Skip to content
Abbrechen
image description
E-Bike-Expedition Teil 3 China - Online-Tagebuch 2015-2016

Im Kessel der Kaiserstadt Xi’an

N 34°15’16.4’’ E 108°56’44.1’’
image description

    Datum:
    06.12.2015

    Tag: 161

    Land:
    China

    Provinz:
    Shaanxi

    Ort:
    Xi’an

    Breitengrad N:
    34°15’16.4’’

    Längengrad E:
    108°56’44.1’’

    Tageskilometer:
    130 km

    Gesamtkilometer:
    11.431 km

    Luftlinie:
    73.98 km

    Durchschnitts Geschwindigkeit:
    21.4 km

    Maximale Geschwindigkeit:
    45.6 km

    Fahrzeit:
    8 Std.

    Bodenbeschaffenheit:
    Asphalt

    Maximale Höhe:
    600 m

    Gesamthöhenmeter:
    13.679 m

    Höhenmeter für den Tag:
    381 m

    Sonnenaufgang:
    07:34 Uhr

    Sonnenuntergang:
    17:34 Uhr

    Temperatur Tag max:
    5°C

    Temperatur Tag min:
    0 °C

    Aufbruch:
    10:00 Uhr

    Ankunftszeit:
    19:00 Uhr

(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)

LINK ZUR REISEROUTE

Nach einer Woche im Bett geht es endlich weiter. Ich bin zwar noch nicht hundertprozentig fit aber für die angegebenen 80 km bis zur Stadt Xi’an fühle ich mich stark genug. Wieder navigiere ich mit dem Kartenprogramm übers Handy und unser GPS. An kritischen Stellen setze ich Navigationspunkte. So sollten wir uns unnötige Umwege ersparen. Nach ca. 50 km habe ich die Wahl der S208 nach links zu folgen oder die längere aber direkt nach Xi’an führende Fernverkehrsstraße G210 zu nehmen. Nicht wissend, so einen gewaltigen Umweg zu akzeptieren, entscheide ich mich für die kürzere S208. Seit dieser Entscheidung geht es für zwei Stunden im Zickzack dahin ohne uns Xi’an wirklich zu nähern. Dann endlich schrumpfen die Kilometer in Richtung Stadt, jedoch landen wir am internationalen Flughafen. Auf einer achtspurigen, schwer befahrenen Straße gefangen, die noch dazu in die völlig falsche Richtung führt, frage ich einige Männer einer Spezialeinheit, die am Straßenrand postiert sind, nach dem Weg. Im ersten Moment sehen uns die Schwerbewaffneten mit großen Augen an. „Was sind das denn für eigenartige Vögel?“, scheinen sie sich zu fragen. Dann lachen sie aber freundlich und versuchen uns zu erklären wie wir aus dem Labyrinth der Ring- Kreis- und Umgehungsstraßen entfliehen können. Einer der Männer zückt sogar sein Smartphone, auf dem er die Wegbeschreibung ins Englische übersetzen hat lassen. Xiexie (Danke) bedanken wir uns und radeln nun im Massenverkehr eines riesigen Flughafens um einige Abflughallen herum, bis wir unfreiwillig auf einer Autobahn landen. „Dürfen wir hier fahren?“, fragt Tanja. „Sicherlich nicht aber laut GPS führt diese Strecke in die richtige Richtung. Abgesehen davon hatten wir ja keine andere Wahl als diese Autobahn zu nehmen“, antworte ich, darauf hoffend nicht von der Polizei gestoppt und bestraft zu werden. Nach etwa acht Kilometern stehen wir vor einer gigantischen Mautstation. Ein Weiterkommen ist hier nicht mehr möglich. Eine uniformierte Frau springt bei unserem Anblick entsetzt aus ihrem Häuschen. Aufgeregt winkend gibt sie uns zu verstehen hier nicht weiter zu dürfen. „Aber was sollen wir denn tun?“, fragen wir. „Sie müssen zurück“, befiehlt sie. „Gegen den Verkehr?“ Sie deutet auf die andere Fahrtrichtung und zeigt uns wie wir von hier dort rüber kreuzen können ohne Schaden zu nehmen.

