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Mongolei/Wenig Futter Camp MONGOLEI EXPEDITION - Die Online-Tagebücher Jahr 2011

In felsiger Höhe

N 50°21'856'' E 100°07'879''
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    Tag: 92

    Sonnenaufgang:
    07:55

    Sonnenuntergang:
    18:11

    Luftlinie:
    20,80

    Tageskilometer:
    30

    Gesamtkilometer:
    894

    Bodenbeschaffenheit:
    Wiese, Geröll, Felsen, Eis

    Temperatur – Tag (Maximum):
    8°C

    Temperatur – Tag (Minimum):
    minus 3°C

    Temperatur – Nacht:
    minus 20°C

    Breitengrad:
    50°21’856“

    Längengrad:
    100°07’879“

    Maximale Höhe:
    1850 m über dem Meer

    Aufbruchzeit:
    12:40

    Ankunftszeit:
    18:15

Wir werden vom Knirschen, Scharren und Knarren der aneinander reibenden Eisschollen geweckt. Der Egiyn Gol (Egiyn Fluss) bringt die eisigen Massen von Khovsgol Nuur (Kkovgol See) zu uns herab. Als wir das Zelt verlassen dampft der Fluss in der Morgensonne. Obwohl das Wasser um die Null Grad hat muss ist es im Vergleich zur Außentemperatur regelrecht warm sein. Das Schauspiel der aufeinander treffenden Temperaturen verrät in welchem Umbruch sich das Wetter befindet. Noch sind die Tagestemperaturen human jedoch werden die Nächte zusehend und geradezu rapide kälter.

Weil wir unmittelbar neben dem Wasserlauf campen ist der Boden betonhart gefroren. Die Kälte ist sogar durch unsere Isomatten geschlagen, weswegen wir mit steifen Gliedern aufstehen. „Huaa ist das kalt“, jammert Tanja ein wenig als sie den Reißverschluss des Stoffhauses öffnet und von den wärmenden Strahlen der Morgensonne empfangen wird. Bilgee und Tanja machen Feuer während ich wie gewohnt unser Lager zusammenpacke. Bilgee trägt heute zum ersten Mal seine dicken mongolischen Filzschuhe. „Die hättet ihr auch mitnehmen sollen“, meint er. Wegen Platzmangel und weil wir unsere warmen Monsterschuhe dabei haben ließen wir sie zurück.

In der Sonne steigen die Temperaturen über den Gefrierpunkt. Somit genießen wir unser Frühstück. Es gibt heißen Tee und Kekse. Bevor sich Bilgee daran macht sein Zelt abzubauen legt er sich auf ein paar Pferdedecken, zündet sich eine Zigarette an und genießt den Augenblick. „Da können wir echt was lernen“, deutet Tanja auf unseren Pferdemann. „Wie meinst du das?“, sage ich im Begriff unser Zelt abzubauen. „Na schau hin. Er genießt den Augenblick. Für ihn gibt es keinen Stress. Wir können was von seiner Gelassenheit lernen. Und er wird wegen seiner Pause auch nicht langsamer sein als wir“, sagt sie.

Als ich die Zeltheringe aus dem Boden ziehen möchte bewegen sie sich keinen Millimeter. „Man, die Dinger sind festgefroren!“, rufe ich erst belustigt, dann verblüfft und wenig später ärgerlich. „Keine Chance sie herauszubekommen“, sage ich zu Tanja. Mit der Axt versuche ich sie zu lockern. Das Einzige was geschieht ist sie völlig zu verbiegen ohne sie von ihrer eisigen Umklammerung zu lösen. Bilgee, der jetzt auch sein Zelt abbaut, kämpft mit der gleichen Herausforderung. „So ein Scheiß. Jetzt ist der Handschuh gerissen!“, fluche ich als ich an einem der Zelthaken wie ein Irrer gezerrt habe. Ohne Erfolg. Unser Bilgee nimmt zwei Ersatzheringe, legt sie links und rechts an den im Eis festgefrorenen Kopf des Zeltherings und zieht daran. Siehe da, er lockert sich und kommt aus dem Boden. „Die Ideenmaschine hat wieder zugeschlagen“, sage ich kopfschüttelnd und frage mich warum nicht ich auf diesen simplen Einfall gekommen bin. Auch wenn es noch immer sehr anstrengend ist die Aluminiumstifte aus dem Untergrund zu bekommen, ist es jetzt möglich.

