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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 1

Nach der Ruhe folgt der Sturm

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    Tag: 18

    Sonnenaufgang:
    07:02

    Sonnenuntergang:
    17:18

    Luftlinie:
    10

    Tageskilometer:
    12

Drahtschlingen-Camp — 29.05.2000

Der Morgen beginnt recht relaxt. Ich habe gerade die Zelte abgebaut und alles verpackt, als Jo und Tanja die Kamele zum Ladeplatz führen. Plötzlich tauchen Pferde auf der Lichtung auf. Sie bleiben schnaubend stehen, blicken ängstlich in Richtung der Kamele und entscheiden sich kurz darauf, in rasender Flucht das Weite zu suchen. Istan bekommt es jetzt ebenfalls mit der Angst zu tun und bricht in panikartiger Flucht nach vorne. Jo und Tanja versuchen ihn zu beruhigen doch er hört nicht, ganz im Gegenteil er knallt mit seinem Körper in die vier vor ihm laufenden Artgenossen die nun auch panisch reagieren und nach vorn ausbrechen wollen. Jo führt Sebastian und hat große Mühe seine Nasen und Führungsleine zu halten. Sebastian und der an ihm gebundene Kadesch laufen vor einem Baum nach links, während der an Kadesch gebundene Hardie mit dem ihm folgenden Jafar und Istan nach rechts ausbrechen. Schnell hat sich die erst harmlos aussehende Situation gefährlich verschärft. Ich bin zu weit weg um einschreiten zu können und Jo und Tanja zu helfen. Das Nackenverbindungsseil straft sich um den Baum und Hardie brüllt auf als würde er geschlachtet werden. Anscheinend würgt ihm das Seil am Hals, denn zwischenzeitlich läuft er nach links vorne, während Sebastian und Kadesch nach rechts vorne rennen. Jo ist in einer bedrohlichen Situation weil sie Sebastian einfach überlaufen möchte. Eigentlich sollte sie die Führungsleinen loslassen, doch dann wäre das Leben von Hardie gefährdet. Er wird nun immer mehr von dem Seil stranguliert. Jo reagiert außergewöhnlich, führt Sebastian in einem scharfen Linksbogen zurück, nimmt ihn dadurch die Geschwindigkeit und kann es so meistern das sie den Baum jetzt von hinten umläuft. Augenblicklich lockert sich das Seil um Hardies Hals, denn alle Kamele sind nun auf der rechten Seite des Baumes. “Wir müssen Istan abbinden!” rufe ich aufgeregt, denn er gebärdet sich noch immer wie ein verrückter. Jo übergibt mir Sebastian um Istans Nackenleine zu lösen. Sebastian setzt nun alles daran mich zu ignorieren und ich muss all meine Kraft aufbringen um die Nasen und Führungsleine zu halten. Plötzlich kommt auch noch Kadesch nach vorne. Verzweifelt versuch ich die beiden großen Tiere zu kontrollieren und während dieses Kampfes verspüre ich einen stechenden Schmerz im unteren Rücken.

Wenig später hat Jo und Tanja alle Kamele von einander getrennt und je an einem Baum gebunden. Ich führe Sebastian zum Ladeplatz und lasse ihn absetzen. Um mich zu vergewissern, ob mit Tanja alles klar ist sehe ich mich um. Genau in diesem Augenblick springt Sebastian wieder auf und mein einst von ihm ausgekugelter Finger bleibt im Halfter hängen. Ein weiterer stechender Schmerz durchfährt mich und nimmt mir für Augenblick den Atem. Noch mal lasse ich Sebastian absetzen und als Jo kommt und mir hilft ihm die Beinseile anzulegen habe ich höllische Schmerzen im Rücken und meinem Fingergelenk. “Gut gemacht,” lobe ich Jo und Tanja für ihren außergewöhnlichen Einsatz.

Ohne über meine Schmerzen nachzudenken beginnen wir nun mit dem Laden. Es fällt mir schwer die Bauchriemen an zu zerren, doch kann ich mich jetzt nicht hängen lassen. Endlich sind bis auf Istan alle Kamele verladen. Leider bereitet er wieder Ärger. Er wirft sich regelrecht auf die Seite um zu sehen ob die Pferdemonster ihm in den Rücken springen. Wir sprechen auf ihn ein doch es nützt nichts. Jo erklärt, wenn er sich noch mal auf die Seite legt solle ich ihm am Sattel nach unten gedrückt halten damit er nicht mehr aufstehen kann. “In dieser Stellung ist ein Kamel am verwundbarsten. Wenn du ihn dann so nach unten gedrückt hältst werde ich ihm mit der flachen Hand leicht auf seinen Bauch schlagen. Es wird für ihn eine Lehre sein und wir können davon ausgehen, dass er dieses Spiel nicht mehr wiederholt.” Tatsächlich wirft er sich nur wenige Minuten später wieder auf die Seite. Ich eile zu ihm und halte ihn unter großen Rückenschmerzen an seinem Sattel auf der Seite in der verletzbaren Stellung. Sofort kommt Jo und klopft ihm auf dem Bauch. Istan hat keine Chance aufzustehen, verdreht seine Augen und schnauft. Augenblicke danach lasse ich ihn wieder los und er steht auf.

