Im Paradies
N 23°21’57.7’’ E 139°39’17.9’’Marion Downs-Camp — 06.09.2002
Die Aussicht auf eine Dusche und dem baldigen Erreichen von Marion Downs Homestead beflügelt uns und spendet uns neue Energie. Schon wenige Minuten nach 7:00 Uhr verlassen wir unser Lager am Gap Creek. Mit großen Schritten eilen wir über den steinigen Track. Gegen Mittag nähert sich uns wieder eine Staubwolke. Ein Jeep hält neben uns. Freudig erregt steigen unsere Gastgeber aus und begrüßen uns. „Das ist meine Frau Leanne, unser Sohn Angus und Tochter Clara,“ stellt uns Robert seine Familie mit einem sympathischen Lachen vor. „Das ist Sebastian unser Kamelanführer. Der kleine Kräftige dahinter ist Hardie, der Träger unseres stolzen Hundes Rufus. Dann kommt der starke Jafar, der am Anfang der Expedition der Jüngste und Dünnste war. An vierter Stelle seht ihr den freundlichen Istan, der letztes Jahr eine Lungenendzündung überlebte. Danach kommt der wilde Edgar, der Wasserträger, den wir letztes Jahr auf Anna Plains Station trainierten und am Schluss seht ihr den störrischen aber gutmütigen Jasper, der bis heute seine Nasenleine hasst. Auch ihn haben wir auf Anna Plains trainiert,“ stellt Tanja unsere Crew vor.
Bald eine Stunde unterhalten wir uns mit der freundlichen Familie. Die kleine Clara darf zwischendurch immer wieder Sebastian streicheln während der aufgeweckte Angus unseren Jungs ein paar halbvertrocknete Sträucher füttert. „Es sind noch 15,8 Kilometer bis zur Homestead. Wann werdet ihr da sein?“ ,fragt Robert kurz bevor sie uns wieder alleine lassen. „Wenn nichts dazwischen kommt um 15:00 Uhr,“ antworte ich. „Also bis dann,“ sagt er und steigt in den Jeep. Winkend verabschieden sich die Kinder und Leanne von uns.
„Es wartet ein Haus mit Klimaanlage, eine Küche, eine Dusche, ein Bett, eine Waschmaschine und vieles mehr auf uns, hat Leanne mir erzählt als du dich mit Robert unterhalten hast.“ „Was? Ein ganzes Haus? Wau, das ist ja viel mehr als wir uns zu träumen gewagt haben. Juchhu!“ ,jubiliere ich und beschleunige meine Schritte auf atemberaubende Geschwindigkeit. „Ja, und es gibt sogar einen Koch. Wir dürfen uns heute Abend auf eine gute Mahlzeit freuen,“ teilt mir Tanja lachend mit. „Ich fasse es einfach nicht. Hurra!“ ,freue ich mich und würde am liebsten noch schneller laufen, doch mehr schaffen unsere überanstrengten Knochen nicht.
Gut gelaunt eilen wir durch das trockene Land und erreichen tatsächlich um Punkt 15:00 Uhr die Homestead von Marion Downs Station. Neben dem wunderschönen Haus des Headstockman entladen wir unsere Jungs. Leanne und Angus helfen uns die Ausrüstung auf die überdachte Terrasse des Hauses zu tragen. Dann dürfen unsere Kamele in ein Gehege unweit der großen Geräteschuppen und Scheunen, in denen Fahrzeuge jeglicher Art und Motorräder untergestellt sind, einziehen. Scheu folgen sie mir in die von massiven Metallgittern begrenzte Einfriedung. An der Tränke saufen sie sich sofort wieder ihre Bäuche voll, dass man meinen könnte sie wären Ballons aus denen vier dünne Beine herausragen. Robert bringt mit einem Tracktor eine riesige Rolle Heu an der sie sich mindestens drei Tage lang satt fressen können.
Nachdem unsere Kameraden gut untergebracht sind, betrachten wir den Palast, den Leanne und Robert uns für unseren Aufenthalt zu Verfügung stellen. Auf der Ost und Westseite befinden sich jeweils eine überdachte Terrasse die von Fliegennetzen umgeben sind und somit die lästigen fliegenden Ungeziefer fernhalten. Wir betreten ein Wohnzimmer in dem ein großer Küchenteil regelrecht zum Kochen einlädt. Im Schlafzimmer lachen uns zwei Betten mit frisch überzogenen Bettzeug an. Unweit davon befindet sich die Toilette und ein Bad mit Badewanne und Duschkabine. Die Waschmaschine steht in einem kleinen Waschraum und drei weitere Räume sind anscheinend für Kinder oder Gäste gedacht. Wie vom Donner gerührt laufen wir mit offenen Mündern staunend und vor innere Freude fast explodierend durch unser Haus. Es ist eigentlich für den Headstockman gedacht, doch weil er nicht verheiratet ist steht es im Augenblick leer und wir dürfen hier so lange bleiben wie wir wollen. „Das ist ein Paradies,“ sagt Tanja.
