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Russland/Samara

Kloster als Etappenziel

N 53°12'02.1'' E 050°06'00.8''

An unserem voraussichtlichen letzten Tag der Etappe Zwei regnet es ohne Unterbrechung. Mit acht Grad plus ist es nicht sehr kalt. Der Verkehr ist wie es einer Millionenstadt gebührt, einfach furchtbar. Fisch und Schnapsverkäufer stehen am Straßenrand unter einfachen Unterständen. Sie bieten ihre Waren an. Manchmal wird auch das in Russland beliebte Schaschlik gegrillt. Rauch steigt von den einzelnen Grillstationen auf. Hungrige Autofahrer stehen unter einer Plastikplane und verzehren ihr Schaschlik. Auch sie winken uns zu. Vorsichtig radeln wir durch die Nebelsuppe. Hier sind wir nur noch wenige Kilometer von der Wolga entfernt. Ob es deswegen wieder so schrecklich nass ist? Der Fahrbahnrand, speziell der weiße Begrenzungsstreifen, ist höllisch glatt. “Pass bloß auf das du darauf nicht wegrutscht!”, rufe ich Tanja zu, um den Verkehrslärm zu übertönen. Auf den letzten Kilometern müssen wir auf unsere Emotionen achten. Nicht das sie uns kurz vor Ziel durchgehen und wir vor lauter Übermut noch einen Fehler machen. Trotz des Sauwetters brausen wir am Rande des Verkehrsflusses bestens gelaunt dahin. Ich könnte in einer Tour jubeln und meine Freude in den Himmel rufen. Kälte, Regen, Verkehr, egal uns macht das nichts mehr aus. Auf einmal taucht aus der Nebelwand das Ortsschild von Samara auf. Der Schriftzug ist in metergroßen weißen Buchstaben auf einer riesigen Mauer angebracht. “Wir sind da!”, rufe ich. “Ja, wir haben es geschafft!”, höre ich Tanjas Stimme.

“Lass uns auf die andere Straßenseite gehen. Dort an der Tankstelle können wir im Schutz des Daches unser Ankunftsfoto schießen”, schlage ich vor. Dann errichten wir das Stativ, befestigen unsere Leica darauf, betätigen den Zeitauslöser und lachen befreit und glücklich in das Blitzlicht. Der Tankwart beobachtet uns und lacht ebenfalls. Alsdann geht’s in die Stadt. Wir folgen dem von Hand gezeichneten Plan des Armeniers unserer letzten Unterkunft und erreichen ohne jeglichen Zwischenfälle das Kloster Iwerekiie. Es befindet sich direkt an der Wolga unweit vom alten Stadtzentrum. Ein paar vorbeilaufende Kinder helfen uns die Räder über die Schwelle des Holztores zu schieben und urplötzlich sind wir wirklich da angekommen wo wir hinwollten. Weil es ein Frauenkloster ist macht sich Tanja auf, um unsere Ankunft zu melden. Ich steh in freudiger Erwartung im Regen und putz schon mal den Schmutz von den Taschen. Weil wir am heutigen Tag den schlimmsten Regentag auf dieser Etappe erleben strotzen unsere Räder vor Dreck. Während ich da so vor mich hinputze kommen ein paar Nonnen vorbei und fragen woher wir kommen. Ich antworte. Keine von ihnen scheint von uns je gehört zu haben. Mir wird langsam kalt. Dann höre ich mit dem Putzen auf. Könnte sein das wir weiter müssen und alles wieder schmutzig wird. Außerdem frieren mir die Finger bald ab. Um mich warm zu halten beginne ich jetzt auf und ab zulaufen.

Endlich, nach einer halben Stunde, kommt Tanja wieder. “Ich habe nichts erreicht. Keiner weiß bescheid”, glaube ich nicht richtig zu hören. Enttäuschung ist im Begriff sich in mir auszubreiten. Dann kommt der Gedanke an ein schönes warmes Hotelzimmer hoch. Eigentlich auch nicht so schlecht. Ich würde zwar lieber hier bleiben und unsere Reise an solch einem beschaulichen Ort zu Ende gehen lassen aber wenn es nicht anders sein soll? In diesem Augenblick schreitet ein Mönch in Begleitung einer Nonne und einem in ziviler Kleidung angezogenen Mannes vorbei. “Sprechen sie Englisch?”, möchte der Mann in Zivil wissen. “Ja”, antworte ich freudig und erkläre, dass wir Freunde des Kloster Marta si Maria in Moldawien sind. “Eine Cousine einer Nonne in Moldawien ist hier Sängerin. Wir sind eingeladen worden hier bleiben zu dürfen, um unseren Heimflug zu organisieren und ein paar Dinge hier zu lassen”, erkläre ich. Der Mann übersetzt sogleich. Ein kurzes Gespräch beginnt. “Warten sie einen Moment bitte. Wir klären ob sie bleiben dürfen und wo wir sie unterbringen”, meint der etwa 40 Jahre alte Mann der einen graumelierten langen Bart und Zopf trägt. “Welcher Religion gehören sie an?”, möchte der Priester plötzlich wissen. “Wir sind Protestanten.” “Protestanten?”, sagt er und schließt die Augen. Tanja und ich blicken uns an. So wie es aussieht mag er Martin Luther nicht besonders. “Folgen sie bitte der Nonne und den beiden Herren”, sagt der Mann und deutet auf eine ältere in Schwarz gekleidete Nonne und zwei junge Männer die neben Tanja stehen. Ich erfahre, dass sich Tanja auf der Suche nach einem Verantwortlichen mit den beiden Männern schon unterhalten hat. Der eine heißt Michael und ist Fotograf und der andere ist der Holzschnitzer namens Maxim. Während jetzt Tanja auf unsere Räder aufpasst zeigt mir die Nonne ein einfaches Zimmer in dem sich neben zwei Betten auch ein Stockbett befindet. “Da dürft ihr bleiben”, übersetzt Michael der ebenfalls gut Englisch spricht. Dann zeigt sie mir wo wir die Räder und Anhänger unterstellen dürfen. Maxim und Michael helfen uns die Ausrüstung ins Nonnenwohnhaus zu bringen.