Wie aus dem Nichts taucht ein Hirte auf. Er unterhält sich mit Bilgee und fragt ihn über uns und unsere Reise aus. „Was? Ihr wollt nach Tsagaan Nuur? Wisst ihr was ihr da tut? Da ist es furchtbar kalt“, sagt er und schüttelt sich am gesamten Körper. „Na motivierend ist das nicht gerade“, meint Tanja. „Nö, ist es nicht. Wenn es Mongolen schon vor der Kälte graust was sollen wir da sagen? Na wir werden sehen. Lassen wir uns mal nicht in Boxhorn jagen“, antworte ich mir Mühe gebend meine Zuversicht nicht zu verlieren.

Wieder kommen wir erst um 12.40 Uhr los und wieder rutscht die Ladung schon nach kurzer Zeit. Wir stoppen wie jeden Tag und rücken sie zurecht. Dann machen wir uns an einen weiteren steilen Aufstieg. Weil wir dem Flusslauf folgen und dieser öfter als uns lieb ist sich durch raue Felswände drückt, sind wir gezwungen die sich vor uns auftürmenden Bergrücken zu ersteigen. Meist nur, um auf der anderen Seite erneut auf ihre Flanken zu reiten. „Warum nutzen wir nicht einfach die Staubpiste. Dort fahren doch auch Autos und Lastwägen? Da kämen wir entschieden schneller voran und müssten den Windungen des Flusses nicht folgen“, frage ich Bilgee, da der offensichtlich heranrasende Winter mir regelrecht Angst einjagt. „Nicht gut. Neben dem Track gibt es kein Wasser“, erklärt er. „Hm, leuchtet ein. Also müssen wir dem Egiyn Gol folgen und somit auch über das Gebirge?“ „Tijm“, („Ja“) antwortet er.

Haben wir gestern noch geglaubt uns auf gefährlichen Pfaden zu bewegen so ist der heutige Ritt eine kaum zu beschreibende Steigerung davon. Direkt am Nebenarm des Stromes reiten wir auf einer zum Wasser abfallenden Böschung. Der uns zu Verfügung stehende Raum wird immer enger, so eng das Sharga und Bor nicht mehr nebeneinander laufen können. Bor, der an Shargas Hals gebunden ist, muss über immer dickere Felsklötze steigen. Wir winden uns wie ein Reptil durch und über das grobe Gestein bis wir in einer natürlich Sackgasse gefangen sind. Der vorhandene Platz reicht nicht aus um die Packpferde zu wenden. Sie würden glatt in den Fluss fallen. Nervös sitze ich auf Sar und sehe Bilgee hinterher. Langsam reitet er weiter. Da die massive, steil abfallende Felsflanke vor uns direkt im Eiswasser des Egyin endet, frage ich mich warum Bilgee noch weiter in die sich scherenartig zuspitzende Spalte reitet. „Man das müssten wir fotografieren!“, rufe ich Tanja zu die sich direkt hinter mir befindet. „Keine Chance. Ich habe genug mit Naraa und Mogi zu tun“, antwortet sie. Das Risiko im Sattel die Spiegelreflex herauszuholen, um ein paar Fotos zu schießen, steht in keinem Verhältnis zur Gefahr sie aus Versehen fallen zu lassen. Zweifelsohne würde sie auf dem Fels unter uns zerschellen. Plötzlich ist Bilgee aus meinem Sichtfeld verschwunden. „Er muss einen Weg um die Felsnadel gefunden haben“, sage ich zu Tanja. Da mir nichts anderes übrig bleibt treibe ich Sar an langsam weiterzugehen. Als wir die vermeintlich unumgehbare Felswand erreichen sehe ich einen schmalen, mit grobem Gestein besetzten Saumpfad. Dung verrät mir, dass er auch von Rindern benutzt wird. Vorsichtig drücke ich meine Hacken in Sar’s Flanke. Zögernd und bedacht setzte er einen Huf vor den anderen und drückt seinen Körper an der scharfen Felswand vorbei. Sharga folgt. Die Seesäcke schaben unangenehm am Gestein entlang. Bor strauchelt aber fängt sich. Auch seine Ladung scharrt am Fels. Ehe ich mich versehe sind wir durch. Der Pfad weitet sich etwas. Ich sehe Bilgee der auf uns wartet. Ein breites anerkennendes Lächeln geht über sein Gesicht. Sofort wende ich mich im Sattel. Tanja kommt mit einem Grinsen um die Felsnadel. „Das ist wahres Abenteuer“, höre ich sie mir zurufen. „Wahres Abenteuer!“, antworte ich und spüre meinen Pulsschlag.

