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Moldawien/Vulcanesti

Moldawien zum Greifen nahe

N 45°41'06.5'' E 028°24'33.3''

Sind die Flüsse der Mutter Erde mit den Adern der Menschen vergleichbar?

Schon um 7:45 Uhr ist das Fernsehteam von Galati da, um uns über unser Lebensprojekt und die bisherige Radreise zu interviewen. Der Hotelbesitzer hatte uns gefragt ob er dieses Zusammentreffen arrangieren soll. Obwohl wir bereits zwei Interviews in diesem gastfreundlichen Land gegeben haben und wir zeitig loswollen sagen wir gerne zu. Denn es gehört zu unserer Aufgabe und Verantwortung über Mutter Erde zu berichten. Bewusstsein zu schaffen. Wir möchten auch den Menschen in den Ländern durch die wir reisen davon berichten wie wichtig es für die kommenden Generationen ist unsere Lebensplattform sauber zu halten und zu schützen. Das der Planet auf dem wir leben keine tote Materie ist sondern lebt. Leben erschafft Leben. Also wie könnten auf einem toten Planeten Lebewesen wie wir leben? Das geht nur, weil auch Mutter Erde eine lebende Kreatur ist. Eine Kreatur die wie wir atmet. Die wie wir geboren wird, um irgendwann zu sterben. Eine Kreatur die den gleichen Zyklen unterworfen ist, nur das diese Zyklen für uns Menschen kaum überschaubar und begreifbar sind. Ein Herzschlag der Mutter Erde dauert vielleicht tausend Jahre während das Herz des Menschen 60 bis 90 Mal in der Minute schlägt, um das Blut durch die Adern zu pumpen, um unsere Organe und unser Gehirn mit Nahrung zu versorgen. Vielleicht sind unsere Adern mit den Flüssen auf der Erde zu vergleichen? Vielleicht ist das Magma im Bauch unseres Planeten die Energie, die Nahrung, die die Erde benötigt um zu leben? Was ist wenn sie erkaltet? Fragen auf die die Wissenschaft heute schon Antworten hat. Ohne Zweifel ist die Oberfläche unserer Mutter Erde vergleichbar mit unserer Haut. Schlimm und schmerzhaft wenn wir eine glühende Zigarette auf unserer Haut ausdrücken, wenn wir uns z.B. eine Ader verletzten. So gibt es für mich einen Zusammenhang zwischen uns und unserer Mutter Erde. Auch sie leidet wenn man ihre Haut aufreißt, Müll in Löcher wirft, ihre Adern umleitet, verstopft oder verschmutzt. Durch ihre enorme Größe kann man das eine bestimmte Zeit machen, jedoch wird sie sich wären, wird sie das vernichten was sich im Laufe der Jahrtausende zu einem Parasiten entwickelt hat. Es ist aber unnötig, dass es soweit kommt. Denn wir Menschen haben es selbst im Griff uns zu kurieren und damit unsere Lebensplattform zu retten. Ganzheitlich gesehen hängt alles zusammen, ist nichts von einander trennbar. Deshalb sind wir ein Teil der Mutter Erde und die Mutter Erde ist ein Teil von uns. Eine Symbiose so zusagen. Eine Symbiose allerdings deren Nutzen mehr auf unserer Seite liegt, denn Mutter Erde benötigt uns auf Dauer nicht um weiter fortzubestehen. Wie auch immer, es dreht sich alles im Kreis. Wir brauchen Mutter Erde um fortzubestehen also ist es überlebensnotwendig das die gesamte Menschheit dieses Bewusstsein erreicht. Egal welche Hautfarbe, welche Nation und welche Religion. Ein Thema mit dem man viele Bücher füllen könnte und bereits auch gefüllt wurden. Für Tanja und mich ist es ein tiefes Bedürfnis mit daran teilzuhaben. Teilzuhaben an der Bewusstseins-Erweckung. Deshalb geben wir gerne Interviews, um so viele Menschen wie nur möglich zu erreichen. Auch wenn es nur der Tropfen auf dem heißen Stein ist. Doch wie das Sprichwort schon sagt; steter Tropfen höhlt den Stein. Wir sind uns sicher, das die Zeit kommen wird in der man nicht mehr den Müll in die Flüsse wirft. In der die Industrie schon während der Produktion von Gütern in die Verantwortung gezogen wird die Entsorgung zu regeln und nicht wie z.B. in Rumänien das Land mit Plastikflaschen zuzuschütten. Klar können wir bei einem kurzen TV- oder Radiointerview nicht ins Detail gehen. Das ist aber auch nicht wichtig, denn nur ein Satz, ein Wort, ein Gefühl kann manchmal Dämme zum brechen bringen.

