Hundediebstahl, gequält für den besseren Geschmack und Selbstjustiz
N 22°23’57.9’’ E 103°27’30.4’’Datum:
15.07.2016
Tag: 385
Land:
Vietnam
Ort:
Lai Chau
Breitengrad N:
22°23’57.9’’
Längengrad E:
103°27’30.4’’
Tageskilometer:
85 km
Gesamtkilometer:
17.517 km
Luftlinie:
42 km
Durchschnitts Geschwindigkeit:
17.7 km/h
Maximale Geschwindigkeit:
48.8 km/h
Fahrzeit:
04:50 Std.
Bodenbeschaffenheit:
Asphalt
Maximale Höhe:
2.000 m
Gesamthöhenmeter:
46.206 m
Höhenmeter für den Tag:
1.368 m
Sonnenaufgang:
05:30 Uhr
Sonnenuntergang:
18:53 Uhr
Temperatur Tag max:
29°C
Temperatur Tag min:
19°C
Aufbruch:
08:30 Uhr
Ankunftszeit:
17:00 Uhr
Platte Reifen gesamt:
12
Platte Vorderreifen:
3
Platte Hinterreifen:
8
Platte Anhängerreifen:
1
(Fotos zum Tagebucheintrag finden Sie am Ende des Textes.)
Ich wende mich um und winke dem Hotelpersonal, einigen Gästen und einer Gruppe Frauen aus den Bergen zu, die uns verabschieden. „Gute Fahrt. Passt auf euch auf!“, rufen sie. Dann trete ich in die Pedale. Nach über sechs Wochen in Sa Pa ist es für uns ungewohnt wieder auf dem schwer beladenen Rädern zu sitzen. Nur wenige Meter komme ich voran, als ich nahezu strauchle, und vor der freudig winkenden Gruppe fast einen ungewollten Abgang mache. In letzter Sekunde reiße ich den schwerfälligen Lenker herum und bekomme mein Roadtrain unter Kontrolle. „Fühlt sich an als wäre der Vorderreifen platt!“, ruft Tanja. Nach wenigen hundert Metern haben wir uns wieder an das Fahrverhalten eines schwerbeladenen Langstreckenrades gewöhnt. Bei leichtem Regen geht es über matschige Straßen sofort steil nach oben. Urplötzlich stoppt Tanja abrupt. Was ist denn los?“, frage ich erschrocken, durch eine Vollbremsung einen Auffahrunfall vermieten zu haben. „Mein Vorderreifen ist platt!“ „Ach nö“, antworte ich mich an die Plattenserie erinnernd unter der wir zu Beginn dieser Etappe wegen einer falschen Reifenwahl litten. Erst durch das Austauschen aller Mäntel mit einem anderen Reifentyp haben wir seit gut acht Monaten keinen Platten mehr gefahren. Eine tolle Bilanz und trotzdem besitze ich nicht die geringste Lust bei diesem Wetter einen Reparaturstopp einlegen zu müssen. Wir entladen Tanjas Bike, dann baue ich den Reifen aus und untersuche den Mantel nach Fremdkörpern. „Nichts zu ertasten“, sage ich und ziehe einen neuen Schlauch ein. Falls doch etwas Spitzes im Mantel sitzt und uns nach wenigen Metern einen neuen Platten in den Schlauch sticht, fülle ich Pannenschutzflüssigkeit ein. Denke das sollte genügen“, sage ich den Reifen wieder aufpumpend. Beim Einbau des Reifens verliere ich eine Benzingscheibe die an der Steckachse sitzt. „Verdammt“, fluche ich und suche das winzige Ding. Für die vorbeifahrenden Mopedfahrer müssen wir ein seltsames Bild abgeben als wir auf allen Vieren auf dem Asphalt herumrobben. Einer der Mopedfahrer hält an und hilft uns ebenfalls den Winzling zu finden. „Ich hab sie!“, rufe ich freudig. „Haben wir solche Benzingscheiben als Ersatzteil dabei?“, möchte Tanja wissen. „Unser Ersatzteillager ist gut bestückt aber so etwas besitzen wir nicht“, antworte ich die Scheibe wieder auf die Steckachse schiebend. „Oh nein, jetzt ist der kleine Scheißer wieder runtergefallen!“, rufe ich verzweifelt. Trotz langer Suche bleiben wir diesmal erfolglos. „Was ist wenn wir die Steckachse ohne Benzingscheibe wieder einbauen? Kann sie sich dann während der Fahrt lösen und das Rad raus springen?“, fragt Tanja. „Ehrlich gesagt weiß ich das nicht. Sicherlich hat man sie nicht grundlos verbaut aber ich könnte mir vorstellen, dass das Rad trotzdem halten wird. Jedoch ist es mir lieber wir setzen eine neue Steckachse ein. Ich glaube ich habe eine dabei“, antworte ich. Sofort eile ich zum Anhänger, um die Ersatzteilbeutel durchzuforsten. „Hier ist sie“, freue ich mich. Schnell setzen wir den reparierten Reifen ein und arretieren ihn mit der neuen Steckachse. Beim restlichen aufpumpen des Reifen hilft mir der freundliche Mopedfahrer.
Eine Stunde später setzen wir unsere Fahrt durch und über die regennassen Straßen fort. Nach der langen Pause schnaufen wir wie die Walrösser als sich die Passstraße über 2.000 Höhenmeter windet. Am Straßenrand sitzen zahlreiche Bäuerinnen aus den Bergen und preisen den Vorbeifahrenden ihre spärliche Ernte an. Wir stoppen und kaum haben sie Ajaci entdeckt, ist der Jubel groß. Kinder stürmen herbei und umringen unsere Bikes. Die Frauen, hinter ihren Wurzeln, Gurken, Birnen und Äpfeln sitzend, beschenken uns mit offenem Lachen. Nur wenige hundert Meter höher versteckt dichter Nebel die einmalig schöne Berglandschaft hinter einer grauweißen, nassen Wand. Wegen der schlechten Sicht sind wir nicht zum ersten Mal auf dieser Tour gezwungen am helllichten Tag die Lichter einzuschalten.