Jedoch bleibt uns keine Zeit um zu Verschnaufen. Die Pferdebeine stelzen über eine hartgefrorene Buckellandschaft. Als hätten hier eine Millionen Maulwürfe um die Wette gegraben. Zwischen den etwa 15 bis 20 Zentimeter hohen Hügelchen liegt Eis. Tückisches Eis. Die Hufe rutschen, so das ich manchmal glaube mein Pferd könnte fallen. Sar jedoch bewegt sich über das minenartige Gelände wie ein Eiskunstläufer. Außer dem Rauschen des Flusses und dem lauten Krächzen einiger Krähen ist das Land um uns herum stumm. Jurten tauchen am Ende der jetzt breiter werdenden Passage auf. Rauch steigt aus ihren Schornsteinen. „Schau dir die Weicheier an. Die heizen!“, rufe ich Tanja zu und lache über meinen eigenen Scherz als hätte mir jemand einen klasse Witz erzählt. Es geht vorbei an einem aus Holz gebauten Hochgestell. Dort heben die Bewohner dieses Flusstales wahrscheinlich ihre Nahrung auf. Alles was wilde Hunde und eventuell Wölfe nicht zwischen ihre hungrigen Zähne bekommen sollen.

Das Tal öffnet sich weiter und breitet, so könnte man meinen, seine Arme aus, um uns in seinem Herzen zu empfangen. Der Egiyn Gol mäandert in mehreren Läufen durch das gelbbraune Gras. Sein dunkles Blau hebt sich vom Gras und dem hellblauen, wolkenlosen Himmel ab. Staunend nehmen wir die Naturschönheit in uns auf. Inhalieren sie regelrecht. Auch wenn ich bald jeden Tag darüber schreibe, so zwingt mich der Variantenreichtum der Naturbilder dieses wunderbaren Landes die Schönheit immer und immer wieder zu erwähnen.

Eine weitere Bergflanke neigt sich dem Fluss entgegen und Endet erst in seinem Nass. Erneut nehmen wir die Herausforderung an der Sackgasse auszuweichen. Je höher wir steigen desto steiler wird der Anstieg. Damit Tanja ein paar Fotos schießen kann nehme ich zu meinen zwei Packpferden auch noch Mogi. „Das schaffe ich schon“, nehme ich meinen Mund zu voll. „Geh kein Risiko ein!“, ruft mir Tanja nach. „Ich pass schon auf!“, antworte ich und lenke Sar durch die groben Felsbrocken. Sharga und Bor bekommen zunehmend Schwierigkeiten mir zu folgen. Bor stolpert immer öfter über das grobe Gestein. Während Mogi an meiner Linken zieht strafft sich das Zugseil der Packpferde an meiner Rechten. Zwischenzeitlich befinden wir uns mitten im Fels. Überall um mich herum nur Steine und Geröll. „Pass auf! Steig ab!“, warnt Tanja. Bilgee, der sich etwa 50 Meter über mir befindet dreht sich im Sattel um. Plötzlich bleibt Sharga stehen. Das Seil strafft sich, brennt in meiner Hand und reißt mich fast aus dem Sattel. Im letzten Moment kann ich Sar vom weiteren Aufstieg stoppen. Mit wild pochenden Herzen steige ich vom Pferd, um den haarsträubenden Aufstieg zu Fuß fortzusetzen. „Dort rüber!“, ruft Bilgee und zeigt einen möglichen Weg durch den Fels. Nie im Leben hätte ich gedacht mit Pferden unwegsame Berge besteigen zu können. So wie es aussieht müssen die mongolischen Pferde doch etwas mit Gämsen gemein haben. Tanja kommt mit Naraa im Schlepptau zu uns heraufgestiegen, um mir Mogi abzunehmen. Dann klettere ich weiter. Immer hoffend das keines der Pferde abstürzt. Über mir sehe ich nur sich vom azurblauen Himmel abzeichnende hellgraue Felsen. Hoffend, dass es dahinter nicht in einen steilen Abhang herunterfällt halten wir auf die Spitze des Berges zu. Wir kommen ihr nur langsam näher. Die Spannung wächst bald ins Unermessliche. „Bitte lasse es hinter den Felsen flach abfallen“, bete ich. Dann erreiche ich die Spitze. Bilgee hat einen anderen Weg genommen und sich unter uns verstiegen. „Geht es dort oben weiter?“, ruft er. Ich blicke über die Kante. „Tijm, (Ja) sieht sehr gut aus“, antworte ich erleichtert. Vor meinen Augen neigt sich der Fels in eine abschüssige Wiese. Kein Problem für uns da runter zu kommen.

