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RED EARTH EXPEDITION - Etappe 1

Jo kommt mit heiler Haut davon

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    Tag: 44

Herz-Camp — 24.06.2000

Nach 8 Tagen Zwangsaufenthalt geht es heute endlich weiter. Ich kann vor lauter Aufregung nur schlecht schlafen. Vor uns liegt eine 140 Kilometer lange Strecke mit Zäunen und den beschriebenen Rindergittern. Außerdem die noch ungeklärte Frage, ob unsere Sättel nun endlich passen. Um 10 Uhr hängen wir die ‚L-Rahmen’ an die Kamelsättel. Das Einklinken der ‚L-Rahmen’ verursacht völlig neue, für die Kamele noch nie gehörte Geräusche. Goola reißt dabei seine Augen weit auf und setzt vor lauter Angst einen riesigen Haufen hinter sich. Auch Hardie reagiert wie immer mit Panik, rutscht auf seinen zusammengebundenen Knien hin und her und versucht ständig aufzuspringen. Dabei setzt er Sebastian unter Stress, der ebenfalls nervös reagiert und ständig aufbrüllt als würde ihn jemand zum Schafott führen. Es kostet uns viel Geduld und Nerven die Kamele fertig zu beladen.

Ich beschäftige mich gerade mit Sebastian als Jo nach mir ruft. “Ja, okay komme gleich,” antworte ich, schließe einen Riemen und laufe zu ihr. “Fühle doch mal Istans Schulter,” sagt Jo und zeigt mir die Stelle. Vorsichtig und behutsam, jedoch mit leichtem Druck lasse ich meine Hände durch Istans dichtes Fell gleiten. Plötzlich fühle ich eine kinderhandgroße, harte Druckstelle. Istan reagiert sofort, reißt sein Maul auf und gibt einen Laut des Schmerzes von sich. “Mein Gott, das sieht überhaupt nicht gut aus!”, sage ich, worauf Jo nickt. “Ich kann es nicht fassen, dieser verdammte Bomber (Sattelkorb aus Stahl)!”, rufe ich, knie mich auf den Boden und nehme mein Gesicht in beide Hände. Meine Gedanken rasen und mir ist klar, nun eine Entscheidung treffen zu müssen. Diese Verletzung kann sich bei einem Weitermarsch zu einem gewaltigen Problem entwickeln und langfristig gesehen Istan außer Gefecht setzen. Vor allem, wenn er nach einer achttägigen Rast immer noch solche Schmerzen hat und wir ihm den gleichen ausladenden Sattel mit der Küchenbox auf seinem Rücken laden. Der Sattel wird ihn auf die Entzündung drücken und somit hat seine Schulter keine Chance der Heilung. Mir ist klar, dass der von Verne gebaute Sattel wie ein Schiff im Sturm auf seinem Rücken hin und her schwankt und sich genau dadurch diese Verletzung entwickeln konnte.

“Wir können nicht aufbrechen. Ganz im Gegenteil. Istan benötigt ab sofort drei Mal am Tag eine entzündungshemmende Medizin und vor allem brauchen wir auch für ihn einen umgebauten Sattel und einen L-Rahmen,” sage ich traurig und deprimiert. “Du hast recht Denis, ich würde genauso entscheiden,” antwortet Jo mit tröstenden Worten. Innerhalb weniger Augenblicke ist eine Entscheidung getroffen. Petro wird Jo nach Goomalling zurückbringen. Während sie die noch fehlenden Satteltaschen näht, wird er einen weiteren L-Rahmen schweißen. Doch bevor die beiden uns verlassen, wollen wir die drei bereits vorhandenen, neuen Rahmen an den Kamelen testen. “Lass uns sehen wie unsere Tiere damit zurechtkommen!”, sage ich.

