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Mongolei/Ulan Bator Link zum Tagebuch TRANS-OST-EXPEDITION - Etappe 4

Luxus ? Gegensätze – Überleben

N 47°55'30.4'' E 106°55'33.6''
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    Tag: 103-111

    Sonnenaufgang:
    06:43 – 06:54 Uhr

    Sonnenuntergang:
    18:44 – 17:57 Uhr

    Gesamtkilometer:
    14283.01 Km

    Temperatur – Tag (Maximum):
    15 °C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    7 °C

    Temperatur – Nacht:
    -5 °C

    Breitengrad:
    47°55’30.4“

    Längengrad:
    106°55’33.6“

    Maximale Höhe:
    1350 m über dem Meer

Es sind unzählig viele Kleinigkeiten die den Menschen der westlichen Industrienationen das Leben erleichtern. Nur weil wir die Annehmlichkeiten ständig um uns haben schätzen wir ihren enormen Wert nicht mehr. Wir empfinden unseren hohen Lebensstandard als völlig normal. Doch die meisten Menschen auf der Welt leben anders. Millionen unserer Erdenbürger hausen unter erbärmlichen Verhältnissen. Eine Schüssel Reis, um den immer währenden Hunger zu stillen, ist für sie der absolute Luxus. Nach jeder Reise stellen wir immer wieder fest wie verwöhnt wir doch sind und wie dankbar wir sein sollten für das was wir haben. Die Wohnung in Ulan Bator ist für uns also ein kleines Paradies. Nach den Entbehrungen der letzten Wochen und Monaten genießen wir den Luxus von heißem Wasser aus der Leitung. Ein Vollbad in der Badewanne ist ein Wohlgenuss und für einen Großteil der sibirischen und mongolischen Bevölkerung undenkbar und unerreichbar. Viele der hier Lebenden besitzen nicht mal genügend sauberes Wasser zum trinken. Auch wenn das Wasser leicht trüb die Leitung verlässt schätzen wir seine Geruchsneutralität. Selbst das ist wegen alten und teils maroden Leitungen und schlechten Kläranlagen usw. nicht unbedingt üblich. Ich freue mich darüber, dass das Leben spendende Nass den Hahn nicht als kleinen Rinnsaal verlässt, sondern in einem kräftigen Strahl herausplätschert und nicht nach zwei Minuten kalt wird. Selbst als ich nach meinem Bad den Stöpsel ziehe und das jetzt schmutzige Wasser im Abfluss verschwindet, und nicht den Boden des Bades überschwemmt, ist ein Anlass zur Freude. “Ist schon unglaublich welche Kleinigkeiten einen Menschen fröhlich stimmen können”, geht es mir durchs Gehirn. Endlich dürfen wir eine europäische Toilette nutzen und müssen nicht über einem stinkenden Loch, welches sich außerhalb des Haus befindet, kauern. Selbst das Toilettenpapier hat keine Verwandtschaft zu Schmirgelpapier. Tanja ist erleichtert nicht am Boden knien zu müssen, um in unserem kleinen Ortliebbecken mit kaltem Wasser die Kleidung zu schruppen. Hier wirft sie einfach alles in die Waschmaschine. Wir freuen uns darüber in keinen feuchten, vom Schimmel befallenen Räumen hausen zu müssen, sondern in trockenen, beheizten und sauberen Zimmern. Es ist wunderbar, dass sich hier die Tapeten nicht wie bei einer zu lange gekochten Kartoffel von den Wänden pellen, das die Deckenbeleuchtung funktioniert, die Glühbirnen ihren Job machen, die Steckdosen in Takt sind und keine unisolierten Strom führenden Kabel herum liegen, die dafür sorgen einen Menschen frühzeitig ins Nirwana zu schicken. Auch Sauberkeit ist kein gewöhnlicher Luxus. In dieser Unterkunft kleben keine Kaugummis unter den Stühlen oder neben dem Bett auf der Heizung. Es gammelt kein verschimmeltes Obst oder Gemüse unterm Schrank. Einfach fantastisch. Selbst das Grundbedürfnis Sicherheit wird in so mancher Bleibe nicht gewährleistet. Es ist ein Traum seinen Pass einfach auf das Nachtischchen zu legen, die Kamera im Wohnzimmer und den Computer auf dem Tisch stehen zu lassen, ohne Angst haben zu müssen, das nach einem kurzen Verlassen der Bleibe alles geklaut ist. Auch Ruhe trägt zum Wohlbefinden und Energietanken bei. So manche Unterkünfte befinden sich neben Diskotheken, über Gasträumen in denen Musikboxen bis früh um vier Uhr hämmern, neben stark befahrenen Hauptstraßen, Eisenbahnlinien, am Flughafen, neben Baustellen usw. Die Liste der sich addierenden Unannehmlichkeiten, die einem Reisenden im Laufe der Zeit widerfahren, ist geradezu unendlich und doch ist es fast ein wenig dekadent, darüber zu sprechen, denn das Welt-Ernährungs-Programm (WEP) berichtet in seiner World Hunger Map. über eine chronische und bedrohliche Unterernährungsquote der mongolischen Bevölkerung von durchschnittlich 43% und einer sehr hohen Kindersterblichkeit. Von 1000 Neugeborenen sterben 58 im Säuglingsalter. Dachte ich immer, dass solche Zustände hauptsächlich in Afrika, Asien und manche Länder in der Karibik vorherrschen, so sind wir überrascht zu erfahren, dass seit 2001 die Menschen dieses wunderbaren Landes zu den permanent und schwer unterernährtesten Menschen unseres gesamten Planenten gehören. Der Grund sind unter anderem extreme Kälte, katastrophale Dürren und Heuschreckeninvasionen die in manchen Jahren zehn Millionen Nutztieren das Leben gekostet haben.