Gerne erinnern wir an dieser Stelle auch noch mal an unsere Aktion “Grüne Ader”. Eine Aktion in der wir für jeden Radkilometer einen Baum an Euch, liebe Leser, verkaufen möchten. Diese Aktion ist auf unserer Webseite beschrieben. Bisher sind, soweit wir im Augenblick informiert sind, erst oder schon 250 Bäume finanziert. 25.000 (Fünfundzwanzigtausend) sollen es werden. Wir brauchen also weitere Bäume für die Grüne Ader, um gemeinsam mit Euch etwas Positives schaffen zu können.

Spenden sind herzlich willkommen unter:
Bergwaldprojekt e. V.
Stichwort: Grüne Ader
GLS Gemeinschaftsbank
BLZ 430 609 67
Kontonummer 8022 916 200

Ohne große Verzögerung kommen wir los. Die Redakteurin Aura und der Kameramann zeigen uns noch den besten Weg aus der Stadt. Sie fahren mit ihrem Auto voraus, schalten die Warnblinkanlage an und geben uns somit Geleit. Vorbei geht es an einer halbverfallenen Werft, Abfall und Müllbergen, heruntergekommenen Gebäuden, von der Zeit zerfressenen Mauern, über verbogenen Schienen und durch löchrige Straßen. Eine Stadt wie wir es in Rumänien gewohnt sind. Hässlichkeit in absoluter Perfektion. Wir sehen somit die dunkle Seite von der Stadt Galati. Unzweifelhaft lebten wir die letzten Tage im Prachtviertel der Hafen und Industriestadt. “Von hier sind es nur noch 14 Kilometer bis nach Moldawien. “Moldawien ist ein sehr armes und nicht ungefährliches Land. Passt auf euch auf und fahrt mit euren Rädern nie in der Nacht”, warnt uns Aura. Da wir diese Warnung bald immer gehört haben wenn wir Moldawien erwähnten, nehmen wir sie ernst. Wir verabschieden uns von den Beiden und lassen unsere Räder auf einer viel versprechenden, Brett ebenen, sehr gut ausgebauten Straße zur Grenze gleiten.

Zweifel

In Gedanken versunken klebt mein Blick vor meinem Vorderrad auf dem Asphalt. Die Schattierungen der dunklen Fahrbahn sausen vorbei. “Ob es eine gute Entscheidung ist trotz all der Warnungen in dieses Land zu fahren? Wir könnten einen kleinen Bogen schlagen und wären sofort in der Ukraine”, geht es mir unaufhörlich durch den Kopf. Schon seltsam das man vor dem Unbekannten meist Angst hat. Warum ist das nur so? Die ewige Angst kontrolliert uns Menschen, macht uns unfrei und für Versicherungen und skrupellose Geschäftebetreiber einschätzbar. “Ich möchte zu gerne Moldawien kennen lernen, Angst hin oder her”, sage ich in den Fahrtwind. “Und was ist wenn euch die Mafiabanden ausnehmen von denen man euch berichtet hat”, warnt eine Stimme die ich meinem Unterbewusstsein zuschreibe. “Meinst du die überfallen wirklich friedliche Radfahrer”, entgegne ich in einer Art Selbstgespräch. “Durchaus möglich. Die Menschen dort sind so arm das sie alles gebrauchen können. Moldawien zählt nicht umsonst zu den ärmsten Ländern Europas”, plappert es in meinem Kopf. “Ich weiß nicht. Ich würde das Land gerne sehen. Die Menschen auf dieser Seite des Ufers warnen gerne vor der anderen Seite. Sie selbst sind immer besser als die anderen”, halte ich dagegen. “Ja, nur solltest du erkennen wenn es der Wahrheit entspricht”, erschrickt mich die Stimme. “Wir sollten also in die Ukraine und Moldawien auslassen?” “Unbedingt.” “Hm, ich weiß nicht. Ich würde das Land schon gerne sehen”, sage ich leise schnaufend den Asphalt noch immer an meinen Augen vorbeiflitzend sehend… “Was lässt du dir so einen Mist einreden? Bleib in deiner Mitte und besuche die die Länder die du besuchen möchtest”, vernehme ich plötzlich ganz klar die mir wohl bekannte Stimme von Mutter Erde. Obwohl unsere Kommunikation sich in letzter Zeit nur auf ein paar Sätze beschränkt, hatte sie jedes Mal Hand und Fuß. Schon immer waren die Aussagen von Mutter Erde ausschließlich positiv und zu hundert Prozent richtig. “Ich bin wie immer froh deine Stimme zu vernehmen. Du hast Recht. Der Zweifel den die Menschen mit ihren negativen Aussagen in mir geweckt haben hat mir fast etwas Angst eingejagt. Klar gehen wir nach Moldawien. Ich freue mich auf dieses Land von dem ich nur sehr wenig weiß”, antworte ich erleichtert und zuversichtlich. “Schön das zu hören. Freue dich. Halte deine Augen und Ohren offen, höre nicht auf deine negativen Gedanken und erlebe diese Welt”, schließt Mutter Erde die Unterhaltung.

