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E-Bike-Expedition Teil 2 Mongolei - Online-Tagebuch 2015

Inferno der Nässe und wie in einem Mad Max Film

N 44°35’42.1’’ E 110°16’19.6’’
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    Datum:
    04.09.2015

    Tag: 68

    Land:
    Mongolei

    Ort:
    Khamariin Khiid

    Breitengrad N:
    44°35’42.1’’

    Längengrad E:
    110°16’19.6’’

    Tageskilometer:
    54 km

    Gesamtkilometer:
    9.095 km

    Luftlinie:
    37 km

    Durchschn. Geschwindigkeit:
    22 km/h

    Maximale Geschwindigkeit:
    35 km/h

    Fahrzeit:
    2:26 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt sehr gut

    Maximale Höhe:
    1.000 m

    Gesamthöhenmeter:
    3.870 m

    Höhenmeter für den Tag:
    173 m

    Sonnenaufgang:
    07:03 Uhr

    Sonnenuntergang:
    20:13 Uhr

    Temperatur Tag max:
    20 °C

    Aufbruch:
    11:20

    Ankunftszeit:
    15:30

    Platte Reifen gesamt:
    3

    Platte Vorderreifen:
    1

    Platte Hinterreifen:
    1

    Platte Anhängerreifen:
    1

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Die Frau, die für den Empfang der Gäste und die Sauberkeit der Zimmer zuständig ist, hilft Tanja beim Heruntertragen der Satteltaschen. Während ich die Räder lade, kommt Roman vorbei, der seinen mit Melonen vollgeladenen Minibus neben dem Hotel geparkt hat. Er möchte uns zum Abschied unbedingt eine weitere Wassermelone schenken. „Vielen Dank Roman aber wir haben keinen Platz um sie zu laden“, lehnen wir ab. „Na dann bekommt ihr eine wenn ihr wieder von Khamariin Khiid zurück kommt“, antwortet der sympathische junge Mann lachend.

Es regnet leicht. Eine dichte Wolkendecke hat sich über Sainschand gelegt und lässt das gestern noch in der heißen Wüstensonne schwitzende Städtchen plötzlich trostlos und grau erscheinen. Die Temperatur ist auf 15 °C gefallen. Sicherlich kein guter Radtag aber wir wollen heute das buddhistische Kloster Khamariin Khiid erreichen, neben dem auch ein großes Energiezentrum sein soll. Zum ersten Mal sind die Straßen vom Regen glatt. Es fühlt sich an als hätte ich sich ein Schmierfilm über den Asphalt gezogen. „Wir müssen verdammt aufpassen nicht zu stürzen!“, rufe ich Tanja zu. Die Straße sieht schlimm aus. Pfützen, Risse, Spalten und Erdverwerfungen zwingen uns zu einer regelrechten Zickzackfahrt. Immer wieder drehe ich mich um und versuche einen Blick auf meinen Hinterreifen zu werfen. Die schlechte Griffigkeit des Reifens erschreckt mich regelrecht. „Wenn wir in den Winter kommen wird das mit der Bereifung eine echte Rutschpartie“, meine ich mich vorsichtig durch den Verkehr bewegend. Als wir über eine Erhebung holpern, erreichen wir nach ca. drei km das Zentrum der Stadt. Hier ist zu erkennen, wo die 25.000 Einwohner leben. Eine ganze Reihe von Hotels bieten Zimmer in verschiedenen Kategorien an. Hätten wir das bei unserer Ankunft gewusst und noch etwas Energie in unseren Akkus gehabt, wären wir hier sicherlich besser untergekommen. Ein Taxifahrer hupt mich an. Vor Schreck hätte ich fast meinen Lenker verrissen. Hektisch deutet er auf meinen Hinterreifen. Was der wohl von mir will? Vielleicht ist ja doch etwas mit meinen Hinterreifen und ich habe mir die Glätte nur eingebildet? Kurz entschlossen halte ich an, stelle das Rad auf den Ständer und kann es nicht glauben. Ein Platten. „Ich habe einen Platten!“, rufe ich Tanja zu. „Oh nein.“ „Oh doch“, antworte ich. Gemeinsam schieben wir meinen Bock über den steilen Bordstein und stellen ihn neben einem Laden ab. Es nieselt noch immer, was meine Laune nicht gerade hebt. Eine Gruppe Schulkinder kommt vorbei. Die zwei Europäer sind für sie eine fantastische Abwechslung. Aufgeregt reden sie durcheinander, fachsimpeln über die Räder und um zu prüfen ob alles echt ist wird alles angefasst. Indes entladen wir mein Rad vollständig und legen die Satteltaschen neben dem Ladengeschäft auf einen Haufen. Wegen der Scheibenbremse und der Rohloffnabe ist der Ausbau des Hinterreifens etwas tricky. Um ihn besser rauszubekommen, schraube ich das Schaltauge ab, und damit die Kette nicht im Dreck lieg, befestige ich sie mit einem Kabelbinder am Rahmen des Delites. Weil ich vor jeder Radreise bei Riese und Müller mithelfe und geschult werde die Expeditionsräder aufzubauen, bin ich in der Lage die meisten kleineren Reparaturen selbst durchzuführen. Die investierte Zeit in den Werkshallen ist Gold wert und hat mir schon auf den letzten 20.000 Radkilometern viel Kopfschmerzen erspart.