Wir sitzen am Frühstückstisch und genießen frisches Obst, Müsli, Toast und Tee. “Schau mal. Dort unten bauen sie zwischen den Häusern Jurten auf”, sage ich interessiert aus dem Fenster sehend. “Ob es Nomaden sind die vor dem nahenden Winter in die Stadt flüchten?”, wundert sich Tanja. “Wahrscheinlich”, antworte ich und lasse meinen Blick über die Stadt zu den angrenzenden Bergen gleiten, an dessen Hängen tausende von Jurten wie Pilze aus dem Boden sprießen. Ca. 30 % der Bevölkerung dieser Stadt leben erst seit einigen Jahren hier. In der Tat sind sie vor Naturkatastrophen und dem Hunger aus den Steppen nach Ulan Bator geflohen, um Schutz zu suchen den sie hier kaum bekommen. Arbeit zu finden ist anscheinend äußerst schwer. Ungefähr 40 % der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Die meisten von ihnen haben nicht mehr als 22.000 Tugrik (10,55 Euro) im Monat zur Verfügung. Nach Aussagen der Regierung benötigt ein Mensch aber mindestens 30.000 Tugrik (14,38 Euro) um überleben zu können. Eine giftig aussehende Smokedecke wabbert über der Jurtenstadt, unter anderem gefüttert von den unzähligen Feuern der vielen Behausungen der Nomaden. Da es oftmals kein Brennmaterial gibt sind die Menschen gezwungen alles zu verheizen was sie finden. Plastik, alte Autoreifen und sonstiger Müll gehören dazu. Im Winter, so hat man uns berichtet, ist die Luftverschmutzung so dramatisch, dass man vor lauter Smoke kaum die gegenüberliegende Straßenseite erkennt. Wissenschaftliche Untersuchungen sind schon lange alarmierend, denn sie zeigen, dass die Knochen der modernen Städter vierzig- bis hundertmal mehr Blei enthalten als jene der mumifizierten ägyptischen Pharaonen. Man geht davon aus dass die Schwermetalle, die im Blutkreislauf der heute lebenden Menschen zirkulieren, oftmals eine verborgene Ursache für körperliche und geistige Krankheiten sind.

Um 10:00 Uhr holt uns Gambold ab, um das Ticketoffice aufzusuchen. Weil die Aeroflot für unsere Räder 11,- Euro (ein Monatseinkommen der Armen dieses Landes) pro Kilogramm an Übergepäck verrechnet und nach der Zwischenlandung in Moskau der Übergepäckpreis ein zweites Mal bezahlt werden muss, wollen wir mit der Mongolia Airline fliegen. “Tut mir leid aber für die kommenden zwei Wochen sind alle Flüge ausgebucht”, hören wir. “Aber die Korean Airline hat noch Plätze frei und ihre Fahrräder kosten je nur 70,- Euro. Sie müssten allerdings über Seoul fliegen.” “Seoul? Das liegt doch 2.000 Kilometer südöstlich von hier?”, frage ich. “Ja, der Flug nach Seoul dauert knapp drei Stunden. Dort haben sie zwei weitere Stunden Aufenthalt und dann geht es wieder zurück in Richtung Deutschland. Das heißt die Reise dauert acht Stunden länger als mit der mongolischen Airline”, erklärt die Reiseverkehrskauffrau. “Aber bei der MIAT sind alle Flüge ausgebucht?” “So ist es”, hören wir. “Na dann auf nach Korea. Im Vergleich zum Radfahren ist das Fliegen doch ein Klacks”, meint Tanja.