Ehe wir uns versehen befinden wir uns auf moldawischem BodenAuf der rumänischen Seite der Grenze verläuft alles Reibungslos. “Drum Bun”, wünscht uns der Beamte eine gute Reise. Wir treten noch ein paar hundert Meter durch das so genannte Niemandsland der zwei Länder und erreichen die Moldawische Grenze. “Haben sie etwas zu verzollen?”, fragt uns der Beamte etwas ernst. “Was sollen wir als Radfahrer schon dabei haben? Da ist kein Platz in den Satteltaschen”, antworte ich freundlich. “Wie sieht es mit Devisen aus?”, will der Mann noch wissen. Wir beschaffen uns das Geld mit der Kreditkarte. Aber wir besitzen noch ein paar rumänische Lei. Können wir die hier tauschen?”, frage ich ihn. Er lächelt uns an. “Dort drüben”, sagt er und zeigt auf ein Gebäude. Ehe wir uns versehen befinden wir uns mit ebenfalls guten Reisewünschen in Moldawien. Mit etwas Geld in der Tasche bewegen wir unsere Roadtrains jetzt auf moldawischen Boden. Die Straße ist furchtbar schlecht und die Verkehrsschilder völlig verrostet und von Hand bemalt. Nur wenig hinter der Grenze endet die viel versprechende ebene Straße an einer gemeinen Steigung. Unter schweren Schnaufen schieben wir unsere Böcke nach oben. Autos scheint es hier kaum zu geben, denn in der letzten halben Stunde sind uns nur wenige begegnet. Ob das am Sonntag liegt? Oder gibt es in Moldawien wirklich so wenig Fahrzeuge? Das werden wir sicherlich in den nächsten Tagen herausfinden. Laut Karte bewegen wir uns auf einer echten Bundesstraße. Es ist eine der Verkehrsadern die wir auf der bisherigen Reise wegen dem Schwerlastverkehr immer versucht haben zu umgehen. Doch hier glauben wir uns auf einer der Nebenstraßen zu befinden. Der reinste Löcherstreifen tut sich vor unseren Reifen auf. Ab und an donnert ein Auto in irrwitziger Geschwindigkeit vorbei. Was, wenn dem ein Reifen platz? Die ersten Eindrücke sind gemischt. Auf dem Rücken der Erdrunzel haben wir einen letzten Blick zur rumänischen Seite. Eine dichte Wolkendecke trübt die Stimmung etwas. Wind bläst über eine versteppte Ebene. Rauchsäulen schrauben sich in den dunklen Himmel. Die Schlöte von Galati vernebeln mit ihren Abgasen die Sicht. Total verfallene Gebäude recken ihre Innereien anklagend in die Höhe. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Ich denke über Moldawien nach. Viel ist mir nicht bekannt nur das was ich gelesen habe. So weit ich weiß besteht dieses Land zum größten Teil aus einer flachwelligen Landschaft mit einer mittleren Höhe von 147 Metern. Für uns als Radfahrer sollte es dementsprechend machbar sein. Die Temperaturen im Sommer können maximal 40 Grad erreichen und im Januar minus fünf Grad. Durch die Einflüsse des Schwarzen Meeres wird das subkontinentale Klima etwas gemildert.