Zehn Minuten später radeln wir auf der Autobahn wieder in Richtung Flughafen. „Zum Glück haben sie uns nicht bestraft“, sage ich, bin aber wegen dem ständigen Hin und Her und dem Umweg frustriert. Vor allem ist mir bei dem Straßengewirr noch nicht klar wie wir in die Innenstadt gelangen sollen. Die einzigen Verbindungen zum Zentrum scheinen Autobahnen zu sein. Wir nehmen die erste Ausfahrt, um die Autobahn zu verlassen und radeln nun erneut Richtung Mautstation. Diesmal aber auf einer Nebenstraße. Jetzt nicht mehr auf das GPS blickend oder mich von dem MAPS.ME, welches uns grundsätzlich auf Autobahnen fehlleitet, folge ich meinem Gefühl. Auf kleinen Straßen kreuzen wir große Gemüseanbauflächen. Dann entdecken wir eine Brücke die über die Autobahn führt. Als wir sie überqueren, sehen wir auf die Mautstation, an der man uns vor gut einer Stunde zurück geschickt hatte. Wir winden uns durch schmale Gassen die links und rechts von Ziegelwänden begrenzt sind. Auf einmal finden wir uns im Zentrum eines Marktes wieder. Die Menschen sehen uns an als wären wir Eindringlinge. Dann beginnen sie zu lachen. Ich versuche die Filmkamera an meinem Lenker einzuschalten. Leider sind die Batterien alle. Es wird gegrillt, gegart, gekocht und gedünstet. Die schmale Straße ist gestaut. Nichts geht mehr. Neben uns rollt eine korpulente Chinesin Teig aus, während eine andere ihn in Streifen schneidet, diese über Hand und Ellbogen wickelt, wieder schneidet und in einen Wok mit siedendem Wasser wirft. Darin werden die Mehlstreifen nun zu Nudeln gekocht. Es riecht nach allen Erdenklichen und Unerdenklichen. Hühner sind verkehrt herum aufgehängt, einige von ihnen bereits gebraten. Ein Mann rührt kraftvoll in einem großen Wok, ein anderer schenkt Tee aus. Es wird gerufen, geschrien, gefeilscht. Socken im Bündel liegen neben Ofenrohren, Handsägen, Schöpfkellen, Stoff- und Drahtrollen und Eimern auf dem Boden, während an einem Verkaufsstand gleich daneben Toilettenpapier, Feuerzeuge, Handseife, Stofftiere und anderer Krimskrams feil geboten werden. Das Angebot ist umwerfend und es gibt einfach alles, auch das was es nicht gibt. Plötzlich Szenenwechsel. Die wabernde Masse an Elektrorikschas, Elektroroller, Mopeds, Autos und Fußgänger bewegt sich weiter, nur um wieder stehen zu bleiben. In diesem Bereich riecht es anders. Schafe und Ziegen meckern und blöken von den Ladeflächen. Offensichtlich ist für sie hier die Endstation des Lebens erreicht. Sie werden von Köchen und Restaurantbesitzer erstanden, um in absehbarer Zeit auf chinesische Art geschnetzelt auf einem Teller zu landen. Ehe wir uns versehen spukt uns der Markt wieder aus. Aufatmend fahren wir weiter durch eine fremde, bizarre und hoch interessante Welt. Der Bordcomputer zeigt bereits 110 Tageskilometer an. Luftlinie sind es nur noch 10 km bis zum Koordinatenpunkt. Wenn wir es wegen den Windungen, dem Zickzack und Hin und Her in 20 km bis zu unserer Unterkunft schaffen, können wir froh sein.