Nachdem wir den Flug gebucht haben suchen wir Kartons in die wir unsere riese und müller verpacken können. “Am besten wir gehen in ein Fahrradgeschäft. Die haben bestimmt Kartons”, sage ich. “Wir haben hier in Ulan Bator keine Fahrradgeschäfte. Und wenn Fahrräder importiert werden kommen sie unverpackt aus China. Wir können es aber mal im größten Kaufhaus der Stadt versuchen. Dort gibt es fast alles”, antwortet Gambold.

Tatsächlich finden wir im vierten Stock des Kaufhauses eine Radabteilung in der die Billigware aus China ausgestellt ist. Wie Gambold aber schon prophezeite gibt es keine Kartons. In der Bekleidungsabteilung werden wir allerdings fündig und entdecken in einer Ecke ein paar große, mit Bauschutt gefüllte Schachteln. Nachdem wir den Schutt rausgeklaubt haben, dauert es nicht lange und zwei Arbeiter tragen uns die Kartons für 2.000 Tugrik (1,- Euro) auf die Straße. Dort organisiert Gambold einen Kleinlaster der die 2,30 Meter langen Verpackungen für 6.000 Tugrik (2,87 Euro) zu unserer Bleibe transportiert.

Zwei Tage baue ich aus den zerstörten Kartons eine passende Behausung für unsere riese und müller. “Jetzt sollte ihnen auf dem langen Flug nichts zustoßen”, sage ich stolz auf meine Arbeit. Obwohl wir uns für die Auflösung der vierten Etappe unserer Trans-Ost-Expedition einige Tage Zeit nehmen reicht sie kaum aus, um alles zu erledigen was wir uns vorgenommen haben. Alleine die Erkundigungen für unser Visa, welches wir im kommenden Jahr für unsere Pferdeexpedition und Überwinterung bei den Zaatans benötigen, gestalten sich als umfangreicher als erwartet. Wir suchen die Chefin des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) auf, telefonieren mit der deutschen Botschaft, sprechen mit einer angestellten der amerikanischen Botschaft, die sich für uns einsetzen möchte, nehmen Kontakt zu einem Reiseveranstalter auf und treffen uns mit Togtoch. “Uns wird schon etwas einfallen. Ich bin mir ganz sicher, dass ihr eure Expedition nächstes Jahr durchführen könnt”, meint sie mit viel Zuversicht.

Die Innenstadt von Ulan Bator ist großzügig angelegt und zum Teil interessant. Auf unseren täglichen Exkursionen zum Postamt, Airline Office, dem DED, der Botschaft usw., queren wir den imposanten Suchbaatar-Platz an dem sich das beeindruckende Parlamentgebäude und die Oper befinden. Der krasse Gegensatz von Reichtum und bettelarm ist hier unter anderem zu erkennen wenn man an den zum Teil offenen Abwasserschächten vorbeiläuft. Wie bald in allen Ländern des Ostens fehlen die Gullideckel. Jeder Fußgänger ist zur Aufmerksamkeit gezwungen. Träumen kann hier in der Tat tödlich enden. Neugierig sehen wir in den einen oder anderen Schacht. Sie sind mit Müll gefüllt. “Gestern habe ich einen Mann dort unten schlafen sehen. Er lag auf all den Flaschen und Abfall und hatte nur einen abgerissenen Mantel als Decke”, meint Tanja. Immer wieder beobachten wir Kinder in verlumpter Kleidung die irgendetwas sammeln. Viele der Armen besitzen nur kaputte Schlappen in denen ihre nackten Füße stecken. In der kalten Jahreszeit leben in den Heizungstunneln von Ulan Bator 4.000 bis 10.000 Kinder. Nach manchen Aussagen müsste aber hinter diesen Zahlen eine weitere Null stehen. Das Unvorstellbare ist, dass diese armen menschlichen Wesen sich den dunklen Lebensraum mit Millionen von Ratten teilen müssen und der Boden dieser Tunnel mit Exkrementen bedeckt ist. Nachdem wir jetzt wissen, dass unter den Gehwegen eine unterirdische Stadt existiert, in der unzählige leidenden junge Menschen hausen, verfolgt uns ein ständiges schlechtes Gewissen wenn wir ein Restaurant aufsuchen, um unseren Hunger mit guter Nahrung zu stillen. Tanja hängt bald jeden Tag einen Beutel mit Essen vor einen der Schächte und es dauert nicht lange bis er im Untergrund verschwunden ist.