„Hast du gesehen wie der Mopedfahrer eine überfahrenen Hund mit genommen hat?“, fragt Tanja während eines Stopps in einem Bergdorf. „Wie, einen Hund mitgenommen?“, frage ich, von der Szene offensichtlich nichts mitbekommen zu haben. „Ich glaube der Hund ist erst vor kurzem überfahren worden. Er hat auf jeden Fall ganz schlimm geblutet. Der Mann hat vor mir gebremst, den Hund an seinen Beinen geschnappt und mitgenommen.“ „Meinst du der Mann hat das Tier gestohlen?“ „Da bin ich mir ganz sicher.“ „Er wird ihn mit nachhause nehmen und essen.“ „So sah es aus.“ „Na die Hundebesitzer werden spätestens heute Abend ihren vierbeinigen Freund vermissen.“ „Ja“, antwortet Tanja traurig. Nur fünf Kilometer weiter stoppe ich um auf dem GPS die Richtung zu überprüfen. Wie es der Zufall will steht neben mir der Hundedieb. Mit Entsetzen sehen wir das der Hund nicht tot ist. Er liegt auf den Boden, hechelt lautstark und blutet aus dem Maul. Wie versteinert blicke ich auf das gequälte Tier und kann nicht fassen was sich vor meinen Augen abspielt. Der Mann dreht dem Hund seine Vorderbeine auf den Rücken, greift sie mit der linken Hand, schwingt sich auf den Sattel seines Mopeds und fährt los. Als der Hund in seiner grotesken Haltung hustend bellt, blubbert Blut aus seinem Maul auf die Straße, welches einen roten Streifen hinterlässt. Sein Körper hängt zuckend nach unten, arretiert durch die eiserne Faust seines Peinigers. Erst jetzt erwache ich aus meiner Starre, würde dem Unmenschen am liebsten hinterherfahren und ihn von seinem Moped stoßen. Doch ist mir bewusst, dass ich kein Recht habe mich in die Kultur des Landes derart einzumischen, ja sogar straffällig zu werden, um einen schwer verletzten Hund das Leben zu verlängern oder zu retten. Wie in vielen asiatischen Ländern ist in Vietnam für über 50% der Bevölkerung Hundefleisch nach wie vor ein Teil der Nahrung. Ja es gilt sogar als Delikatesse, obwohl immer mehr Vietnamesen Hunde als Haustiere halten. In Hanoi und anderen großen Städten gehören Hunde zum Statussymbol. Mit den liebgewonnen Vierbeinern kann man nach westlicher Manier vor seinen Nachbarn kräftig angeben. Trotzdem werden nach Schätzungen jährlich fünf Millionen Tiere in Asien für den Verzehr geschlachtet. Das Schlimme dabei ist, dass die Hunde häufig brutal totgeschlagen werden. Nicht selten werden sie auch in einen Sack gesteckt, mit Elektroschockern malträtieren oder mit einem Messer gestochen, um sie ausbluten zu lassen. Der Grund für die brutale Tötungsart liegt im menschlichen Geschmack, denn durch diese Qual stößt das Lebewesen Adrenalin aus, was angeblich sein Fleisch besser schmecken lässt. Wegen den wachsenden Zahlen der Hundeliebhaber wird es für die Restaurants immer schwerer die Nachfrage ihrer Gäste zu bedienen. Ein Grund dafür warum der Hundediebstahl aus den Dörfern zunimmt. In der Vergangenheit greifen deswegen immer mehr Dorfbewohner zur Selbstjustiz. Das zumindest berichten die Medien, laut deren Aussagen in manchen Jahren mehr als 20 Hundediebe von den Dörflern todgeprügelt wurden.
Noch immer stehen wir wie erstarrt da und können nicht glauben was wir gerade gesehen haben. „Mir ist schlecht“, sage ich. „Das hat mich aus meiner Traumwelt in die Realität der Straße gerissen“, antwortet Tanja. „Wir dürfen uns das nicht zu sehr zu Gemüte nehmen.“ „Das fällt aber schwer.“ „Andere Länder andere Sitten. Das ist ein Fakt. Bei uns isst man Schweine, Rinder, jegliche Art von Federvieh, lebend gekochte Hummer usw. Wir dürfen die Vietnamesen nicht verurteilen“, gebe ich zu Bedenken. „Nein, das dürfen wir nicht aber solche Momente zeigen mir immer wieder warum ich Vegetarier geworden bin. Außerdem ist es ein Verbrechen sonders gleichen, unsere Tierpartner vor ihrem Ableben zu quälen“ „Ich denke nach wie vor, dass die Menschen in der Zukunft nicht mehr ihre Lebensgenossen verzehren werden und irgendwann verwundert auf dieses Jahrhundert zurückblicken zu was sie in der Lage waren.“ „Ja, ich hoffe du hast recht“, meint Tanja, worauf wir schweigend weiterfahren… Auf der weiteren Strecke sehen wir immer wieder Mopedfahrer die Hunde, Schweine, Ziegen und Hühner in grob geflochtenen Drahtkäfigen auf dem Gepäckträger transportieren. Für viele der Tiere ist es die letzte Fahrt im Leben…
Wer mehr über unsere Abenteuer erfahren möchte, findet unsere Bücher unter diesem Link.
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