Der Augenblick der Wahrheit kommt. Wir lösen die Hoppeln und die Beinseile und wie erwartet springen unsere Wüstenschiffe explosionsartig in die Höhe. Nach wenigen Atempausen gibt Jo das Kommando: “Kamele – Walk up!” Extrem nervös setzt sich der Zug in Bewegung. Sebastian drückt wie eine Lokomotive nach vorne. Jo hat Schwierigkeiten ihn zu halten. Die neuen L-Rahmen klappern unangenehm. Plötzlich bricht Hardie aus, kann den Stress nicht mehr ertragen und versucht zur Seite durchzugehen. Dabei drückt er Sebastian seinen Nacken in den Hintern welches diesen wiederum veranlasst einige Bocksprünge zu veranstalten. Wie auf Kommando geht der Kamelzug durch. Chaos bricht aus und Sebastian schleudert jetzt seine Vorderfüße wie Ambosse durch die Luft. Jo entgeht seinen Tritten nur um Zentimeter. Wie eine Sprinterin rast sie, Sebastian immer noch an der Nasen und Führungsleine haltend, nach vorne. Sebastian und die anderen vier wildgewordenen Kamele setzen ihr wie ein Wirbelwind hinterher. “Wuna! Wuna! Wuna!”, rufe ich um die Kamele zu beruhigen und muss hilflos zusehen wie Jo fast überrannt wird. Wie ein Wiesel schlägt Jo einen Haken, führt dadurch Sebastian in einen Bogen und alle anderen wild springenden Kamele folgen ihr. Hardie kracht mit seiner Ladung in einen Baum, kann sich wieder befreien und weiter geht der höllische Tanz. Augenblicke später, nach einem weiteren von Jo gelaufenen Kreis beruhigen sich die nervös schnaubenden Tiere. “Auf jeden Fall wissen wir, dass die Ladung hält!”, ruft Jo lächelnd. Tanja und ich sind wie immer froh, sie an unserer Seite zu wissen, denn Jo behält selbst in solchen Situationen ihren erfrischenden Humor. Nach wenigen Verschnaufminuten für Mensch und Tier begeben wir uns mit der Karawane auf das nahe, offene Feld. Jo und ich wechseln uns mit der Führung der Tiere ab, um zu sehen ob die Ladung richtig sitzt und die ‚L-Rahmen’ irgendwelche Schwachstellen aufweisen. Nach einigen Runden müssen wir eingestehen, dass einige nicht lang genug sind und dadurch die Packtaschen im Schulterbereich der Kamele zu stark hin- und herschaukeln. Wieder im Camp angekommen lassen wir den Zug absetzen. Grübelnd sehe ich mir die Rahmen von Hardie, Goola und Jafar an und komme zu dem Schluss alle, je nach Größe des Kamels, zwischen 10 und 25 Zentimeter zu verlängern. “Kein Problem, Mate!”, sagt Petro mit seinem sympathischen Lachen. Bereits eine Stunde später sind alle Rahmen und Istans Sattel auf Petros Jeep geladen. “Bis bald!” Ruft Petro und während uns Jo vom Beifahrersitz zuwinkt verschwindet der Landcruiser in Richtung Goomalling.

WIR ENTSCHEIDEN UNS DIE ZWANGSPAUSE ZU GENIESSEN

Tanja und ich setzen uns erst mal ans Campfeuer. Wir können es nicht glauben welche Konsequenzen die falsche Beratung einiger unwissenden Kamelmänner für uns jetzt hat. Wäre es nach Jo und Tom gegangen hätten wir von Beginn an afghanische Packsättel benutzen sollen. Laut ihrer umfangreichen Erfahrungen sind das die geeignetsten Packsättel für Kamelexpeditionen. Da jeder dieser Sättel um die 40 Kilo wiegt, waren wir dagegen. Auch haben uns besagte Kamelmänner davon abgeraten. Leider wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass diese Menschen nicht die geringste Ahnung von Expeditionen und den damit verbundenen Ladungsproblemen haben. Wir wurden eindeutig falsch beraten und müssen jetzt aus eigenen schmerzhaften Erfahrungen lernen. Aber es hilft uns auch nicht Trübsal zu blasen. Wie auf jeder Expedition gibt es ständig neue Aufgabenstellungen, die es zu lösen gilt. Wäre es nicht so – dann wäre es keine Expedition. Alles was wir hier tun ist zum größten Teil völlig neu für uns und genau das ist einer der wirklich interessanten Momente dieses Lebens. Wir entscheiden uns also nicht ärgerlich, traurig, aggressiv oder genervt zu reagieren, sondern die Tatsachen so hinzunehmen wie sie eben sind. Wir können sowieso nichts daran ändern. Also genießen wir nun den verlängerten Zwangsaufenthalt hier bei Cleary und Leben unser Leben im australischen Busch. Und ehrlich gesagt geht es doch genau darum! Oder?

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