„Warum muss ein Platten immer im Hinterreifen sein?“, ärgere ich mich. Der Ladenbesitzer und zwei seiner Freunde gehen mir umgehend zur Hand. Bevor ich einen neuen Schlauch einsetze untersuchen wir den Mantel auf Fremdkörper. Es ist nichts zu finden. Ich nehme einen neuen Schlauch, ziehe ihn ein und mit Hilfe meiner Mitstreiter ist das Rad schnell wieder zusammen gebaut. „Ih bajrlalaa“, (Vielen Dank) bedanke ich mich, dann eine Stunde später, setzen wir unsere Reise fort. „Immer gerade aus“, weist uns ein Mann die Richtung. Als wir die Stadt hinter uns gelassen haben rutschen wir über eine glitschige und matschige Lehmpiste. Sperrschilder warnen vor der Weiterfahrt. „Ihr seid hier falsch. Wenn ihr nach Khamariin Khiid wollt müsst ihr in die Stadt zurück und beim Kreisverkehr rechts abbiegen“, erklärt ein freundlicher Straßenarbeiter. Nach zehn Kilometer Umweg passieren wir die Moutstation an der Autofahrer für die nagelneue Asphaltstraße bezahlen müssen. Weil es immer mehr zu schütten beginnt schlüpfen wir in unsere Regenkleidung. Kaum verschwindet das Kassenhäuschen im Rückspiegel öffnet der Himmel seine Schleusen. Erst noch verhalten, aber von Minute zu Minute hämmert es mehr vom Himmel. Nach 20 Minuten gibt die professionelle Regenkleidung auf, worauf sich das unangenehme Nass einen Weg durch unsere Unterwäsche bahnt. Mittlerweile ist der Spaß vorbei – wenn es jemals einer war. Die Wüste geht im schlimmsten Niederschlag unter den wir seit dem Jahre 2005 erleben. Auf der gesamten Strecke von Deutschland bis in die Mongole haben wir solch einen Wolkenbruch noch nie erlebt. Reißende Sturzbäche bahnen sich ihren Weg durch das flache Land und fressen tiefe Schluchten in den Sand. Links und rechts neben dem Asphaltstreifen versinkt die Gobi in einem Inferno der Nässe. Jetzt nur keinen Platten, bete ich. Weil Radfahrer anscheinend meistens von Gegenwind gepeinigt werden peitschen uns auch zu dieser Stunde die Tropfen ins Gesicht. Es fühlt sich so an als würden uns tausend Nadeln stechen. Als sich der erste Bauchkrampf meldet erschrecke ich regelrecht. „Nein, bitte nicht. Keine Bauchkrämpfe. Nur keine Bauchkrämpfe“, sage ich vor mich hin, als mich auch schon die nächste Attacke anfällt. Das ist tatsächlich der falsche Augenblick.