Als wir den größten Nebenfluss des Gelben Flusses, den Weihe He überqueren, wirft die Sonne ihre letzten Strahlen über ein paar Hochhäuser. Die Stimmung ist eigenartig. Die Schleier des Smogs haben sich über die gesamte Stadt gelegt. Baukräne strecken ihre skelettartigen Rückräder in das trübe Rosa des aushauchenden Tages. Und auf einmal schupst uns die kleine Gasse in die abendliche Verkehrshölle einer 4,5 Millionenstadt. Das Durcheinander von Fußgängern, Fahrrädern, Mopeds, Elektrorollern, Autos, Doppeldeckerbusse ist unbeschreiblich. Das Hupen, Tröten, Klingeln verwirrend. Das aufflammende Lichtermeer in Worten nicht zu beschreiben. In unseren Köpfen klickt es, schaltet es auf den überlebensnotwendigen Flowmodus, der uns durch den menschlichen Hexenkessel leitet. Wir spüren die tausende von Verkehrsteilnehmer um uns herum, nehmen sie mit jeder Zelle unseres Körpers wahr und werden mit dem großen Organismus eins. Wir begreifen das Gesetz welches grundsätzlich dem Stärkeren Vorfahrt gibt. Ob er recht hat oder nicht spielt dabei keine Rolle. Recht wird hier neu definiert, unterliegt dem Codex einer Großstadt. Es wird gedrängelt, in letzter Sekunde reingezwängt, gedroht, blockiert, manchmal gebremst und ausgewichen. Die Aggression ist beachtlich, zu jeder Sekunde spürbar. Der Stresslevel auf Anschlag. Hier bestimmt das Chaos und es ist verblüffend wie es funktioniert. Als hat es eine eigene Dynamik, einen eigenen undefinierbaren Rhythmus. Im Puls des Herzschlages von Xi’an schiebt und drückt es uns immer weiter ins Innere, ins Zentrum einer städtischen Lebensform. „Hier muss es sein“, sage ich nach 130 Tageskilometern und zehn Stunden unterhalb der historischen Stadtmauer anhaltend. „Hier?“, fragt Tanja weil wir in dem Lichtermeer, den unzähligen vorbeibrausenden Autos und den tausenden von Menschen nichts erkennen was wie das Seetang Youth Hostel aussieht. Ich schiebe meinen Bock auf dem Gehsteig. Hunderte von chinesischen Touristen und Einwohner der Stadt umwabern uns, sehen uns mit befremdenden Blicken an. Manche von ihnen skeptisch, manche neugierig, manche interessiert. „Können wir euch helfen?“, fragen zwei junge Studentinnen in gutem Englisch. „Ja“, antworten wir. „Wir suchen das Seetang Youth Hostel.“ Tanja gibt den beiden die Koordinaten die sie umgehend in ihr Smartphone eingeben. Nach einer Weile haben sie sich orientiert und bitten uns ihnen zu folgen. Wir verlassen die Hauptstraße und schieben unsere Roadtrains in eine Gasse, die so aussieht als wäre sie vor tausend Jahren erbaut worden. Innerhalb weniger Sekunden hat uns die Vergangenheit eingeholt. Kleine Garküchen, Handwerksläden und rote Lampions empfangen uns. Seetang Youth Hostel strahlt es uns von einem Schild entgegen. Wir bedanken uns bei den zwei jungen Frauen und sagen im Youth Hostel Bescheid dass wir da sind. Maggy und Sindy, zwei junge Frauen am Empfang, begrüßen uns freudig und helfen uns alles was wir haben ins Innere zu tragen. Weil wir so viel Gepäck besitzen und es keinen speziellen Raum für unsere Räder und Anhänger gibt, bekommen wir eine der drei Familien Suiten zu einem Sonderpreis von 240 Yuan pro Nacht. (33,83 €) Für uns als Langzeitreisende viel Geld aber das Galeriezimmer ist der Hammer und verspricht uns einen angenehmen Aufenthalt in solch einer Großstadt. Wir stellen unsere Räder unter die Treppe, die nach oben direkt unters Dach führt. Dort liegt eine große, mit frischem Bettzeug überzogene, Doppelmatratze, die nahezu den kleinen Raum füllt. Umrahmt ist das gemütliche Bett von einem Holzgeländer dessen Zwischenräume aus Glas sind und den Blick nach unten ins Zimmer zulassen. „Wow, was für eine tolle Bleibe. Hier kann ich endliche meine Aufzeichnungen niederschreiben“, sage ich. Um mehr Platz in unserem Zimmer zu haben stellen wir unsere Anhänger auf den eigenen Balkon. Dann waschen wir uns den Kohlestaub und Smog aus dem Gesicht und steigen zwei Stockwerke höher auf die Dachterrasse der Herberge. Dort oben überrascht uns ein gemütliches Restaurant in dem auch echte Pommes auf der Speisekarte zu finden sind. Eine absolute Rarität in China. Wir genießen gleich zwei Teller davon und spülen sie mit deutschem Bier, welches hier ebenfalls angeboten wird, hinunter…

Die Live-Berichterstattung wird unterstützt durch die Firmen Gesat GmbH: www.gesat.com und roda computer GmbH www.roda-computer.com Das Sattelitentelefon Explorer 300 von Gesat und das rugged Notebook Pegasus RP9 von Roda sind die Stützsäulen der Übertragung.

This site is registered on wpml.org as a development site.