Im Tal treffen wir wieder auf einen Hirten der eine große Schaf- und Ziegenherde vor sich hertreibt. „Wo kommt ihr her? Wo wollt ihr hin?“, verstehen wir die üblichen Fragen. „Wir reiten nach Tsagaan Nuur“, antworte ich. „Tsagaan Nuur? Das solltet ihr besser lassen. Dort ist es grauslich kalt“, sagt er. Um seine Aussage zu bekräftigen schüttelt er seinen ganzen Körper als hätte er zwei Finger in eine Steckdose gesteckt ohne sie wieder herausziehen zu können. „Man oh man. Der übertreibt doch bestimmt“, sage ich zu Tanja obwohl ich zugeben muss von seinem Auftritt sehr beeindruckt zu sein. Ich kann nur hoffen, dass er unseren Bilgee nicht verschreckt, da er ja die Erklärungen in seiner Landessrache serviert bekommt. „Wer weiß? Jeder den wir treffen spricht von der entsetzlichen Kälte dort“, entgegnet Tanja. „Ja, ja, mag schon kalt sein. Aber die tun ja so als würden wir direkt in die eisige Hölle reiten. Irgendwie geht einem das aufs Gemüt. Bin mir sicher, dass es auch hier sehr kalt wird“, antworte ich etwas angefressen, da mir die ständigen Warnungen langsam auf den Senkel gehen. Da in Tsagaan Nuur auch Menschen jeden Alters leben und diese sicherlich keine Übermenschen sind habe ich das Gefühl das hier übertrieben wird. Vielleicht ist es aber auch so, dass es auf der anderen Seite des Flusses immer schlechter ist als im eigenen Dorf. Die Schlechten sind immer die anderen und die leben immer dort und nicht hier. Zumindest haben uns das die Menschen während unserer Reisen nicht nur einmal erzählt. Vielleicht verhält es sich hier mit der Kälte genauso. „Dort ist es bitterkalt aber bei uns ist es warm“. Eigenartig ist aber das Tsagaan Nuur nicht mehr als 150 Kilometer Luftlinie von hier entfernt ist. Und das kann ja nicht den Höllenunterschied ausmachen. Oder doch?

„Tschu! Tschu! Tschuu!“, treiben wir unsere Pferde an und versuchen nach dem überqueren der Berge Land zu gewinnen. Erneut denke ich an die noch vor uns liegende Strecke. Durch die Warnungen verunsichert berechne ich unsere bisherige Marschleistung. Nicht gerade der Hit. Geplant hatten wir sieben bis zehn Tage bis zum Ziel. So wie es im Augenblick aussieht benötigen wir 15 oder 16 Tage. Und hier soll der Weg noch gut sein. Aber wenn der Weg über die Berge gut war dann frage ich mich was schlecht ist? Vielleicht müssen wir dann unsere Pferde in ein Geschirr stecken und abseilen? Oder wir müssen sie huckepack nehmen und mit eigener Körperkraft den Berg hochschleppen? „Man oh man. Die übertreiben doch alle. Der Weg kann gar nicht schlechter werden“, geht es mir durch den Kopf. „Tschu! Tschu! Tschuu!“, rufe ich, um die Pferde im Trab zu halten. Seit Stunden geht es jetzt schon so dahin. Das ewige Gehopse geht auf den Rücken und die Bandscheiben. „Ich habe gehört reiten soll für den Rücken gut sein. Ob das stimmt?“, frage ich Tanja die neben mir dahintrabt. „Kann ich mir schon vorstellen.“ „Irgendwie fühlt sich meine Bandscheibe an als befände sie sich in einem Hammerwerk. Weiß nicht ob das gut ist“, antworte ich.

