Mit unserer Leistung zufrieden
N 48°26'661 E 010°17'957''Tag: 19-21
Sonnenaufgang:
06:06 – 06:09 Uhr
Sonnenuntergang:
20:41 – 20:38 Uhr
Luftlinie:
28,69 Km
Tageskilometer:
44,02 Km
Gesamtkilometer:
525,20 Km
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt, 25% Schotter
Temperatur – Tag (Maximum):
29 °C
Temperatur – Tag (Minimum):
24 °C
Temperatur – Nacht:
9 °C
Breitengrad:
48°26’661
Längengrad:
010°17’957“
Maximale Höhe:
485 m über dem Meer
Aufbruchzeit:
10.00 Uhr
Ankunftszeit:
16.00 Uhr
Durchschnittsgeschwindigkeit:
13,73 Km/h
Der erste Tag an der Donau ist für uns wie die Fahrt durch eine Märchenwelt. Die zum Teil natur belassenen Auen, die bewachsenen Ufer, dichte Wälder, die bunte Vogelwelt, Schwäne die mit ihren Familien über das Wasser paddeln, die vielen Beschreibungen die für die Besucher und Radfahrer auf den Brücken angebracht sind und die Natur und Tierwelt erklären. Das Engagement der Naturschützer, Vereine und Gemeinden hier scheint vorbildlich zu sein.
Kurz vor Ulm studiere ich die Karte. “Was suchen sie?” fragt mich ein Radfahrer. “Wir wollen zum Ulmer Münster”, antworte ich. “Ach wissen sie was, bevor ich ihnen das lang und breit erkläre begleite ich sie hin. Ich habe Zeit. Ich bin Rentner und es bereitet mir Freude ihnen den Weg zu zeigen”, erklärt der freundliche Radfahrer der sich als Siegfried Speidel vorstellt.
Auch wenn ich in meinem Leben schon viele Tempel, Klöster, Pagoden, Pyramiden und andere heilige Gebäude bewundern durfte begeistert mich der mit 161,60 Meter höchste Kirchturm der Welt. Tanja und unser netter Stadtführer passen draußen auf die Räder auf während ich durch die beeindruckende Kirche wandle und einen gewaltigen Respekt vor der Leistung der damaligen Architekten verspüre. Als ich die Kirche wieder verlasse wir Tanja von zwei Journalisten interviewt die rein zufällig die anwesenden Touristen befragen. Als sie von unserem Projekt erfahren freuen sie sich über die unerwartete Geschichte. Herr Speidel zeigt uns noch das schiefe Haus im malerischen Fischer- und Gerberviertel. Eng aneinander gereiht und zum Teil über dem Wasser des Flüsschen Blau gebauten uralten Häuser vermitteln uns wie es hier vor hunderten von Jahren zugegangen sein muss. Zu gerne würden wir hier in einen der vielen einladenden Restaurants und Kaffees den Tag verbringen. Doch obwohl wir alle Zeit der Welt haben wollen wir noch heut den Zeltplatz in Dillingen erreichen. Wir verabschieden uns von unserem hilfsbereiten Stadtführer und strampeln unsere Zweiräder weiter die Donau hinunter.
Zum Glück ist uns heute die Sonne wieder gnädig gestimmt und strengt sich an dem August gerecht zu werden. “Gibt es hier einen Bäcker?” frage ich eine Frau die uns auf dem Fußweg entgegenkommt und eine Brötchentüte in den Händen hält. “Ja, noch ein paar hundert Meter weiter auf der linken Seite”, antwortet sie lachend. Wir kaufen uns in der kleinen Bäckerei von Thalfingen eine Vesper und legen an der nächsten Bank außerhalb der kleinen Ortschaft eine Rast ein. Eine Gedenktafel weißt auf das historische Fleckchen Erde hin an dem zum Beginn des 19 Jahrhunderts die Österreicher gegen Napoleons Truppen gekämpft haben. “Ist unglaublich was hier geschehen ist. Stell dir vor. Nachdem was da geschrieben steht sind an dieser Stelle 4000 Soldaten auf jeder Seiten in einem fürchterlichen Gemetzel gestorben”, sage ich andächtig. “Wusste gar nicht dass die Österreicher an diesem Teil der Donau waren”, meint Tanja. “Ich auch nicht”, antworte ich im Gedanken daran das wir auf Blut getränkter Erde stehen.
