Magst du Schnaps?
N 39°31’48.9’’ E 112°48’06.4’’Datum:
31.10.2015 bis 02.11.2015
Tag: 125 – 127
Land:
China
Provinz:
Shanxi
Ort:
Shanyin
Breitengrad N:
39°31’48.9’’
Längengrad E:
112°48’06.4’’
Gesamtkilometer:
10.228 km
Maximale Höhe:
1.500 m
Gesamthöhenmeter:
6.011 m
Sonnenaufgang:
06:54 Uhr bis 06:56 Uhr
Sonnenuntergang:
17:30 Uhr bis 17:28 Uhr
Temperatur Tag max:
6 bis 9 °C
Temperatur Tag min:
minus 1°C
Platte Reifen gesamt:
8
Platte Vorderreifen:
2
Platte Hinterreifen:
5
Platte Anhängerreifen:
1
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
Am Abend sitzen wir wieder in dem kalten und ungemütlichen Hotelrestaurant. „Hast du Hunger?“, fragt Tanja. „Hätte die Schachtel Kekse heute Nachmittag nicht essen sollen“, antworte ich. „Dann bestellen wir halt nur eine Kleinigkeit“, sagt sie als sich ein Chinese an unseren Tisch stellt und umständlich versucht sich mit uns zu unerhalten. „Hast du verstanden was er von uns möchte?“, fragt Tanja. „Keine Ahnung. Ich glaube er will uns zum Essen einladen.“ „Meinst du wirklich?“ „Denke schon.“ „Wir können uns doch nicht einfach einladen lassen oder?“ „Ich vermute wir haben gar keine andere Wahl. Wenn wir ablehnen ist das vielleicht unhöflich. Abgesehen davon bekommen wir dann eventuell irgendwelche Spezialitäten wie die abgebildete arme Schildkröte da in der Speisekarte, oder die armen fetten Kröten dort im Terrarium oder Hühnerbeine, Innereien vom Schaf- Ziege- Schwein oder sonstigen Kreaturen.“ „Hör nur wieder auf. Also was machen wir?“ „Wir zeigen ihm in unserem Sprachführer, dass wir kein Glutamat vertragen und Vegetarier sind.“ „Ist mir irgendwie unangenehm unsere Wünsche zu äußern.“ „Du hast die Wahl.“ „Okay, okay, ich mag keine Schildkröten die man in ihrem Panzer lebendig ins kochende Wasser geworfen hat“, sagt Tanja und zeigt dem Mann, der noch immer geduldig neben uns steht, dass wir kein Fleisch essen. „Hen hao“, (sehr gut) sagt er, nimmt sich die Speisekarte, ruft die Bedienung und spricht mit ihr eine ganze Weile. „Ein Jammer, gerade heute habe ich keinen Hunger“, flüstere ich. „Wenn du es nicht schaffst wird sich Ajaci riesig darüber freuen.“, antwortet Tanja. Plötzlich verschwindet der freundliche Chinese im Separee neben an. „Ob er jetzt was für uns bestellt hat?“, wundert sich Tanja. „Warten wir’s ab“, sage ich als wenige Minuten später ein Gericht serviert wird. Ich freue mich, dass unser Gönner nur ein Mahl geordert hat, da jongliert die Kellnerin schon zwei weitere Speisen auf den Tisch. „Puh, wer soll denn das alles essen?“, frage ich mich. Wir packen unsere Essstäbchen aus, mit denen ich in der Zwischenzeit sogar in der Lage bin einzelne Erdnüsse sicher in meinen Mund zu bugsieren, da tragen die kräftigen Arme unserer Bedienung einen schweren Topf mit dampfender Suppe heran. Mir kommt es so vor als bauen die Chinesen nicht nur zwölfspurige Straßen in menschenleeren Gegenden, sondern tischen, wohl wissend, dass hier nur zwei kleine Menschlein sitzen, für eine ganze Mannschaft auf. Ein weiterer Teller mit gerösteten Erdnüssen findet seinen Weg auf unseren Tisch. „Das müssen wir unbedingt stoppen“, meine ich jetzt sichtlich nervös werdend. „Wie willst du das stoppen?“ „Weiß nicht, aber so kann es nicht weitergehen.“ Zum Glück scheint die Essensflut ein Ende gefunden zu haben. „Denke du solltest dich mit ein paar Flaschen Bier bei unseren Nachbarn bedanken“, schlägt Tanja vor. „Meinst du?“, frage ich etwas unwillig, weil ich müde bin und keine Lust auf anstrengende Kommunikation, noch dazu auf Chinesisch, empfinde. „Meine ich wirklich“, lässt mir Tanja keine Ruhe. Minuten später raffe ich mich auf, um die Chinesen im Separee neben uns mit einem freundlichen „Ni hao“, (Guten Tag) zu begrüßen. „Ni hao! Ni hao!“, rufen sie begeistert, springen von ihren Stühlen auf und empfangen mich als wäre ich der lang erwartete Ehrengast. Von allen Seiten stürmen Stimmen und Fragen auf mich herein. Mit dem besten Chinesisch, was auch hier nicht verstanden wird, Zeichensprache und allem was in mir steckt, versuche ich zu antworten. „Sie ist der Laoban“, (Chef) „Wie der Boss?“, versuche ich zu fragen und erfahre, dass die einzige Chinesin hier am Tisch, die Inhaberin des Hotels ist, in dem wir wohnen und der Mann der uns eingeladen hat, ihr Freund.