Die dominierenden Vegetationsformen sind Steppe und Waldsteppe. Ungefähr ein Drittel Moldawiens war einmal von Wäldern aus Buchen, Eichen und Hainbuchen bedeckt, die heute nur noch in einigen Gebieten im Zentrum des Landes gedeihen. Wegen der fruchtbaren Schwarzerdeböden wurden weite Bereiche in Kulturland umgewandelt. Kein Wunder das es heut nur noch wenige Wölfe gibt. Trotz der umfangreichen Bewirtschaftung leben hier noch bemerkenswerte Raubtiere wie die Wildkatze, Marderhund, Steppeniltis und Tigeriltis. Auch Nagetiere wie die Westblindmaus, Ährenmaus, Steppenbirkenmaus, Zwerghamster und Perlziesel finden hier ihren Lebensraum. Wenn wir jetzt so über die unbewohnten Berghänge treten frage ich mich wo die Menschen leben? Denn nur 46 % der knapp fünf Millionen Einwohner dieses Landes wohnen in den Städten. 778 800 davon in der Hauptstadt Chi?in?u, der große Rest auf dem Land.

Moldawien, eine ehemalige Republik der UdSSR, ist mit 33 700 km² über zehnmal kleiner als Deutschland. Nach meiner Planung liegen je nach Umwegen nur ca. 250 Kilometer vor uns bis wir Moldawien bei der Grenzstadt Dnestrovsc schon wieder verlassen, um in die Ukraine zu gelangen. Wenn wir also etwas über dieses kleine, bei uns fast unbekannte Land und den hier lebenden Moldauer, Ukrainer, Russen, Bulgaren und Gagausen erfahren wollen, müssen wir uns Zeit lassen.

In einem Dorf entdecken wir das erste Magazin. Während Tanja die Räder bewacht betrete ich es neugierig, um zu sehen was es hier zu kaufen gibt. Drei Frauen stehen an der Theke und drehen sich mit großen Augen zu mir um. Anscheinend haben sie hier noch nie einen Mann gesehen der in Papageienkleidung herumläuft. Ich lächle sie an, nehme den Radhelm und die Brille ab und sofort wird mein Lächeln verlegen erwidert. Der Mann hinter dem Tresen schenkt aus einer kleinen Zapfanlage einer der Frauen ein Bier aus. Das gefällt mir. Anscheinend ist es hier üblich, dass man gleich nach dem Einkauf sich mit einer Halben erfrischt. Das Warenangebot ist ähnlich wie in Rumänien. Etwas weniger vielleicht aber man bekommt alles was man zum Leben benötigt. Es gibt Süßgebäck welches man wie die Nudeln Grammweise kaufen kann. Bonbons und andere Süßigkeiten, ebenfalls per Gramm oder Stück. Ich entdecke einige Dosen mit Ananas, Fisch, Schwein, Pilzen, Mais und Babynahrung usw. Das einzige was ich vermisse sind frisches Obst und Gemüse. Das soll draußen auf den Straßen von Kleinhändlern angeboten werden. “Woher kommen sie?”, fragt uns ein Mann in gutem Englisch. Angenehm überrascht erzählen wir unsere Geschichte und erfahren, dass er einige Jahre in England gearbeitet hat. “Möchtest du etwas trinken?”, fragt er und zeigt auf die kleine Kneipe neben an. “Nein danke, Radfahren und Alkohol verträgt sich nicht. Ich würde bei der Hitze schon nach wenigen Metern aus dem Sattel kippen”, rechtfertige ich mich. Der Mann lacht und akzeptiert meine Entschuldigung. “Auf der Strecke von hier bis nach Vulcanesti liegen mindestens neun bis zehn Berge”, warnt er uns bevor wir wieder aufbrechen. Vorbei ist der Traum endlich mal auf einer geraden Strecke dahinradeln zu können.

