufgeregtes Schnauben vieler Nüstern und das Rufen der vermeintlichen Hirten vereinte sich zu einer unwirklichen Klangsymbiose. Durch den Herdentrieb wollten unsere Pferde ihren Artgenossen folgen. Die Seile spannten sich. Es konnte nur Sekunden dauern bis der starke Zug die in den feuchten Grund geschlagenen Eisenhaken herausriss. Wäre das geschehen wären die Tiere für uns verloren gewesen. Die Schurken hätten die Herde ein oder zwei Kilometer vom Camp getrieben, wären aus dem Sattel gesprungen, hätten unsere Pferde von der Herde separiert, sie an den Seilen gepackt und wären im Galopp mit ihnen verschwunden. Wir hätten nicht die geringste Chance gehabt sie einzuholen. Ein genialer Plan dem wir absolut nichts entgegenzusetzen hatten. Aber es klappte nicht weswegen sie erneut die 40köpfige Pferdeherde in unser Lager trieben. Diesmal waren wir bereit unsere Waffen sprechen zu lassen und Steine zu werfen. Sie spürten unsere Bereitschaft zur Gegenwehr und verschwanden.

Weil nach der frühmorgendlichen Attacke nicht mehr an Schlaf zu denken war packten wir unser Lager zusammen und flüchteten. Wir trabten bald 10 Stunden, um einen möglich großen Abstand zwischen Khatgal und uns zu bringen. Am Abend fanden wir auf einer Flussinsel des Egin Gol ein wunderbares, von außen uneinsehbares Versteck. Wir blieben drei Nächte und zwei Tage, um uns von den Strapazen ein wenig zu erholen.

Am siebten Juli erreichten wir 10 Km vor Mörön völlig erschöpft ein Camp auf einer riesigen Weide, die sich in einem weitläufigen Talkessel erstreckte. Eigentlich wollten wir dort nur für eine Nacht unser Lager aufschlagen, letztendlich blieben wir aber knappe sechs Wochen.

Wir freuen uns über Kommentare!

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