Nachdem wir auf vergangenen Expeditionen, vor allem in Pakistan gesehen haben wie brutal die dortigen Kamelmänner ihre Tiere geschlagen haben, um ihren Charakter zu brechen bin ich über Jo’s schmerzfreie und einfühlsame Methode begeistert. Natürlich hat es Istan nicht gefallen auf der Seite gehalten zu werden, aber es hat ihn auch nicht geschadet. Ganz im Gegenteil ist es für uns absolut lebensgefährlich, wenn er sich während des Beladen zur Seite ablegte. Leicht könnte er dadurch einen von uns unter seinem Gewicht zu tote quetschen.

TAG DER VERZWEIFLUNG

Trotz der Schwierigkeiten sind wir um 11 Uhr 30 zum Aufbruch fertig und verlassen die Lichtung. Ein starker Wind bläst uns heute entgegen wodurch das Marschieren erschwert wird. Eine Stunde später versucht sich Jafar während des Laufens einfach abzusetzen. Dadurch wird Hardies Nackenseil aufs äußerste gestraft. Er brüllt wieder wie ein Löwe, kann jedoch nicht stoppen weil er ja an Kadesch gebunden ist. Jafar wird einige Meter nach vorne gezerrt und kommt ebenfalls unter lautem Brüllen wieder auf die Beine. Das Ganze geht so schnell, dass Jo keine Chance hat den Zug rechtzeitig anzuhalten. Als wir dann weiterlaufen müssen wir feststellen, dass sich der unerfahrene Jafar durch seine dumme Aktion den Vorderfuß gezerrt hat, denn er humpelt ein wenig. Ich würde mir am liebsten die Haare raufen. Gerade ist Sebastians Knie einigermaßen verheilt und jetzt das. Wir sehen uns Jafar an und kommen zu dem Entschluss, dass es nur eine kleine Zerrung ist. Wieder müssen wir einen Fluss durchqueren. Entsetzt entdecken wir, dass hier in einem chaotischen Muster verstreut tote Schafe herumliegen. Die Luft ist angereichert mit Verwesungsduft. Die Kamele sind augenblicklich nervös und wollen weiter. Überall wohin mein Blick fällt liegen aufgeschlitzte Kadaver herum. Die meisten liegen unter der Eisenbahnbrücke durch die der Fluss führt. Was ist hier geschehen? Mindestens eine Handvoll der Tiere liegen im Wasser. Wir stellen fest, dass einer der Güterzüge in eine Schafherde gerast ist und dabei ein großes Desaster angerichtet hat. Bei meinen Nachforschungen bemerke ich, dass die Schienen auf der gesamten Brücke voller Eingeweide sind. Eilig verlassen wir den Ort des Schreckens.

Um 16 Uhr 30 überqueren wir noch mal einen Fluss. Wir erreichen das andere Ufer ohne Probleme. Langsam führt Jo dann die Tiere den Fluss entlang. Ich folge ihr und bemerke plötzlich wie Kadesch über einen alten verrosteten Stacheldrahtzaun schreitet der flach am Boden liegt. “Stop! Stop!” brülle ich. Jo reagiert sofort doch bis die Kamele alle stehen, bleibt Istan in einer Drahtschlinge, die aus dem Grasboden ragt, hängen. Er versucht sich mit wilden Tritten von ihr zu befreien, jedoch ohne den geringsten Erfolg. In Windeseile packe ich meinen Leatherman aus und schneide einen Draht nach dem anderen durch, natürlich nicht ohne unaufhörlich auf Istan mit beruhigenden Worten einzureden. Erleichtert lobe ich ihn als er mit dem Ausschlagen aufhört. Behutsam nähere ich mich seinem Hinterfuß um die eine große Drahtschlaufe hängt. Mir ist bewusst, dass mich ein einziger Schlag von ihm schwer verletzen kann, doch was soll ich tun. Ganz vorsichtig bücke ich mich und trennen mit der Zange die letzte Verbindung bis sein Fuß frei ist. “Okay!” rufe ich und Jo führt den Zug weiter. Nur wenige hundert Meter weiter entdecken wir einen Lagerplatz und schlagen unser Camp 7 auf.

Meine Stimmung ist am Boden. Von den verschiedensten Schmerzen geplagt baue ich im Zeitlupentempo unsere Zelte auf. Alles geht nur noch wie in Trance. Ich bete zu Gott, dass meine Kreuzschmerzen nachlassen. Meine Schulter, der gelaufene Wolf, der Finger und noch weitere Stellen an meinem Körper schreien mit jeder Bewegung auf. Die Rasttage sind längst wieder vergessen und der Zweifel wieder da.

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