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E-Bike-Expedition Teil 4 Vietnam - Online Tagebuch 2016-2017

Mystisch – gefährliche Hirnkonstrukte

N 20°13’01.7’’ E 105°55’58.9’’
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    Datum:
    10.10.2016

    Tag: 472

    Land:
    Vietnam

    Provinz:
    Ninh Bình

    Ort:
    Ninh Binh

    Breitengrad N:
    20°13’01.7’’

    Längengrad E:
    105°55’58.9’’

    Tageskilometer:
    45 km mit Moped zurückgelegt

    Gesamtkilometer:
    19.462 km

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Gesamthöhenmeter:
    54.661 m

    Sonnenaufgang:
    05:49 Uhr

    Sonnenuntergang:
    17:37 Uhr

    Temperatur Tag max:
    37°C

    Temperatur Tag min:
    24°C

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Die Sonne wirft ihre ersten zarten Strahlen auf die dunkle Oberfläche des Ngo-Dong Flusses. Ein Ehepaar zieht ihre Reusen ins Ruderboot, während ein alter Mann seinen verrosteten kleinen Kahn mittels eines Bambusstockes über das Wasser stelzt. Frauen sitzen am Ufer und waschen Wäsche. Jahrzehnte lange Feldarbeit hat den Rücken einer alten Frau zu einem Fragezeichen gekrümmt. Auf einem abgebrochenen Paddel gestützt, humpelt sie am Ngo-Dong entlang, ein Bündel Bambusstangen auf den Buckel schleppend. Verwelkte Lotosblüten schwappen vorbei, winzige Fische knabbern daran. Zahlreiche Boote, in denen die Touristen zu den Höhlen von Tam Coc gerudert werden, säumen für hunderte von Metern das Ufer. Geräuschlos tümpeln sie auf der glatten Wasserfläche. Ein Luftzug säuselt von den Karstbergen hinunter, kräuselt für Augenblicke den Flussrücken. Das Kikeriki der Gockel konkurriert miteinander, kündigt den jungfräulichen Tag an. Wir sitzen mit Ajaci am Flussufer und inhalieren einen weiteren abwechslungsreichen Morgen in Vietnam. „Lass uns zurückgehen. Ich habe einen Bärenhunger“, sagt Tanja. Liebevoll hat Johnny den Frühstückstisch gedeckt. Wir trinken vietnamesischen, gesüßten Kaffee, essen Brot, Spiegeleier und frische Ananas.

Es ist noch immer recht früh als wir mit unserem Moped durch die erwachenden Gassen der nahen Dörfer knattern. Über eine schmale, aus massiven Steinen gemeißelte Brücke, schreiten wir über einen Lotusblütensee durch das alte Portal der Bich Dong Pagode. Weil die Sonne auf der anderen Bergseite noch nach oben klimmt, befindet sich die im Jahre 1428 gebaute Pagode aus der Le-Dynastie noch im Schatten. Außer einer alten Frau, die auf einem wackeligen Podest ein paar Postkarten zum Verkauf anbietet, und drei kläffenden Hunden, sind wir die einzigen Anwesenden. Etwas verloren laufen wir herum. Die alte Frau beobachtet dabei jede unserer Bewegung. Als wir im Begriff sind wieder zu gehen deutet sie energisch nach oben. Unsere Augen folgen ihrem ausgestreckten Arm. Wir legen unseren Kopf in den Nacken und sehen ein paar gähnend schwarze Löcher im Fels. „Ob es da oben mehr zu sehen gibt?“, wundere ich mich. „Nhiều ngôi chùa lên có“, (dort oben sind noch mehr Pagoden) verstehen wir. „Cảm ơn“, (danke) sagen wir und folgen den Stufen, die wir erst jetzt bemerken. „Hier geht es tatsächlich weiter“, stelle ich, dem schmalen Weg folgend fest, der hinter einem Tempelgebäude in eine Höhle führt. Es wird immer dunkler. Bald können wir nichts mehr erkennen. „Weiß nicht ob es eine gute Idee ist tiefer rein zu gehen“, überlegt Tanja. „Hätten eine Stirnlampe mitbringen sollen“, sage ich noch ein paar Meter weiter in die Schwärze tapsend. „Da ist eine Treppe. Wir sollten noch erkunden wo die hinführt.“ „Ohne Licht? Pass bloß auf. Am Ende fallen wir noch in ein Loch“, gibt Tanja zu bedenken. Ich packe den Blitz aus, setze ihn auf die Kamera und betätige den Auslöser. Das Infrarotlicht, womit der Blitz die Entfernung misst, erhellt für Augenblicke die Stufen vor uns. „Super Idee“, lobt Tanja. Auf diese Weise gelangen wir immer tiefer in die Höhle. Die Ultraschallwellen einiger Fledermäuse fiepen von Felswand zu Felswand. Der beißende Geruch ihres Kots hängt in der feuchtschwülen Luft. Am oberen Ende der Stufen angelangt, sehen wir einen milchigen Lichtschimmer. „Dort muss es einen Ausgang geben“, vermute ich. Unter dem Dach eines uralten Pavillons, im diffusen Tageslicht, von groben Felsen und Tropfsteinen umgeben, sitzen drei Buddhastatuen. „Wow“, flüstere ich von der mystisch wirkenden Szene angetan. Durch ein eisernes Schmiedetor schreitend, gibt uns die Höhle wieder frei. Die heißen Sonnenstrahlen, die mittlerweile über die Rücken der Ngu-Nhac-Berge gestiegen sind, treffen uns mit ihrem gleißenden Licht. An der obersten Pagode angekommen setzen wir uns auf einen Fels und blicken in das unter uns liegende Tal von Hoa-Lu. Kein Wunder, dass der damalige König Le-Canh-Hung ein Gedicht über diese einzigartige Pagode und der atemberaubenden Landschaft verfasste.„Wir sollten der alten Frau dort unten dankbar sein und ihr ein paar Postkarten abkaufen.“ „Ja, ohne ihren Hinweis hätten wir die Hauptsehenswürdigkeit glatt verpasst“, gibt mir Tanja recht.