Natürlich habe ich nicht die Absicht das Ende unserer fantastischen, erlebnisreichen und wunderbaren Reise negativ zu gestalten. Ganz im Gegenteil sind wir sehr guter Dinge. Wir sind stolz auf uns es geschafft zu haben und glücklich darüber gesund zu sein. Wir durften ungeheuer viel lernen, beobachten und verstehen. Wir durften mitfühlen und uns mitfreuen. Trotzdem wollen wir nicht nur auf der Oberfläche eines Landes und der Mutter Erde reisen, sondern tiefer gehen. Wir wollen ein Teil sein von allem was ist. Wir wollen das Land und seine Bevölkerung verstehen, inhalieren und begreifen. Und genau deswegen gehören auch ein paar Fakten dazu die nicht immer erfreulich sind. Als Botschafter und Dokumentaristen von Mutter Erde haben wir die Verpflichtung eine objektive, nicht ver- oder beurteilende Reisedokumentation niederzuschreiben. So besitzen unsere Erlebnisse, unsere Geschichten und Erfahrungen nicht nur sonnige sondern auch schattige Seiten. Aber wir wollen auch nichts überdramatisieren. Wir leben auf einen wunderbaren schützenswerten Planeten der von Menschen, Tieren und Pflanzen bewohnt wird die alle ein Recht darauf haben zu überleben. Wir sind auf einem Planeten geboren den Tanja und ich Mutter Erde nennen oder von Erdwissenschaftlern nach der alten griechischen Mutergöttin Gaia benannt wird. Gaia ist wie ein Superorganismus zu betrachten der ähnlich wie unser Körper funktioniert. Ein Superorganismus dessen Herz schlägt. Einen Superorganismus der weit entfernt davon ist als tot bezeichnet zu werden. Unsere Mutter Erde ist eine lebende Kreatur deren empfindliche Haut mit Wäldern, Wiesen und Blumen bewachsen ist, deren Adern die Flüsse sind, deren Atmung das Auseinander driften und Zusammenziehen der Landmassen ist. Hundertzwanzigmillionen Jahre dauert diese Phase, jedoch ist Zeit relativ, denn was für uns ein winziger Bruchteil einer Sekunde ist, ist ein ganzes Leben für ein Atomteilchen, genauso wie das Dasein der Erde nur ein Sekundenbruchteil im Leben der Gestirne und Galaxien bedeutet. Weil wir miterleben wie die Natur um uns stirbt, sollten wir alle erkennen, dass Mutter Erde lebt, denn was nicht lebt kann nicht sterben. Wir sollten Mutter Erde wieder als Quelle der schöpferischen und geistigen Energien verehren. Ähnlich wie es die australischen Aborigines getan haben bevor der weiße Mann sie umbrachte. Wir Menschen, die Natur und Mutter Erde bedeuten eine Einheit. Etwas untrennbares Ganzes. “Wenn die Erde krank und verschmutzt ist wird Gesundheit für uns Menschen unmöglich. Um uns selbst zu heilen müssen wir unseren Planeten heilen”, hat ein Aborigine gesagt.

Durch die Umweltverschmutzung nehmen wir Einfluss auf die Atmosphäre und die Magnetfelder der Erde und somit stören wir den Stoffwechsel von Gaia. Die Auswirkungen sind nicht überschaubar aber das was wir bisher auf der Welt gesehen haben erschreckt uns zu tiefst. Immer mehr stellen Tanja und ich fest wie unzertrennlich unsere Seele, unser Geist und unser Körper mit Mutter Erde verbunden sind. Immer mehr stellen wir fest, dass alles was wir unserem Superorganismus antun, letztendlich und unmittelbar uns selber antun. Anfänglich sind nur wenige von uns betroffen, jedoch wächst die Zahl der leidenden Menschen geradezu enorm. Sie sind ein Teil der Bevölkerung geworden auch wenn sie nachts in Tunneln verschwinden.

Unsere Reisedokumentationen sollen Freude bereiten. Sollen eine Mischung aus realen Abenteuern, Geschichten, Lust am Leben und Fakten sein. Sie sollen aber auch darauf aufmerksam machen wie fragil unsere Lebensplattform ist und das jeder von uns dazu beitragen kann die negativen Ausmaße zu lindern. Damit unsere Kinder morgen noch Bäume sehen und Vögel zwitschern hören.

Wir freuen uns über Kommentare!

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