Der von Menschenhand geschaffene Teerstreifen zieht sich über ein paar Erhebungen. Wenn es nach oben geht strömt uns das Wasser entgegen. Somit erklimmen wir einen breiten, flachen Fluss. Gerne möchte ich das Naturereignis fotografieren aber diese Aktion würde die Kamera zerstören. Indes versuche ich aber mit der kleinen, wasserdichten GoPro-Kamera, die am Lenker befestig ist, die Szene festzuhalten. Bei der späteren Auswertung stellt sich allerdings heraus, dass der aggressive Regen die Optik der Kamera völlig überschwemmt, so dass man kaum etwas erkennen kann. Mittlerweile schlucken wir das Wasser. Es rast vom Helm übers Gesicht in den Mund. Dann fließt es in den Kragen, egal wie hoch ich den gezogen habe. Bei Tanja rinnt der Sturzbach sogar aus ihren Schuhen wieder nach draußen. Der Himmel scheint uns verschlucken, ja regelrecht fressen zu wollen. Wie kämpfende Dämonen verzahnen sich die schwarzen Wolkentürme ineinander und blicken grimmig auf uns herab. Urplötzlich attackiert mich ein weiterer Bauchkrampf. „Stopp!“, brülle ich gegen den Regen, damit Tanja, die sich in meinem Windschatten duckt, genügend Zeit bekommt um ihren Roadtrain abzubremsen. Erst dann ziehe ich meine Bremse und stelle das Bike auf den Ständer. Wie es der Zufall will haben wir über einer Betonröhre gestoppt, die das Wüstenwasser unter der Straße durchleitet. Ich springe in die Röhre, die glücklicher Weise gerade wenig Wasser führt. Etwas später setzen wir unsere nasse Fahrt fort. Nach einer Stunde ziehen die bösen Wolken weiter und benetzen uns nur noch mit ihrem Nieselregen. Auf einer Höhe blicken uns riesige Kamele gelangweilt entgegen. Ihnen hat der Dauerwolkenbruch anscheinend wenig ausgemacht.

Nach 2 ½ Stunden und 54 km erreichen wir das Kloster. Keine Menschen oder Touristen sind zu sehen. Liegt wahrscheinlich an dem schrecklichen Wetter. Neben dem Kloster sind unzählige Jurten errichtet. Die ersten Sonnenstrahlen beleuchten die Filzpilze die zum übernachten einladen. Vor einigen ist ein Schild angebracht, auf dem mit dem Schriftzug Hotel geworben wird. „Das ist also die örtliche Hotelanlage“, scherze ich. Wir lassen unsere E-Bikes durch den Matsch rollen und stoppen vor einem der Camps. „Kommen sie! Kommen sie!“, ruft einer der Jurtenbesitzer, während uns ein paar andere zuwinken besser bei ihnen zu nächtigen. Der Konkurrenzkampf ist zu dieser Jahreszeit anscheinend erbarmungslos. „Gibt es auch Strom?“, frage ich, weil wir ohne unsere Akkus hier laden zu können regelrecht alt aussehen. „Aber ja. Hier sehen sie?“, sagt der Jurtenbesitzer auf eine Steckdose deutend die im freien auf der nasse Erde liegt. „Wow, das ist aber gefährlich“, stelle ich fest. „Ja, ist gefährlich“, antwortet er trotz der Nässe recht trocken. Weil es in der Jurte schmutzig ist suche ich noch ein paar andere auf. Der Inhaber des Nachbarcamps spricht sehr gut englisch. „Meine Jurten sind die saubersten. Sehen sie“, sagt der Mann, der sich als Boris vorstellt, und mich in eine der mongolischen Zelte führt. In der Tat ist es dort drin wie geleckt. „Haben sie Strom?“, frage ich. „Sie können ihre Geräte bei mir in der Küchenjurte aufladen. Das ist kein Problem. Und wenn sie heißes Wasser benötigen bringen ich ihnen soviel sie wollen“, bietet er an, worauf wir die Nacht bei ihm bleiben werden. Hilfsbereit trägt er die Ausrüstung in die das Filzzelt. Weil der Eingang zu klein ist und Boris uns rät nichts draußen stehen zu lassen, zerlege ich unsere Anhänger. Dann tragen wir auch diese ins Innere. „Wo hast du so gut Englisch gelernt?“, frage ich unseren Gastgeber. „Ich lebte für fünf Jahre in Indien.“ „In Indien? Was hast du in Indien gemacht?“ „Ich war dort an der Uni und studierte Buddhismus“, erklärt er. „Und jetzt wohnst du hier in der Wüste und vermietest an Touristen Jurten?“ „Ja, wir leben das ganze Jahr hier. Im Winter verirrt sich kaum jemand nach Khamariin Khiid aber es gefällt mir hier. Das ist mein Zuhause“, erklärt er mit einer ausschweifenden Handbewegung über die Wüste. „Muss im Winter recht kalt sein?“, frage ich. „Es geht. Nur minus 25 °C bis minus 30 °C aber der Wind ist manchmal extrem“, sagt er und lacht.