Auf dem weiteren Weg werden wir von an der Straße trinkenden Männern eingeladen ihr Bier zu teilen. Wir heben grüßend die Hand und radeln weiter. Esel- und Pferdekarren sind uns treu geblieben. Ab und an überholen wir eines der ächzenden Gespanne. Um die Mittagszeit kaufen wir in einem Laden Brot. Da es keine Sitzmöglichkeit gibt einigen wir uns so lange weiterzufahren bis wir auf einen passenden Vesperplatz treffen. Kinder winken uns zu, freuen sich über die Abwechslung und unserem exotischen Anblick. Ohne Frage kommen wir uns hier wie frisch importierte Marsmännchen vor. Das Aufsehen, welches wir an jeder Ecke und auf jedem Meter verursachen, ist kaum zu beschreiben. Trotzdem reagieren die Menschen hier zurückhalten, schauen eher erst Mal weg nur um sich dann den Kopf zu verdrehen. Selbst die Insassen der Autos und Lastwägen winken und hupen was das Zeug hält. Ein Motorradfahrer fährt mit seinem Beiwagen gerade noch an einer Pferdekutsche vorbei, nur weil er eine Sekunde zu lange sein Haupt nach uns verdrehte. Es ist ein eigenwilliges Gefühl so derart im Mittelpunkt zu stehen. Egal wohin wir gehen oder wo wir stehen, es ist immer gleich. Schon in Rumänien vielen unsere Räder und unsere Outfits enorm auf aber mit hier ist das kaum vergleichbar.

In einem kleinen Park vor einem heruntergekommenen Haus finden wir eine heruntergekommene Bank. Ein geeigneter Ort für unsere Rast. Kaum machen wir es uns bequem kommen zwei kichernde Mädchen auf uns zu. Erst furchtbar scheu, aber dann sich ein Herz nehmend, sprechen sie uns an. “Do you speak english?”, fragen sie noch immer glucksend und kichernd. “Yes”, antworten wir freundlich. Mit Händen und Füßen beginnen wir eine sehr einfache Verständigung. Die Mädchen freuen sich offensichtlich ihre Englischkenntnisse an Fremden ausprobieren zu dürfen. Dann ziehen die Beiden feixend weiter. “Ich brauchen noch etwas Süßes”, sage ich zu Tanja nach einer Weile. “Ich schau mal in dem Laden da vorne. Da gibt es bestimmt etwas”, sage ich noch und gehe los. “Lass mich nicht so lange alleine!”, ruft mir Tanja hinterher. “Nein, Nein!” Kurz vor dem Magazin begegnen mir die kichernden Mädchen. “Hi, hi, hi, ha, ha, ha. Hiiiee, hiiiieee, hiiiee”, geht es in einer Tour. Sie bekommen sich kaum noch ein vor Lachen. “Das ist für dich”, sagt die eine sich zusammenreißend und feuerrot werdend. “Für mich?”, frage ich und nehme die Plastiktüte entgegen. Ich werfe einen Blick hinein und nun liegt es an mir verlegen zu werden. Brot, Kuchen, Tomaten und Gurken entdecke ich. “Oh, vielen Dank. Warum gebt ihr uns das?”, frage ich, doch für eine Antwort reichen unsere Sprachkenntnisse nicht aus. Das Mädchen nickt heftig mit dem Kopf, beginnt wieder zu kichern und läuft mit ihrer Freundin davon. Sofort mache ich mich zu unserem Vesperplatz zurück. “Man, du warst ja schnell”, sagt Tanja. “Ich brauchte keine Süßigkeiten kaufen. Die zwei kichernden Mädchen haben uns das geschenkt”, antworte ich und reiche Tanja die Tüte. Sprachlos sieht sich mich an. “Ja, weiß auch nicht was ich dazu sagen soll. Ist einfach unglaublich. Schenken sie uns doch einfach etwas Leckeres zum Essen”, sage ich und setze mich neben Tanja auf die Bank und lasse mir den mit Liebe gebackenen Kuchen munden. Es dauert nicht lange da tauchen wieder zwei Mädchen auf. Tatjana neun und Olga elf Jahre alt fragen uns ebenfalls ganz vorsichtig etwas auf Englisch. Dann verabschieden sie sich höflich. Es dauert jedoch wieder nicht lange und sie stehen erneut vor uns. “Das ist für dich”, sagt Tatjana und reicht Tanja einen Bobon. “Und das ist für dich”, sagt Olga und gibt mir einen Bobon. Ins Herz getroffen, von dieser Geste, stehen wir nun wirklich sprachlos da. Noch nie auf unseren Reisen sind wir von Kindern mit Süßigkeiten beschenkt worden. Im Gegenteil, egal wo und in welchem Land wir reisten, es war immer anders herum. Tatjana und Olga lachen uns freundlich an. Als wir die Bobons sogleich aus dem Papier wickeln und uns schmecken lassen glänzen ihre Augen. Was soll man dazu noch sagen? Ist das Moldawien? Anscheinend ein sehr schöner Teil davon. Schon in den ersten Stunden unseres Aufenthaltes werden wir von Kindern beschenkt und nicht von der Mafia ausgenommen. Fantastisch. Tanja öffnet eine Tüte mit Spirubären von Sanatur und lässt die Mädchen hineingreifen. Nun ist der Ausgleich geschaffen und das Eis völlig gebrochen. Wir unterhalten uns noch eine Weile und als wir aufbrechen zeigen uns die Beiden noch wo die Wegekreuzung nach Vulcanesti ist.