„Magst du Schnaps? Komm stoß mit mir an.“ „Äh, eigentlich nicht. Na gut, nur einen Kleinen.“ „Gambei“, (Prost) fordert mich mein Gegenüber auf mit ihm das Gläschen klirren zu lassen. „Gambei“, (Prost) antworte ich. „Oh er spricht Chinesisch. Er kann Gambei sagen“, plaudern sie begeistert. Auf einmal wollen alle mit mir nur einen kleinen Schluck trinken und aus meinem Mund das „Gambei“ hören. Tanja hat indes den Einfall die Gerichte, die man uns ausgegeben hat, auf den Tisch der Gesellschaft zu stellen. Mit großem Jubel wird ihre Geste honoriert. „Und ihr seid mit dem Fahrrad von Deutschland bis nach China gefahren?“, verstehen wir. „Shide“, (Ja) antworte ich nickend und überreiche des guten Anstands wegens meine chinesische Visitenkarte. „Katdsör“, liest der Mann stockend und zückt sofort sein Smartphone. „Was hat er gemeint“, fragt Tanja. Ich glaube er hat Katzer gelesen“, vermute ich. Plötzlich jubelt er laut, reicht mir sein Smartphone, auf dessen kleinem Display Tanja und ich mit den beladenen Rädern zu erkennen sind. „Wie ist das möglich?“, frage ich. „Erinnerst du dich an die Journalisten die uns vor einigen Wochen auf der Straße interviewten? Das ist ein chinesischer Artikel über uns“, ist Tanja überzeugt. Nach dieser Erkenntnis ist kein Halten mehr. Jetzt sind wir, zumindest an diesem Tisch Stars. „Gambei! Gambei! Gambei!“, klingt es unaufhörlich. „Gambei“, erwidere ich mit dem besten aufrechten Lachen welches ich noch drauf habe. Insgeheim aber verfluche ich Tanjas gut gemeinte Idee, mich an diesen Tisch gesetzt zu haben. „Qing zhaopian“, (Bitte ein Foto) verstehen wir. Jeder möchte nun einzeln und in Gruppen mit uns abgelichtet werden. Es dauert eine Weile bis alle acht Anwesenden jegliche Art der machbaren Fotokonstellationen in seinem Smartphone gespeichert hat. Kaum ist die umfangreiche Session beendet heißt es: „Chi, chi, chi.“ (Esst, esst, esst) Der Tisch ist bis zum brechen voll mit Gerichten aller Art. Es gehört anscheinend zum guten Ton immer viel übrig zu lassen. Immer wenn wir ein Restaurant aufsuchen, und das ist jeden Tag, sehen wir wie Chinesen viel zu viel bestellen. Am Ende lassen sich die Meisten von ihnen das Übrige in Plastikbeuteln zum Mitnehmen einpacken. „Gambei Denis!“, ruft mir mein Gegenüber wieder zu. „Ich kann nicht mehr“, versuche ich abzulehnen.
Dann löst sich die Gesellschaft schlagartig auf. Chinesen bleiben in der Regel nicht zu einer geselligen Runde sitzen. Wenn sie mit dem Mahl fertig sind wird bezahlt und gegangen. „Kommt bitte mit“, fordern uns die Hotelchefin und ihr Lebensgefährte auf. Eigentlich dachten wir jetzt in unser Zimmer gehen zu können, jedoch scheinen wir uns getäuscht zu haben. „Wir müssen noch unser Bier bezahlen“, sagt Tanja und bittet mich zu warten. „Und? Mussten wir tatsächlich noch eine Rechnung begleichen?“, frage ich Minuten später der Chefin und ihrem Freund in ihre private Wohnung folgend. „100 Yuan.“ (14,47 €) „100 Yuan? Waren die Bier so teuer?“ „Nein, aber unser Gastgeber hat uns für ein Gericht eingeladen und nicht für alle Speisen die er bestellt hatte.“
In der Wohnung werden wir durch einen kargen Empfangsraum geleitet, der die Nüchternheit eines chinesischen Restaurants besitzt. In einem kleinen Raum wird das Licht angeknipst. „Hier ist unser Meditationsraum sagt die Chefin auf die goldenen Buddhastatuen deutend. „Hen hao“, (Sehr schön) antworten wir, nicht so recht wissend warum man uns hierher gebracht hat. Die Inhaber des großen Hauses reichen uns ein paar Räucherstäbchen, die wir, wie es der Brauch verlangt, in eine der Opferschalen vor den Figuren stecken. Dann stehen wir da und fragen uns wie es jetzt weitergeht. „Ich bin sehr müde“, meint Tanja und bittet höflich darum uns verabschieden zu dürfen. „Shide“, (Ja) antworten die Gastgeber und wünschen uns mit den Worten: „Wanshang hao“, einen schönen Abend…
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