Nachdem Tanja geduscht hat, reiße ich mir meine schmutzigen Klamotten vom Leib und springe in die Badewanne. Es ist bald unfassbar, noch vor wenigen Minuten mussten wir auf jeden Tropfen Wasser Acht geben, und jetzt liegt mein gesamter Körper in der klaren, lauwarmen Kostbarkeit. Obwohl ich noch nie in meinem Leben in Champagner gebadet habe, bin ich mir ganz sicher, dass dieses Bad, gefüllt mit edlem Trinkwasser, sich tausend mahl besser anfühlt. Ein Sturm von Gedanken rast durch mein Gehirn und macht einem Glücksgefühl platz, welches nie mehr in Vergessenheit geraten wird. Es ist schon eigenartig wie dicht Anstrengung, Leid, Tod, Hitze und Qual neben, Ruhe, Freude, pulsierendem Leben, angenehmen Temperaturen und Wohlbefinden grenzen können. Es ist ein schmaler Pfad, eine Gradwanderung zwischen Himmel und Hölle und meist schaffen wir Menschen uns das eigene Gefängnis. Obwohl ich in diesem Augenblick zu den glücklichsten Menschen dieser Erde zähle ist mir bewusst, dass es da draußen, hinter dieser dünnen Hauswand, auch wunderschön ist. Es kommt darauf an welche Einstellung man dazu hat.
Ich lasse meine Hände durch das Wasser gleiten, plätschere wie ein kleines Kind und betrachte meine wackelnden Zehen. Ohne Zweifel gibt es in den Städten viel Leid und Elend hinter den Wänden solcher Häuser. Ohne Zweifel schätzen die Meisten von uns nicht mehr, was es bedeutet seinen gesamten Körper in Trinkwasser zu baden. Gerne würde ich alle Menschen, die es vergessen haben wie schön und kostbar es ist, wann immer man will, seinen Körper mit Wasser waschen und baden zu können, in die großen Wüsten dieser Erde mitnehmen. Ich bin mir sicher, dass es ihr Leben ändern würde, denn es hat auch mein Leben geändert.
Um 18:00 Uhr befinden wir uns im Aufenthaltsraum der Jackeroos. Ein Fernseher läuft während einige von den tagsüber hart arbeitenden jungen Männern am Billiardtisch stehen und spielen. Obwohl jeder weiß wer wir sind und woher wir kommen werden wir etwas verhalten angeschaut. Keiner traut sich so richtig mit uns zu sprechen. Als Leanne und Robert kommen laden sie uns zum Bier ein. Wir erfahren, dass die Ringer hier nur drei Bier am Abend trinken dürfen. Am Wochenende das Doppelte. Harter Alkohol ist auf der Station verboten. Außer, die Jungs fahren in die 70 Kilometer entfernte Kleinstadt Boulia in der ca. 200 Menschen wohnen. Wenn sie wollen, können sie dort nach Herzenslust trinken. Da wir in den letzten Jahren einige Stations besucht haben, auf denen es kein Alkoholverbot gibt, wissen wir welche schrecklichen Konsequenzen eine lockere Führung mit sich bringt. In manchen Fällen führt die Trunkenheit sogar zum Tod. Es ist eine gefährliche Arbeit angetrunken Rinder durch eine Einzäunung zu jagen, Trucks oder Räummaschinen zu fahren oder auf der Geländemaschine zu sitzen, um die Herden einzutreiben.
Wir setzen uns zu den Ringern. Eine zahme junge Kuh läuft draußen vorbei und steckt den Kopf zur Tür hinein. „Muh!“ blökt sie und möchte anscheinend etwas zum Naschen. Kurt, einer der Jackeroos, kommt angerannt und neckt den muhenden Mitbewohner der Gemeinschaft. Sie nimmt seine lustig gemeinte Kampfaufforderung an und rennt ihm hinterher. Gerne würde sie ihn mit ihrem Kopf hochnehmen, aber Kurt ist zu schnell. „Die Jungs necken unsere Tip Truck (Lastwagen mit Ladefläche) ständig,“ erklärt Leanne lachend. „Wieso heißt sie denn Tip Truck?“ ,frage ich. „Sie ist von der Ladefläche eines Transporters gefallen als sie ganz klein war. Angus hat sie dann so genannt. Seitdem ist sie eines unserer Haustiere,“ erklärt Leanne.
Um 19:00 läutet Norman der Koch zum Abendessen. Alle zusammen laufen wir zu einem anderen Gebäude in dem sich auch die Farmküche befindet. Das Abendessen ist reichhaltig. Neben Fleisch gibt es auch viel Gemüse und Salat. Tanja und ich lechzen regelrecht nach frischen Gemüse, Salat und Obst. Wir dürfen soviel essen wie wir wollen. Als Nachspeise hat Norman Schokoladenkuchen und Vanillesoße auf den langen Tisch gestellt. Ich habe Glück, dass von den Ringern kaum jemand etwas Süßes möchte und lasse mir drei Stück des frischgebackenen Kuchen schmecken.
Nach einer langen und angenehmen Unterhaltung mit Leanne und Robert laufen wir zu unserem Haus. Rufus, der sein Bett auf der Terrasse hat, begrüßt uns schwanzwedelnd. Obwohl ich die meisten Nächte draußen in der Wildnis genieße, obwohl es kaum etwas Schöneres gibt als kurz vorm Einschlafen in den unendlichen Sternenhimmel zu sehen, freue ich mich auf ein gewöhnliches Bett. Keine einzige Motte stört unseren Schlaf. Keine einzige Winzfliege klebt in meinem Schweiß und die Klimaanlage kühlt das Schlafzimmer auf traumhafte Temperaturen.