Auf offener Ebene dem Wind ausgesetzt

Mit letztem Sonnenlicht erreichen wir ein weiteres Tal. Wie üblich ist absolut alles kahlgefressen. Eine Pferdeherde galoppiert über die staubige Steppe. Eisiger Wind pfeift darüber hinweg. In diesem Augenblick bin ich dankbar einen Winterdeel zu tragen. Bilgee möchte wieder zum gegenüberliegenden Ende reiten. „Das wird zu spät. Es ist jetzt schon bitter kalt. Wir sollten hinter der Hütte Schutz suchen“, sage ich auf ein altes Holzhäuschen deutend welches völlig verloren in der Unendlichkeit kauert. Bilgee lässt sich überzeugen. In der Nähe der Hütte, direkt am Ufer des Egiyn Gol, entladen wir unsere tapferen Tiere. Jeder geht wortlos seinen Aufgaben nach. Schnell ist unser Lager errichtet. „Wow ist das kalt“, sage ich. „Vielleicht übertreiben die Menschen doch nicht?“, meint Tanja. „Mit dem Übertreiben meine ich nicht dass sie untertreiben, sondern dass es dort auch nicht viel kälter ist als hier“, antworte ich.

Tanja klagt über eiskalte Zehen. Als Bilgee ein kleines Feuer entfacht zieht sie ihre Schuhe aus und wärmt ihre Füße an den Flammen. Es ist 19:00 Uhr und das Thermometer zeigt bereits minus 15 Grad. Unser Camp befindet sich im Zentrum eines Hochtales. Auf der einen Seite hinter uns verengt es sich. Der Egiyn Gol kann sich geradeso durch den Einschnitt drücken. Der Wind wird dort anscheinend beschleunigt. Zumindest kommt es uns so vor als würde er sich mit dem Fluss durch die Verengung pressen und dadurch Geschwindigkeit aufnehmen. Schutzlos sind wir ihm auf der offenen Ebene ausgeliefert. Auch meine Zehen schmerzen geradezu höllisch. Mir ist bewusst, dass sie kurz vor dem Erfrieren sind. „Das kann ganz schnell gehen“, hat man uns noch in Deutschland gewarnt. „Das Einsetzen der Erfrierung verursacht anfänglich nur ein leichtes Unbehagen und wird von euch möglicherweise nicht bemerkt, da die Kälte eine betäubende Wirkung auf das Gewebe hat. Denkt daran, dass Erfrierungen meist ab minus 12 °C beginnen. Aber bei ungünstigen Bedingungen wie starkem Wind, Feuchte oder allgemeiner Unterkühlung des Körpers sind Erfrierungen auch schon bei ca. 0 °C möglich“, höre ich die Warnung eines Arztes.