Am Nachmittag steigen wir, wie viele Besucher dieser Region, auf den Gipfel über den Mua Höhlen. Wir sitzen neben unserer Kamera, die gerade ein Time Lap schießt, als wir das Gespräch einiger Touristen mithören. „Die Scheißdinger haben mich total zusammengestochen“, jammert ein junger Franzose, mit einer kurzen Handbewegung auf seinen Rücken deutend. „Oh man, schau dir das an“, stupse ich Tanja an, die gerade wie gebannt in das unter uns liegende, malerisch schöne Tal blickt. Der gesamte Rücken des Jungen ist mit aberhunderten Moskitostichen übersät. „Das muss jucken wie Hölle“, meint eine Europäerin. „Tut es.“ „Na hoffentlich hast du dir keine Malaria eingefangen“, gibt ein Spanier zu bedenken. Es dauert nicht lange und wir kommen mit zwei Reisenden ins Gespräch. „Was, ihr seid schon seit vier Monaten in dieser Region?“, wundert sich das Paar aus Deutschland. „Ja“, antworte ich und erzähle vom Sturz von der Bambusbrücke. „Da“, sage ich und deute auf das aus der Schulter herausragende Gelenk. „Hoffe wir können bald wieder weiterfahren, aber zurzeit schmerzt es noch sehr.“ „Hast du dir das mal von einem Arzt ansehen lassen?“, fragt der Deutsche, der als Chirurg in einer Klinik arbeitet. „An deiner Stelle würde ich mir eine weitere Meinung einholen. Nicht dass sich da ein zweites Gelenk bildet und du für den Rest deines Lebens Schwierigkeiten hast“, schockt mich seine Aussage. Gerade eben war ich noch recht gut drauf, genoss den Aufstieg über die knapp 500 Stufen zum Aussichtspunkt und das Fotografieren und nun?… Ist es möglich, dass wir jetzt unsere Reise unterbrechen müssen, um mich in Deutschland untersuchen und eventuell operieren zu lassen? Das kann doch nicht sein. Oder doch? Und wie sollen wir das organisieren? Wir müssten unsere Ausrüstung in Mai Chau lassen und in einen Flieger steigen. Aber was machen wir mit Ajaci? Es wäre sicherlich zu umständlich ihn mit Nachhause zu nehmen, um ihn dann wieder nach Vietnam zu bringen. Vor allem wäre das extrem teuer. Und wie lange wäre nach einer Operation die Regenerationszeit? Abgesehen davon, dass keiner mit Garantie versprechen kann ob die OP erfolgreich verläuft, geschweige denn ob das Schultergelenk danach hält? Würde eine OP vielleicht sogar das Ende dieser Reiseetappe bedeuten? Allerdings verspüre ich nicht die geringste Lust für den Rest meines Lebens ein chronisches Schulterproblem mit herumschleppen zu müssen.
Geknickt, von unguten Gedanken gepeinigt und schweigend, fahren wir mit dem Moped zu Johnnys Homestay zurück. „Ich glaube nicht, dass wir heimfliegen müssen. Unser Freund Hape hat doch gesagt deine Schulter wird auch ohne OP heilen. Er hatte bisher bei jeder unserer Verletzungen mit seinen Prognosen recht behalten. Ich vertraue ihm. Aber wenn wir nach Hause fliegen müssen ist das für mich auch okay. Wir werden eine Lösung finden alles zu organisieren“, beruhigt mich Tanja. „Ich werde Hape sofort anrufen“, sage ich und sende eine Nachricht über WhatsApp. Keine fünf Minuten später klingelt das Smartphone. „Hi Denis. Du wolltest mich sprechen? Ich hoffe deiner Schulter geht es besser?“, meldet sich unser Freund Hannspeter Meier (Hape), Geschäftsführer, Mitgründer des Reha- und Vitalzentrums in Nürnberg, Sportphysiotherapeut im Leistungssport, Golf-Therapeut und Buchautor. „Oh Hape, klasse dass du so schnell zurückrufst. Befinde mich gerade in einem psychischen Down“, sage ich und erzähle von dem Gespräch mit dem Chirurgen. „Bei einer Schultereckgelenkssprengung kann sich kein zweites Gelenk bilden. Das geht nur bei Schlüsselbeinbrüchen. Mach dir keine Gedanken. Du kannst dich sicherlich bald wieder in den Sattel schwingen und eure Reise fortsetzen. Hättest du einen Vertrag als Profieishockeyspieler wärst du schon lange wieder auf dem Spielfeld. Trotzdem, so eine Verletzung dauert mindest sechs Monate bis sie vollend auskuriert ist. Also, alles im grünen Bereich.“ Hape, der all meine Wehwehchen (teils zahlreiche und auch schwere Verletzungen) seit 1990 immer wieder auskuriert hat, ist für mich ohne jegliche Übertreibung einer der besten Physiotherapeuten in Deutschland, der nicht nur uns, sondern auch vielen Topklassesportlern der ersten Bundesliga im Fußball, Volleyball, Handball, Boxen, Eishockey, Olympiasiegern und vielen mehr mit seinem kompetenten Fachwissen geholfen hat und hilft. „Danke für dieses wichtige Gespräch Hape.“ „Keine Ursache Denis. Ich wünsche euch noch eine wunderschöne Reise. Und bitte richte Tanja meine Grüße aus.“