“Wenn sie fertig sind würden wir sie gerne im Speisesaal begrüßen”, werden wir und auch Michael von der Nonne zum Essen eingeladen. Maxim verabschiedet sich derweil von uns weil er gerade an einem Kirchenstuhl schnitzt. So wie es aussieht sind wir genau zur passenden Zeit hier angekommen. Wieder können wir unser Glück kaum glauben. Gerade eben noch klatschnass und frierend auf der Straße, noch dazu in einer fremden Großstadt Russlands und jetzt sitzen wir mit anderen Nonnen des Klosters und einem englisch sprechenden Fotografen in einem warmen Speisesaal. Somit haben wir ein Dach über dem Kopf, etwas Warmes zu essen und einen Übersetzer. “Hurra! Einfach fantastisch wie uns Fortuna hier zuspielt. Aber wahrscheinlich hat es nichts mit Glück zu tun sondern etwas mit der Energiewelle die wir gerade surfen. Eine Welle der positiven Energie. Eine Welle die uns mit “Allem was ist” vereint”, meine ich leise zu Tanja gerichtet.

Hungrig essen wir, wie auch schon im Moldawischen Kloster, mit den Nonnen und Schwestern und freuen uns darüber endlich wieder mal keine Nahrung aus der Mikrowelle in unsere Mägen zu bekommen. Es gibt eine richtige Bortsch mit Fisch und Sahne, Kartoffelpüree und gebackenen Fisch. Dazu frische Milch. Danach verschlingen wir Pfandkuchen mit Honig und kleine Fruchtkuchenstückchen. Alles wieder sehr lecker. Während des Gastmahles erfahren wir von Michael, dass er heute zum ersten Mal hier im Kloster ist. “Ich habe mir nur die Schnitzarbeiten von meinem Freund Maxim angesehen. Die soll ich nächste Woche für seine Webseite fotografieren”, erklärt er leise, weil man in dem Kloster während des Essen nicht viel reden darf.

“Wenn ihr wollt fahre ich euch nach dem Essen mit meinem Auto zu einem Ticketbüro”, bietet uns Michael an. “Du bist wohl vom Himmel gefallen, um uns zum richtigen Zeitpunkt helfen zu können”, scherze ich. “Es bereitet mir große Freude solch interessanten Menschen wie euch helfen zu können. Man trifft ja nicht jeden Tag Radfahrer die von Deutschland bis hierher fahren”, entgegnet er grinsend.

Wenig später befinden wir uns in einem großen Büro. Keiner der Anwesenden spricht nur ein Wort Englisch. Michael fragt sich durch und es dauert nicht lange bis wir vor der richtigen Frau sitzen. Wir reservieren zwei Returnflugtickets von Samara nach Nürnberg. Morgen wird die resolute Dame hinter ihrem Schreibtisch erfahren ob Lufthansa unsere Räder transportiert, was sie kosten und ob sie verpackt werden müssen. “Ich rufe morgen Früh hier an und kläre das für euch ab”, meint unser Engel.

Wieder im Kloster dusche ich in der Badewanne unsere gesamte, vom Regen völlig versaute, Ausrüstung, die Anhänger und die Räder ab und mache sie für den Transport fertig. Abends sitzen wir dann in unserem einfachen aber sauberen Zimmer und wundern uns was der heutige Tag an fantastischen Erlebnissen gebracht hat. Um 21:00 Uhr klopft es an die Tür. Eine Nonne namens Katja steht davor und reicht uns einen Wasserkocher, eine edle Teemischung und eine leckere Tafelschokolade. “Komm doch bitte herein”, sagt Tanja sich über die Gaben herzlich bedankend. Katja setzt sich zu uns an den kleinen Tisch und stellt uns viele interessierte Fragen. Wir erzählen ihr einen Teil unserer Geschichte der sie mit Staunen lauscht. Dann muss sie gehen. “Bitte kommt doch morgen zu mir ins Zimmer. Ich möchte euch zu einer Tasse Tee und Kuchen einladen”, sagt sie schüchtern und verabschiedet sich.

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