„Und wird es besser? Kommt das Gefühl zurück?“, frage ich Tanja besorgt. „Ja, wird besser“, beruhigt mich ihre Antwort. Weil sie damit beschäftigt ist ihre Füße aufzutauen habe ich das Kochen übernommen. „Man schau dir das an“, sagt Tanja mir ihre Schuhe zeigend. „Eis“, sage ich verblüfft. „Ja Eis. Und das im Schuh“, antwortet sie. „Das bedeutet, dass der Schweiß nicht nach außen transportiert wird sondern in den Schuh fließt und dort zu Eis gefriert. Wir haben es nur nicht bemerkt weil der Innenschuh aus Kunstfaser besteht und nicht direkt mit dem Eis in Berührung kommt“, folgere ich. Sofort ziehe ich meinen Schuh aus und zerre den Innenschuh heraus. „Tatsächlich. Da ist Wasser drin“, bin ich verblüfft. Weil ich mit dem Kochen beschäftigt bin ziehe ich ihn schnell wieder an. Aber es fühlt sich an wie in einem Eisschrank. Nachdem das Wasser kocht versuche ich es in die Thermosflaschen einzufüllen. Vergebens. Ich bekomme den Verschluss nicht auf. „Der ist festgefroren“, sage ich. „Schütt heißes Wasser drauf“, empfiehlt Bilgee. „Eine gute Idee“, antworte ich und siehe da jetzt kann ich den Verschluss aufdrehen. Durch den Wind sind wir urplötzlich extremen Bedingungen ausgesetzt. Alles um uns herum scheint in kurzer Zeit zu erstarren. Alle Arten von Verschlüssen frieren derart zu als wären sie mit Superkleber versiegelt. Plastik bricht. Selbst Der Tee in unserer Tasse erstarrt wenn wir ihn nicht gleich heiß in uns hineinschütten. Ich begehe den Fehler meinen Löffel in den Mund zu nehmen nachdem ich ihn kurz abgelegt habe. Sofort friert er auf meiner Zunge fest. „Ah!“, erschrecke ich, da ist er aber schon wieder frei. Meine Zunge fühlt sich daraufhin ein wenig pelzig an. „Du musst noch Wasser holen gehen“, meint Tanja. „Oh weh. Also gut“, stöhne ich und hatsche die Uferböschung hinunter. Der Fluss hat sich hier wie Spinnenweben in lauter kleine Ärmchen verzweigt. Die meisten davon sind zugefroren. Im kegelförmigen Licht meiner Stirnlampe tapse ich mit eiskalten Füßen über die Eisplatten, um eine offene Stelle zu finden. Dann tauche ich mit bloßen Händen eine Wasserflasche in das Nass. Der Schmerz ist verblüffend. Noch mehr frierend als vorher bringe ich zwei Flaschen Wasser ins Camp deren Inhalt wir sofort kochen und in Thermoskannen und Wärmflaschen füllen. Dann, bei minus 18 °C verziehen wir uns in die Zelte. Bibbernd ziehen wir uns aus. „Zumindest sind wir dem Wind nicht mehr ausgesetzt“, sagt Tanja. „Gott sei Dank“, gebe ich ihr Recht. Ich nehme meine steif gefrorenen Innenschuhe mit in den Schlafsack, um sie mit Körperwärme aufzutauen. Ein grober Fehler weil sie soviel Kälte abstrahlen, dass ich meine Füße trotz Wärmflasche nicht warm bekomme. Dann versuche ich meinen Laptop auf Betriebstemperaturen zu bringen. Er absorbiert derart viel Wärme aus meiner kleinen Wärmflasche, dass sie danach nur noch lauwarm ist. Eine Stunde liege ich stocksteif im meinem Schlafsack bis ich mich einigermaßen warm fühle und aufrapple, um meine Tagesaufzeichnungen zu machen. Irgendwie habe ich das Gefühl das die Dokumentation dieser Reise bald anstrengender ist als der Trip selber. Während ich hier in die Tasten haue hat Bilgee Wachschicht. Um 23:3o Uhr muss ich kurz zum Wasser lassen raus. Das Thermometer, welches ich auf der Zeltbahn befestigt habe, zeigt minus 20° C. Somit ist diese Nacht bisher die kälteste unserer gesamten bisherigen Reise.

Es sind gerade mal 10 Minuten vergangen, meinen Laptop zugeklappt und in der Tasche verstaut, als mich Bilgee zur Wachschicht ruft. „Scheiß Wachschicht“, murmle ich. Bibbernd vor Kälte ziehe ich die Kopföffnung des Schlafsacks auf Faustgröße zu. Kleiner geht es nicht. Dann raffe ich das Band, mit welchem man den mit Daunen gefüllten Stoff zwischen Kopf und Schultern schließt. Somit dringt keine kalte Luft durch die Kopföffnung bis zum Körper. So luge ich nun durch das kleine Loch an die Zeltdecke und meine Ohren lauschen in die eisige Nacht. Die Stirnlampe ist an und liegt im Deckennetz des Zeltes. Ihr Lichtstrahl dringt durch die Stoffwand und ist für jeden Dieb von außen zu sehen. Wenn also tatsächlich ein furchtloser und aus meiner Sicht verrückter Dieb kommen sollte, um unsere Pferde bei diesen unmenschlichen Temperaturen stehlen zu wollen, sieht er das Licht. Der Plan ist, ihn damit zu verwirren oder abzuschrecken. Vielleicht denkt er, dass einer im Zelt wach ist. Zumindest hoffe ich das. Und wenn nicht ist mir das jetzt auch egal. Ehrlich gesagt leide ich in diesem Moment. Leide unter der Kälte von der jeder gesprochen hat. Und das muss erst der Anfang sein. „Mein Gott bin ich froh wenn wir in Tsagaan Nuur heile ankommen“, flüstere ich vor mich hin und versuche die Augen bis 2:30 Uhr am Morgen offen zu halten. Dann ist Tanja dran. Ihre Schicht geht von 2:30 Uhr bis 5:00 Uhr. Auch kein Zuckerschlecken. Es ist egal welche Wachschicht man gerade hat. Irgendwie sind alle anstrengend. Manchmal fast unmenschlich anstrengend.

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