Wie ausgewechselt verlasse ich unser Zimmer. Am Fluss stehend strecke ich beide Arme in den Nachthimmel und bedanke mich erneut. Umwerfend wie wichtig die Psyche ist. Wie sie in manchen Fällen über den Fortbestand einer Reise, eines Projektes, welches auch immer, entscheiden kann. Manchmal sind es tatsächlich nur positive Gedanken die bestimmen ob man verliert oder gewinnt, ob man stirb oder lebt. Es sind nicht selten Hirnkonstrukte die über Trauer und Glück entscheiden, die unser Leben bestimmen. Das Gespräch mit dem Chirurgen hat mir gezeigt wie schnell eine Situation von positiv zu negativ kippen kann, obwohl der Mann sicherlich nur mein Bestes wollte. Das Gespräch hat mir wieder einmal gezeigt wie wichtig ein gesunder Geist ist und das nur ein paar Worte ausreichen, um diesen zu trüben. Es hat mir wieder einmal gezeigt wie mächtig Gedanken sind, wie stark Worte sein können wenn sie auf den passenden Nährboden treffen. Es hat mir letztendlich wieder gezeigt wie wichtig es ist mit Worten sensibel und vorsichtig umzugehen und wie wichtig es ist einen sogenannten Wortfilter zu nutzen, auch wenn das nicht immer leicht fällt.

„Denis, magst du mit uns wieder feiern? Wir zelebrieren heute unsere zweite Einweihungsfeier“, erschrecken mich Johnnys Worte, der plötzlich hinter mir steht. „Gerne. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen!“, lache ich befreit…

Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.

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