Sofort werden wir von einer ca. 135 Meter hohen Megasteigung empfangen. Da jetzt die Sonne wieder das Zepter in der Hand hat schieben wir bei 33 Grad im Schatten und 44 Grad in der Sonne unsere Böcke nach oben. Die eigenwillige Landschaft entlohnt uns für die Strapazen. Weinberge tauchen auf und füllen die Sicht bis zum Horizont. Offensichtlich befinden wir uns mitten in einem Weinanbaugebiet Moldawiens. Das Landschaftsbild wechselt sein Gesicht und auf einmal glauben wir das australische Outback vor uns liegen zu sehen. Die Ewigkeit, die sich ins Unendliche dahin ziehende kerzengerade Straße, die Hitze und Einsamkeit sprechen für sich. Tanja bekommt wieder leichte Knieschmerzen. Diesmal aber im anderen Knie. Wen wundert’s bei diesem Kraftakt. Mein Puls rast bis auf 173 hoch dann steige auch ich aus dem Sattel um zu schieben. Ein Fahrzeug kommt uns entgegen. “Wo geht es nach Galati?”, fragt der Fahrer auf Russisch. “Immer geradeaus bis zum Dorf und dann links. Du kannst es nicht verfehlen”, antworten wir dem freundlichen Russen, dem ersten auf dieser Etappe. “Russland wir kommen”, sagt Tanja lachend und sich darüber freuend zum ersten Mal unsere spärlichen Russischkenntnisse einsetzen zu können. “Da liegen noch viele Berge vor euch”, sagt er noch bevor er weiterfährt und sich verabschiedet. “Das schaffen wir schon”, antworten wir zuversichtlich.