Müde verlassen wir den heute so friedlich aussehenden Hügel am Ufer des mächtigen Flusses. Nach unserem Plan wollen wir noch an diesem Nachmittag Dillingen erreichen. Dort gibt es einen Zeltplatz an dem uns Freunde besuchen wollen. Aber schon in Günzburg sind Tanja und ich todmüde. Ein Schild mit der Aufschrift: Camping ? Naturfreunde, verlockt uns schon hier unser Lager aufzuschlagen. “Was meinst du? Der Zeltplatz der Naturfreunde liegt vier Kilometer vom Radweg entfernt. Sollen wir dort hin fahren oder weiter nach Dillingen?” “Wie weit ist Dillingen?” will Tanja wissen. “Noch ca. 30 Kilometer. Schaffst du das noch?” “Du weißt dass ich es schaffe”, antwortet Tanja sichtlich angestrengt. Auf dem Weg durch Günzburg habe ich das Gefühl als würden meine Oberschenkel ihren Dienst versagen. Die Muskelschmerzen sind bald unerträglich und ich bemerke wie meine Konzentration nachlässt. Zitternd vor angehender Schwäche schiebe ich meine schwer beladene Maschine über den hohen Randstein. Wieder treffen wir auf ein Hinweisschild der Naturfreunde. Als ich daran vorbeifahre scheinen meine Gedanken diese Information an meine Beinmuskulatur weiterzugeben. Sie brüllen auf und ich glaube zu hören, dass sie im Chor Naturfreunde, Naturfreunde singen. Beim dritten Hinweisschild gebe ich auf und frage eine Frau nach dem genauen Weg. “Da bischt falsch!” brüllt die alte Dame mir ins Ohr, hält sich an meinem Lenker fest, worauf ich fast die Kontrolle über mein Gefährt verliere. “Du muscht da nauf fahra, dahanna rum, dann nomm, und über dr Berg nomm!” krächzt sie in ihrem bayrisch schwäbischen Dialekt. Als ich mich von ihr verabschieden möchte, hält sie mein Rad am Lenker krampfhaft fest und hämmert mir ins Ohr: “Isch nimmer weit. Bloß no drei Kilometer!” schockt mich ihre Antwort und meine Oberschenkel wimmern laut auf. “Vielen Dank”, antworte ich und bin im Begriff meinen Straßenzug von der Bordsteinkante zu rollen. Plötzlich schießt die Hand der schrillen Dame wieder nach vorne. Ihr Zeigefinger hämmert auf die Karte die an der Lenkertasche befestigt ist. Ziellos drückt der schwere Finger auf die sich nach unten biegende Tasche. “Hascht verstanda! Da nauf!” erschüttert sie mein Trommelfell worauf ich freundlich nicke und alle Kraft, die noch in meinen Knochen ist, aufwende um so schnell wie möglich die Flucht zu ergreifen.
20 Minuten später erreichen wir glücklich aber völlig erschöpft den Campingplatz der Naturfreunde. Eine gepflegte Wiese lädt dazu ein unsere Behausung aufzuschlagen. Nur ein paar Radreisende haben sich bis hierher durchgeschlagen. Wir tragen eine verlassen herumstehende Bank zu unserem Zelt, setzen uns darauf und trinken ein Bier was Tanja inzwischen von der nahen Kneipe geholt hat. Schon nach wenigen Schlucken steigt mir der Alkohol in den Kopf. Ein aufkommendes Gewitter lässt die letzten Sonnenstrahlen dramatisch durch eine schwarze Wolkenwand schimmern. Auch wenn wir heute keine großen Abenteuer erlebt haben, nicht von wilden Kamelbullen angegriffen wurden, oder gerade noch dem Auge eines Wirbelsturm entkommen sind, freuen wir uns diesen Lagerplatz erreicht zu haben und sind mit unserer Leistung zufrieden.