Indes haben sich die Wolken entschieden die Gobi erneut im Wasser versinken zu lassen. Der Vater von Boris kommt uns besuchen, um das Zelt auf Dichtigkeit zu prüfen. Wie es der Brauch und die Gastfreundschaft erwartet, bieten wir ihm einen heißen Tee und ein paar mitgebrachte Kekse an. Während unserer Unterhaltung fasst er, wie vielen Mongolen, an die Reifen unserer Räder, um den Druck zu prüfen. Als er Tanjas Vorderreifen drückt, lacht er. „Der ist ja total platt“, pruste ich meinen Tee heraus. „Oh nein, jetzt wollte ich mich ein wenig ausruhen und muss schon wieder einen Platten flicken. Wo sind wir da bloß rein gefahren?“ frage ich mich und mache mich augenblicklich an die Arbeit. Auch diesmal kann ich nicht ausmachen was den Mantel penetriert hat. Trotz genauer Untersuchung ist kein Fremdkörper zu entdecken.

Als sich draußen die Dunkelheit über das Jurtencamp und die Wüste legt essen wir unser mitgebrachtes Brot, Gurken und den Scheiblettenkäse, der sich laut Hersteller ein knappes Jahr hält. Es ist schon faszinierend wie schnell man bescheiden wird und sich über simple Nahrung erfreut. „Du musst dir das ansehen“, sagt Tanja als sie nach einem Spaziergang mit Ajaci wieder in unsere feuchte Behausung tritt. „Was denn?“ „Da draußen sieht es richtig unwirklich aus. Echt skurril. Zwischen den Filzzelten sind einfache Holzschuppen errichtet. Dann stehen da kaputte, verrostete Motorräder und Autos herum. Einer hat sogar einen kleinen eingezäunten Garten angelegt in dem sich, stell dir das vor, Plastikblumen befinden. Also…, es erinnert mich eher an einen Mad Max Film als an ein Jurtencamp in der Wüste Gobi. Viele der Jurtencampbesitzer schmücken ihre Zelte mit Leuchtreklame. Es gibt ganz einfache, winzige Lebensmittelgeschäfte. Jugendliche spielen im provisorischen Licht Basketball. Man könnte meinen bei denen geht’s um die Weltmeisterschaft. Dazwischen laufen irre viele Hunde herum. Einige sind echt aggressiv. Sie sind auf uns zugestürmt und wollten Ajaci beißen. Irgendwie ist die ganze Szene gruselig.

Es ist etwa 23:00 Uhr. Wir liegen auf den sauberen, harten Matratzen und sind gerade eingedöst als jemand die Jurtentür öffnen möchte. „Hörst du das?“, flüstert Tanja. „Ja.“ „Da ist jemand.“ „Ja“, antworte ich und lausche. Wieder rüttelt es an der Tür. Diesmal kräftiger als vorher. Zum Glück verriegelte ich vor dem Einschlafen die einfache, bemalte Tür mit dem Schiebeschloss. Als der Eindringling jetzt mit roher Gewalt am Griff zerrt ist es für Ajaci zuviel. „Wow! Wow! Wow!“, bellt er, worauf die Rüttelei an der Tür augenblicklich aufhört. Ajaci knurrt nun bedrohlich. Dann hören wir wie sich die Schritte schlurfend im Wüstendsand einfernen. „Guter Junge. Du bist ein toller Wachhund“, loben wir unseren Hund und versuchen erneut Schlaf zu finden…

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH www.roda-computer.com Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

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