Sieben Stunden nach unserem Aufbruch von Galati erreichen wir nach ca. 50 Kilometern und tatsächlich zehn Bergen eine Straßenkreuzung. “Laut Karte müssen wir rechts abbiegen”; sage ich. “Wir sollten besser jemanden fragen”, erwidert Tanja. “Wen denn? Ist doch kein Mensch weit und breit”, antworte ich. Ein völlig verrostetes Verkehrsschild hilft uns nicht weiter. Nichts mehr ist zu entziffern. Auch gibt es die Kilometersteine nicht mehr die in Rumänien bald an jeder Straße mit Kilometerangaben zur nächsten Ortschaft versehen sind. In diesem Land muss man sich auskennen oder eine sehr gute Karte besitzen. Unsere ist nicht schlecht aber viel zu ungenau. Trotzdem entscheide ich mich nach rechts abzubiegen. Von nun an bläst uns eine steife Brise in den Rücken. Zum ersten Mal seit Serbien das wir von starken Rückenwind voran geblasen werden. Mit ca. 23 Kilometer pro Stunde rasen wir nahezu ohne Anstrengung über den löchrigen Asphalt. Nur sehr selten donnert eines der Autos vorbei ansonsten haben wir schon seit Stunden keine Menschenseele mehr gesehen. “Denis nicht so schnell! Mein Knie macht das nicht mit!”, ruft Tanja. Mit nun 20 Stundenkilometern segeln wir auf dem Plateau ohne wesentliche Erhebungen dahin. ”Wenn der Wind bleibt sind wir bald in Vulcanesti!”, freue ich mich. Dann, nach sechs Kilometern entdecken wir zwei Menschen am Straßenrand. Sie essen Walnüsse die sie vom Boden aufgesammelt haben und sehen uns entgegen. “Da fragen wir sicherheitshalber noch mal”, meine ich und halte neben den Nussessern. “Nein, hier geht es nicht nach Vulcanesti. Die Straße hier führt in die Ukraine. Ihr müsst wieder zurück”, schockt uns die Antwort des Mannes. Tanja und ich sehen uns entsetzt an. “Scheiß Karte”, fluche ich und bin froh einen Schuldigen gefunden zu haben. Nun geht es erstmal sechs Kilometer gegen den Wind zurück. Insgesamt kostet uns dieser Umweg eine Stunde und den Verlust unserer Kräfte. Tanja tritt mittlerweile nur noch mit einem Bein ihr Bike voran. 60 Kilometer, davon ca. drei zu Fuß den Berg hinauf, insgesamt zehn Berge mit zehn Prozent Steigung, den Umweg von zwölf Kilometern und dann noch sechs davon gegen starken Wind, ist zuviel. Kein Wunder. “Unter dem Baum da vorne halten wir an und machen erstmal ein Pause. Vielleicht sollten wir uns hier einen Platz zum Campen suchen”, schlage ich vor. “Denis, ich habe fast kein Wasser mehr”, entgegnet Tanja etwas verzweifelt. “Ich habe noch genügend”, antworte ich. Doch als ich meine Wasserflaschen überprüfe sind sie nur noch halb voll. Weil wir kein anderes Wasser bekommen hatten füllte Tanja Mineralwasser in die Flaschen. Durch die Erschütterungen hat sich die Kohlensäure in den Flaschen so ausgedehnt, das der Druck die Hälfte des Wassers durch die Verschlüsse austreten hat lassen. Wir sitzen nun unter dem Baum, beraten über die Situation und essen erstmal den Kuchen, das Brot, die Tomaten und die Gurken der beiden Mädchen. Sie kommen mir in diesem Augenblick wieder wie geschickte Engel vor. “Ob es Engel wirklich gibt?”, geht es mir durch den Kopf. Tanja reibt ihr Knie mit einem Gel ein. “Geht es besser?”, frage ich. “Weiß noch nicht.” “Hätten wir genügend Wasser könnten wir hier bestimmt unser Zelt aufschlagen. Aber so? Wir benötigen dringend etwas zu trinken. Vor allem nach dieser Monsteranstrengung”, sinniere ich laut. “Ich weiß nicht ob es eine gute Idee ist gleich am ersten Tag in Moldawien wild zu campen?” “Ich denke der Ort hier fühlt sich gut an. Und sie dich um. Kein Mensch weit und breit. Wer sollte uns stören. Die Mafia bestimmt nicht und Sinti und Roma sind uns bisher auch noch nicht begegnet”, beruhige ich Tanja. “In Zukunft sollten wir für solche Fälle immer zwei Liter Wasser extra in meinen Anhänger laden”, meine ich nach einigen Denkminuten. “Wir sind froh wenn dein Anhänger leichter wird und nicht schwerer.” “Stimmt, aber Wasser brauchen wir und ich fühle mich schon seit Jahren nicht mehr so fitt wie jetzt. Der heutige Tag verlangt unseren Körpern viel ab, enorm viel. Wenn mein Rücken das schafft, und so wie es aussieht schafft er es, machen mir zwei Liter Wasser mehr oder weniger auch nichts aus”, denke ich laut. Nach einer Stunde geht es Tanja besser. “Können wir weiter?”, frage ich ein wenig besorgt. “Denke es geht wieder”, sagt sie zuversichtlich. Doch kaum das sie steht fährt ihr ein Ton des Schmerzes über die Lippen. “Was ist denn los?” frage ich erschrocken. Tanja ist in den ersten Sekunden nicht in der Lage zu antworten. Doch dann beruhigt sie mich. “Ein Krampf, ein verdammter Krampf!” Ich stütze sie eine Weile bis sich der Oberschenkelkrampf wieder löst. “Jetzt geht’s wieder.” “Bestimmt?” “Ja, glaube schon”, antwortet Tanja und wir besteigen unsere riese und müller. Weiter geht es mit ca. 10 Kilometer pro Stunde gegen den Wind. Tanja hängt dicht hinter mir, um meinen Windschatten auszunutzen. “Wie geht’s?”, frage ich öfter. “Viel besser. Die Pause hat mir gut getan”, erleichtert mich ihre Antwort. “Wir schaffen es. Ganz bestimmt. Jetzt schaffen wir es!”, rufe ich motivierend.

