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Russland/Balakowo

Kalter Nieselregen

N 51°56'40.2'' E 047°48'09.8''

Auch heute nieselt es wieder bei um die zwei Grad plus. Bevor wir uns in das Sauwetter begeben essen wir erstmal Spiegeleiern und wie so üblich in den einfachen Restaurants, in der Mirkowelle aufgewärmte Nudeln. Viel mehr gibt es hier an diesem Morgen auch nicht. Dann geht es raus in die Kälte. Wegen unseren gestrigen Erfahrungen sind wir schon von Beginn an richtig angezogen. Auch tragen wir jetzt beide dicke Neoprenüberschuhe und beginnen nicht gleich in der ersten Stunde zu frieren. Erst als unsere Kleidung wieder von innen und außen durchgehend feucht wird kriecht die Kälte hoch.

Leichter und jetzt noch dazu eiskalter Gegenwind macht uns das Vorankommen nicht einfach. Die Landschaft wirkt in dem allumfassenden Grau trist. Einerlei sozusagen. Egal wo wir hinsehen, alles ist graubraun oder braungrau. Der Raureif von gestern ist weggetaut. Trotzdem ist es kalt. Lustlos trete ich meinen Bock nach vorne. Denke an unser Ziel. Ob wir es noch vor dem Schneefall schaffen werden? Meine Gesichtshaube sitzt mittlerweile über der Nase. Somit habe ich nicht ständig das Gefühl sie könnte mir wegen der Kälte einfach abfallen. Der kondensierende Atem schlägt sich als weißer Reif auf dem Material nieder. Im Rückspiegel sehe ich Tanja wie auch sie ihr Ross nach vorne treibt. Ihr Atem steigt wie heißer Dampf unter ihrem Helm in die Atmosphäre. Wegen der heutigen langen Distanz und vor allem wegen der niedrigen Temperaturen können wir keine Rast einlegen. Sobald wir stehen bleiben, um ein wenig zu verschnaufen, beginnen wir sofort zu frieren. Somit sind wir gezwungen ständig in Bewegung zu bleiben. Nur jetzt keinen Platten fahren, geht es mir durch den Kopf. Das wäre in der Tat eine sehr unschöne Situation. Aber was soll’s? Warum denke ich über einen platten Reifen nach? Wir hatten bisher nur einen und werden nicht gerade jetzt bei dieser Kälte wieder einen fahren. Mein Blick klebt auf dem Tacho. Erst 55 Kilometer. Es fällt mir schwer mich für weitere 45 Kilometer zu motivieren. Dann sehe ich wieder auf ein abgeerntetes Feld neben mir. Gleichförmig zieht es an uns vorbei. Wieder geht mir das Wort Einerlei durch den Kopf. Einer wie das Lei und Lei wie der Eine. So ein Schmarren. Aber einerlei ist es hier in der Tat. Alles bleibt gleich. Die Farben sind unverändert graubraun oder braungrau. Vielleicht ein wenig schwarzbraun oder ist es eher braunschwarz? Ohne Zweifel wirkt die Landschaft auf mich monoton, einfarbig eventuell zweifarbig. Die Strukturen vereinen sich zu einer matschigen Ebene. Der Dauernebel oder sind es tief liegende Wolken lassen die Erde Russlands in einer identischen Gleichförmigkeit ersticken. Auf einmal fühle ich mich verloren. Verloren in einem nicht enden wollendem Land. Ein Land das gerade eben beginnt in einem tiefen Winter einzutauchen. Einen Winter den wir in Deutschland nicht kennen und vielleicht auch nicht kennen lernen wollen. Nicht weit weg von hier beginnt Sibirien und soweit ich weiß liegt dort in einigen Bereichen die mittlere Januartemperatur bei minus 48,9°C. “Wuhaa ist das kalt”, sage ich mich schüttelnd. Wenn ich bedenke, dass wir im Augenblick vielleicht gerade mal 0°C haben und der Extremwert in Sibirien bei minus 67,8 C liegt ist es jetzt eigentlich richtig heiß dagegen. “Denis halt mal kurz an!”, reißt mich Tanjas Stimme aus meinen kalten Gedanken.

Nach vier Stunden ununterbrochenem Treten trinken wir etwas Apfelsaftschorle. Eigentlich viel zu kalt zum trinken aber Durst haben wir trotzdem. Dann vertilgen wir über den Lenker gebeugt noch einen der letzten Müsliriegel von Rapunzel und bevor unsere Hände steif frieren strampeln wir weiter.

Die Dämmerung hat schon lange eingesetzt als wir nach 96 Kilometern eine Straßenkreuzung erreichen. Bis zur Stadt Balakowo sind es noch mal ca. zehn Kilometer. Direkt neben uns befindet sich eine Reparaturwerkstatt mit Ersatzteilverkauf. “Ich frage mal nach ob die zufälligerweise auch Betten zum übernachten anbieten”, meine ich und hatsche mit meinen dicken Neoprenüberschuhen wie ein Frosch in das Haus. In der Tat war mein Riecher richtig. Die haben doch glatt schöne kleine Zimmer für die Lastwagenfahrer. Wir entscheiden uns augenblicklich zum Bleiben. Unsere Räder kommen in das Ersatzteillager während wir in eines der sauberen Zimmer einziehen. Die Besitzerin stellt uns sogleich einen Heizstrahler hinein. Oh wie das gut tut. Einfach fantastisch. Ich nehme mir vor nie auf die Hitze zu schimpfen. Obwohl der Sommer teilweise gnadenlos war und nicht lange zurückliegt sehnen wir uns schon wieder danach. Wir ziehen unsere nassen und kalten Radklamotten vom Leib und springen unter die heiße Dusche. “Jaaahhhhaaa!”, rufe ich und jubiliere über den wunderschönen heißen Wasserstrahl. “Märchenhaft! Himmlisch! Phantastisch!”, jauchze ich weiter, gleichzeitig beeindruckt wie schnell man sich über solch einfache Dinge wie heißes Duschwasser erfreuen kann.

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