Nach 1 ½ Stunden sehen wir einen Funkturm. “Der gehört bestimmt zu Vulcanesti!”, rufe ich. Plötzlich geht es steil bergab. Die Stadt liegt in einem Tal zu unseren Füßen. Wir holpern ein paar hundert Meter über Kopfsteinpflaster und erreichen das Ortsschild. Ich halte an. Als Tanja da ist gebe ich ihr einen Kuss. “Du hast es geschafft. Gratulation. War eine große Leistung”, lobe ich und wir lachen. Die Stadt sieht völlige heruntergekommen aus, wie auch die Städte in Rumänien. Nur vielleicht noch etwas schlimmer. “Im Ortszentrum findet ihr ein Hotel”, sagt man uns. Die Menschen schauen uns nach als wären wir außerirdische Wesen. In Bars drehen sich alle Anwesenden nach uns um. Eigenartige Stimmung aber nicht unangenehm. Zwei russische sprechende Männer zeigen uns den Weg zum Hotel. “Das ist es”, sagt er und deutet auf eine heruntergekommenen Ostblockbunker der Superlative. Obwohl uns nach 73 Kilometern, 10 ½ Stunden unterwegs, 10 Bergen, und 20 Kilometer starkem Gegenwind alles recht ist fällt uns fast der Unterkiefer runter. So etwas haben wir auf unseren gesamten Reisen noch nicht gesehen. “Und das soll ein Hotel sein?”, fragt Tanja. “Hat er gesagt”, antworte ich. Kein Schild weist darauf hin das hier Menschen wohnen können. Der Russe führt mich in den Bau der eher wie ein verkommener Luftschutzbunker des zweiten Weltkrieges aussieht als ein Gästehaus. Im ersten Stock öffnet sich eine neue Glastür zu einer Rezeption die mich wiederum ins Staunen versetzt. Polierter, gefliester Boden, neue Möbel, ein Fernseher und eine Sitzecke lassen mein Herz höher Schlagen. Eine unfreundliche russisch sprechende Frau zeigt mir ein Zimmer, welches mich zum dritten Mal hintereinander sprachlos werden lässt. Ich betrete einen Bereich der eher wie eine Wohnung aussieht. Es gibt ein möbliertes Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und ein Bad mit Badewanne. Alles nagelneu und das in einem Luftschutzbunker ähnlichem Haus. Wer hätte das gedacht? Als ich nach dem Preis frage bin ich aber zum vierten Mal innerhalb weniger Minuten überrascht. “600 Lei”, sagt die Unfreundliche. Nach unserer Umrechnungstabelle sind das 75 Euro. Für ein so armes Land ein verblüffender Preis. Handeln ist nicht drin. “Njet”, höre ich und sehe ein energisches Kopfschütteln. Dann stellt sich heraus, dass es auch Zimmer für 400 Lei (50 Euro) gibt. Weil dieser Laden das einzige Hotel der Stadt ist und wir keine andere Wahl haben nehmen wir das kleinere Zimmer. Nachdem unsere Räder erstmal in einem schrecklich schmutzigen Raum, welcher als Lageplatz für Undefinierbares genutzt wird, verstaut sind und unsere Ausrüstung sich im Zimmer befindet, lasse ich mich erstmal aufs Bett fallen. Nach ein paar Verschnaufminuten nehme ich eine kalte Dusche. Heißwasser funktioniert gerade nicht.

Dann machen wir uns auf etwas Essbares zu suchen. In keinem der Bars oder Kneipen gibt es etwas zu Essen. Es gibt auch keine Speisekarte. In einer Gaststätte bietet man uns Pommes, Salat und Fleisch an. Trotz unserer geringen Russischkenntnisse wird es sogar serviert und wir sind über den Geschmack erfreut. Als Vegetarierin isst Tanja nur den Salat und die Pommes. Obwohl es bereits 20:00 Uhr ist sind die Temperaturen eher heiß. Wir stillen unseren unendlichen Durst mit Wasser und Bier und beobachten das Leben auf der Straße. Uralte Autos holpern vorbei. Autos die wir bisher nur im Film gesehen haben. Das Treiben hier an einem Sonntagabend ist für uns wie Kino. Die Menschen haben sich fein gemacht, schlendern auf dem breiten Gehweg entlang. Immer wieder werfen sie einen verstohlenen Blick auf uns. Ausländer sind auch hier die absolute Attraktion. Als wir später zu unserem seltsamen Hotel gehen entdecken wir eine Umrechnungstabelle vor einer Bank. Unsere Informationen waren völlig falsch. Laut der Tafel bekommt man hier für einen Euro nicht 8 sondern 16 Lei. Also für uns wirklich ein sehr günstiges Land, vor allem ein Land voller Überraschungen.

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